Foto: © FC Red Bull Salzburg via Getty Images

Eine kuriose Reifeprüfung

Vor dem Spiel erschien ein 1:1 in Sevilla als gutes Ergebnis, nach dem Spiel mit drei Elfern und einem lange dezimierten Gegner muss man das bezweifeln. Am Ende überwiegt aber die gezeigte reife Leistung.

+ + 90minuten.at Exklusiv - Ein Kommentar von Georg Sander + +

 

Es wäre ja nicht so, als ob Julen Lopetegui nicht gewusst hätte, was da ungefähr aus Salzburg anfliegt. Umgekehrt wird er sich gewundert haben, warum seine routinierte Abwehr im Estadio Ramon Sanchez-Pizjuan gleich drei Elfer verursacht hat, die man eher den blutjungen Gästen zugetraut hätte, die mit einem Altersschnitt von 22,1 Jahren aufliefen und bei denen Kapitän Andreas Ulmer mit seinen 35 eben jenen Schnitt nicht nur in die Höhe trieb, sondern auch der einzige Kicker über 24 war. Überhaupt warf Matthias Jaissle fünf Spieler ohne Champions League-Erfahrung in die Schlacht.

Aber Sevilla, das sich noch eine der blödesten gelb-roten Karten kurz nach der Pause leistete, zeigte dann doch, warum sie vom UEFA-Koeffizienten her die zehntbeste Mannschaft der Gruppenphase ist. Denn die Lopetegui-Elf gab den Salzburgern nach dem Ausschluss den Ball, der fehlten Lösungen gegen die tiefstehenden Spanier und am Ende waren die Hausherren in einem kuriosen Spiel dem Sieg sogar näher, dicht machen und kontern ist bekanntlich leichter, als das Spiel selber aufzuziehen, gerade gegen eine Umschaltmannschaft wie Red Bull Salzburg. Sah auch Trainer Jaissle nach dem Spiel so: „Wenn der Gegner in Unterzahl ist, verteidigen sie noch tiefer. Aber bei dieser Qualität, die Sevilla im Kader hat, ist es natürlich brandgefährlich, dass sie im Konter nochmal zuschlagen. Über Flanken und Standardsituationen kann es immer wieder mal passieren, dass wir da ein Tor fressen.“ Aber, so klar muss man das sagen, dieses 1:1 ist ein Schritt nach vorne.

 

Reife Leistung

2019/20 debütierten die Bullen in der Königsklasse, nach einer Reihe von zum Teil peinlichem Scheitern in der Quali. Damals wurde Genk zuhause beim Debüt in der Champions League mit 6:2 abgeschossen. Liverpool und Napoli waren am Ende abgezockter. Einen Punkt holte man gegen die Topteams der Gruppe, auswärts in Neapel. Im Jahr darauf waren die Bayern viel zu stark, Atlético zu abgezockt, die einzigen vier Punkte gab es gegen Lok Moskau. Ein Problem im letzten Jahr war auch, dass man mit den ganz großen nur rund 70, vielleicht 80 Minuten mithalten konnte.

"Lille und Wolfburg, das sind Teams, die mit Salzburg auf europäischer Ebene nicht mithalten können. Der heimische Serienmeister hat einen im Vergleich zu diesen Teams vier Mal besseren UEFA-Koeffizienten"

Dass dann auch noch der spätere Europa League-Sieger Villarreal im Sechzehntelfinale viel cleverer agierte, kam noch dazu. Matthias Jaissles Learning offenbar: Dosierter Aufbauen, langsamer durchkombinieren und die Kräfte soweit schonen, dass man sich eine gute Leistung am Ende nicht noch zusammen haut. So sah es dann bis zum Ausschluss auch am Feld aus. Dass das zudem eben mit einer blutjungen Elf passierte, mit einem Trainerneuling, kann als Indiz gewertet werden, dass die richtigen Schlüsse aus schönen, aber unbelohnten Auftritten in den vergangenen zwei Jahren gezogen wurden.

 

Ablieferungszwang

Nun warten also der französische Meister Lille und Wolfsburg, ehe man im letzten Spiel zuhause wieder auf den Favoriten trifft. Lille und Wolfsburg, das sind Teams, die mit Salzburg auf europäischer Ebene nicht mithalten können. Der heimische Serienmeister hat einen im Vergleich zu diesen Teams vier Mal besseren UEFA-Koeffizienten, Lille war nur in Topf 1, weil man Meister wurde, nur drei Teams aus Topf 1 hatten einen besseren Koeffizienten als Sevilla. Das heißt, dass die Salzburger mit der Erfahrung, die man trotz der Abgänge nach wie vor hat, diese Teams eigentlich biegen können müsste. Nach zwei guten Saisonen mit Rang drei kann Platz zwei nur das anvisierte Ziel sein, ein Überwintern in der Champions League.

Nicht wenige junge Mannschaften hätten sich nach nur einem von drei verwerteten Elfern, einem Gegentor und einer Halbzeit in Überzahl ohne Torerfolg wohl mit sich selbst beschäftigt und vielleicht sogar verloren. Können die Salzburger die reife Leistung auch in den kommenden vier Spielen zeigen, ist ein Aufstieg möglich. Der Auftritt in Sevilla war, auch wenn ein 1:1 übrig blieb, ein Schritt in genau diese Richtung.

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