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"Wir sehen beide Seiten, die Öffentlichkeit oft nur die eine"

In der Meisterschaft steht Red Bull Salzburg zwar an der Tabellenspitze, in einer schwierigen Champions League-Gruppe könnten mehr Punkte am Konto sein. Es läuft nicht ganz rund. Sportdirektor Christoph Freund spricht im 90minuten.at-Interview über die aktuelle Lage beim Serienmeister.

+ + 90minuten.at Exklusiv + + Das Gespräch führte Georg Sander

 

Länderspielpause nach intensiven Wochen und vor intensiven Wochen. Nach sieben Runden lacht Red Bull Salzburg in gewohnter Manier von der Tabellenspitze der Bundesliga, ist im Cup mit dabei. In der Champions League-Gruppenphase ist man zur Halbzeit noch im Rennen um zumindest den dritten Platz, in einer schwierigen Gruppe mit Titelverteidiger Bayern München und den Defensivspezialisten von Atlético Madrid. Alles normal also? Nein, denn in den letzten Wochen trat die eine oder andere Schwäche zum Vorschein: Spiele, in denen man gut spielt, werden nicht gewohnen. Der Einbau eigener Akademie-Spieler stockt ein wenig. Es mag für den einen oder anderen Jammern auf hohem Niveau sein.

Doch es bleibt das Gefühl, dass etwas Sand im Getriebe ist und noch mehr gehen könnte, in einigen Bereichen. Genau diese Fragen stellt 90minuten.at dem Sportchef der Salzburger, Christoph Freund.

 

90minuten.at: Wie haben Sie und der Verein in der Fußballbubble die letzten acht Monate seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie erlebt?

Christoph Freund: Es war sehr herausfordernd, ungewöhnlich. Egal ob im Fußball oder im sonstigen Leben, das hat man sich eigentlich gar nicht vorstellen können. Junge Fußballprofis leben ein bisschen in einer eigenen, heilen Welt. Es wird ihnen viel abgenommen, sie haben ein cooles Leben und können sich auf das Training fokussieren, lernen mit den Medien umzugehen, lauter interessante Sachen. Dann sind sie plötzlich mit solchen Dingen konfrontiert. Dazu kam die Ungewissheit, wann es mit Fußball weiter geht, wann man wieder seine Familie sehen kann. Es sind junge Menschen aus der ganzen Welt, das war für alle sehr fordernd und prägend. Sie blieben alle in Salzburg, es war eine sehr spezielle und herausfordernde Zeit. Im Nachhinein denke ich, dass die Jungs und auch wir als Verein es gut gemeistert haben. Wir haben eine sehr gute Saison fertig gespielt, darauf sind wir stolz.

90minuten.at: Wurde das noch extra sportpsychologisch unterstützt?

Freund: Wir haben im Team selbstverständlich einen Sportpsychologen, mit ihm sprechen die Jungs über verschiedene Themen. Wir versuchen viel zu kommunizieren.

 

90minuten.at: 2017/18 kam man in der EL ins Halbfinale, kam mit sieben Toren und einem Gegentor bei drei Remis und 3 Siegen in die KO-Phase. Derzeit hält man zur Halbzeit bei sechs Toren, aber elf kassierten und einem Punkt. Wo ist der Unterschied?

Freund: Wir spielen auf einem extrem hohen Level gegen wahrscheinlich die besten Teams der Welt, die Champions League ist das Höchste in Europa. Die Mannschaft spielt aber insgesamt sehr stabil, wir haben in der Liga einen sehr niedrigen Gegentorschnitt, wie auch schon im Meister- Playoff in der vergangenen Saison. Wenn ich mir die Champions League ansehe, dann haben wir natürlich gegen die Bayern in der Schlussviertelstunde vier Tore bekommen. Das war bitter und soll so nicht wieder vorkommen. Ansonsten waren es offene Spiele. Die Qualität der anderen Vereine und die individuelle Klasse deren Spieler hat auch dazu geführt, dass wir das eine oder andere Tor zu viel bekommen haben. Wir wissen das aber gut einzuschätzen, es ist aber sicherlich auch dem Umstand geschuldet, dass wir unser Spiel durchziehen, so wie wir spielen; auch auf diesem Niveau. Trotzdem ist uns klar, dass die Balance besser werden muss. Auf diesem Level entscheiden Kleinigkeiten. Wir können uns in entscheidenden Details noch verbessern, dann hätten wir statt einem Punkt vielleicht schon vier oder fünf.

"Gegen Bayern waren wir bis zur 75. Minute knapp dran. Ich will aber das 6:2 nicht beschönigen, daran müssen wir arbeiten." - Christoph Freund

90minuten.at: Auffällig ist in den letzten Wochen, dass man Ergebnisse nicht über die Zeit bringt wie die beiden 2:1-Führungen gegen Lok und Madrid, beim 1:1 gegen Rapid oder das Team zerfällt wie gegen die Bayern. Was ergibt die interne Fehleranalyse? Braucht es weniger Vollgas, auch wegen des dichten Terminplans?

Freund: Wir wissen, dass es eine intensive Zeit ist, aber wir wollen auch so viele Spiele. Natürlich diskutieren und analysieren wir intern mit dem Trainerteam oder einzelnen Spielern, warum wir Tore kassieren. Oder warum man in Madrid 2:1 führt und das Spiel nicht über die Runden bekommt. Aber das sind interne Diskussionen, bei denen wir uns auch die Laufleistungen genau ansehen. Daraus ergibt sich zum Beispiel kein Anhaltspunkt, dass wir körperlich zurückfallen. Ich bin aber insgesamt sehr zufrieden, wie wir als Mannschaft auftreten, aber Fußball ist am Ende halt auch ein Ergebnissport. Wir lassen uns jedoch nicht von unserem Weg abbringen, von der Art, wie wir spielen: Wir wollen uns in den Kleinigkeiten noch sukzessive steigern, dann bin ich davon überzeugt, dass wir auch auf diesem Niveau für Überraschungen sorgen. Wir waren letztes Jahr in Liverpool knapp dran, auch gegen Bayern waren wir bis zur 75. Minute knapp dran. Das war überhaupt eines der attraktivsten und intensivsten Spiele, die ich bei uns im Stadion gesehen hab. Ich will aber das 6:2 nicht beschönigen, daran müssen wir arbeiten.

 

90minuten.at: Schon zu Amtsantritt schien klar, dass Jesse Marsch noch offensiver spielen lässt als Marco Rose...

Freund: Er ist vielleicht noch extremer in unserer Philosophie. Er legt noch mehr Wert auf schnelles Umschalten und Vertikalität, er fordert extrem viele Tiefgänge. Wir haben die letzten Jahre mit Marco als auch jetzt mit Jesse sehr erfolgreichen, mutigen und offensiven Fußball gespielt. Dafür stehen wir und dafür wollen wir auch in Zukunft stehen.

 

90minuten.at: Stärker wird zudem die nationale Konkurrenz. Der LASK und Rapid scheinen näher zu kommen.

Freund: Ich glaube, die beiden Klubs machen richtig gute Arbeit. Das sieht man auch international, wir sind nicht umsonst in der Fünfjahreswertung so gut platziert. Überhaupt sieht man international, wie die österreichischen Mannschaften auftreten und spielen, auch der WAC. Ich hoffe, dass das in Zukunft so bleibt. Das kann uns alle nur besser machen. Auch für unsere jungen Spieler ist es wichtig, dass sie in der Meisterschaft richtig gefordert sind. Ich wiederhole mich vielleicht: Wir waren die letzten sieben Jahre Meister, aber es war sehr oft auch knapp, wir konnten die Meisterschaft oft durch enge Spiele am Ende zu unseren Gunsten entscheiden.

 

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