Österreichs Talente müssen zuschauen
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Österreichs Talente müssen zuschauen

Die Bundesliga ist eine Ausbildungsliga. Das ist bekannt. Österreichs Talente profitieren davon aber nicht mehr.

"Irgendetwas scheint im Staate Österreich nicht zu stimmen", sagt Ralf Rangnick Ende August.

Dem ÖFB-Teamchef stieß nach den CL-Quali-Duellen Salzburg-Brügge und Sturm-Bodö/Glimt sauer auf, dass die jeweils siegreichen Gegner auf viel mehr einheimische Kicker gesetzt hatten als Österreichs Vertreter.

Eine Momentaufnahme oder ein alarmierender Trend? Setzen Österreichs Spitzenvereine wirklich immer seltener auf Spieler aus dem Inland? Welche Auswirkungen hat das auf das Nationalteam?

Die Spielzeit nimmt rapide ab

Damit das ÖFB-Team auch in Zukunft erfolgreich sein kann, müssen die Talente gut genug sein. Damit sich Talente entsprechend entwickeln können, brauchen sie Spielzeit.

Doch wie viel Spielzeit bekommen U21-spielberechtigte ÖFB-Kicker bei den sechs Großklubs dieses Landes? Wir haben uns die Entwicklung der prozentuellen Spielzeit in den Pflichtspielen seit der Saison 2020/21 angesehen.

2022/23 kamen Österreichs Talente bei Rapid und dem WAC noch auf über 20 Prozent Spielzeit, bei der Austria und Sturm auf über 15 Prozent, bei Salzburg auch fast.

In der laufenden Spielzeit sieht das ganz anders aus. Nur die Veilchen knacken ob jüngster Entwicklungen gerade noch die Zehn-Prozent-Marke.

Jungwirth beim LASK alleine auf weiter Flur

Die Steigerung beim LASK lässt sich einzig und alleine durch Goalie Lukas Jungwirth erklären.

Ergänzend muss festgehalten werden, dass in die Statistik nur Spieler aufgenommen wurden, die sich nicht bereits gegen den ÖFB entschieden haben. Sonst hätten Sturm (Leon Grgic) und der WAC (Adis Jasic) ein wenig bessere Werte.

Dahl, Antiste und Co. - Rapid setzt auf Talente aus dem Ausland
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Dahl, Antiste und Co. - Rapid setzt auf Talente aus dem Ausland

Bei diesen beiden Klubs hat ebenso wie beim SK Rapid in der jüngeren Vergangenheit ein Strategie-Wechsel stattgefunden. Es werden Talente aus dem Ausland verpflichtet, um ihnen eine Plattform zu bieten und sie dann gewinnbringend zu verkaufen.

"Ich gehe davon aus, dass die Trainer ihre besten Spieler aufstellen, das ist ein logischer Ansatz. Dann sind offensichtlich die Österreicher nicht gut genug", sagt Ralf Rangnick.

Wie viel Transfereinnahmen bringen Österreicher wirklich?

Im Zeitraum seit Sommer 2020 hat der SK Rapid 39 Prozent seiner Transfereinnahmen mit Österreichern generiert, beim LASK sind es 26 Prozent, beim SK Sturm 19 Prozent, bei Salzburg zwölf Prozent der insgesamt 414 Millionen, beim WAC fünf Prozent.

Die Austria führt diese Rangliste an, zwei Drittel der Transfergelder sind durch einheimische Kicker eingenommen worden, wobei es insgesamt nur läppische elf Millionen waren.

20 Millionen Euro! Kein Österreicher wurde jemals teurer verkauft als Nicolas Seiwald von RB Salzburg
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20 Millionen Euro! Kein Österreicher wurde jemals teurer verkauft als Nicolas Seiwald von RB Salzburg

Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich die Transfereinnahmen in den vergangenen Jahren in eine Richtung entwickelt haben, die immer mehr Vereine unabhängig von potenziellen Einnahmen aus dem Österreicher-Topf gemacht hat.

Der Österreicher-Topf wird reformiert

Diese – in der Vergangenheit gewiss sinnvolle – Institution wurde zuletzt heiß diskutiert, nun wird sie reformiert.

Ab der Saison 2027/28 werden die Regelungen dahingehend angepasst, dass Spielminuten von österreichischen Spielern unabhängig von einer Mindestanzahl heimischer Spieler auf dem Spielbericht gefördert werden. So werden für die Aufteilung des Österreicher-Topfes die Spielminuten heimischer U22-Spieler dreifach gezählt, jene von U24-Spielern doppelt und jene von U26-Spielern einfach. Spielminuten von älteren Spielern werden finanziell nicht mehr berücksichtigt.

10 Prozent der Einnahmen aus dem Verkauf der Medienrechte fließen künftig in den Ö-Topf, bisher waren es 20 Prozent.

Alarmierende Zahlen bei den Amateuren

Fast noch alarmierender als die Spielminuten bei den Profis ist eine andere Statistik: die Einsatzzeiten U21-spielberechtigter Österreicher bei den Amateure-Teams. Die Zweitvertretungen sind das natürliche Habitat für jene Talente, die aus den eigenen Akademien kommen und ihre ersten Schritte im Erwachsenen-Fußball gehen. Sollte man meinen.

Doch auch dort sammeln einige Klubs zunehmend vielversprechende Kicker aus dem Ausland.

Beim SK Sturm II ist die Spielzeit für junge Österreicher in der laufenden Saison erstmals unter 50 Prozent gefallen.

Bei den Amateuren des LASK sind nicht einmal mehr ein Viertel der Kicker auf dem Platz ÖFB-Talente.

Willkommene Ausnahme - die Young Violets mischen mit jungen Österreichern die 2. Liga auf
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Willkommene Ausnahme - die Young Violets mischen mit jungen Österreichern die 2. Liga auf

Beim FC Liefering hingegen ist ein umgekehrter Trend erkennbar. Und mit den Young Violets ist just jene Zweitvertretung, die aktuell landesweit am besten platziert ist, an der Spitze der Einsatzzeit-Tabelle.

Sind Amateure-Teams noch zeitgemäß?

Aber sind Amateure-Teams überhaupt noch zeitgemäß, wenn es um die Entwicklung junger Österreicher geht?

In den vergangenen fünf Jahren haben in der Bundesliga 16 Österreicher debütiert, die zum Zeitpunkt ihres ersten Einsatzes unter 18 Jahre alt waren.

Zieht man den Vergleich mit allen Nationen heran, die in der UEFA-Fünfjahreswertung auf den Plätzen acht bis 18 zu finden sind, ist die Zahl einheimischer Talente unter 18 Jahren, die in der höchsten Spielklasse des Landes ihr Debüt gefeiert haben, nur in Griechenland geringer – dort waren es 15 Spieler.

Bei allen anderen Nationen ist die Zahl deutlich höher, in der Türkei, in Polen und in Norwegen waren es jeweils über 50 Spieler!

Rieds Joris Boguo: Der einzige österreichische Bundesliga-Debütant unter 18 Jahren in der aktuellen Saison
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Rieds Joris Boguo: Der einzige österreichische Bundesliga-Debütant unter 18 Jahren in der aktuellen Saison

Fehlt der Mut?

Fehlt den österreichischen Klubs der Mut? Ist es das Ligaformat, das keine Experimente zulässt? Wobei dieses oder vergleichbare Formate längst auch in anderen Nationen zu finden sind.

Was wäre, gäbe es keine Amateure-Teams? Was wäre, müssten die Vereine die von ihnen in der Akademie ausgebildeten Spieler in ihre Profi-Kader integrieren, andernfalls kämen sie auf den freien Markt?

Wäre dann das Commitment zu drei, vier Top-Talenten größer? Würden sie eher zu Spielminuten bei den Profis kommen?

Jänner-Kinder im Vorteil

Aber sind es wirklich die größten Talente, die ankommen? Seit Jahrzehnten ist der Relative Age Effect ein Begriff. Im Nachwuchsfußball spielen bekanntlich alle Kinder eines Jahrgangs in einem Team. Die im Jänner Geborenen sind dadurch fast ein Jahr älter als die im Dezember Geborenen.

In der Regel sind diese Spieler größer, haben physische Vorteile und sind mitunter auch reifer – sie gelten deshalb schneller als Talente als Spätentwickler.

Obwohl dieser Selektions-Bias längst bekannt ist, wird man ihm in Österreich nicht Herr.

In folgender Statistik wurden die Geburtsdaten aller aktuellen 139 ÖFB-Teamspieler vom A-Team bis zur U16 untersucht und in Quartalen (Q1=Jänner-März, Q2=April-Juni, Q3=Juli-September, Q4=Oktober-Dezember) dargestellt.

Diese Statistik ist eine Paradebeispiel für den Relative Age Effect. 20,1 Prozent der Teamspieler sind im Jänner geboren, genauso viele wie nach dem 31. Juli!

Martin Scherb, Gesamtleiter Talenteförderung im ÖFB, hält fest: "Die Spieler, die zu uns ins Nationalteam kommen, wurden schon zwei bis drei Mal vorselektiert."

Jänner-Kinder: Wurmbrand, Hödl und Kojzek
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Jänner-Kinder: Wurmbrand, Hödl und Kojzek

Bei einer Untersuchung der Geburtsdaten der aktuellen U21-Kaderspieler von Sturm, Salzburg, Austria, WAC, Rapid und LASK sowie deren Amateure-Teams ist übrigens kein signifikanter Unterschied zwischen Österreichern und Legionären zu erkennen.

Der ÖFB hat in jüngerer Vergangenheit in Sachen Ausbildung an einigen Schrauben gedreht. Es gibt neue Konzepte im Kinder-Fußball und auch im Akademie-Bereich. Weitere Maßnahmen sind geplant.

Wie innerhalb dieser Leitplanken gearbeitet wird, obliegt allerdings den Vereinen.

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