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Offensiv- und Abwehrpressing als Schlüssel zum Erfolg der ÖFB-Frauen

Österreich hat die Sensation geschafft und steht nun im EM-Halbfinale. Ausschlaggebend dafür war erneut das variable Pressing, welches das spanische Ballbesitzspiel vor große Probleme stellte und letztlich zum 0:0-Endstand nach 120 Minuten führte. Eine Taktikanalyse von Alex Belinger.

Spaniens übertriebener Stabilitätsfokus

Spanien tat sich gegen dieses 5-4-1-Abwehrbollwerk extrem schwer. Entweder sie hatten übertrieben große Angst vor den österreichischen Kontern oder keine Idee, wie sie sich gegen diese Defensive am besten positionieren sollten. Vielleicht wollten sie die Österreicherinnen einfach hinauslocken, was jedoch auch nicht funktionierte. Denn Spanien hatte stets sehr viele Spielerinnen außerhalb der Österreichischen Defensivformation, vereinzelt wirklich alle bis auf die Stürmerin Maria Paz Vilas, welche alleine eingekesselt zwischen Abwehr und Mittelfeld stand.

Spaniens Stürmerinn steht alle zwischen acht Gegenspielerinnen. Keine leichte Aufgabe…

Spanien spielte ihr 4-2-3-1 ohne große Umformungen. Die Innenverteidigerinnen blieben auf der Mittellinie, Sechserinnen und Außenverteidigerinnen ein wenig davor. Allerdings war das Österreichische Mittelfeld noch weit entfernt von diesen Spielerinnen, da es durch das Abwehrpressing ja so tief stand. Spanien hatte dadurch eine sehr hohe Stabilität, konnte den Ball sicher laufen lassen und war für Ballverluste so stark abgesichert, das durch einen Konter eigentlich nie Gefahr entstehen hätte können. Die spanische Zehnerin tat sich in der Positionsfindung etwas schwer, sie ließ sich öfters zurückfallen, um außerhalb der Defensivformation den Ball zu erhalten, und zeigte nach Abspiel dann Läufe in die Tiefe, welche kaum Wirkung zeigten. Die Flügelspielerinnen blieben meistens breit und wenn sie sich nach innen bewegten, dann in die Tiefe oder entlang der Verteidigungslinie.

Spaniens tiefe Positionierungen. Markiert sind die drei zentralen Mittelfeldspielerinnen und die rechte Außenverteidigerin. Die Innenverteidigerinnen stehen beide auf der Mittellinie und sind gar nicht im Bild.

Problematisch war vor allem das Flügelspiel der Spanierinnen. Die Flügelspielerinnen blockierten durch ihre breite Positionierung oft Räume für die Außenverteidigerinnen, welche kaum höher eingebunden wurden. Ballfern ergab sich dennoch oft Raum zum Aufrücken für die Außenverteidigerinnen, welche diesen aber kaum nutzten und sehr zurückhaltend agierten, als wäre solch eine hohe Position für sie gar nicht vorgesehen.

Ergebnis des gutes österreichischen Abwehrpressing und der schwachen spanischen Offensivstruktur war ein langsames, druckloses Ballherumgeschiebe, in das relativ sinnlose Flanken aus dem Halbfeld und Weitschüsse eingestreut wurden. Österreich konnte aufgrund der großen Distanz zum gegnerischen Tor und der guten Absicherung Spaniens aber auch nicht gefährlich Kontern. Das Verhalten Spaniens bei Ballverlust war sogar richtig gut, es wurde etwas gegengepresst, dies aber sehr bedacht und mit guter Absicherung durch die vorhin beschriebene, vorsichtige Struktur in Ballbesitz.

Spanien hätte zum Beispiel den Druck erhöhen können, die Sechserinnen also weiter vor schieben und den Aufbau mehr den Innenverteidigerinnen überlassen können. Diese waren nämlich kaum in das Ballbesitzspiel eingebunden und standen nur an der Mittellinie zur Konterabsicherung. Möglich wäre auch ein weiträumigeres Andribbeln der Innenverteidigerinnen gewesen, um so Gegenspielerinnen herauszulocken und Räume innerhalb des Defensivverbunds zu öffnen. Ein wichtiges Mittel wären die hohen Außenverteidigerinnen gewesen, um das Flügelspiel forcieren und zu Durchbrüchen am Flügel gelangen zu können, da es sich von der Seite aus wesentlich einfacher in den Strafraum eindringen lässt.

"Vor allem in der Verlängerung war der Kräfteverfall beiden Teams deutlich anzumerken und die Qualität des Spiels nahm stark ab."

Hoch und weit bringt Sicherheit

Das Ballbesitzspiel Österreichs war wie jenes der Spanierinnen darauf ausgelegt, wenig Risiko einzugehen. Dabei ist es eigentlich schon bemerkenswert, wie konsequent das Team einfach völlig auf einen flachen Spielaufbau verzichtet. Nahezu alles wird lang und hoch Richtung Burger gespielt. Das ist für den Gegner unangenehm, da lange Bälle einfach nicht zu verhindern sind und man so zu viel Raumgewinn kommt. Zwar hat man den Ball nicht sichern, allerdings gibt es für beide Teams eine gewisse Ungewissheit, wo die zweiten Bälle nun landen. In dieser Partie konnte Österreich aber etwas weniger zweite Bälle als sonst gewinnen und viele lange Bälle war einfach zu weit und unpräzise und wurden schließlich von der Torfrau aufgegriffen.

Demnach chancenarm war das Spiel auf beiden Seiten. In der zweiten Halbzeit kam Österreich zu vermehrt besseren Offensivaktionen, Spanien dagegen forcierte nun das Spiel über die Außenverteidiger mehr, bekam aber weiterhin kaum gutes Flügelspiel zu Stande, da die Abstimmung mit den Flügelspielerinnen nur selten gut passte. Mit der Zeit ließen dann die Kräfte nach und Österreichs Defensive wurde etwas anfälliger, da die Verschiebebewegungen bei den langen spanischen Ballbesitzphasen einfach sehr kraftraubend sind. Vor allem in der Verlängerung war der Kräfteverfall beiden Teams deutlich anzumerken und die Qualität des Spiels nahm stark ab.

Fazit:

Die Österreicherinnen haben ihren Matchplan erneut stark und konsequent durchgezogen. Es ist beeindruckend wie gut sowohl das Offensivpressing als auch das Abwehrpressing funktionieren. Diese Kombination ist entscheidend für den Erfolg und die Spanierinnen taten sich gegen beide Varianten extrem schwer. Dass Österreich selber kein Tor erzielte, ist aufgrund der gewählten Spielweise und der individuellen Unterlegenheit keine Überraschung. Da man aber gegen die Großteils ratlosen Spanier kein Gegentor zu ließ, reichte dies bekanntlich für ein 0:0 und schließlich einem Weiterkommen im Elfmeterschießen. Eine Sensation, bei der es insgesamt sicher nicht an Glück mangelt, der aber auch bei weitem kein Zufall ist, da Österreich beeindruckende Stärken hat und seinen Plan erneut gut umsetzen konnte.

 

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