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Österreich im Höhenflug. Oder doch nicht? [Kolumne]

Der heimische Fußball entwickelt sich gut. Könnte man meinen. Ein zweiter Blick verrät anderes.

 

++ 90minuten.at PLUS – eine Kolumne von Gerald Gossmann ++

 

Auf den ersten Blick sieht alles wunderbar aus. Das Nationalteam, seine vielen Stars, der tolle Trainer und: die nahende Europameisterschaft. Dazu kommt die für heimische Verhältnisse beachtliche Bundesliga. Zuletzt rangierte sie jahrelang unter den Top-10 Europas. Mit dem Aushängeschuld Red Bull Salzburg, Champions League-Dauergast und Transferkaiser. Ein aufstrebender SK Sturm Graz, ein guter LASK. Ein 40-Mio-Euro schwerer TV-Vertrag. Doch ein zweiter Blick zeigt, dass einige Tendenzen auf einen Abstieg vom Aufstieg verweisen.


Die Bundesliga im internationalen Vergleich

Die Bundesliga erlebte in den letzten Jahren ein Allzeithoch. Die achtbeste Liga Europas. Die Zehntbeste. In der Saison 2021/22 gelang eine Rekordsaison. Es wurden so viele Punkte gesammelt wie noch nie. Das Problem: Seither folgten nur Flops. Das Resultat: der Absturz. Heuer findet sich Österreich im Jahresranking bisher nur auf dem 23. Platz – hinter Island und Aserbaidschan. Sprich: Rückgang auf Platz 13 in der UEFA-Fünfjahreswertung. Der Champions-League-Fixplatz wäre somit weg. Und möglicherweise bald (bei einem gar nicht unrealistischen Absturz aus den Top 15) auch der fünfte Europacup-Startplatz. Die Liga wäre somit nicht mehr spitze, sondern im Sinkflug.

 

Woran liegt der Absturz der Liga?

Erstens: An den gestiegenen Anforderungen. Red Bull Salzburg sammelte international lange viele, viele Punkte. In der Europa League. Also in der zweiten europäischen Leistungsstufe. Das brachte einen Aufstieg für den Klub und die Liga. In der Königsklasse hängen die Trauben jedoch höher, die Luft wird dünn. Die Gegner der letzten Jahre hießen: Bayern München, FC Liverpool, SSC Neapel, AC Milan, Inter Mailand, FC Chelsea, Atlético Madrid. Salzburg schlug sich gut, erreichte einmal das Achtelfinale (in der Rekordsaison gegen Wolfsburg, Lille und Sevilla; damals erreichten auch Rapid und der LASK die Ko-Phase). Doch die Punkteausbeute ist in der Champions League insgesamt geringer als in der Europa League. Das wiederum schlägt sich in der Fünfjahreswertung nieder.

Zweitens: Die Wiener Klubs brachen weg. Einst waren Rapid und Austria die heimischen Aushängeschilder auf dem europäischen Parkett. Doch sportlich geht es kontinuierlich bergab. Selbst in der eigenen Liga. In den letzten beiden Saisonen verpasste Rapid die Europacup-Gruppenphase. Die Austria nahm einmal teil – war aber selbst in der Conference League Kanonenfutter. Die Wiener befinden sich in einem Teufelskreislauf. Je öfter man auf europäischer Bühne scheitert, desto weniger Millionen werden verdient und desto schlechter fällt das internationale Ranking aus. Und ein schlechtes Ranking bedeutet: starke Gegner. Selbst in der Qualifikation. Die Folge: Eine Wiener Europacup-Teilnahme wird von Jahr zu Jahr unwahrscheinlicher.

 

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Drittens: Die gehypten Klubs aus Graz und Linz liefern nicht ab. Das liegt einerseits an – auch in der Europa League – beachtlichen Gegnern: etwa AS Monaco, Real Sociedad, Lazio Rom oder Sporting Lissabon. Andererseits auch daran, dass sich Sturm Graz trotz dreijähriger Europacup-Erfahrung international nicht weiterentwickelt. Zuletzt unterlag man dem polnischen Klub Raków Częstochowa im eigenen Stadion 0:1 – und agierte dabei verstörend ängstlich. Auch der LASK hat schon einmal – trotz starker Gegner – verlässlicher gepunktet.

 

Die Finanzlage

Die Austria schloss das letzte Geschäftsjahr mit einem Minus von sieben Millionen Euro ab. Das Fremdkapital ist auf 73 Millionen angestiegen. Nur der LASK hat mehr: 90 Millionen. Die neuen Stadien schlagen zu Buche. Die Violetten wollen ihre Arena nun gar verkaufen. Ein Alarmsignal für die wirtschaftliche Lage des Klubs, der ein negatives Eigenkapital von 20 Millionen Euro aufweist. Immerhin hier können die anderen Großklubs punkten: Der LASK verfügt über ein positives Eigenkapital von 30 Millionen, Rapid hält bei 21, Sturm bei immerhin 8 Millionen. Ein Problem: Die halbe Liga ist im Minus. Nur Salzburg fuhr im letzten Geschäftsjahr satte 32 Millionen Gewinn ein. Ansonsten: 2 Millionen Gewinn für Sturm Graz. Die beiden Vorarlberger sind im Plus, Rapid macht gerade noch 50.000 Euro Gewinn (rechnet bei ausbleibenden Transfers aber mit einem Minus für die aktuelle Saison). Der LASK schrieb für das abgelaufene Geschäftsjahr fast vier Millionen Verlust. Dazu kommt: Die Umsatzzahlen sind abseits der Salzburger nicht gerade berauschend: Rapid und Sturm halten bei 45 bzw. 46 Millionen Euro. Austria bei 30, der LASK bei 26.

"Abseits der goldenen Generation bleibt der Top-Nachwuchs ein wenig aus. Die österreichische Bundesliga verkauft zwar regelmäßig Spieler um viele Millionen ins Ausland. Doch das sind zumeist keine Österreicher." - Gerald Gossmann

Die Austria hat vorgezeigt, wo der Knackpunkt liegt: Das Geschäftsmodell, das Fußballspiel, darf nicht wegbrechen. Noch viel mehr: Es muss immer besser funktionieren. Denn dann verdient man im Europacup Millionen. Und verkauft seine Spieler um viel Geld. Unter diesem Druck stehen auch und aufgrund der großen Investitionen vor allem der LASK und Rapid. Für die Topklubs der Bundesliga gilt deshalb mehr denn je: Es braucht einen perfekten Plan für den Sportbereich (abseits von Freunderlwirtschaft und dem Nachahmen verschlafener und ausgelutschter Trends), um am Ende nicht die halbe Mannschaft und gar das eigene Stadion verscherbeln zu müssen.

 

Der TV-Vertrag

Die Bundesliga-Rechte sind derzeit so viel wert wie nie zuvor. 40 Millionen Euro soll Sky pro Saison überweisen. Der Vertrag läuft seit 2018. Und noch bis 2026. Die Millionen aus dem TV-Vertrag sind für die Klubs wichtig. Doch die Lage am TV-Markt ist angespannt. Ligaintern sollen einige damit rechnen, nicht nochmals einen derart gut dotierten TV-Deal abschließen zu können. Weniger Geld würde auch hier einen Abwärtstrend bedeuten.


Die Nachwuchsförderung

Das Nationalteam verfügt seit einigen Jahren über so viele internationale Top-Spieler wie noch nie: David Alaba (Real Madrid), Marko Arnautovic (Inter Mailand), Marcel Sabitzer (Borussia Dortmund). Die Auswahl ist lang. Viele Spieler stammen aus dem Red Bull-Kosmos. Pressingmonster wie Konrad Laimer (Bayern München), Xaver Schlager (RB Leipzig) oder Nicolas Seiwald (RB Leipzig). Und dann sind da welche, die früh ins Ausland gingen: Philipp Lienhart (SC Freiburg), Stefan Posch (FC Bologna), Christoph Baumgartner (RB Leipzig), Philipp Mwene (Mainz 05) oder Michael Gregoritsch (SC Freiburg).

Abseits der goldenen Generation bleibt der Top-Nachwuchs ein wenig aus. Die österreichische Bundesliga verkauft zwar regelmäßig Spieler um viele Millionen ins Ausland. Doch das sind zumeist keine Österreicher. Sondern Norweger wie Erling Haaland. Ungarn, wie Dominic Szoboszlai. Oder Dänen wie Rasmus Höljund. In der Saison 2019/20 betrug der (in Einsatzminuten gemessene) Anteil österreichischer Spieler in der Bundesliga noch 71 Prozent. 2022/23 lag dieser nur mehr bei 58 Prozent. Die drei Großklubs RB Salzburg, Sturm Graz und der LASK nehmen nicht mehr am Österreicher-Topf teil. Ihr Geschäftsmodell ist zunehmend der Einkauf von europäischen Toptalenten, die man um viele Millionen verkaufen möchte. Man habe „die Entscheidung getroffen, auf den Österreicher-Topf zu verzichten, weil wir der Meinung sind, dass man das dadurch fehlende Geld mit einem guten internationalen Transfer mehr als zurückholen kann“, erklärte Sturm-Sportchef Andreas Schicker. Aktuell gibt es noch viele tolle österreichische Top-Spieler. Aber bleibt das auch so?

"Der ÖFB ist weiterhin ein schwerfälliger Verband, der derzeit keinen Ärger anrichtet. Etwas glücklich geriet der Verband an den richtigen Teamchef. Eine dringend notwendige Struktur-Reform wurde aber geschickt verdrängt." - Gerald Gossmann

In einer vom Internetportal Laola1 zusammengestellten Rangliste der teuersten Teenager der Welt lag im Juni ein Spanier an der Spitze. Gavi vom FC Barcelona. Marktwert: 90 Millionen Euro. Der teuerste österreichische Jugendliche? Salzburg-Jungstar Dijon Kameri. Marktwert: vier Millionen Euro. Weltweit belegt er damit den 80. Platz. Ihm folgt der Rapidler Leopold Querfeld, Marktwert: drei Millionen. Bei den etwas älteren Spielern bliebe Yusuf Demir mit fünf Millionen Marktwert. Und: Matthias Braunöder oder Matthias Seidl mit je zwei Millionen. Bald müssen die in die Jahre gekommenen ÖFB-Stars Arnautovic und Alaba abgelöst werden. Aber genügend Top-Spieler – etwa Stürmer, Mittelfeld-Asse, Tormänner – von internationalem Format entwickeln sich in Österreich gerade nicht.

 

Der ÖFB

Der ÖFB gibt derzeit ein hervorragendes Bild ab. Dank eines Mannes: Ralf Rangnick. Der Deutsche überstrahlt alles. Er mischt sich überall ein. Gibt die Richtung vor. Und hat – entscheidend für das öffentliche Bild des ÖFB – das Nationalteam im Griff. Im Verband versuchen viele Schritt zu halten. Oder besser gesagt: Sie müssen das Tempo anziehen. Doch wie gut wäre der ÖFB aufgestellt, würde Rangnick bei einer guten EM abgeworben werden? Dann bliebe bloß der bisherige ÖFB über. Mit seinen Landesfürsten. Den Streitigkeiten. Und dem Entscheidungs-Wirrwarr. Matthias Sammer kritisierte zuletzt im Podcast „Phrasenmäher“ die Mängel im DFB. „Die Position eines starken Sportdirektors fehlt weiter“, sagte er.

Und: „Der Präsident, die Generalsekretärin, die Landesfürsten – dieses System ist nicht mehr zeitgemäß“. Das alles sei keine Konstellation, „die garantiert, dass wir für die Zukunft gut aufgestellt sind“. Es klingt, als beschriebe Sammer hier den ÖFB. Die Probleme jedenfalls gleichen sich. Im ÖFB sonnen sich einige gerade im Licht des Erfolgs. Doch allzu viel davon hängt an einer Person: Ralf Rangnick. Er ist das Gesicht des Aufschwungs. Der ÖFB ist weiterhin ein schwerfälliger Verband, der derzeit – hinter all dem Erfolg gut versteckt – keinen Ärger anrichtet. Etwas glücklich geriet der Verband an den richtigen Teamchef. Eine dringend notwendige Struktur-Reform wurde aber geschickt verdrängt.

 

Fazit

Im österreichischen Fußball hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles verbessert. Etwa die Infrastruktur. Salzburg, der LASK, Rapid, die Austria, sogar Blau-Weiß Linz und Austria Klagenfurt verfügen über zeitgemäße und moderne Stadien – weitere sind gerade in Bau oder Planung. Die Liga profitiert vom geistigen Konstrukt der Salzburger, das in Linz, Graz und neuerdings auch in Wien kopiert werden will. Und das Nationalteam ist so stark wie lange nicht – weil neben den mutigen Top-Spielern endlich auch ein mutiger Top-Trainer am Werk ist. Das alles überschattet die Baustellen im österreichischen Fußball. Vielen mag das ganz recht sein. Sonnen und zurücklehnen ist angenehmer, als die Ärmel aufzukrempeln. Doch das wird notwendig sein. Es drohen Pleiten ganzer Klubs, heimische Top-Talente sind auf einer Hand abzuzählen, die Liga stürzt im internationalen Vergleich ab. Schon einmal, vor der EM 2016, dachten alle: Der Aufstieg ist für immer. Der ÖFB gab sich modern. Das Nationalteam war Zehnter der Welt. Was damals keiner ahnte: Es war der Beginn des Abstiegs vom Aufstieg.

Über Gerald Gossmann

Gerald Gossmann ist freier Journalist, schreibt für "Profil", "Die Zeit" und ist Kolumnist bei 90minuten.at.

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