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IG Referee fordert Rücktritt und Neuausrichtung im ÖFB-Schiedsrichterwesen

Wie die IG Referee, eine Interessensvertretung österreichischer Schiedsrichter, in einer Aussendung erklärt, liegen Informationen vor, die ein weitreichendes Versagen der ÖFB-Schiedsrichterführung in ihrem Management aufzeigen. (Text: Aussendung IG Referee)

Seit 2008 nahm kein österreichischer Schiedsrichter an einer EM- oder WM-Endrunde teil und seit 13 Jahren ist kein Referee mehr in der höchsten Elite-Kategorie der UEFA als  Schiedsrichter gelistet. Natürlich sind die Schiedsrichter in erster Linie für ihre Leistungen  verantwortlich, sie agieren jedoch in einem rückständigen System. Maßgebliche Entwick lungsschritte hin zu mehr Professionalität wurden seitens der Schiedsrichterführung unter Robert Sedlacek und des ÖFB nur in unzureichendem Ausmaß gesetzt. Allein die Einführung  des Video-Assistant-Referee (VAR) erfolgte im Vergleich zu anderen vergleichbaren Ligen wie Tschechien oder Polen viel zu spät. Wertvolle Erfahrungen und Entlastungen, die der VAR  den Schiedsrichtern bietet, blieben jahrelang ungenutzt. 

Sportpolitisch findet seit 2008 kaum eine Anknüpfung an UEFA oder FIFA statt. Österreichs  Schiedsrichter-Verantwortlichen fehlt der notwendige sportpolitische Zugang zu den großen  Verbänden, sie sind somit keine Stütze für die heimischen Referees.  „Österreichs Schiedsrichterwesen hat den Anschluss an die europäische Spitze verloren, mit unter auch, weil es keinem österreichischen „Spitzenfunktionär“ in den vergangenen Jahren  gelang, in den Verbänden der UEFA und FIFA als Brückenbauer für die österreichischen  Schiedsrichter seine Visitenkarte zu hinterlassen. Seit nunmehr 13 Jahren scheint kein öster reichischer Referee mehr in der Top-Kategorie der UEFA auf, seit dem Ausscheiden von Kon rad Plautz als EM-Referee 2008 leitet kein österreichischer Schiedsrichter entscheidende Spie le oder ist bei namhaften Turnieren vertreten - wir sind isoliert. Für dieses desaströse Bild  trägt allein die ÖFB-Schiedsrichterführung die Verantwortung.“ (Bernhard Brugger

 

Höchst unprofessionelle Rahmenbedingungen für BL-Schiedsrichter 

Die IG Referee erkennt und benennt seit Jahren die arbeits- und sozialrechtlich unbefriedi gende Situation für Schiedsrichter der österreichischen Bundesliga. Diese stehen in keinem  Angestelltenverhältnis zum ÖFB und bekommen auch kein vergleichbares Grundgehalt,  obwohl eindeutig Merkmale eines Dienstverhältnisses vorliegen - SR der BL sind an Weisun gen und Zeitpläne gebunden, hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit gibt es klare Vor gaben.

Die IG Referee kritisiert seit Jahren, dass die BL-SR als selbständige Mitarbeiter behandelt  werden, sie aber eindeutig zu ihrem Auftraggeber – dem ÖFB – in einem Verhältnis stehen,  das einem angestellten Dienstverhältnis ähnelt. Da sie fast ausschließlich nach ihren  Spieleinsätzen bezahlt werden, besteht im Verletzungs- oder Krankheitsfall 100%iger finanzieller Ausfall. Es können somit weder rechtliche Ansprüche auf Einkommen gestellt werden  noch ist ein entsprechendes sozialrechtliches Auffangnetz vorhanden. Zum Vergleich: Österreichische Bundesligaspieler unterliegen einem Kollektivvertrag, der ein  Mindestgehalt von € 21.700 jährlich vorsieht. Trotz mehrfacher Interventionen der IG Referee beim ÖFB wurden seit Jahren keine Maß nahmen gesetzt, um arbeitsrechtliche Grundlagen für BL-SR zu schaffen und diese scheinbare Selbständigkeit zu beenden! 

„Unsere BL-Referees sind durch den ÖFB zu Amateuren unter Profis degradiert - sie pfeifen  auf höchster Ebene unter indiskutablen, unprofessionellen und längst überholten Rahmenbedingungen. Es besteht ein Abhängigkeitsverhältnis zum Verband, ohne dass dieser seinen  anvertrauten Schiedsrichtern arbeits- und sozialrechtliche Absicherungen garantieren will.  Dies ist nicht länger hinnehmbar. Der ÖFB muss endlich im 21. Jahrhundert ankommen!“  (Harald Ruiss) 

Bereits 2014 haben sich in einer IG Referee-Umfrage viele BL-Schiedsrichter für die Schaf fung eines professionellen Umfelds ausgesprochen - ernst genommen wurden sie bis heute  nicht! Die Ergebnisse der Umfrage wurden dem ÖFB damals mit der Bitte um Ausarbeitung  eines professionellen Konzepts übermittelt, eine Reaktion blieb aus. 

 

ÖFB-Schiedsrichter als Bittsteller - monatelang keine Auszahlung der Spielge bühren 

Im August 2021 mussten die Bundesliga-Schiedsrichter zum wiederholten Mal auf die Aus zahlung ihrer Spielgebühren warten. Auch die Auszahlung aus der ersten Runde des ÖFB Cups vom 16. bis 18. Juli war Anfang September ausständig und damit über sechs Wochen  überfällig. Bereits während der letzten Meisterschaft wurden die Gebühren nicht zeitnah  überwiesen, sondern erst nach Interventionen. Als Begründung dafür wurde im ersten Fall  die Corona-Krise angegeben und aktuell urlaubsbedingte Abwesenheiten. Beides zeigt, wie  unprofessionell das SR-Management einzustufen ist, wenn es offenbar nicht in der Lage ist,  entsprechende Spielgebühren rechtzeitig anzuweisen. Dies kann und darf im größten Sport verband Österreichs nicht länger akzeptiert werden! 

Ein vom SR-Management initiiertes Video-System, eine Art E-Learning-Plattform, wurde den  BL-Referees im Sommer 2020 präsentiert. Der Kostenpunkt: Nach Recherchen von 90minuten.at soll es sich dabei um mehrere 1.000 Euro mit monatlichen Fixkosten von  knapp 1.000 Euro handeln. Der Haken: Die Schiedsrichter können dieses Tool nicht nutzen,  da bis heute die dafür nötigen Zugänge fehlen und es auch keinerlei Einschulung zur Hand habung dazu gab. 

„Es ist inakzeptabel, dass die österreichischen BL-Schiedsrichter seit Monaten  auf ausstehende Gebühren warten, während der Verband als Verwalter des SR-Budgets Geld  für ein Projekt ausgibt, ohne dass auch nur ein einziger Schiedsrichter einen Nutzen, ge schweige denn einen Mehrwert davon hat.“ (Manfred Schüttengruber) 

 

Grundlegende Reform des österreichischen SR-Wesens und Neubesetzung der  ÖFB-Schiedsrichterkommission 

Das SR-Management hat auf vielen Ebenen versagt. Leidtragende sind die österreichischen  BL-Schiedsrichter, die keine professionelle Unterstützung seitens der zuständigen SR Kommission erfahren. Das Einleiten von Reformen im ÖFB-Schiedsrichterbereich ist im Hin blick auf die Weiterentwicklung des Fußballsports unumgänglich und längst überfällig. 

Die IG Referee fordert:  

• eine ehrliche Aufarbeitung der Versäumnisse und ein klares Bekenntnis zur Neuori entierung im Schiedsrichterbereich durch den ÖFB. 

• den sofortigen Rücktritt der bisherigen Entscheidungsträger, die für die untragbaren  Missstände und die fehlende Professionalität verantwortlich sind: Die ÖFB-SR Kommission unter der Leitung von Robert Sedlacek hat sich für die Verwaltung von  Schiedsrichterangelegenheiten als ungeeignet erwiesen und ist umgehend abzulösen  - ihr bisheriges Management ist nicht länger hinnehmbar. Durch ihre bisherigen  Handlungen hat die Kommission das Vertrauen ihrer Schiedsrichter verwirkt. 

• die Ausarbeitung eines umfassenden Professionalisierungskonzepts für Schiedsrich ter unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen, dazu zählt: 

o die Schaffung zeitgemäßer Strukturen sowohl in den Landesverbänden als  auch im ÖFB, z.B. zur Vermeidung von Interessenkonflikten - ein Landesver bandspräsident soll künftig nicht mehr zugleich SR-Chef sein, sondern soll al leinig die Aufgaben der Schiedsrichterführung im Nationalverband überneh men. 

o Den Aufbau eines professionellen Arbeitsumfelds für BL-Schiedsrichter: ein  Dienstverhältnis, das arbeitsrechtliche Absicherungen für BL-Schiedsrichter  bietet. Dies ist überfällig und dringend umzusetzen. Keinesfalls darf ein BL-SR  weiterhin als Selbständiger eingestuft werden, sondern muss als gleichwertiger Part im österreichischen Fußball betrachtet und folglich professionell ent lohnt werden.

 

• die gezielte Förderung einer qualitativ hochwertigen Aus- und Weiterbildung junger  Referees als wichtige Basis, um den Wiederanschluss an die europäische und interna tionale Spitze zu schaffen. 

• die Einrichtung eines professionell geführten, unabhängigen Sportgerichts zur  Schlichtung von Streitfällen, um Interessenkonflikte zu vermeiden. 

 

Die aufgezeigten Missstände sind eines Landes wie Österreich mit seiner langen internatio nalen Schiedsrichtertradition unwürdig. Wir von der IG Referee treten daher geschlossen für  einen Reformkurs ein und sind bereit, im Rahmen der Förderung des österreichischen Schiedsrichterwesens konstruktiv mitzugestalten, gerne zusammen mit dem ÖFB. Dazu müs ste man aber seitens des Verbandes offen für Kritik sein und seine Schiedsrichter und deren Anliegen ernst nehmen. Da die bisherige SR-Vertretung in all den Jahren weder Reformwillen bzw. Diskursfähigkeit gezeigt hat noch seine Schiedsrichter im Sinne ihrer Interessen glaub haft vertreten hat, werden wir dem neu gewählten ÖFB-Präsidium im Oktober eine kon struktive Zusammenarbeit anbieten, an den dringenden SR-Neustart appellieren und diesen  im Sinne der Wahrung der Interessen unserer Schiedsrichter vehement einfordern.

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