Rapid kann lückenhaftes Pressing der Grazer nicht überspielen [Spiel-Analyse]

Rapid Wien hat weiterhin große Probleme im Ballbesitz und konnte sich trotz des fehlerhaften Pressing des SK Sturm nicht aus der eigenen Hälfte heraus kombinieren. Die Partie war auf beiden Seiten von hektischen Entscheidungen im Ballbesitz und von Ballverlusten geprägt.

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+ + 90minuten.at Exklusiv + + Eine Spiel-Analyse von Simon Goigitzer

 

Der SK Rapid Wien begann mit einer 4-2-3-1-Formation, die sich aber in der Defensive eher in ein asymmetrische 4-1-4-1 umwandelte. Die Wiener konnten vor der Länderspielpause zwar gegen den SCR Altach gewinnen, waren aber in den drei Spielen davor sieglos. Der SK Sturm Graz startete die Partie mit einer 5-2-3-Formation, die im Ballbesitz eher zu einem 3-4-3 wurde. Mit hohen Bällen auf die Stürmer und hohen Ballgewinne versuchten die Gäste, sich Tormöglichkeiten herauszuspielen. Die Grün-Weißen wollten ihren Spielaufbau zwar flach gestalten, hatten aber durch fehlerhafte Entscheidungen große Probleme, in das letzte Drittel zu kommen. Diese Problematik ist schon länger ein Thema. Gibt es bei Rapid Wien eine Entwicklung im Ballbesitz unter Didi Kühbauer? Ein besonderes Augenmerk gilt deshalt der Ballbesitzphase von Rapid Wien.

 

Keine Verbesserung der Ballbesitzphase der Wiener

Rapid spielte in einem 4-2-3-1 und sie bauten hauptsächlich mit einer flachen Viererkette auf. Das heißt, dass die Außenverteidiger nur am Flügel hochrückten, wenn sie ballnah am Spielgeschehen teilnahmen. Besonders Maximilian Ullmann rückte einige Male sehr weit nach vorne. Den Sechserraum vor der Abwehr besetzte meist nur ein Spieler von den beiden nominellen Sechsern, entweder Stefan Schwab oder Dejan Ljubicic. Der zweite Mittelfeldspieler rückte daraufhin situativ weiter nach vorne. Die Wiener versuchten sich zwar aus dem anfangs hohen Pressing der Grazer herauszulösen, allerdings taten sie sich, durch nicht situationsgerechte Entscheidungen sehr schwer überhaupt die erste Pressinglinie von Sturm zu überspielen, obwohl das Pressing der Gäste lückenhaft war und somit relativ leicht überspielbar gewesen wäre - dazu später mehr. 

In diesem Spiel gab es einige Merkmale, die Rapid in ihrem Ballbesitzspiel eindeutig zeigte. Eine dieser Eigenschaften war, dass der Ballführende oft sehr wenige Passoptionen hatte. Wie zum Beispiel in der 26. Minute. (Abbildung 1)

Abbildung 1: Stojkovic dribbelte mit dem Ball nach vorne, hatte aber kaum Anspielstationen. (Pfeile in schwarz zeigen welche Optionen bei anderer Bewegung der Mitspieler möglich gewesen wären)

Filip Stojkovic dribbelte den Raum vor sich an und suchte nach Anspielmöglichkeiten nach vorne. Seine Blicke gingen diagonal nach vorne zu den Stürmern. Allerdings befand sich Taxiarchis Fountas im Deckungsschatten von Otar Kiteishvili und versuchte sich auch nicht aus diesen herauszubewegen. Christoph Knasmüllner machte zwar einen Lauf in die Tiefe und wäre anspielbar gewesen, jedoch hätte dieser Pass über die Abwehr sehr genau kommen müssen. Zudem war der Laufweg vom Mittelfeldspieler eher nach außen orientiert und mit einem Chipball über die Defensive der Grazer hätte sich Knasmüllner in der Folgeaktion wahrscheinlich nach hinten abdrehen müssen. Auch Ljubicic stand frei und wäre anspielbar gewesen, doch in der Folgeaktion hätte auch er kaum Anspielstationen gehabt und wäre von Juan Dominguez direkt unter Druck gewesen. Stojkovic spielte daher auf Kelvin Arase am Flügel. Der Außenspieler versuchte daraufhin in einer 1-gegen-1-Situation vom Flügel in die Mitte zu dribbeln, verlor aber den Ball.

 

Leerer ballferner Halbraum

Nun einige Szenarien, in denen der rechte Außenverteidiger Rapids mehr Anspielstationen gehabt hätte: Durch den Lauf von Knasmüllner wurde die Abwehr der Grazer weiter nach hinten gedrückt und der Zwischenlinienraum der Abwehr und dem Mittelfeld vergrößerte sich. In diesen Raum hätte sich Fountas öfters hineinbewegen können und wäre dadurch nicht mehr im Deckungsschatten von Kiteishvili gewesen. Für den Außenverteidiger gäbe es dann die Möglichkeit einen flachen diagonalen Pass auf den Stürmer zu spielen. In der Folgeaktion hätte Fountas auf einen der beiden zentralen Mittelfeldspieler prallen lassen können oder falls der Innenverteidiger nicht direkt mit ihm mitgeht, sich aufdrehen und auf die Abwehr zu dribbeln können. Auch in dieser Szene war zu sehen, dass der ballferne Halbraum nicht von Rapid besetzt wurde, obwohl dort sehr viel Platz war. Dabei hätte es mehrere Möglichkeiten gegeben: Entweder rückt Thomas Murg aus seiner breiten Position dort hinein und Ullmann schiebt am Flügel weiter nach vorne, um dem Spiel noch Breite zu geben. Oder Schwab besetzt diesen Raum und Ljubicic orientiert sich in dieser Situation eher weiter nach hinten, um die Restverteidigung zu verstärken. Falls dieser Raum besetzt wäre, hätte Stojkovic die Möglichkeit gehabt, einen Chipball in den Halbraum zu spielen. Eine weitere Option wäre gewesen, dass sich Ljubicic weiter nach vorne orientiert und damit auch seine Gegenspieler mitzieht, um einen horizontalen Pass auf Schwab zu ermöglichen. Der Kapitän hatte dafür aber auch einige Meter weiter in die Mitte rücken müssen.

Ebenfalls ersichtlich war, dass bei Rapid die Spieler ihre Läufe in die Tiefe schlecht timen. Das bedeutet, dass Spieler Läufe in die Tiefe starteten, obwohl der ballführende Mitspieler den Pass gar nicht zu ihnen spielen konnte, weil die Körperposition des Ballführenden nicht zum tieflaufenden Spieler orientiert war. Zwar können Läufe in die Tiefe auch einfach nur Spieler mitziehen und dadurch Räume aufreißen, allerdings war das in diesem Spiel selten der Fall. Denn machte ein Spieler einen Lauf in die Tiefe, aber für seinen Mitspieler wäre es nicht möglich den Ball zu ihm zu spielen, würde sich der Gegner nur wenig mitbewegen.

Wie auch in den letzten Spielen haben die Spieler des SK Rapid Wien viele fehlerhafte Entscheidungen im Ballbesitz, die zu oft zu unnötigen Ballverlusten führen. Wie zum Beispiel in der 67. Minute. (Abbildung 2)

Abbildung 2: Ullmann schoss den Ball nach vorne, obwohl er eine kurze Anspielstation hatte. (Pfeile in schwarz zeigen die besseren Passoptionen in dieser Situation an)

Ullmann bekam den Ball nach einem Duell zwischen Schwab und Emanuel Sakic. Im Spiel entschied sich der Außenverteidiger mit dem ersten Kontakt direkt hoch nach vorne zu spielen. Das hohe Zuspiel auf den Stürmer war zu ungenau und Rapid verlor wieder den Ball. In dieser Szene wäre es besser gewesen, auf den frei stehenden Murg zu spielen, da sich Sakic bereits nach hinten orientierte und Murg somit viel Platz und Zeit gehabt hätte. In der Folgeaktion hätte der Außenbahnspieler auch wieder in die Mitte zu Schwab spielen können. Der Kapitän wartete bereits auf den Pass und schaute sich auch mit mehreren Schulterblicken um, damit er bei einem möglichen Zuspiel weiß, wofür er sich daraufhin entscheiden müsste.

Diese Szenen waren nur zwei Beispiele für die fehlerhaften Entscheidungen im Ballbesitzspiel der Grün-Weißen. Diese Probleme zeigte sich nicht nur in diesem Spiel, sondern laufen schon über die ganze Meisterschaft.Besonders in den Anfangsminuten der zweiten Halbzeit kamen diese schlechten Merkmale in den Ballbesitzphasen hervor.

 

Der Ausgleichstreffer der Grazer

Abbildung 3

Nach einem kurz abgespielten Abstoß bekam Schwab den Ball von Ljubicic. Der Kapitän sah mit einem Schulterblick, dass er unter Druck gesetzt wurde. Somit nahm er den Ball rechts in den freien Raum mit. Allerdings entzog er sich selber damit die Passoption auf Ljubicic zurück.

Abbildung 4

Schwab orientierte sich gleich nach vorne und spielte einen diagonalen Pass auf Arase. Der Pass wurde jedoch von Sakic antizipiert und Rapid verlor nach einer kurzen Ballbesitzphase wieder den Ball. In dieser Situation hätte Schwab einige anderen Optionen gehabt. Entweder er würde ganz zu Richard Strebinger zurückspielen und Rapid kann den Spielaufbau neu starten. Dadurch hätte Ullmann und Mateo Barac Zeit gehabt sich so zu positionierten, dass sie für ihren Schlussmann anspielbar gewesen wäreb. Oder er hätte zu Barac zurückgespielt und auch nach diesem Zuspiel hätte Rapid ihren Aufbau neu organisieren können. Falls Barac den Ball bekommen hätte, wären für den Innenverteidiger mehrere Optionen offen gewesen. Ullmann hätte sich auf den Flügel bewegen können oder auch Ljubicic besetzte den rechten Halbraum und wäre anspielbar. So verloren die Gastgeber den Ball.

Abbildung 5: Pfeile in schwarz zeigen eine bessere Position der Spieler. Zudem wird von Ullmann eine eher durchsichtigeres Abbild mit einer besseren Position gezeigt.

In der letzten Szene vor dem Treffer kam Sakic nach einem gewonnem Luftduell von Kiril Despodov am Flügel den Ball. Schwab musste nach außen rücken, kam allerdings in eine 1-gegen-2-Situation. Nach dem Ballverlust hätten Ullmann oder Arase schneller umschalten müssen, um näher an Despodov sein zu können. Zwar rückte der linke Außenverteidiger Rapids nach hinten, aber zu langsam und nicht situationsgerecht. Er orientierte eher in die Mitte, anstatt Schwab in dieser Unterzahlsituation zu helfen. Wäre in dieser Situation weiter außen hätte er weiterhin den Gegenspieler in der Mitte im Deckungsschatten und hätte nach einem Pass von Sakic auf Despodov, den Stürmer unter Druck setzen können. So kam der Offensivspieler von Graz ohne Druck zum Flanken und lieferte den Assist zum 1:1.

 

Sturm Graz nützt Deckungsschatten nicht richtig

In dieser Partie ragte vor allem das Pressing der Grazer negativ heraus. Oft wurde nicht situationsgerecht angelaufen und somit Anspielstationen für den Ballführenden einfach offen gelassen. Zudem stimmte das Timing des Anlaufens oftmals nicht und das Pressing konnte mit einem leichten Chipball überspielt werden. Allerdings konnte Rapid Wien nicht oft genug das lückenhafte Pressing ausnutzen, um kontrolliert nach vorne zu spielen. Sturm Graz attackierte die Wiener in dem 5-2-3 nämlich schon sehr weit vorne.

Abbildung 6: Sturm hatte im Pressing zu großen Abstand zwischen den Linien und einige Spieler nutzten nicht ihren Deckungsschatten. (Pfeile in SCHWARZ zeigen die Passoptionen für Rapid an)

Barac bekam den Ball von Christopher Dibon und wurde von Philipp Huspek unter Druck gesetzt. In dieser Szene stimmte einmal das Anlaufen von Huspek, denn er konnte Ullmann in den Deckungsschatten stellen und zwang den Innenverteidiger auf die andere Seite. Zudem kam er beinahe in den Zweikampf mit dem Rapid-Profi. Allerdings gab es für Barac zwei Passoptionen, um die erste Pressinglinie zu überspielen und  um vier Grazer im Angriff hinter sich zu lassen. Bekim Balaj stellte Ljubicic überhaupt nicht in den Deckungsschatten und der Mittelfeldspieler war völlig frei. Dazu kam auch noch, dass es im Pressing der Grazer immer wieder einen zu großer Abstand zwischen den Pressinglinien gab. Das heißt, dass die Stürmerreihe attackierte, aber der Rest der Mannschaft beim Pressing nicht teilnahm und viel zu weit hinten Stand. So wie in dieser Szene. Wenn der Pass zu Ljubicic gekommen wäre, hätte sich der Mittelfeldspieler ohne Probleme aufdrehen und den Raum vor sich andribbeln können. Für Barac wäre auch ein Chipball auf den Außenverteidiger möglich gewesen, der am Flügel komplett frei stand. Besser wäre es gewesen, wenn Sturm als ganze Mannschaft weiter nach vorne rückt, oder die drei Stürmer pressen vorne nicht an.

In der zweiten Hälfte agierten die Grazer auch etwas tiefer im Pressing. Besonders nach dem Ausgleichstreffer. Die zweiten 45 Minuten waren geprägt von sehr vielen hektischen Entscheidungen im Ballbesitz und daher auch vielen Ballverlusten. Allerdings konnten sich beide Mannschaften kaum noch wirkliche Torchancen erspielen.

 

Fazit

Der SK Rapid Wien hat noch immer sehr große Probleme im Ballbesitz und kann sich nur schwer richtige Chancen aus dem Spiel heraus kreieren. Der Treffer gelang den Wiener auch nur nach einer Standardsituation. Neben den fehlerhaften Entscheidungen im Ballbeitz bewegen sich auch noch viele Spieler nicht situationsgerecht und bieten dem Ballführenden kaum Passoptionen. Vor allem im Ballbesitz sieht man unter Kühbauer kaum eine Entwicklung bei den Grün-Weißen. Beim SK Sturm Graz versuchte man zwar hoch zu pressen, allerdings wirkte es so, als ob nicht die ganze Mannschaft mitmachen würde. Zudem nützen die Offensivspieler zu selten ihren Deckungsschatten, um Passoptionen für den Ballführenden zu schließen. Jedoch konnten sie in der Defensive kaum Chancen der Gastgeber zulassen und nützten in der Offensive eine der wenigen Torabschlüsse, um den 1:1 Ausgleichstreffer zu erzielen.

 

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