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Grazer Derby: Sturm verliert gewonnenes Spiel [12 Meter]

Nach dem Cupmatch zwischen Sturm und dem GAK dreht sich kaum noch etwas um das Spiel. Unnötige Aktionen von Leuten aus dem Sturmumfeld ziehen weite Kreise. Und sie zeigen eine Reihe von Problemfeldern auf, die differenziert zu betrachten sind.

+ + 90minuten.at PLUS - Ein 12 Meter von Jürgen Pucher + +

 

Statt einem sportlichen Cup-Highlight wurde das Grazer Derby letzte Woche zu dem, was viele befürchtet haben: Einem Spiel zum Vergessen. Vor der Partie meinten einige Sturmfans im Stadion, sie müssten sich auf den Weg machen, um dem GAK Teile seiner Choreografie zu klauen. Sie waren zu früh dran und nahmen dann stattdessen einen mobilen Fanshop ins Visier. Davon kursiert nun ein an Lächerlichkeit kaum zu überbietendes Video mit flüchtenden Menschen in schwarz, die bündelweise offizielles rot leuchtendes GAK Merchandising davontragen. Der Wunsch war cooler Ultrastyle, das Ergebnis peinlicher Hasenfuß. Zu dieser jämmerlichen Episode kommen aber auch noch Raketen auf Menschen schießen, vor dem Spiel komplett absurde Hasspredigten vom Vorsänger der Sturm-Fanszene in der Gruabn und nach dem Spiel wenig erbauliche Videos mit Übergriffen von vermeintlichen Sturmfans auf einzelne GAK-Anhänger.

 

GAK bei Spielorganisation überfordert, Sturm kommuniziert zu zaghaft

Bei allem, was sich da einige Idioten im Sturmgewand vorzuwerfen haben, muss aber auch eines festgehalten werden: Wie der GAK die öffentliche Klaviatur dazu bedient ist beides zugleich: sehr geschickt und auch ein bisserl schäbig. Da rückt der Obmann aus und spricht von 4.000 aggressiven Fans, die auf das Stadion zugestürmt seien, um sich Zutritt zu verschaffen. Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine dreiste Lüge. Da gibt es den Geschäftsführer des GAK, der seit dem Derby gefühlt jeden im Grazer Telefonbuch anruft, um Begriffe wie „Menschenjagd“ und „Raubüberfall“ rauf und runter zu posaunen. Er möge sich selbst überlegen, ob das zur Deeskalation der ganzen Situation beiträgt. In jedem Fall hat man es relativ leicht geschafft, die öffentliche Meinung in die eigene Richtung zu beeinflussen. Sturm hat hier zu spät und zu zaghaft kommuniziert und dem Stadtrivalen das komplette Feld überlassen. Erst Tage später kommen Worte des Bedauerns und die Ankündigung von Maßnahmen für die Zukunft.

"Beim Moralzeigefinger heben ist man also beim GAK recht flink, beim Hausaufgaben machen bleibt noch einiges zu tun." - Jürgen Pucher

Wie gut man Spiele dieser Größenordnung beim GAK organisieren kann, ist auch eine zu stellende Frage in dieser Gemengelage. Darüber sprechen Obmann und Geschäftsführer der Roten aber nicht so gerne. Noch ohne Untersuchung im Detail deutet vieles auf einige Mängel in diesem Bereich hin. Der Ordnerdienst schien unterbesetzt, in jedem Fall ist bekannt, dass Sturm für solche Spiele rund doppelt so viele Leute einsetzt. Der Einlass in den Sturm-Fansektor hat schlicht gar nicht funktioniert. Viele Tickets wurden mehrmals verwendet, weil das Scansystem nicht funktioniert hat. Irgendwann hatte man den Eindruck, die Ordner am Einlass haben aus Überforderung überhaupt jegliche Kontrolle aufgegeben. Beim Moralzeigefinger heben ist man also beim GAK recht flink, beim Hausaufgaben machen bleibt noch einiges zu tun.

 

Sicherheitsgipfel: die Grazer Stadtpolitik soll brav mitschreiben

Nun ist es mehr als wahrscheinlich, dass es dieses leidige Fußballspiel in der nächsten Bundesligasaison mehrmals zu absolvieren gilt. Der GAK führt die zweite Liga überlegen an und wird wohl der nächste Aufsteiger sein. Beide Klubs sind jetzt mehr als gefordert, sich nach einer Abkühlungsphase zusammenzusetzen und sich tunlichst zu überlegen, wie man mit dieser Situation umgehen wird. Und auch die Fanszene der Schwoazn wird sich überlegen müssen, wohin die Reise gehen soll. In den letzten Monaten ist allzu offensichtlich geworden, dass der Wegfall alter Kurvengrößen zu wenig erfreulichen Entwicklungen geführt hat. Nicht akkordierte Aktionen, die ein schlechtes Licht auf die Kurve werfen werden zunehmend mehr. Das aktuelle Führungsvakuum muss schleunigst beendet werden und ein gewisser interner Reinigungsprozess ist wohl nötig, will man nicht das positive Image der Sturmkurve, in Fankreisen und der breiten Öffentlichkeit, aus den letzten Jahren beschädigen.

"Abschließend möchte ich noch eine Lanze für die große Mehrheit der Sturmfans brechen, die mit diesen Vorfällen nichts zu tun haben." - Jürgen Pucher

Um am Ende noch einmal das Thema nicht nur einseitig zu betrachten, hätte ich zunächst noch eine Botschaft an die geschätzte Grazer Stadtpolitik: Sich jahrzehntelang durch Untätigkeit auszeichnen, wenn es um Investitionen in das Stadion Liebenau oder eine Zwei-Stadien-Lösung in Graz geht, dann aber sofort mit einem „Sicherheitsgipfel“ zu Stelle sein, wenn es Vorfälle bei einem Spiel gibt, ist einfach nur ein Witz. Selbst die Polizei hält fest, dass Liebenau mittlerweile wegen fehlender Investitionen veraltet sei und ein modernes Sicherheitskonzept nicht angewendet werden kann. Lieber Stadtrat Eber, gehen Sie mit Ihrem Notizblock zu diesem Gipfel, und schreiben Sie brav mit, was im Stadion alles zu tun wäre. Sie sind der Eigentümer und deshalb für diese Mängel verantwortlich.

 

Ein paar Deppen sind nicht die Sturm-Community

Abschließend möchte ich noch eine Lanze für die große Mehrheit der Sturmfans brechen, die mit diesen Vorfällen nichts zu tun haben. Dem Chefredakteur der Kleinen Zeitung, der in einem Leitartikel von Bandenkriminalität, Stammeskriegen und Exzessen der Sturm-Community schreibt, sei ausgerichtet: Du trittst damit den allermeisten Leuten, die sich bei Sturm-Heimspielen in der Nordkurve befinden unangenehm zu nahe, weil sie damit nichts zu tun haben. Ich vermisse hier, wohl aus Gründen der Effekthascherei, eine differenzierte Sichtweise zum Thema. In diesem Sinne hoffe ich jetzt auf eine Phase der Entspannung und der konstruktiven Auf- und Verarbeitung der Geschehnisse.

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