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"Wie viele junge Österreicher haben wir?" - Christian Ebenbauer und Peter Schöttel im Doppelinterview [Exklusiv]

Das Nationalteam performt gut, Österreichs Liga ist Top10 in Europa, die Transfererlöse sprudeln. Das war gut zwei Jahrzehnten noch ganz anders - braucht es da den Österreicher-Topf noch? Im exklusiven - und ersten - Doppelinterview diskutieren ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel und Bundesliga-Vorstandsvorsitzender Christian Ebenbauer bei 90minuten.at die Förderungseinrichtung.

+ + 90minuten.at PLUS - Das Interview führten Georg Sander und Daniel Sauer + +

 

Hotel Courtyard by Marriot im Wiener Prater. Während sich der ÖFB vorbereitet, Viktor Kassai als neuen Technical Director für das Schiedsrichterwesen vorzustellen, nehmen Sportdirektor Peter Schöttel und Bundesliga-Vorstandsvorsitzender Christian Ebenbauer in einem Besprechungszimmer Platz. Professionalisierung, das ist ein Stichwort. Als der Österreicher-Topf vor knapp 20 Jahren eingeführt wurde, musste man Legionäre mit der Lupe suchen, die Leistungsträger in der Liga hatten oft keinen rot-weiß-roten Pass und vor dem Nationalteams oder den Klubs gab es in Europa kaum Ehrfurcht.

Das ist 2023 ganz anders. Der österreichische Meister hat ein Fixticket in der Champions League, der Zweite darf versuchen, dorthin zu kommen. Insgesamt hat Österreich mindestens drei Vereine in den europäischen Gruppenphasen, bis zu fünf können es aktuell werden. Im Nationalteam geben sich Spieler von Bayern, Real Madrid und Co. die Klinke in die Hand. Ralf Rangnick hält mit seinem Nationalteam hart Kurs auf die Europameisterschaft in seinem Heimatland Deutschland und vielleicht wird der eine oder andere schwarz-rot-goldene Vertreter aktuell neidig auf die Nationalauswahl schauen. Österreich remisierte in Belgien, schlug Schweden daheim; die Lieblingsnachbarn spielten drei Freundschaftsspiele gegen die Ukraine, Polen und Kolumbien. Ein Remis gegen das kriegsgebeutelte Land schaute heraus, die anderen zwei Partien gingen verloren.

Kurz: Es lief schon einmal viel schlechter im österreichischen Fußball. Wohl mit ein Grund ist die gezielte Förderung heimischer Talente, auch durch den Österreicher-Topf. Dieser schüttet Geld an Klubs nach Einsatzzeiten aus. Allerdings: Die großen Klubs bis hin zu so manch kleinerem naschen am internationalen Transfermarkt mehr als mit, längst nicht mehr nur Salzburg. Also, braucht es ihn noch den Österreicher-Topf? 

 

90minuten.at: Österreich scheint auf einem guten Weg zu sein. Der Meister regelmäßig in der Königsklasse, das Nationalteam performt wieder besser. Warum?

Christian Ebenbauer: In erster Linie dank der guten Arbeit der Klubs und der guten Nachwuchsausbildung, die wir in Österreich haben – entlang der Pyramide mit dem ÖFB an der Spitze bis in die Breite. Es wird ausgezeichnete Arbeit geleistet, deren Früchte man nun erntet.

Peter Schöttel: Ich sehe das natürlich ähnlich. Es sind mittlerweile alle Bereiche sehr professionell aufgestellt. In den Vereinen wird hinsichtlich der Nachwuchsarbeit sehr strukturiert gearbeitet, vom ÖFB mitgefördert und -mitentwickelt. Wir sehen uns als Unterstützer, weil der Großteil der Ausbildung bei den Vereinen stattfindet. Die Besten haben wir bei den Auswahl-Teams, wo wir Input geben. Grundsätzlich zeigt sich, dass es bei Überschneidungsthemen eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen Liga und ÖFB gibt. Wir wissen alle miteinander, was notwendig ist, um erfolgreich zu sein und das setzen wir konsequent um.

"Wir haben, wenn man sich die Spieler unseres A-Nationalteams ansieht, die unterschiedlichsten Karrierewege. Aber die meisten haben ihre ersten Schritte in Österreich gemacht." - Peter Schöttel

90minuten.at: Sieht man sich die Kader des Nationalteams in den Nullerjahren an und vergleicht sie mit heute, das ist ein Riesenschritt. Welchen Anteil haben dabei die Vereine, also die Bundesliga, welchen der Verband?

Ebenbauer: Das hat mehrere Ebenen. Wir hatten im Nachwuchs vor kurzem das größte Projekt seit vielen Jahren. Dabei geht es darum, dass der laut Konzeptpapier genannte „österreichische Weg“ beim 12-jährigen beginnt, der durchgängig bis zu einem in Österreich fertig ausgebildeten Profifußballer wird. Man wird hoffentlich sehen, dass die Entscheidungen, die wir jetzt getroffen haben, die richtigen waren. Weiters geht es von Bundesliga-Seite um die Entwicklung in den Vereinen. Seit 2015 haben wir in unseren Fünfjahresstrategien als klares Ziel definiert, dass wir 25 in Österreich fertig ausgebildete Spieler in den Top 5-Ligen haben. Wir haben derzeit 21, die auch hier in der Bundesliga gespielt haben und nicht bereits mit 15, 16 Jahren ins Ausland gegangen sind. Wir achten alle zusammen darauf, dass unsere Ausbildung so gut ist, dass man in den besten Ligen der Welt spielen kann. Das beginnt schon bei den Nachwuchsnationalteams. Wir haben 45 2. Liga-Spieler in den ÖFB-Nachwuchsteams; beim erstmaligen Perspektivlehrgang im Herbst waren 25 Spieler aus der ADMIRAL Bundesliga und 2. Liga dabei. Da merkt man, was die Klubs im Nachwuchs leisten. Der Hauptstamm vom A-Nationalteam spielt natürlich in den absoluten Topligen, das ist aus unserer Sicht auch klar. Der Weg beginnt aber im Nachwuchs. Ich möchte aber nicht nur von Herren, sondern auch von Frauen sprechen. Auch da ist die Entwicklung in den letzten Jahren rasant, angefangen bei der Lizenzierung hin zur Arbeit in den Klubs selbst. Da wird derselbe Weg eingeschlagen.

 

90minuten.at: Welche Rolle kann ein Verband da heutzutage überhaupt spielen in der Lenkung? Fußballvereine sind KMUs mit Millionenumsätzen.

Schöttel: Natürlich kann man lenkend eingreifen, aber wir sehen uns in allen Bereichen als Partner, von Akademien, Bundesliga-Vereinen oder Landesverbänden. Es geht um das Bekenntnis, gemeinsam und gut abgestimmt Schritte zu setzen. Das funktioniert gut. Wir haben, wenn man sich die Spieler unseres A-Nationalteams ansieht, die unterschiedlichsten Karrierewege. Aber die meisten haben ihre ersten Schritte in Österreich gemacht, wenn man die 2. Liga mitnimmt.

 

90minuten.at: Das sehen mittlerweile auch Spielerberater so, dass sich die Kicker zuerst in Österreich durchsetzen sollen.

Schöttel: Die Liga ist ja auch mittlerweile ein richtig spannendes Produkt. Es sind auch viele Spielerberater permanent da, weil sie sehen, dass die Strukturen für die Jungen gut sind.

 

90minuten.at: Für manche Klubs, wie Sturm, ist es lukrativer, Spieler ungeachtet ihres Passes zu „entwickeln“. In der abgelaufenen Saison betrug die Dotierung 6,1 Mio Euro. Damit kann man einerseits ein Jahr Bundesliga spielen, andererseits bekommt man darum drei Zehen von Benjamin Sesko. Wie bekommt man diese extreme Ungleichheit unter einen Hut?

Ebenbauer: Das ist ein sehr umfassendes Thema. Erstens werden wir das nur in Österreich nicht lösen können, weil auf europäischer Ebene gesteuert wird, wie die UEFA-Einnahmen verteilt werden und wie viel die internationalen Topklubs bekommen. Die Schere zwischen den großen Ligen und jenen wie Österreich ist groß. Zweitens geht es um die Frage des Potentials, wie viele Profispieler wir in Österreich überhaupt haben können: Wie viele Spieler, Vereine, Akademien vertragen wir, damit wir die besten Spieler bekommen, die auch für die Top 5-Ligen bzw. das A-Nationalteam spielen können. Und drittens geht es um die Wirtschaftlichkeit. Eine wichtige Säule für die Bundesligaklubs sind Transfererlöse, die sind seit in den letzten Jahren massiv gestiegen. Wenn es da die Möglichkeit gibt, auf gute, ausländische Spieler zuzugreifen, ist das aus meiner Sicht verständlich, dass die Klubs das auch tun.

Schöttel: Ich finde das aktuelle Modell nach wie vor gut, auch wenn der eine oder andere Verein auf die Gelder verzichtet. Es hat ja eine richtig gute Entwicklung genommen. Vor 20 Jahren gab es sehr viele Legionäre in Österreich, dann gab es den Anreiz, mit den immer besser werdenden Akademien den Nachwuchs zu fördern. In den letzten Jahren hat zunächst Red Bull Salzburg auf den Österreicher-Topf verzichtet, weil sie einen anderen Weg gewählt haben. Lustenau hat einen französischen Partnerverein, Klagenfurt hat auch eine eigene Konstellation. Sturm und möglicherweise der LASK überlegen, ob sie auf dieses Geld noch angewiesen sind, oder ob sie nicht meinen, dass sie darauf verzichten können. Damit habe ich noch immer kein Problem, um ehrlich zu sein. Wenn das Modell so ist, dass die, die trotzdem auf Österreicher setzen, dafür mehr Geld bekommen, ist das für mich immer noch schlüssig. Was ich als Argument oft höre, aber nicht glaube: Dass manche Vereine verzichten, weil junge Österreicher zu teuer sind. Ausländer sind nicht automatisch billiger.

 

(Artikel wird unterhalb fortgesetzt)

"Der Österreicher-Topf hat sich im Laufe der letzten Jahre massiv weiterentwickelt. Etwa von den Anforderungen, Altersgrenzen, Spielminuten, wie gezählt wird und vor allem vom Einsatz der Mittel her." - Christian Ebenbauer

90minuten.at: Gut, ein Spieler aus beispielsweise der georgischen Liga wird billiger sein als einer von der Ligakonkurrenz.

Schöttel: Alle investieren viel Geld, Zeit und Energie in die Nachwuchsarbeit. Das Ziel muss schon sein, dass wir nicht nach Georgien schauen müssen. Ich glaube ja auch nicht, dass wir den besten Georgier bekommen, außer vielleicht Red Bull. Da fehlt mir ein bisschen die Fantasie. Für mich ist es wichtig, Entscheidungsträger in den Vereinen zu haben, die den Spielern auch Vertrauen schenken, weil wir sehr gut ausbilden.

Ebenbauer: Ich möchte hier schon einhaken, dass wir die Rückmeldung von einigen Klubs bekommen, weil Vermittler von der vierfachen Minuten-Bewertung bei U22-Spielern wissen und das automatisch zu ihren Forderungen dazurechnen. Es ist nicht der Sinn der Sache, dass der Österreicher-Topf dazu führt, dass die Berater dieses Geld aufschlagen.

Schöttel: Beim Thema Spielervermittler bin ich immer noch so naiv und hoffe, dass sie die Zukunft ihres Schützlings im Blick haben und dessen sportliche Entwicklung.

 

90minuten.at: Worüber man vielleicht in Zukunft diskutieren könnte, wäre mehr Transparenz. Der Ö-Topf ist medial und unter Fans Thema, wirklich faktengestützt ist die Diskussion aber selten. Wäre nicht beiden „Seiten“ geholfen, wenn alle Zahlen einmal auf dem Tisch liegen? Wenn klar ist, von wie viel Geld wir pro Verein reden, ließe sich leichter einordnen, wie wichtig der Betrag für die Strategie des Vereins sein kann.

Ebenbauer: Dazu braucht es die Zustimmung der Klubs und der Vertragspartner. Es gibt insbesondere im TV-Vertrag eine Vertraulichkeitsklausel bezüglich der Summe. Für uns ist Transparenz aber ein hohes Gut. Der Verteilungsschlüssel ist transparent, den kennen alle. Wir legen auch sonst alles auf den Tisch, veröffentlichen als Liga einen Geschäftsbericht und einmal jährlich die finanziellen Kennzahlen aller Klubs Die Bundesliga ist eine der transparentesten Ligen.

 

90minuten.at: Sollte man die Österreicher-Förderung nicht generell anders denken? Brauchen es die sechs Klubs in der Meistergruppe wirklich? Muss das Geld mehr in die 2. Liga umgeschichtet werden? Welche Möglichkeiten gibt es, ihn weiterzuentwickeln.

Ebenbauer: Der Österreicher-Topf hat sich im Laufe der letzten fast 20 Jahre massiv weiterentwickelt. Etwa von den Anforderungen, von den Altersgrenzen, von den Spielminuten, wie gezählt wird und vor allem vom Einsatz der Mittel her. Es geht auch um die Frage, welche Spieler wir entwickeln. Macht es Sinn, dass der 35-jährige Österreicher auch zählt? Oder sollen es nur die Jungen sein? Wir haben uns dafür entschieden, alle zu fördern, denn es gibt die Argumente, dass auch der ältere Österreicher wichtig ist, weil er die Vorbildwirkung für den Jungen hat. Die U22-Spieler werden dafür jetzt vierfach gezählt, also deutlich stärker gefördert. Am Ende geht es aber immer um den Hauptpunkt, wie viel Geld zur Verfügung steht. Derzeit haben wir einen bis 2026 gültigen Beschluss. Denkverbote gibt es keine.

Schöttel: Ich halte das nach wie vor für ein gutes Modell, das man permanent adaptieren kann und muss. Wenn der eine oder andere Verein meint, auf die Mittel aus dem Österreicher-Topf zu verzichten, nehme ich das zur Kenntnis. Die zweite Liga hat zudem sowieso einen sehr hohen Anteil an Österreichern. So gibt es für die, die wir jahrelang in den Akademien ausbilden, im ersten Schritt Spielmöglichkeiten.

 

>> Weiterlesen - Seite 2: Das Geld anders verteilen? Was sagt das Ausland?

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