Es kam Herbert Prohaska schon etwas spanisch oder gar italienisch vor, als der damalige ÖFB-Teamchef Josef Hickersberger ihn im Sommer 1988 gemeinsam mit seiner Frau zum Abendessen zum Plachutta eingeladen hatte.
Wenige Menügänge später war klar: Schneckerl wird drei Jahre nach seinem eigentlichen Ende der Teamkarriere noch einmal für drei Qualifikationsspiele (und ein Freundschaftsspiel gegen Italien) ein Comeback feiern. Die Mission: Dem jungen Team Erfahrung geben und so die Qualifikation für Italien 1990 schaffen.
Die Mission wurde erfüllt, die Achillessehne ließ jedoch keine weiteren Spiele mehr zu. Als "Belohnung" nahm der ÖFB Prohaska dennoch zur WM mit – als Attaché. Im gemeinsamen Interview mit Heinz Palme, damals Pressechef und für die ÖFB-Teamorganisation zuständig, blickt 90minuten noch einmal auf diese spannende Zeit zurück.
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90minuten: Herr Prohaska, wir sprechen heute über die WM 1990, die mittlerweile vor 35 Jahren über die Bühne gegangen ist. Im Rahmen der Qualifikation für das Turnier haben Sie damals ein Teamcomeback gegeben. Wie ist es eigentlich dazu gekommen?
Herbert Prohaska: Für mich war fix, dass ich im Sommer 1989 meine Karriere beende, weil es mit meiner Achillessehne einfach nicht mehr ging. Die war ständig entzündet. Irgendwann, bevor die Quali begonnen hat, hat der Hickersberger mich angerufen, und mich und meine Frau zum Essen eingeladen.
90minuten: Was haben Sie sich dabei gedacht?
Prohaska: Das hat der Hickersberger noch nie getan. Ich habe gefragt: Wie kommst du dazu?
90minuten: Was hat er darauf geantwortet?
Prohaska: Er möchte mit mir etwas besprechen und hat uns dann zum Plachutta eingeladen. Bei dem Essen hat er dann gemeint: Herbert, ich hätte gerne, dass du die Quali mit uns spielst.
90minuten: Wie haben Sie reagiert?
Prohaska: Ich habe gesagt, das kommt nicht infrage. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon drei Jahre nicht mehr im Nationalteam gespielt. Aber dann ist mir meine Frau in den Rücken gefallen und hat gemeint: Naja, einen Freund lässt man nicht hängen. Dann habe ich zugesagt, aber nur mit einem Kompromiss, dass ich nur noch bis Sommer (Sommer 1989; Anmerkung der Redaktion) spiele.
90minuten: Und es gab ja auch ein geplantes Freundschaftsspiel gegen Italien …
Prohaska: Ja, das hat mich natürlich gereizt, weil ich ja noch alle gekannt habe. Also habe ich dem Hicke zugesagt, ihm aber auch gesagt, dass ich viel riskiere. Weil wenn das nicht geklappt hätte, hätten alle gesagt: Na den haben wir jetzt noch gebraucht.
90minuten: Herr Palme, wie war das aus Ihrer Sicht, also der öffentlichen Wahrnehmung bei den Fans und vor allem Medien, als bekannt wurde, dass Herbert Prohaska ein Teamcomeback geben wird?
Heinz Palme: Es war für uns irgendwo ein Segen, dass diese Idee aufgekommen ist. Ich weiß nicht mehr genau, ob es der Hicke war oder Gigi Ludwig, aber wir haben gewusst, die Mannschaft braucht Unterstützung, weil viele Spieler noch so jung waren und eine Stütze gebraucht haben, und dass Herbert da der Anker sein kann.
90minuten: Herbert Prohaska als Anker. Gab es auch noch andere Spieler, über die nachgedacht wurde?
Palme: Es war klar, dass man das nur mit dem Herbert machen kann, weil er von der Persönlichkeit her und natürlich vom Können her der einzige war, dem wir das zugetraut haben. Er war der Spieler, zu dem die Jungen aufgeschaut haben, der das Spiel beruhigen konnte, den Ball halten konnte, wenn es hektisch wird. Das hättest du nicht mit einem anderen Spieler, zum Beispiel mit einem linken Verteidiger oder so, machen können. Also wir beim ÖFB waren sehr happy!
Ich habe mir gedacht: Wenn das mein letztes Spiel ist und wir verlieren das, das verkrafte ich ein Leben lang nicht. (lacht) Der Fußballplatz war beschissen. Aber wir haben dann 0:0 dort gespielt, und meine Mission war damit erfüllt.
90minuten: Hat Hickersberger auch gleich darüber gesprochen, wie er Sie einsetzen möchte?
Prohaska: Das erste Quali-Spiel von mir war gegen die Türkei. Spiele gegen die Türkei habe ich meistens gewonnen (lacht). Hicke hat mir gesagt, dass sich der Gegner auf mich konzentrieren wird aufgrund meines Namens und Herzog dadurch mehr Platz haben wird. Ich habe damals sicherlich nur durchschnittlich gespielt, aber der Plan ist aufgegangen. Ich habe Hicke aber schon damals gesagt, dass er nicht auf die Idee kommen braucht, dass ich dann noch mehr Spiele anhänge. Meine Achillessehne hätte das nicht ausgehalten und wäre sicher gerissen.
90minuten: Ihr allerletztes Spiel war dann in Island. Mit welchem Gefühl sind Sie in diese Partie gegangen?
Prohaska: Ich habe mir gedacht: Wenn das mein letztes Spiel ist und wir verlieren das, das verkrafte ich ein Leben lang nicht. (lacht) Der Fußballplatz war beschissen. Aber wir haben dann 0:0 dort gespielt, und meine Mission war damit erfüllt. Aber das Spiel in Island werde ich aus einem anderen Grund nie vergessen …
90minuten: Warum?
Prohaska: Der Schiedsrichter (Howard King aus Wales; Anm.) hat gewusst, dass es mein letztes Spiel ist, und hat zwei Minuten vor Schluss zu mir gesagt, ob er mein Trikot haben kann. Ich habe mir gedacht, dass ich noch nie einem Schiri mein Leiberl gegeben habe. Ich habe ihm gesagt: "Ja, ok, aber dann musst du jetzt abpfeifen." Er hat dann wirklich früher abgepfiffen, und ich war froh, dass wir nicht noch in der 92. Minute oder so ein Tor von den Isländern bekommen haben. (lacht)
90minuten: Gab es danach noch Versuche, Sie doch noch zu weiteren Spielen zu überreden?
Prohaska: Nein, ich war bei der Austria damals auch schon verabschiedet. Und ich habe gewusst, wenn ich weiterspiele, dann wird die Achillessehne irgendwann reißen. Das Risiko wollte ich nicht eingehen. Ich habe ja schon bei der Austria im letzten Jahr nur noch wenig trainiert, weil es einfach nicht mehr ging, weil die Schmerzen sofort da waren.
90minuten: Andi Herzog hat in einem Gespräch mit 90minuten gesagt, dass er sich sehr wohl gefühlt hat, mit Ihnen zu spielen, weil in den Phasen, wo es nicht so gut gegangen ist, hat er sich dann auf Sie verlassen können, Ihnen den Ball überlassen?
Prohaska: Da übertreibt er aber jetzt (lacht). Aber es freut mich, dass es ihn gefreut hat. Ich kann mich wirklich nicht mehr daran erinnern, wie ich diese Spiele gespielt habe. Es war sicher nichts Besonderes, aber scheinbar hat meine Anwesenheit mitgeholfen. Und somit war der Zweck erfüllt.
90minuten: Bei der WM war Herbert Prohaska dann als offizieller Attaché des ÖFB mit im Team. Wie hat sich das ergeben?
Palme: Die FIFA bzw. das Organisationskomitee aus Italien haben vorgegeben, dass jedes Team einen Attaché haben sollte. Durch die enge Verbindung von Herbert mit Italien war das für uns irgendwie logisch, weil es extrem gut gepasst hat. Irgendeinen Stinkstiefel hätten wir da nicht gebraucht, sondern jemanden, der das eigene Land repräsentiert und in Italien beliebt ist. Herbert Prohaska war die perfekte Besetzung dafür.
Zu einem Empfang mit Kanzler Vranitzky waren einige Gäste und Freunde eingeladen, darunter ein Prohaska-Freund, Herr Anton Österreicher. Als Vranitzky die Gäste alle einzeln begrüßt hat, stellte sich Herberts Freund mit Handschlag vor: "Österreicher" – und der Kanzler dachte "Aha, ein Landsmann" und antwortete: "Ich auch..."
90minuten: War klar, was auf den Herbert da zukommen wird?
Palme: Nein, das haben wir zunächst nicht gewusst. Der Herbert hat aber schnell signalisiert, dass sich das ausgeht. Er war ja zu dem Zeitpunkt Sportdirektor bei der Austria und nach der Saison hatte er dafür Zeit. Herbert hat dann in Italien für den ÖFB bei Terminen und Empfängen teilgenommen. Und auch für einen besonderen Moment gesorgt.
90minuten: Welchen?
Palme: Zu einem Empfang mit Kanzler Vranitzky waren einige Gäste und Freunde eingeladen, darunter ein Prohaska-Freund, Herr Anton Österreicher. Als Vranitzky die Gäste alle einzeln begrüßt hat, stellte sich Herberts Freund mit Handschlag vor: "Österreicher" – und der Kanzler dachte "Aha, ein Landsmann" und antwortete: "Ich auch..."
90minuten: Hat Sie diese Aufgabe begeistert?
Prohaska: Da war zum Beispiel in Florenz eine Messe mit allen teilnehmenden Ländern und ich durfte Österreich vertreten. Das hat mir schon gefallen. Ich muss ehrlich sagen, dass ich dankbar bin, weil es ein bezahlter Urlaub für mich war, und ich keine Verantwortung tragen musste. Ich bin quasi als Fan mitgefahren, durfte die Weine der Region verkosten, was mir nicht unangenehm war. (lacht)
Palme: (lacht) In unserem Teamquartier ist der Staff mit Herbert oft bis nach Mitternacht gesessen, Herbert hat stundenlang Anekdoten erzählt.
90minuten: Wie haben Sie die WM dann erlebt?
Prohaska: Leider Gottes haben die Resultate nicht gepasst, auch wenn es denkbar knapp war. Man verliert im Finish gegen Italien, der Pfeffer macht einen super Haken und man verliert gegen Tschechien. Der Sieg gegen die USA hat dann nicht gereicht.
Palme: … es hat ein kleiner Prohaska gefehlt (lacht) …
90minuten: Das Spiel gegen die Tschechen war der Knackpunkt …
Palme: Wir hatten damals über den ÖFB nur rund 4.000 Tickets von der FIFA erhalten und an österreichische Fans verkauft. Als wir mit dem Bus zum Stadion gefahren sind, habe ich schon gemerkt, wie das auf die Spieler wirkt. Am Straßenrand waren tausende Fans und immer mehr rot-weiß-rote Fans zu sehen. Unsere Spieler sind immer blasser geworden. Herbert, wir sind damals auf der Tribüne nebeneinander gesessen, und haben uns nach fünf Minuten im Spiel angesehen: Da fehlt Routine, das wird heute schwer.
Prohaska: Ja, die Mannschaft hätte den einen oder anderen Routinier gut vertragen können.
90minuten: War es eigentlich von Beginn an geplant, dass Sie auch im Training mit dabei sind?
Prohaska: Nein, es war ganz einfach so, dass es, wenn es sich von der Spieleranzahl nicht ausgegangen ist, dass der Hicke zu mir gesagt hat, dass ich beim abschließenden Trainingsmatch mitspielen soll.
90minuten: Herzog hat gemeint, dass Sie bei den Trainingsspielen der beste Österreicher waren? "Er war mit Abstand der beste Mann am Platz. Das war für uns nicht so schön, da ist der Rentner gekommen und hat gezaubert."
Prohaska: (lacht) Ich bedanke mich für alles bei ihm, nur den Rentner kann er sich sparen.
Palme: Ich erinnere mich, dass auch Hicke das in einer Pressekonferenz angesprochen hat, dass der Herbert der Beste im Training war.
Prohaska: Das klingt für mich heute wie ein Ritterschlag. Nur damals hat er mir und sich selbst keine Freude gemacht, weil du ja eigentlich alle anderen, die wirklich auf dem Platz stehen müssen, abwertest. Das hätte er eigentlich nicht sagen sollen.
90minuten: War es medial ein Thema? Also, dass von Medien gefordert wurde, dass Prohaska so gut ist und eigentlich auch bei der WM hätte spielen sollen?
Palme: Die Journalisten haben die Trainings natürlich auch beobachtet und hin und wieder ist diese Frage schon aufgekommen. Aber ich habe es auch schon in meinem Buch geschrieben, dass ich es nicht gut gefunden habe, dass der Herbert damals mit der Mannschaft mittrainiert hat. Das hätte der Hicke nicht machen sollen.
Prohaska: Ich glaube nicht, dass das ein Fehler war, weil bei diesen abschließenden Spielchen ging es nicht um Taktik. Das habe ich als Trainer tausende Male genauso gemacht, ein lockeres Match am Ende des Trainings.
Die Feier am Ende war sehr lustig. Hannes Kartnig ist mit seinem Mercedes gekommen, hat die Türen aufgerissen und die Boxen in seinem Auto voll aufgedreht. Da war so eine große Antenne oben auf dem Auto, die wurde dann von Keglevits und anderen immer wieder herumgebogen als sie auf dem Auto gestanden sind.
90minuten: Wie haben Sie Hickersberger während der WM wahrgenommen?
Palme: Der Hicke war ja früher beim ORF Teletext und ist halt da aus- und eingegangen. Und heute hast du fünf Analysten, die alle Videos schneiden, jede Szene. Der Hicke hat damals angefangen, wirklich die Spiele zu zerlegen. Der ist gesessen, zwei Tage am Küniglberg und hat alle Szenen, die signifikant waren, geschnitten.
Prohaska: Man braucht sich nur den Werdegang von Hicke anschauen. Der ist ein g'scheiter Bursch. Er war ein guter Kicker, auch als Trainer erfolgreich. Natürlich könnte man im Nachhinein immer etwas besser machen und sagen. Aber ich habe mich während der WM nie in seine Sachen eingemischt, aber natürlich haben wir ab und zu über die kommenden Gegner oder unsere Spieler gesprochen.
90minuten: Apropos Spieler. Toni Polster hat die WM 1990 noch nicht geprägt …
Prohaska: Der Toni war bei der WM 1990 noch relativ jung. Er hat ja immer wieder mal erzählt, dass er sich als Fußballer alles hart erarbeiten musste. Da muss ich immer darauf sagen: Na, nicht einmal einen Tag hast du hart gearbeitet (lacht). Der Toni hat einfach das Talent, er ist ein Naturtalent, er konnte mit links und rechts Tore schießen, oder mit dem Kopf. Toni war zum Glück nicht abhängig von seiner Fitness (lacht).
90minuten: Eines wollte ich noch fragen. Es gab angeblich eine legendäre Abschlussfeier im Teamquartier, nachdem klar war, dass man sich nicht für die K.-o.-Runde qualifiziert hat. Wie haben Sie diese miterlebt?
Prohaska: Auch wenn sie ausgeschieden sind: So etwas gehört sich, weil es trotzdem ein Erfolg ist, wenn man sich mit Österreich für eine Weltmeisterschaft qualifiziert. Es ist auch kein Anlass zu sagen, wir verstecken uns jetzt, legt euch nieder und wir fliegen heim und gehen nicht mehr auf die Straße. Alle drei Ergebnisse waren okay und nicht skandalös oder ähnliches. Nach dem Ausscheiden fällt alles von dir ab und du gehst zwei Tage später auf Urlaub.
Palme: Es war eine sehr lustige Feier, vor allem als Hannes Kartnig dann mit seinem Mercedes gekommen ist. Es gab keine großen Musikboxen im Quartier und Kartnig hat seinen teuren Mercedes zur Verfügung gestellt. (lacht) Und dann die Antenne oben auf dem Auto ….
Prohaska: Die Feier am Ende war sehr lustig. Hannes Kartnig ist mit seinem Mercedes gekommen, hat die Türen aufgerissen und die Boxen in seinem Auto voll aufgedreht. Da war so eine große Antenne oben auf dem Auto, die wurde dann von Keglevits und anderen immer wieder herumgebogen als sie auf dem Auto gestanden sind.