Foto: © GEPA Interviews / 2020

Günter Kreissl: “Die ersten Wochen war viel Schmerz da” (4)

Viele Wochen war es still um Günter Kreissl. Wider erwarten ist er nicht zu Sturm zurückgekehrt und hat seine Pause unfreiwillig verlängert. Jetzt ist er wieder bereit für neue Aufgaben und erzählt, wie der Abschied von Sturm für ihn war.

90minuten.at: Gehen wir weg von Sturm und zum beherrschenden Thema im Moment: Corona. Wenn irgendwann nächstes Jahr mit einer Impfung die Welt sich wieder normal weiterdrehen kann, glauben Sie, dass im Fußball etwas anders sein wird oder alles weitergeht wie davor?

Kreissl: Ich sehe das im Moment ein wenig ängstlich. Aus dem Grund, weil ich ein wenig die Befürchtung habe, der Fußball könnte begeisterte Menschen verlieren. Jene, die sehen, das Leben funktioniert auch ohne Fußball ganz gut. Ich hoffe aber auf den gegenteiligen Effekt. Dass alle sich danach sehnen und die Stadien reihenweise ausverkauft sein werden. Mir selbst geht das alles wahnsinnig ab. Ich bin unter anderem auch wegen der Kurve und wegen den Fans so gerne nach Graz gegangen. Ich bin grundsätzlich Fan von Vereinen, wo die Post abgeht und ich hoffe, dass das wiederkommt. Gänsehaut und Tränen in den Augen, wenn da eine begeisterte Masse an Menschen ist. Das alles geht sehr ab.

 

90minuten.at: Glauben Sie, dass das Gefüge im internationalen Fußball sich ändert oder sich etwas verschiebt?

Kreissl: Wenn wir in den nächsten Jahren kein vergleichbares Ereignis erleben wie jetzt die Pandemie, dann werden die Umgebungsbedingungen wohl wieder gleich werden, wie sie vorher waren. Aber wirtschaftlich wird sicher eine Dürrephase kommen. Vielleicht nicht für die paar wenigen Vereine ganz oben, aber die Breite wird sich schwertun. 

 

90minuten.at: Was aber bedeutet, die Schere zwischen reich und arm wird noch weiter auseinandergehen. 

Kreissl: Das ist möglich, ja. 

 

90minuten.at: Jetzt gibt es bekanntlich die Idee der europäischen Superleague, wo sich die ganz großen Klubs noch einmal über der Champions League messen wollen. Da gibt es durchaus einige, die sagen: Lasst sie machen und wir können dann wieder ohne die Superreichen unsere Bewerbe spielen. Wie stehen Sie dazu?

Kreissl: Ich halte nichts davon, immer noch mehr dem Geld hinterherzuhecheln und sich weiter zu amerikanisieren. Was hier derzeit geplant ist, erinnert mich mehr an NFL oder NBA um über einen ganzen Kontinent verteilt noch mehr Marketing- und Sponsoringmöglichkeiten auszureizen. Ich finde das Konzept, das wir haben, gut und ich sehe keinen Grund das zu verändern. 

 

90minuten.at: Wenn das aktuelle Konzept gut ist, was sagen Sie dann dazu, dass es eine Vielzahl von Ligen mit den immergleichen Klubs an der Spitze gibt. Nehmen wir nur die Bundesliga, wo Red Bull im Prinzip einfach der fixe Meister ist, wenn nichts Außergewöhnliches passiert. Wäre das ganze Produkt nicht bei weitem attraktiver, wäre es ausgeglichener?

Kreissl: Also ich habe kein Problem damit. Red Bull gibt es noch nicht so lange und man muss einmal schauen, ob es sie in zehn Jahren in dieser Form genauso gibt. Ich glaube, dass das andauernd siegende Salzburg kein Modell für die Ewigkeit ist. Sturm konnte außerdem Red Bull in einer Saison wirklich fordern, auch der LASK war knapp dran und hatte eine realistische Chance auf den Titel. Und es ist ja nicht nur Red Bull. Da ist das Extrembeispiel schottische Liga oder Bayern in Deutschland. Jedes Land ist in gewisser Weise so gestrickt. Deswegen würde ich aber nicht anfangen an irgendwelchen Grundfesten zu rütteln. Ich habe mich damit arrangiert. 

 

90minuten.at: Sie können Regulierungsmaßnahmen, um einen gewissen Ausgleich des finanziellen Gefüges herzustellen, nichts abgewinnen?

Kreissl: Das kann man sich schon überlegen. Etwa das Modell des Salary Caps. Das könnte durchaus sinnvoll sein, um eine Parität in den Wettbewerb zu bringen. Was ich nicht mag, ist der Gedanke, die Superreichen sollen ihre eigene Liga gründen, damit wir wieder normal weiterspielen können. 

 

90minuten.at: Wenn wir zum Schluss wieder an Ihre persönliche Geschichte anknüpfen: Sie machen schon relativ lang Pause, das Jahr ist bald vorüber. Wie geht es 2021 mit Günter Kreissl weiter?

Kreissl: Ich habe vor, im kommenden Jahr so früh als möglich wieder zu arbeiten. Am realistischsten ist das natürlich in den Bereichen, wo ich schon bisher aktiv war. Das heißt Sportdirektor, eventuell als Cheftrainer oder auch als das, was ich bei Sturm jetzt machen hätte sollen, als technischer Direktor mit einem Scoutingschwerpunkt. 

 

90minuten.at: Das heißt, Sie werden in Ihrer nächsten Tätigkeit bei einem Fußballverein arbeiten? 

Kreissl: Davon gehe ich aus, aber um es noch zu präzisieren: bei einem Unternehmen im Fußball. Es gibt auch noch Verbände oder Medien. 

 

90minuten.at: Gibt es schon etwas Konkretes in Aussicht?

Kreissl: Es gibt Sondierungsgespräche, noch keine konkreten Verhandlungen. Mich zieht es aber jedenfalls wieder hinaus und zur Arbeit. Wenn ich, Stichwort Familie, nicht zwingend übersiedeln müsste, wäre es mir recht. Aber ich weiß, dass man es sich in diesem Job nicht immer aussuchen kann. Ich bin guter Dinge und zuversichtlich, dass sich bald etwas ergeben wird. Ich bin aber demütig genug, um zu wissen, dass das kein Selbstläufer ist. Corona hat es auch für Arbeitssuchende im Fußball nicht einfacher gemacht.

"Ich bin guter Dinge und zuversichtlich, dass sich bald etwas ergeben wird. Ich bin aber demütig genug, um zu wissen, dass das kein Selbstläufer ist. Corona hat es auch für Arbeitssuchende im Fußball nicht einfacher gemacht." - Günter Kreissl

90minuten.at: Gibt es ein Ausschlusskriterium? Etwas, das Sie nicht machen würden?

Kreissl: Wenig. Spontan fällt mir eine wirtschaftliche Situation ein, die beängstigend wäre. Sympathie spielt natürlich auch eine Rolle, wenn man sich gar nicht identifizieren kann, ist es wahrscheinlich auch schwer möglich Visionen zu entwickeln. Mir ist bewusst, dass ich speziell in Österreich eher nicht regelmäßig die Chance haben werde, bei einem zuschauerstarken Klub wie Sturm zu arbeiten. Obwohl es mich fasziniert hat dort als Gegner zu spielen und es war großartig für mich, dort später als Sportdirektor zu arbeiten. Ich blicke mit viel Sympathie zurück. Und das Bild vom Erfolg 2018 im Cup, ist das schönste Bild, das an meiner Wand des Fußballs hängt. Ich bin stolz darauf, ein Teil davon gewesen zu sein. 

 

90minuten.at: Sie sind noch nicht so alt. Vielleicht gibt es eine zweite Ära Kreissl bei Sturm?

Kreissl: Diese Überschrift möchte ich jetzt bitte nicht liefern. Auf das warte ich nicht. Aber man weiß, wie es im Leben ist, es können sich immer wieder Dinge ergeben.

 

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