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Mehr Pressing, besseres Defensivverhalten - die große Analyse zur EM Quali 2020

Die österreichische Nationalmannschaft konnte sich am vorletzten Spieltag der Quali das Ticket für die Europameisterschaft 2020 sichern. Doch wie konnte sich die Mannschaft unter Franco Foda entwickeln und wie stehen die Chancen bei der Endrunde?

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+ + 90minuten.at Exklusiv + + Eine Österreich-Analyse von Simon Goigitzer

 

Das passive Defensivverhalten in allen Mannschafsteilen wird bei der Endrunde für ein frühes Ausscheiden sorgen. Für diese These wurden alle Spiele der österreichischen Nationalmannschaft in der Qualifikation für die Europameisterschaft 2020 analysiert. Auf 90minuten.at gibt es zudem vier Taktikanalysen zu den Spielen, wie zum Beispiel die Niederlage in Israel oder das Unentschieden gegen Polen. Diese Analyse soll zeigen, wie sich das ÖFB-Team in der Qualifikation verhalten und entwickelt hat - außer das letzte Spiel gegen Lettland, da es wegen der großen Rotation keine Aussagekraft hat- Zudem wird aufgezeigt, was Franco Foda noch vor der EM verbessern sollte. Wichtig zu wissen ist, dass die folgenden Analyseszenen nicht das ganze Spiel abbilden können und wollen. Denn Österreich hatte oft Phasen in einer Partie, in denen sehr gut und aktiv gespielt wurde. Das dauerte aber oftmals nicht länger als 15-20 Minuten, bis dann wieder sehr passiv agiert wurde.

Teamchef Foda ließ die meiste Zeit in der Qualifikation eine 4-2-3-1-Formation spielen, die sich im Pressing eher in ein 4-4-2 umwandelte. In den ersten Partien gegen Slowenien und Nordmazedonien sah man auch ein 4-1-4-1. Gegen Israel in der zweiten Runde lief das Experiment mit einer Fünfer- beziehungsweise Dreierkette im Aufbau schief und man verlor 4:2. Das 4-2-3-1 funktionierte bei den Österreichern bis jetzt am besten. Doch welche Spieler waren hatten die meisten Speilminuten und ware eine wichtige Stütze bei dieser Qualifikation?

 

Das Personal

Abbildung 1: Meistgewählte Aufstellung von Foda

In den ersten vier Spielen war Heinz Lindner die Nummer eins bei der Nationalmannschaft, wurde aber dann von Cican Stankovic abgelöst. Zwar hatte Lindner keine schlechten Spiele, allerdings fand er erst spät im Sommer einen neuen Verein und hatte dadurch wenig Spielpraxis. Leider hatte Stankovic kein Glück und der Tormann des FC Red Bull Salzburg verletzte sich. Somit standen in den letzten beiden Partien Alexander Schlager und Pavao Pervan im Tor. Einen klaren Einsergoalie gibt es nicht.

Die Viererkette blieb beinahe die ganze Qualifikation gleich. Die Paarung in der Innenverteidigung war in den meisten Spielen Martin Hinteregger und Aleksandar Dragovic. Beide Abwehrspieler lieferten in der Qualifikation immer wieder gute Leistungen. Vor allem können beide die ersten zwei Pressinglinien des Gegners gut überspielen und sind daher für den Spielaufbau sehr wichtig. Andreas Ulmer und Stefan Lainer spielten auf den Außenverteidigerpositionen. Beide Spieler haben ein gutes Gefühl für das Gegenpressing und wann sie im Ballbesitz mitgehen nach vorne gehen konnten oder wann man die Restverteidigung verstärken sollte. Zudem konnten beide Außenbahnspieler gute flache diagonale Pässe in den Zwischenlinienraum des Gegners spielen und so immer wieder Angriffe einleiten. Auf den beiden Sechserpositionen spielten meist Julian Baumgartlinger und Konrad Laimer. Baumgartlinger traf im Ballbesitz immer wieder viele gute Entscheidungen und ist wichtig für den Spielaufbau der Österreicher. Laimer konnte durch sein enormes Laufpensum im Pressing und seine Qualitäten in der Offensive starke Leistungen zeigen.

In der Offensive hat die österreichische Nationalmannschaft sehr gute Spieler, allerdings stachen zwei Spieler besonders heraus. Marcel Sabitzer, der meist als hängende Spitze oder Zehner agierte, verbuchte in dieser Qualifikation zwei Tore und fünf Vorlagen. Jedoch sind nicht die Torbeteiligungen das Besondere. Sabitzer bewegte sich immer wieder gut zwischen den Linien des Gegners und war dadurch auch oft für beide Innenverteidiger anspielbar. Der Leipzig-Legionär hat ein gutes Gefühl, wo er sich im Ballbesitz bewegen muss. Zudem schaffte er es auch öfters im Pressing richtig anzulaufen und die Gegner dadurch unter Druck zu setzen. Der zweite wichtige Offensivspieler ist Marko Arnautovic. Mit sechs Treffern und einem Assist hat er die meisten Torbeteiligungen in der Qualifikation. Nicht nur ist der China-Legionär immer torgefährlich, sondern löste sich im letzten Drittel auch immer wieder in 1 gegen 1 Situationen heraus. Auf den offensiven Außenpositionen kamen David Alaba und Valentino Lazaro zum Einsatz. Der Bayern-Star erzielte ein Tor, sorgte aber immer für Unruhe; das, obwohl er im Verein eher linker Verteidiger oder Innenverteidiger spielt. Der umtriebige Inter-Legionär, vornehmlich als rechte Wingback im Einsatz, steuerte einen Treffer und einen Assist bei.

Außerdem gab es noch Spieler, die meistens von der Bank zu ihren Einsätzen kamen. Besonders herauszuheben ist Stefan Posch, der gegen Slowenien sogar als rechter Außenverteidiger spielte und den einzigen Treffer erzielte. Auch Michael Gregoritsch kam zu mehreren Einsätzen. obwohl er beim FC Augsburg in der laufenden Saison kaum zu Spielminuten kommt. Doch wie agieren diese Spieler aus taktischer Sicht?

 

Die Arbeit gegen den Ball

Die österreichische Nationalmannschaft hatte natürlich mehrere Phasen in ihrem defensiven Verhalten. Welche Phasen jedoch besonders herausstachen, waren jene bei einer knappen Führung und bei einem Rückstand oder Unentschieden. Zunächst wird analysiert, wie sich Österreich die meiste Zeit bei einem Rückstand oder oft noch bei einem 0:0 agierte.

Im Pressing agierte die österreichische Nationalmannschaft in einem 4-4-2. Dadurch konnte man in den meisten Spielen die gegnerische Viererkette mannorientiert anpressen. Sie versuchten schon sehr früh, die Gegner unter Druck zu setzen und die Abwehrspieler zu einer Entscheidung zu zwingen. Meistens versuchten sie, hohe Bälle nach vorne zu erzwingen, aber Mannschaften wie Polen, Israel oder auch Slowenien konnten einige Male die erste Pressinglinie mit flachen Kombinationen überspielen. In diesen Situationen kamen die zwei zentralen Mittelfeldspieler in Aktion. Vor allem Laimer konnte viele vertikale Pässe, die die ersten zwei Pressinglinien überspielten sollten, immer wieder abfangen und einen Konter einleiten. Das hohe Pressing bei den Österreichern funktioniert an und für sich recht gut, da die Offensivspieler oft wisse,n wie sie den Gegner anlaufen mussten. Das richtige Anlaufen erhöht die Chance auf eine Balleroberung in der gegnerischen Hälfte und dadurch wäre man auch gleich näher am Tor.

Allerdings gab es auch Phasen im Spiel gegen den Ball, in denen die Österreicher sehr passiv agierten und die Gegner zu oft in die Nähe des eigenen Tores ließen. Nach einer knappen Führung oder auch einige Male bei einem Unentschieden ließ sich das ÖFB-Team weiter nach hinten fallen und attackierte nicht mehr so hoch. Es schien so, als ob Foda und seine Mannschaft das Ergebnis "verwalten wollten". Dadurch hatte die gegnerische Mannschaft mehr Ballbesitz und konnte ihr Spiel bereits höher aufbauen. Zudem agierten die Österreicher in dem tiefen Pressing auch in der eigenen Hälfte passiv und kamen durch die mangelnde Aggressivität und Intensität kaum in Zweikämpfe. Die Österreicher „bettelten um das Gegentor“. Das wird weiter unten genauer behandelt.

Im Umschaltverhalten nach Ballverlust versuchte Österreich so schnell wie möglich den Ball wieder zurückzuerobern. In vielen Spielen funktionierte das Gegenpressing auch gut. In dieser Phase sah man auch eine positive Entwicklung in der Mannschaft während der Qualifikation. Wie zum Beispiel im zweiten Spiel gegen Polen. Besonders in der ersten Hälfte konnte Polen sich selten aus dem Gegenpressing herausspielen. Österreich kam immer wieder nach Ballverlust wieder in Ballbesitz und konnte das Spiel neu aufbauen. Ein Beispiel für das schnelle Zurückerobern nach Ballverlust. (Abbildung 2)

Abbildung 2: Alaba mit einem Ballverlust

Abbildung 3: Schnelles Attackieren nach Ballverlust führte wieder zum Ballbesitz für Österreich

David Alaba wurde angespielt und verlor durch die schlechte Mitnahme den Ball. Der Bayern-Legionär setzte gleich nach und versuchte den Ball selber wieder zurückzuerobern. Die nahestehenden Mitspieler schoben gleich nach, sodass für Polen der Raum sehr eng wurde. Besonders Laimer war aggressiv und sprintete, wie in dieser Situation, schnell auf den Ballführenden. Zwar konnte der Leipzig-Profi den Ball nicht erobern, jedoch fing Ulmer den Pass in der Folgeaktion ab und Österreich gewann nach ein paar Sekunden den Ball wieder zurück.

 

Österreich im Ballbesitz

Die österreichische Nationalmannschaft agierte im Ballbesitz meistens in einem 4-2-3-1. Auf beiden Seiten, falls der Flügelspieler sich in den Halbraum bewegte, rückte der Außenverteidiger weit nach vorne. Baumgartlinger besetzte oft alleine den Sechserraum vor der Abwehr und versuchte immer wieder, sich hinter der ersten Pressinglinie des Gegners anzubieten. Sabitzer, der als Zehner agierte, bewegte sich viel zwischen der Abwehr- und Mittelfeldreihe des Gegners. Der Leipzig-Legionär kann sich zudem gut aus dem Deckungsschatten der Mittelfeldspieler lösen, um einen diagonalen/vertikalen Pass der Innenverteidiger zu bekommen. Allgemein sind flache vertikale oder diagonale Pässe der beiden Innenverteidiger ein großes Merkmal im Spielaufbau der Österreicher.

Nun kommen einige Beispiel zu solchen Zuspielen und wie das Nationalteam oft bis zu zwei Pressinglinien der Gegner überspielten. Wie zum Beispiel Dragovic gegen Slowenien. (Abbildung 4)

Abbildung 4: Dragovic spielte einen vertikalen Pass, mit den er zwei Pressinglinien überbrückte.

Dragovic bekam den Ball und dribbelte den Raum vor sich an. Zuerst fand er keine Anspielstation, da die meisten Mitspieler im Deckungsschatten der Slowenen standen. Allerdings bewegte sich daraufhin Stefan Ilsanker in Richtung Dragovic und zog seinen Gegenspieler mit. Nicht nur war er für Dragovic anspielbar, sondern öffnete mit seiner Bewegung auch den Passweg zu Sabitzer. Zudem schien es so, dass der österreichische Sechser das Entgegenkommen absichtlich machte, nur um den vertikalen Pass nach vorne zu ermöglichen. Denn er machte auch einen Schulterblick und sah womöglich, dass Sabitzer im Zwischenlinienraum viel Platz hatte. Auch der zweite Leipzig-Legionär bewegte sich aus dem Deckungsschatten des gegnerischen Sechsers heraus und war mit einem vertikalen Pass von Dragovic zwischen den Linien anspielbar. Nicht nur konnten die Österreicher mit diesem Pass beinahe die zweite Pressinglinie überspielen, sondern hatten auch einen großen Raumgewinn im Spielaufbau.

Ein weiteres Beispiel war im Auswärtsspiel gegen Polen. (Abbildung 5)

Abbildung 5: Dragovic kann durch den vertikalen Pass zwei Pressinglinien überspielen

Dragovic hatte diesmal den Ball. Er dribbelte nicht an, weil er vom polnischen Stürmer attackiert wurde. Wieder bewegte sich Sabitzer zwischen den Linien. Der Leverkusen-Legionär spielte einen vertikalen Pass direkt zu Sabitzer. Damit leitet er nicht nur eine gute Chance ein, sondern überspielte mit diesem Pass zwei Pressinglinien der Gastgeber. Sabitzer konnte zum eingerückten Alaba weiterspielen und schon befand sich Österreich mit nur einem Pass in der gegnerischen Hälfte.

Aber nicht nur Dragovic kann solche Pässen spielen, sondern auch für Hinteregger war es in dieser Qualifikation öfters möglich, mehrere Linien mit einem Pass zu überspielen. Besonders im Heimspiel gegen Nordmazedonien gelang das mittels diagonalen Pässen zum Sechser oder in den Zehnerraum.

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