Ist das ÖFB-Team überaltert? Hat es seinen Zenit überschritten? Hat Ralf Rangnick es verpasst, einen notwendigen Umbruch einzuleiten?
Die kritischen Stimmen werden immer lauter. Befeuert auch durch den Teamchef selbst, der erst jüngst öffentlich beklagte, dass bei den Bundesliga-Topteams Österreicher kaum mehr gefragt seien und in erster Konsequenz wiederum die Ausbildung der heimischen Talente hinterfragte.
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Ist es wirklich so schlimm?
Aber ist es wirklich so schlimm? Würde eine Altherren-Partie dieses Land bei der WM 2026 vertreten?
Der erste, logische Schritt, sich dieser Frage anzunähern, ist der Blick auf das Durchschnittsalter.
Durchschnittsalter aller Spiele in der Ära Rangnick:
Das bisher letzte Länderspiel gegen San Marino war tatsächlich jenes mit der ältesten Startelf der Ära Rangnick – 28,9 Jahre.
In Summe ist es aber nicht so dramatisch, vergleicht man die ersten zehn Spiele unter dem Deutschen mit den bisher letzten zehn Spielen, ist die Startelf im Schnitt gerade einmal 0,57 Jahre älter.
Der internationale Vergleich
Um den Altersschnitt einzuordnen, machen wir einen Blick auf die K.o.-Phase der EURO 2024: Von Achtelfinale bis Finale gab es in Summe 30 Startaufstellungen. Die ÖFB-Spieler, die an der Türkei scheiterten, waren im Schnitt 27,6 Jahre alt – und damit auf Rang 15 dieser 30 Teams, klassischer Durchschnitt.
Europameister Spanien war im Finale im Schnitt 27 Jahre alt, lief im Halbfinale mit einer Startelf auf, die im Schnitt sogar 28,3 Jahre alt war. Die restlichen Nationen bewegen sich in der Regel zwischen 26,5 und 29 Jahren.
Es ist also nicht so, dass anderswo der Jugendwahn ausgebrochen wäre und das ÖFB-Team irgendeinen Trend verpasst hätte.
Zenit erreicht?

Routinierte Kräfte gehören zu einem guten Team wie eine affinierte Käseplatte zu einem guten Abendessen.
Aber es braucht eben auch frisches Blut. Hat die Mannschaft ihren Zenit erreicht, Herr Rangnick? "Nein, hat sie nicht. Die Euro hat gezeigt, dass noch mehr möglich gewesen wäre. Ich sehe in der jetzigen Mannschaft weitere Perspektive, Entwicklungsmöglichkeiten und Schritte", sagt der Teamchef.
Seit etwas mehr als drei Jahren ist der 67-Jährige Österreichs Teamchef. In 36 Spielen hat er genau 50 Spieler eingesetzt, neun weitere standen in einem oder mehreren Kadern, bestritten aber nie ein Match.
Die Debütanten in der Ära Rangnick:
Spieler | Jahr | Alter | Damaliger Verein |
---|---|---|---|
Patrick Wimmer | 2022 | 21 | Bielefeld |
Muhammed Cham | 2022 | 21 | Clermont |
Romano Schmid | 2022 | 22 | Werder |
Alexander Prass | 2022 | 21 | Sturm |
Niklas Hedl | 2022 | 21 | Rapid |
Flavius Daniliuc | 2023 | 21 | Salernitana |
David Schnegg | 2023 | 24 | Sturm |
Manprit Sarkaria | 2023 | 27 | Sturm |
Matthias Seidl | 2023 | 22 | Rapid |
Samson Baidoo | 2023 | 19 | Salzburg |
Max Entrup | 2023 | 26 | Hartberg |
Kevin Stöger | 2024 | 31 | Gladbach |
Leopold Querfeld | 2024 | 20 | Rapid |
Michael Svoboda | 2024 | 25 | Venezia |
Mathias Honsak | 2025 | 28 | Heidenheim |
Tobias Lawal | 2025 | 25 | LASK |
Thierno Ballo | 2025 | 23 | WAC |
Raul Florucz | 2025 | 23 | Ljubljana |
18 Spielern hat Rangnick zu ihrem Länderspiel-Debüt verholfen.
Einige von ihnen – Wimmer, Schmid und Prass – gehören zum erweiterten Stamm, andere von ihnen – Schnegg, Sarkaria – spielen längst keine Rolle mehr.
Erfolgsmodell Perspektivspielerlehrgang
Im Schnitt war ein Debütant in der Ära Rangnick 23,3 Jahre alt. Um Spieler mit Potenzial genauer kennenzulernen, hat Rangnick seit November 2022 vier Perspektivspielerlehrgänge veranstaltet, wo die ÖFB-Coaches von A- bis Nachwuchsteams Talenten genau auf die Beine schauen.

Vor allem die erste Ausgabe war ein großer Erfolg, es waren mit Niklas Hedl, Tobias Lawal, Samson Baidoo, Leopold Querfeld, Thierno Ballo und Matthias Seidl gleich sechs spätere Teamspieler dabei.
Wo neue Spieler kommen, müssen andere gehen. Das ist der Lauf der Dinge. Und so sind mit dem Start der Ära Rangnick und in weiterer Folge einige etablierte Teamspieler aus dem Kader ausgeschieden und kein Thema mehr.
ÖFB-Karrierenende in bzw. zum Start der Ära Rangnick:
Spieler | Alter bei letzter Einberufung |
---|---|
Andreas Ulmer | 37 |
Christopher Trimmel | 35 |
Guido Burgstaller | 34 |
Heinz Lindner | 33 |
Stefan Lainer | 32 |
Karim Onisiwo | 31 |
Florian Kainz | 31 |
Daniel Bachmann | 29 |
Manprit Sarkaria | 27 |
Valentino Lazaro | 26 |
Vor Rangnick | |
Stefan Ilsanker | 32 |
Aleksandar Dragovic | 31 |
Martin Hinteregger | 29 |
Es mag sich nicht so anfühlen, aber zumindest ein schleichender Umbruch findet statt.
Es ist eine Herausforderung, die richtige Balance zu finden. Das ÖFB-Team hat in der Ära Rangnick einen außergewöhnlichen Teamspirit entwickelt.

"Wie eine Familie", sagt Michael Gregoritsch. Es sind gewachsene Strukturen und Hierarchien innerhalb der Mannschaft, viele persönliche Freundschaften, die längst weit über das klassische Schmähführen in der Kabine hinausgehen.
Rangnick und sein Staff gehen behutsam damit um, wollen diese Atmosphäre nicht durch radikale Umbrüche gefährden.
Und so hat sich zwangsläufig ein Stamm entwickelt, der gut funktioniert.
Spieler, die in der Ära Rangnick in mind. einem Drittel der Spiele im Einsatz waren:
(Spieler, die nach der WM 2026 30 Jahre oder älter sind, sind gefettet)
Spieler | Alter | Spiele |
---|---|---|
Nicolas Seiwald | 24 | 35 |
Christoph Baumgartner | 26 | 32 |
Michael Gregoritsch | 31 | 31 |
Konrad Laimer | 28 | 29 |
Marcel Sabitzer | 31 | 29 |
Stefan Posch | 28 | 29 |
Marko Arnautovic | 36 | 27 |
Max Wöber | 27 | 25 |
Romano Schmid | 25 | 25 |
Philipp Lienhart | 29 | 24 |
Patrick Wimmer | 24 | 24 |
Phillipp Mwene | 31 | 22 |
Xaver Schlager | 27 | 20 |
Florian Grillitsch | 30 | 20 |
Kevin Danso | 26 | 19 |
Patrick Pentz | 28 | 15 |
David Alaba | 33 | 15 |
Alexander Schlager | 29 | 13 |
Alexander Prass | 24 | 13 |
"Die WM ist für einige der Spieler die letzte Chance, um international nochmal aufzuzeigen und was zu beweisen", sagt Rangnick.
Tatsächlich könnte die Endrunde in den USA, Kanada und Mexiko für einige ÖFB-Stars der letzte Tanz auf ganz großer Bühne sein.
Aktuell ist kein Szenario ernsthaft vorstellbar, in dem Rangnick über die WM 2026 hinaus ÖFB-Teamchef bleibt.
Marko Arnautovic etwa, auch hinter David Alabas mittelfristiger Zukunft steht ob seiner Verletzungsprobleme der vergangenen eineinhalb Jahre ein großes Fragezeichen. Phillipp Mwene, Marcel Sabitzer und Michael Gregoritsch werden auch nicht jünger.
Sie zu ersetzen, wird nicht Rangnicks Aufgabe sein. Aktuell ist kein Szenario ernsthaft vorstellbar, in dem der Deutsche über die WM 2026 hinaus ÖFB-Teamchef bleibt.
Also wird sich ein neuer Teamchef dieses Themas annehmen müssen. Welche Talente stehen ihm zur Verfügung?
Wie könnte – Stand jetzt – ein U25-Nationalteam aussehen?

In dieser Elf fehlen mit Nikolaus Wurmbrand, Niklas Hedl, Muhammed Cham und Flavius Daniliuc vier Spieler, die entweder im aktuellen Kader stehen oder vor nicht allzu langer Zeit ein Länderspiel bestritten haben.
Die Problemfelder
Nichtsdestoweniger sind einige Problemfelder klar erkennbar. Die österreichische Tradition der wenigen, qualitativ hochwertigen Außenverteidiger setzt sich fort. Wenngleich diese Problemstellung zumindest zum Teil umgangen werden könnte, würde auf eine Dreierkette mit Wingbacks umgestellt.
Auch im zentralen Mittelfeld, vor allem defensiv, gibt es aktuell kaum Alternativen. An vorderster Front ebenso.
Einerseits hat das auch damit zu tun, dass der ÖFB im Buhlen um Doppelstaatsbürger zuletzt immer wieder den Kürzeren zog. Hätten sich etwa Amar Dedic und Leon Grgic für Österreich entschieden, sähe diese Elf schon anders aus.

Hinzu kommen Talente wie Yusuf Demir und Junior Adamu, die in ihrer Entwicklung stagnieren.
Spieler aus dem Nichts
Andererseits gibt es mitunter Spieler, die praktisch aus dem Nichts auftauchen.
Raul Florucz hat vor etwas mehr als zwei Jahren noch in Kroatiens 2. Liga gespielt, ist inzwischen einer der großen Hoffnungsträger. Auch Sasa Kalajdzic wäre so einer gewesen, hätten ihn nicht unzählige Verletzungen ausgebremst. Solche Fälle wird es auch in Zukunft geben.
Positionen entwickeln sich
Und manchmal entwickeln sich auch die Positionen von Spielern.
Die Kader-Entwicklungen der großen Klubs deuten auf einen Paradigmenwechsel in der Ausbildungsliga Bundesliga hin.
Dass David Alaba die besten Jahre seiner Karriere als Innenverteidiger hat, war in seiner Anfangszeit undenkbar. Konrad Laimer ist plötzlich ein heißer Kandidat als Rechtsverteidiger, Patrick Wimmer hat sich auf hohem Niveau als zentraler Mittelfeldspieler bewiesen, Florian Grillitsch machte seine ersten Spiele in der deutschen Bundesliga als Stürmer,...
Bedenken ja, Schwarzmalen nein
Die aktuellen Bedenken, dass zu wenig für das ÖFB-Team nachkommen könnte, sind trotzdem nicht ganz unberechtigt. Die Kader-Entwicklungen der großen Klubs deuten auf einen Paradigmenwechsel in der Ausbildungsliga Bundesliga hin.
Es gibt kaum wirklich junge Österreicher, die bei den absoluten Topklubs des Kontinents gefragt wären.
Und doch zeigen die Fakten, dass es keinen Grund zum Schwarzmalen gibt.