Foto: © GEPA Taktik / 2018 / Q2

Österreich Brasilien nicht nur individuell, sondern auch taktisch unterlegen [Spielanalyse] (2)

Österreich zeigte eine durchwachsene Leistung und Brasilien ist sehr gut.

Mutig oder einfach nur verrückt? Österreich presst mit vier Spielern im gegnerischen Strafraum, Brasilien kann die Situation über Torhüter Alisson und Casemiro jedoch auflösen.

Im hohen Pressing wurde die Formation umgeformt, es entstand häufig eine Art 4-3-3, bei der sich Lainer oder Alaba auf Höhe des Mittelfeldes befand und Schlager sowie Schöpf rausgerückt waren. In der Anfangsphase war es meistens nur Schöpf, der herausrückte, doch durch die tiefen Positionierungen von Casemiro, um welchen sich Arnautovic primär kümmerte, rückte mit der Zeit auch Schlager vermehrt nach vorne, um den Spielaufbau unter Druck zu setzen.

Im Mittelfeldpressing wurde das Pressing eher schlecht ausgelöst und den Brasilianern viel Zeit gegeben, wodurch sie ihre gute Ballbesitzstruktur ausspielen konnten. Die doch recht harte Spielweise der Österreicher ergab sich hauptsächlich aus dem häufigen Rausrücken aus der Abwehr. Die drei Innenverteidiger mussten immer wieder auf Zuspiele in den Zwischenlinienraum rausrücken, waren dort nahe dran am Gegenspieler, hatten aber nicht wirklich Zugriff auf den Ball.

Brasilien greift stark an

Die brasilianische Mannschaft zeichnet sich vor allem durch ihre Stabilität aus. Die Mannschaft steht nicht nur im Spiel gegen den Ball gut, sondern ist auch in Ballbesitz gut gegen Konter abgesichert. Durch die teils extrem hohe individuelle Qualität der Offensivspieler braucht es nicht unbedingt viel Präsenz in den vorderer Zonen, um Gefahr zu erzeugen, und die Mannschaft kann sich darauf fokussieren, mit ihren Positionierungen eine stabile Ballzirkulation zu ermöglichen und das gegnerische Umschalten abzusichern. Im 4-3-3 zeigte Brasilien eine leicht asymmetrische Struktur mit unterschiedlichen Rollen des Dreiecks aus Flügelstürmer, Achter und Außenverteidiger. Die linke Seite wurde im Aufbau klar bevorzugt. Marcelo hatte dort eine Rolle als eher klassischer Außenverteidiger, der Breite gibt und auf der Außenbahn aufzieht. Dafür rückte Neymar in den Halbraum, um sich dort zwischen den Linien anzubieten.

Coutinho blieb recht tief, holte sich sehr viele Bälle außerhalb des österreichischen Defensivblocks ab. Somit ergibt sich das aktuell wahrscheinlich pressingresistenste Dreieck des Weltfußballs. Die linke Seite wurde immer wieder überladen, teilweise mit zusätzlicher Unterstützung des ausweichenden Gabriel Jesus. Diese Überladungen konnten flexibel ausgespielt werden, da Marcelo sich bei Bedarf auch kurz im Halbraum anbieten und vorderlaufen konnte. Für Österreich ergab sich zudem das Problem, dass man auf den tief stehenden Coutinho rausrücken musste, ohne dabei Passwege zu öffnen. Das Mittelfeldpressing hatte so häufig wenig Druck auf den ballführenden Spieler wodurch auch schon kleinere Löcher in der Defensive bespielbar waren. 

 

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Die unterschiedlichen Positionierungen der Außenspieler bei Brasilien.

Auf der rechten Seite agierte Willian konstant als Breitengeber. Dafür übernahm Paulinho meistens die Besetzung des offensiven Halbraums und Danilo agierte zusätzlich eingerückt, um die Restverteidigung zu stärken. Der eigentlich nicht als großer Spielmacher bekannte Casemiro konnte immer wieder Paulinho oder Neymar zwischen den Linien anspielen. Dann sollte es schnell gehen und es wurden Ablagen und direkte Kombinationen mit Gabriel Jesus gesucht.

Brasiliens Zwischenlinienraumbestzung. Halblinks rückt Neymar ein, halbrechts geht Paulinho höher. Auch Gabriel Jesus bot sich mit zurückfallenden Bewegungen oft gut an.

Besonders in der zweiten Hälfte funktionierte dies gut, weil Österreich seinem Gegner immer mehr Platz ließ. Das in vielen Situationen praktizierte hohe Pressing war sehr riskant und gab dem Gegner viel Raum hinter der hohen Abwehrlinie und zu oft auch innerhalb der Defensivformation. Zudem war die Konterabsicherung nach den Wechseln ab der 58. Minute eine Schwachstelle und auch die generelle Rückwärtsbewegung war eher mangelhaft.

 

Die österreichische Ausrichtung war mutig, teilweise jedoch übermütig. Die Leistung war nicht die stärkste, allerdings war die Aufgabe auch deutlich schwieriger als zuletzt gegen Russland und Deutschland. Brasilien präsentierte sich nämlich wie ein wahrer Favorit auf den Titel – während viele andere große Nationen in den Testspielen vor WM-Beginn noch nicht brillieren konnten. Brasilien ist ganz gut im Pressing, stark in der Strafraumverteidigung und gut gegen Konter abgesichert. Das Ballbesitzspiel ist nicht nur von der individuellen Qualität der Offensivakteure geprägt. Auch die Bewegungen sind gut aufeinander abgestimmt und können mit schnellen Kombinationen ausgespielt werden. Dabei ist die Offensive insgesamt recht variabel, kann stark über Überladungen der Flügel aber auch vermehrt über Kombinationsspiel im Zentrum kommen. Da ist die 3:0-Niederlage für Österreich wahrlich kein Desaster, zeigte aber durchaus Verbesserungspotential im Pressing und der Konterabsicherung auf.

 

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