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Retter Rangnick [Exklusiv]

In Österreich werden ausländische Fußball-Teamchefs selten freundlich empfangen – auch Ralf Rangnick erging es so. Dabei ist der Mann ein Glücksfall, und die heimische Klüngelei immer noch ein Problem.

++ 90minuten.at PLUS – eine Kommentar von Gerald Gossmann ++

 

Finstere Blicke konnten in der österreichischen Kickeria lange nur eines bedeuten: ein Ausländer wurde gerade Teamchef. Da friert manchen Altstars bis heute verlässlich das ansonsten auf Schmäh gebürstete Gesicht ein. Das war so, als der Schweizer Marcel Koller ins Land kam (und Jahrhundertfußballer Herbert Prohaska am liebsten einen Grenzzaun aufgezogen hätte, weil keiner seiner Freunde mit dem Job bedacht wurde). Wer Toni Polster oder Andreas Herzog den Dauer-Grinser vermiesen wollte, brauchte damals nur leise Marcel Koller flüstern. Als der Deutsche Franco Foda das Teamchef-Amt übernahm, wurde gnädig eine Ausnahme gemacht – der Ex-Sturm Graz-Kicker und -Trainer hatte sich über Jahrzehnte brav integriert, beinahe assimiliert. Jedenfalls versuchte er, ganz undeutsch, die Erwartungen an sich und das Fußballland so klein zu halten wie das seine österreichischen Kollegen taten. So jemand wie Foda machte niemandem Angst in der nach Jobs heischenden Fußballszene. Angst flößte dagegen der neue Teamchef Ralf Rangnick ein: ein brachialer Erneuerer, der dazu neigt, schonungslos Schwächen aufzuzeigen. Auch jene des gesamten Fußball-Systems Österreich. Ein Deutscher, wie er Deutscher nicht sein könnte, Professor genannt und Fußballpapst, Entwickler einer eigenen Spielweise, und bekannt dafür, marode Klubs restaurieren zu können. Im ÖFB hatte man bei Teamchefbestellungen von Constantini bis Foda gerne behauptet, dass sich ein Kapazunder das Amt ohnehin nicht antun werde (deshalb der Griff zu einem billigen Vertrauten, der dann wiederum behauptete, sich mit diesem Job aber etwas Beschwerliches angetan zu haben). Falsch gedacht. Rangnick, der Kapazunder, wollte Teamchef werden. Er sah das, was im ÖFB viel zu wenige sahen: eine tolle Truppe, die mutigen Fußball spielen könnte. Seinen Fußball.

"Was soll der schon besser können als unsere Leute, fragten Boulevardjournalisten, Experten und Legenden. Und man holte Argumente hervor, die vor Abstrusität strotzten." - Gerald Gossmann

Rangnick ein Manager, aber kein guter Trainer

Was soll der schon besser können als unsere Leute, fragten Boulevardjournalisten, Experten und Legenden. Und man holte Argumente hervor, die vor Abstrusität strotzten. So hieß es: Rangnick sei ein ganz guter Manager, aber doch kein guter Trainer. Jedenfalls keiner wie Andreas Ogris, der immerhin den FC Barcelona (O-Ton Herbert Prohaska) trainieren könnte. Und keiner wie Andreas Herzog, der gerade mit Admira Wacker abgestiegen war. Oder wie Peter Pacult, der Coach von Austria Klagenfurt, dem beim Namen Rangnick, der immerhin RB Leipzig, Schalke 04 und Manchester United trainierte, der Blutdruck in die Höhe schoss. Rangnick sei „wie ein Professor, der andere belehren will“, unkte Pacult, der einst von Rangnick in Leipzig entlassen wurde. Pacult musste weichen, damit Leipzig gedeihen konnte. Österreich verfügt durchaus über gute Trainer: Hasenhüttl, Glasner, Hütter. Sie alle haben eines gemeinsam: sie wurden von Rangnick geprägt. In Österreich fanden jedoch lange ungenügende Coaches eine Wirkungsstätte (die von Funktionären nach diffusen Kriterien ausgewählt wurden). Erfolgreiche Ex-Kicker wurden zu Teamchefs, obwohl sie als Trainer wenig vorzuweisen hatten. Irgendein Grund fand sich immer dafür, warum es doch ausreichte: Krankl, der Patriot und Stadthallenturniersieger. Constantini, der Happel-Schüler. Foda, der Sturm-Meistermacher. Nur Rangnick hatte der heimischen Kickeria nach eine unzureichende Vita. Einer, der bei Manchester United gescheitert war. Und davor als Trainer (bis auf einen Pokalsieg mit Schalke) keine Titel gewonnen hatte (die vielen Aufstiege und Restaurierungen ganzer Klubs wurden dezent verschwiegen). Also was will man mit dem?

Nun ja, die Sache ist ganz einfach: Der mutige Mann passte perfekt zu den mutigen Spielern, die nach Erfolg gierten, aber lange an die Leine genommen wurden. Foda wollte verteidigen, die Kicker stürmen. Eine Diskrepanz, der alle viel zu lange seelenruhig zusahen. Selbst als Spieler und Betreuer sich beschwerten, der Präsident einschritt und Foda zu einer Führungskräfteschulung verdonnerte, kam es zu keinem Aufschrei. Stattdessen wurde das EM-Spiel gegen Italien verklärt, in dem Österreich mutig nach vorne spielte. Aber nur deshalb, weil Spieler die Teamchef-Taktik torpedierten – oder „verfeinerten“, wie mir ein Spieler, der damals dabei war, noch heute mit einem Schmunzeln erzählt. Kurz darauf war wieder Foda-Fußball angesagt. Österreich verlor auf dem Feld und bei den Finanzen. Die Stadien blieben leer – und jene Zuschauer die da waren, fühlten sich zumeist wie nach einem deftigem Schweinsbraten während im Fernseher ein Formel1-Rennen läuft. Ziemlich schläfrig. Der österreichische Fußball hatte die besten Chancen auf Erfolg seit Jahrzehnten, aber der ÖFB verwaltete die goldene Generation.

"In Österreich wurden Gründe gesucht, warum Rangnick nicht funktionieren kann. Etwa, weil Pressing ja gar nichts für diese Mannschaft sei, hieß es. Alaba, Baumgartner, Grillitsch und Arnautovic seien keine Kämpfer, sondern Ballartisten. " - Gerald Gossmann

Peter Stöger stieg zum logischen Amtsnachfolger auf. Das hätte dem Boulevard gefallen und auch einigen im ÖFB. Stöger. Einer, der zwar ähnlich wie Foda eher defensiv denkt und nicht zur offensiven Mannschaft gepasst hätte. Aber auch einer, den alle gute kennen, der verträglich ist, vor Kameras keinen Wutanfall bekommt, die Erwartungen kleinhält, der zwar keine Siege garantiert, aber immerhin Niederlagen geduldig erklären könnte. Über Rangnick dagegen hieß es wenig später: Was kann der schon bewirken? Journalisten und Legenden saßen in TV-Talkrunden und schüttelten wieder einmal den Kopf. In Österreich wurden Gründe gesucht, warum Rangnick nicht funktionieren kann. Etwa, weil Pressing ja gar nichts für diese Mannschaft sei, hieß es. Alaba, Baumgartner, Grillitsch und Arnautovic seien keine Kämpfer, sondern Ballartisten. Dass die Analyse etwas unvollständig war, ist heute gut belegt: Baumgartner, der vermeintliche Anti-Pressingspieler, wurde kurz darauf von RB Leipzig verpflichtet, dem Pressing-Ungetüm des deutschen Fußballs. Alaba hatte bereits beim FC Bayern Erfahrung damit und Arnautovic profitiert als Stürmer sogar davon, wenn Bälle weit in des Gegners Hälfte erkämpft werden – weil er somit öfter und näher vor dem Tor steht. Heute ist offensichtlich: Rangnick kann mit allen Spielern etwas anfangen. Und die Spieler mit ihm. Wer ihnen bei Interviews genau zuhört, erkennt, wie froh sie darüber sind, dass die mutige Klasse-Mannschaft nun auch einen mutigen Klasse-Coach hat. Rangnick ist kein alternder Superstar, der in Österreich auf den letzten Metern abkassieren möchte. Mit verbissenem Gesicht will er hier an seinem zufällig entstandenem Lebenswerk tüfteln: den österreichischen Fußball (zuerst war Salzburg dran, jetzt eben der ÖFB) auf eine höhere Ebene heben. Er kritisiert Trainingsplätze, Trainingsinhalte, wirft ein Auge auf den Nachwuchs und die Durchgängigkeit der Spielweise. Rangnick eckt an und bringt Funktionäre zum Nachdenken (und hoffentlich immer öfter zum Handeln).

 

Baustellen

Natürlich sagt man jetzt in Österreich: Mit der Qualifikation sei noch nichts erreicht (aber mehr Möglichkeiten für Erfolge hatte Rangnick eben noch nicht, die EM findet erst in Monaten statt). Rangnicks Kritiker verweisen (durchaus faktengetreu darauf), dass sich das Nationalteam auch unter Koller und Foda für Europameisterschaften qualifizierte. Dazu wird angemerkt: Rangnick habe ja auch eine tolle Mannschaft zur Verfügung (interessanterweise erklärte man Fodas-Misserfolg am Ende damit, dass die Mannschaft gar nicht so toll sei). Kurzer Einschub: Es gibt immer noch viele Baustellen im ÖFB und um die Nationalmannschaft. Übertriebene Euphorie wäre jetzt tatsächlich fehl am Platz. Sie macht blind für Versäumnisse. Und davon gibt es einen ganzen Haufen. Österreich wird bald ein eklatantes Stürmerproblem haben – und aus dem Nachwuchs drängen nicht genügend talentierte Kicker nach oben. Es gibt Verbesserungsbedarf bei den Nachwuchsnationalteams, der ÖFB-Struktur, den Funktionären, den Spielstätten, den Trainingsbedingungen, auch im Spiel der Österreicher klappt noch nicht alles perfekt.

"Es werden keine Ausreden mehr gewälzt und Gründe dafür gesucht, warum etwas nicht funktioniert. Es wird ernsthaft daran geschraubt, dass es funktioniert." - Gerald Gossmann

Rangnick aber ist nicht das Problem, sondern der einzig wahre Hoffnungsträger für den österreichischen Fußball. Kein gehypter Retter (wie man in Legendenkreisen gerne meint), sondern ein getriebener Perfektionist. Was hätte dem heimischen Kick Besseres passieren können? Andreas Ogris verriet zuletzt am laola1.at-Fußballstammtisch (nachdem er mehrere Lanzen für Franco Foda gebrochen hatte), den seiner Meinung nach größten Unterschied zwischen Foda und Rangnick: Rangnick, der schlaue Professor, habe die Medien besser im Griff, erklärte er. Keine Kritik der Schreiberlinge. Kein böses Wort. Was sie mit dem armen Foda am Ende aufgeführt hätten und nun das. Wie kann das sein?

Ich hätte ja eine Antwort: Die Nationalmannschaft spielt ihren Spielertypen entsprechend mutig, angriffig, begeisternd, kämpferisch, gewann im ersten Jahr unter Rangnick auch gegen Weltklassenationen wie Italien und Kroatien, erkämpfte Punkte gegen Belgien und Frankreich. Und schlug auch besser klassierte Mittelständler wie Schweden relativ souverän. Sprich: Es werden keine Ausreden mehr gewälzt und Gründe dafür gesucht, warum etwas nicht funktioniert. Es wird ernsthaft daran geschraubt, dass es funktioniert. Sogar gegen Weltklasseteams. Auswärts oder daheim, egal wo. Das ist der Grund, warum Fans (und auch alle sonstigen Beobachter) dem Team wieder gerne zuschauen, in Scharen ins Stadion kommen und – das allerwichtigste: bei Länderspielen nicht mehr einschlafen. Ralf Rangnick hat nicht (wie von Andreas Ogris vermutet) aus unerfindlichen Gründen die Medien im Griff. Er hat die Nationalmannschaft im Griff.

Über Gerald Gossmann

Gerald Gossmann ist freier Journalist, schreibt für "Profil", "Die Zeit" und ist Kolumnist bei 90minuten.at.

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