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Sturm: Nahe an der Schwurblerecke

Sturm hat seit dem Europa League-Spiel gegen San Sebastian mit einem Corona-Cluster zu kämpfen. Auch hervorgerufen durch eine niedrige Impfquote im Klub. Der Umgang des Klubs damit und Aussagen der Verantwortlichen zum Thema, befördern nachhaltigen Imageschaden für die Grazer.

+ + 90minuten.at Exklusiv - Ein 12 Meter von Jürgen Pucher + +

 

Bis zum Europa League-Ausflug nach San Sebastian, hat man in Graz und im Sturm-Umfeld ja noch geglaubt, die nächste Krise würde rein sportlicher Natur sein. Im Baskenland drehte sich dieses Bild aber ganz gehörig. Der erste Punkt in der Gruppenphase wurde erkämpft und es schien, als wäre nach schwierigen Wochen ein Comeback am Rasen geglückt. Parallel dazu kam es aber noch viel dicker, als es sich die Verantwortlichen wohl je gedacht hätten. Schon kurz vor der Auswärtsfahrt lieferte Yusuf Gazibegovic einen positiven Corona-Test ab. In Spanien folgte ihm Kelvin Yeboah und in Altach ein paar Tage darauf, brachte der SK Sturm nicht mehr genug negativ getestete Spieler zusammen, um in der Bundesliga antreten zu können.

 

In der Tabelle weit oben, Impfquote im Keller

Die Lage im ganzen Land war schon von stetig steigenden Zahlen geprägt und auch andere Klubs verzeichneten positive Tests. Aber zu einem Cluster wie bei den Schwarz-Weißen kam es in der obersten Spielklasse sonst nirgendwo. Nach und nach stellte sich heraus, dass die Grazer Spieler nicht so gern zur Impfung gegangen sind. Eine APA-Umfrage unter den Bundesligisten ergab eine durchschnittliche Impfquote bei den Spielern von etwa 75 Prozent. Also österreichweit über dem Schnitt der Gesamtbevölkerung. Sturm kommunizierte auf Nachfrage zunächst nur häppchenweise, am Ende zeigte sich aber: Die Grazer erreichten vor dem Clusterausbruch nicht einmal mit Geimpften und Genesenen zusammen diesen Wert.

"Ich habe absolut Verständnis dafür, wenn ein Spieler sagt, er will sich nicht impfen lassen." - Andreas Schicker

Der Verein ließ wissen, man hätte Beratungsgespräche geführt und aufgeklärt, einige seien aber schlichtweg nicht zu überzeugen gewesen. Der zuständige Teamarzt hätte eine eindeutige Empfehlung für die Impfung abgegeben, laut Sturm-Sprecher Walter Wenegger hätte für den einen oder anderen aber dann noch immer die Sorge überwogen, Trainingstage wegen Impfreaktionen zu verpassen und nicht die Angst vor einer Erkrankung. Was davon zu halten ist, da soll sich jeder selbst ein Bild machen. Wie nachdrücklich der Verein seine Spieler zur Impfung animiert hat, lässt sich im Nachhinein schwer nachvollziehen. Fakt ist: Druck ist keiner ausgeübt worden. Die freie Entscheidung jedes einzelnen sei akzeptiert worden, hieß es von Wenegger. Trotzdem ein Corona-Cluster wirtschaftlich und sportlich bei einem Profiklub schweren Schaden anrichten kann.

 

Sportchef Schicker gibt schlechtem Wetter Mitschuld an Cluster

Und wie ernst das Thema grundsätzlich genommen wurde, ist ebenso schwer zu sagen. Indizien dafür, dass bei Sturm und seinem Umfeld nicht unbedingt nur die wissenschaftlich fundierten Fakten eine Rolle spielen, zeigen nicht nur die Spieler, die lieber keine Trainingstage versäumen, als sich vor dem krank werden zu schützen. Ein von einem Mitarbeiter angeregter öffentlicher Impfaufruf unter der Schirmherrschaft des Klubs wurde von der Führungsebene per Mehrheitsentscheid abgelehnt. Und Sportdirektor Andreas Schicker fiel am Wochenende in einem APA-Interview mit zumindest zweifelhaften Aussagen zum Thema auf. Tagelang verweigerte er, und auch Präsident Christian Jauk, jede Aussage zum Thema. Pressechef Wenegger war der einzige, der die offiziellen Statements kommunizierte. Schicker ließ wissen, er äußere sich nur zu sportlichen Themen. Irgendwer dürfte ihm erklärt haben, dass kranke Spieler da schon ins Thema passen und er sprach dann, spät aber doch, mit der APA.

 

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Was er dort von sich gab, lässt mich allerdings ziemlich irritiert zurück. Das kühle und nasse Wetter in San Sebastian hätte Infektionen befeuert. Und: „Dann hat man einfach einmal eine Immunsystemschwäche.“ Und Schicker legte noch nach: „Ich habe absolut Verständnis dafür, wenn ein Spieler sagt, er will sich nicht impfen lassen.“ Wer in Zeiten wie diesen, mit fünfstelligen Infektionszahlen pro Tag, verzweifelt in den Medien auftretenden Intensivmedizinern und wieder vor der Tür stehenden Restriktionen für die Gesamtbevölkerung, solche Dinge von sich gibt, hat sich recht eindeutig zum Thema positioniert. Dass die allermeisten Probleme durch eine zu niedrige Impfquote entstehen, scheint ihm egal zu sein oder er hat es nicht verstanden. Und wenn der Chef so eine Linie vorgibt, dann muss man sich nicht wundern, wenn die Spieler zu großen Teilen nicht mitziehen.

Sturm hat es in diesen letzten zwei Wochen geschafft, seinen positiven Ligaauftritt und seinen tollen neuen sportlichen Weg gegen ein bisschen ein Schwurbler-Impfskeptiker-Image einzutauschen. Das macht mich als Fan persönlich betroffen und mir tut das vor allem für jene im Klub leid, die dazu einen anderen Zugang haben. Es bleibt zu hoffen, dass die positiv getesteten Spieler und Betreuer alle ohne Langzeitfolgen bleiben und zumindest hier weitere Probleme abgewendet werden können. Der Imageschaden für den Klub wiegt schon schwer genug.

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