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Günter Kreissl: “Die ersten Wochen war viel Schmerz da” (3)

Viele Wochen war es still um Günter Kreissl. Wider erwarten ist er nicht zu Sturm zurückgekehrt und hat seine Pause unfreiwillig verlängert. Jetzt ist er wieder bereit für neue Aufgaben und erzählt, wie der Abschied von Sturm für ihn war.

90minuten.at: Was bleibt für Sie auf der Habenseite Ihrer Zeit in Graz?

Kreissl: Für mich ist es in Zahlen gesagt 90 zu 10 haben. Solche Bewertungen konzentrieren sich meistens nur auf die Kampfmannschaft. Wenn wir das vorwegnehmen, hatten wir in meiner Zeit zwei sportlich gute Jahre und zwei durchschnittliche mit jeweils Platz fünf. Zudem wurde ein Sturmtrainer aus dieser Zeit neuer Teamchef im Land. Aber: Auch die Amateure haben sich sehr gut entwickelt, mit einem immer jünger werdenden Kader und einem Trainer aus der eigenen Akademie. Die Leistung bleibt zudem seit Jahren konstant, was für die Arbeit in der Akademie spricht. Die Damenmannschaft hat sich super stabilisiert und spielt immer im Spitzenfeld mit. Wirtschaftlich würde ich die Bilanz sogar als überragend bezeichnen. Wir konnten, auch durch gute Transfers, Rücklagen bilden, die zum Beispiel jetzt in der Corona-Zeit sehr wichtig für den Klub sind. Zu den Errungenschaften gehört auch die Weiterentwicklung der Infrastruktur. Es ist nicht üblich, dass ein Verein Großteils ohne Förderungen das Trainingszentrum ausbaut, drei neue Plätze errichtet und eine Flutlichtanlage hinstellt. Außerdem haben wir den neuen Fanshop eröffnet und das Leitbild entwickelt. Da war schon sehr viel positiv. 

 

90mnuten.at: Wo sind die Dinge, die schiefgegangen sind?

Kreissl: Es hat vielleicht mehrere Brüche gegeben. Für die Kampfmannschaft war es die Transferzeit 2018. Ich habe die Arbeit davor immer Masterplan genannt. In dem Wissen, dass Austria oder Rapid, Red Bull sowieso, immer mehr Geld zur Verfügung haben werden, wollte ich den Spielern so ein Umfeld bieten, dass sie den Klub für ein bisschen mehr Geld nicht verlassen. Wir haben versucht, ihnen zu zeigen, Sturm ist ein Verein wo sich laufend etwas entwickelt und Ihnen auch privat sehr viel ermöglicht. Damit wollte ich noch mehr Verbundenheit erreichen und eine Mannschaft aufbauen und halten, die zumindest zwei-drei Jahre zusammenspielen wird. Das ist zu meinem eigenen Entsetzen komplett gekippt. Nach dem Cupsieg sind drei Spieler zur Austria und zwei zu Rapid gewechselt. Das hat mich betroffen gemacht, aber es hat in mir auch einen gewissen Kampfgeist geweckt. Bei der Mannschaft war das leider gar nicht der Fall. Jene die geblieben sind, haben sehr viel Frust entwickelt. Auch dass der Titel schon erreicht war, hat eine bremsende Wirkung gehabt. Mein persönlicher Bruch war die Saison darauf, als wir im letzten Abdruck gegen Rapid in einen europäischen Bewerb gekommen sind, was aber einer der frustrierendsten Erfolge war, die ich je erlebt habe. In einem pfeifenden Stadion, was als Reaktion auch für mich nachvollziehbar war. 

 

90minuten.at: Eingehend auf den Masterplan, der nicht funktioniert hat: Ist das heutzutage zu verhindern, dass eine Mannschaft in der Größenordnung von Sturm nach einer sehr erfolgreichen Saison auseinanderfällt?

Kreissl: Es ist schwierig. Bei Sturm hatten damals alle, die weggegangen sind, massiv verbesserte Angebote von uns. Teilweise das doppelte vom vorigen Verdienst. An einem Spargedanken ist es jedenfalls nicht gescheitert. Man braucht eine spezielle Situation, dann geht es vielleicht. Ein Beispiel ist der LASK, der das erfolgreich vorgezeigt hat. Dort ist einer der wichtigsten Männer im Verein zugleich der Berater von sehr vielen Spielern gewesen, da kann man anders agieren. Und sie hatten zum richtigen Zeitpunkt Erfolg und konnten in der Gruppenphase der Europa League sehr viel Geld hereinspielen. Sturm war mit dem Cupsieg ein Jahr zu früh dran, für eine direkte Qualifikation für die Gruppenphase. Der WAC hatte dann auch diese Situation. 

 

90minuten.at: Jetzt hat Sturm mit dem Wechsel zu Andreas Schicker als Sportchef und mit Trainer Christian Ilzer, eine komplett neue Devise ausgegeben: Junge Spieler aus dem eigenen Nachwuchs einsetzen und unmittelbarer und schneller Erfolg sind nachrangig im Vergleich zur langfristigen Entwicklung. Wir hatten dazu auch immer wieder Diskussionen, Sie haben immer gesagt, es sei nur in ganz wenigen Fällen möglich, dass so etwas funktioniert. Wieso geht Sturm jetzt doch plötzlich diesen Weg?

Kreissl: Vorweg muss ich sagen: Es spricht mich extrem an, wie Sturm heuer auftritt. Es ist eine Freude zuzuschauen. Die Resultate und die Punkte sind mehr oder weniger gleich wie zum selben Zeitpunkt in all den Jahren davor. Aber die Mannschaft tritt sehr sympathisch und mit guter Körpersprache auf. Der Paradigmenwechsel ist allerdings im Moment sehr viel Kommunikation. Auch weil junge Hoffnungsträger wie Geyrhofer oder Trummer verletzt sind. Wir sind jedenfalls sehr weit davon entfernt, dass in der ersten Mannschaft drei-vier junge Steirer spielen. 

 

90minuten.at: Andreas Schicker hat aber explizit gesagt, dass er nach einer Transferperiode noch nicht dort ist, wo er hinwill. Der mittelfristige Plan sagt aber, man will dorthin. 

Kreissl: Sagt man, ja. Das muss man dann bewerten, wenn man irgendwann einmal zurückblickt. Derzeit gibt es eher sehr gute Verpflichtungen, die im Lebenslauf schon etwas vorzuweisen haben, was ich überhaupt nicht schlechtmachen will. Zu meinen früheren Aussagen: Wir haben in dieser einen Situation 2019/20, wo wir mit dem dritten Platz direkt in die Gruppenphase gekommen wären, alles auf eine Karte gesetzt. In Abstimmung mit Trainer Nestor El Maestro haben wir so viele Spieler mit Qualität als möglich geholt. Etwa Bekim Balaj oder Kiril Despodov. Wir wollten die Wahrscheinlichkeit so hoch als möglich gestalten, um an diesen Geldkuchen zu kommen, der uns längerfristige Planungen ermöglicht. Das war ein Risiko und es ist in der Gesamtheit nicht aufgegangen. Hier kann ich auch noch etwas anfügen, zu den vorher angesprochenen Dingen, die nicht gut waren, in meiner Zeit. Wir waren in dieser Phase mit der Kommunikation der Ziele zu offensiv. Sturm fährt viel besser so wie jetzt, wo der Ball flach gehalten wird und man keine großen Ziele hinausposaunt.

"Wir haben in dieser einen Situation 2019/20, wo wir mit dem dritten Platz direkt in die Gruppenphase gekommen wären, alles auf eine Karte gesetzt. In Abstimmung mit Trainer Nestor El Maestro haben wir so viele Spieler mit Qualität als möglich geholt. Etwa Bekim Balaj oder Kiril Despodov. Wir wollten die Wahrscheinlichkeit so hoch als möglich gestalten, um an diesen Geldkuchen zu kommen, der uns längerfristige Planungen ermöglicht." - Günter Kreissl

90minuten.at: Sturm ist ein Klub, der schon sehr oft an der zu hohen Erwartungshaltung gescheitert ist. Auch vor Ihrer Zeit in Graz. Warum funktioniert es jetzt gerade, mit der Zurückhaltung und der Kommunikation? Oder ist das nur der Beginn und man wird ohnehin wieder in alte Muster verfallen, sobald länger Erfolg da war?

Kreissl: Ich traue mich das jetzt noch nicht zu beurteilen. Ich schätze die handelnden Personen alle sehr und ich traue ihnen viel zu. Es liegt viel an der Art wie die Mannschaft im Moment auftritt. Das ist sehr positiv und gut anzuschauen. Dann jetzt der Erfolg gegen Red Bull, darauf hat man Jahre gewartet. Durch so etwas entsteht etwas. Da sind Mechanismen in Kraft getreten, die sehr hilfreich für die Arbeit sind. Normal verliert Sturm gegen Red Bull und gewinnt gegen Wacker und Wattens jeweils knapp und das löst nichts Vergleichbares aus. 

 

90minuten.at: Sie waren mit Christian Ilzer schon zu einem früheren Zeitpunkt in Kontakt, damals wurde nichts aus einem Engagement in Graz. Wieso war das so und ist er jetzt der richtige Mann zur richtigen Zeit?

Kreissl: Zweiteres würde ich jedenfalls mit “ja” beantworten. Und zur ersten Frage: Er hat uns damals abgesagt und sich entschieden WAC-Trainer zu bleiben.

 

90minuten.at: Hätten Sie ihn damals schon verpflichtet, hätte er nicht abgesagt?

Kreissl: Er war gemeinsam mit Roman Mählich einer der zwei Hauptkandidaten. Wir haben auch Gespräche geführt, aber als es um eine Entscheidung ging, hat er sich selbst aus dem Spiel genommen. 

 

90minuten.at: War aus seiner Sicht damals möglicherweise die richtige Entscheidung.

Kreissl: Möglicherweise, ja. 

 

90minuten.at: Im letzten Sommer war neben Ilzer auch Markus Schopp im Gespräch bei Sturm. Da war noch nicht klar, dass Sie nicht wieder nach Graz kommen und es hieß unter anderem, dass Markus Schopp nur zu Sturm zurückkehrt, wenn Günter Kreissl dort nicht mehr aktiv ist. 

Kreissl: Markus Schopp hat nie offiziell bestätigt, dass er das gesagt hätte. Ich könnte es auch nicht nachvollziehen, weil ich mit ihm kein Problem hatte. Ich habe ihm damals, als er die Amateure trainiert hat, wieder einen Vertrag angeboten. Er hat abgelehnt und es vorgezogen wo anders weiterzuarbeiten. Er wäre lang genug in Graz gewesen und wolle sich wieder neu orientieren. Ich schätze auch seine Arbeit jetzt in Hartberg. 

 

90minuten.at: Stichwort Schopp: Bei Sturm sind sehr viele ehemalige Spieler im Nachwuchs und im Trainerbereich engagiert. Ist das eine gute Sache oder hemmt das einen Klub eher?

Kreissl: Das möchte ich jetzt ganz Sturm-unspezifisch sagen: Es ist immer gut, wenn deine ehemaligen Spieler andere Qualitäten nach ihrer Karriere entwickeln und die im Verein einbringen. Es kann einem nichts Besseres passieren. Es reicht aber nicht eine Spielerikone gewesen zu sein. Es braucht Qualitäten, die dem Klub helfen. Speziell hervorheben möchte ich bezüglich Sturm dabei Günther Neukirchner, dessen Arbeit als Entwicklungstrainer für Talente nicht immer so öffentlich sichtbar wahrgenommen wird. Dass aber jetzt so viele Leute aus dem Nachwuchs da sind, denen man zurecht Profiverträge anbieten kann, liegt sehr stark an seiner Arbeit und wie er diese Leute an die erste Mannschaft heranführt.

 

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