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Ein Pionier ist seinen Weg zu Ende gegangen

Martin Blumenau ist tot. Das ist nicht nur für den Musikjournalismus und den gesellschaftlichen Diskurs im Land ein herber Verlust. Auch der Fußball und seine kritischen Beobachter verlieren einen der versiertesten Kommentatoren und vor allem ihren Wegbereiter.

+ + Von Jürgen Pucher + +

 

Was wir hier machen, gäbe es nicht. Auch alles andere, was heute in Österreich versucht im Internet mit einem gewissen Anspruch über Fußball zu berichten, zu sprechen oder ihn zu kommentieren, gäbe es nicht. Er war nicht mehr und nicht weniger als der Wegbereiter für uns alle, die wir hier seit mittlerweile vielen Jahren in diesem Feld unterwegs sind. Der, den wir aus dem Radio kannten, den wir schon als Teenager im Kinderzimmer aufgedreht haben, als die Anlagen noch Kassettendecks hatten, hat auf der FM4-Website 2002 begonnen über Fußball zu bloggen. Dass Martin Blumenau fußballaffin, mehr als das, fußballverrückt war, wussten regelmäßige Hörer natürlich schon vorher. Seine periodischen Journale zu lesen, war dann aber noch einmal ein ziemlicher Augenöffner. Wir waren die Erlebnisaufsätze aus den gängigen Tageszeitungen gewöhnt. Seit 2000 gab es immerhin den Ballesterer. Aber dann kommt da einer, der über Systeme, Hintergründe und den gesellschaftlichen Kontext unseres Lieblingssports im Internet schreibt. 

Das wollten wir. Lesen und auch selber machen. Wer mit „wir“ gemeint ist, fühlt sich jetzt angesprochen. Blogs, Fanportale, die sich kritisch mit dem eigenen Klub auseinandersetzten, oder später auch Podcasts entstanden neben der etablierten Medienlandschaft. Selber machen hieß auch, sich vom Pionier zu emanzipieren. Das ging mitunter nur mit Konfrontation und Auseinandersetzung. Martin Blumenau hat diese Dinge angenommen und war sich nie zu gut, einer solchen Auseinandersetzung nicht aus dem Weg zu gehen. Vielmehr hat er einen immer wieder durch gezielte Provokation zur Konfrontation eingeladen. Am Ende blieben immer zwei Dinge: Ein Mehrwert und die Versöhnung. Martin war nicht nachtragend und jeder noch so kontroversiell geführte Konflikt wurde am Ende beigelegt. Man konnte immer etwas mitnehmen. Und wenn es nur war, wie man ein Argument mit aller Kraft verteidigt. Selbst wenn man als Gegenüber den Inhalt für einen Blödsinn hielt. Und war das Argument einmal ausgetragen, blieb er trotzdem an Bord. Wenn er etwas im Kern für gut befand, hörte er nie auf es zu unterstützen. 

Martin Blumenau hat mit seinem Tun einen Prozess in Gang gesetzt. Es entstand im Laufe der Jahre zumindest eine kritische Masse an Berichterstattern und Kommentatoren, die sich der gängigen Verhaberung in Fußball-Österreich entzogen. Die nicht für ein paar Krümel vom Tisch des Präsidenten demselben nach dem Mund schrieben. Dieser Prozess ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Aber jeder der will, kann sich mittlerweile bei kritischen Beobachtern ein differenziertes Bild machen. Blumenau hat außerdem seinen Anteil daran, dass es jetzt einige Möglichkeiten hierzulande gibt, sich mit dem Spiel selbst auf einem Level jenseits von „eh gut gekämpft“ und „die Torchancen nicht verwertet“ zu beschäftigen. Das klingt so dahingeschrieben nach gar nicht so viel. In Wirklichkeit war dieser Shift im Fußballdiskurs aber inzwischen ein fast 20 Jahre dauernder Kraftakt. 

Jetzt ist der, der den ersten Pfad in den Dschungel gehauen hat, nicht mehr da. Was in seinem Sog nachgekommen ist, hat aus diesem Pfad im Laufe der Zeit einen gut begehbaren Weg gemacht. Die Aufgabe jetzt ist es, diesen Weg nicht wieder zuwuchern zu lassen. Danke, lieber Martin, dass du den Anfang gemacht und gezeigt hast, wie man sich mit Fußball auch noch beschäftigen kann. Es ist ein bedrückender Gedanke, dich nicht mehr an Bord zu wissen. Unser Mitgefühl gilt deiner Familie. 

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