WM-Splitter 1990: Alles und nichts über die WM
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WM-Splitter 1990: Alles und nichts über die WM

Wenn Schmähbrüder wie Andreas Herzog und Toni Polster zur Weltmeisterschaft fahren, gibt es viel zu erzählen – und mehr zu lachen und zu wundern. 90minuten mit den interessantesten rot-weiß-roten Stories und mehr.

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Am 1. Jänner 1988 hatte Josef 'Pepi' bzw. 'Hicke' Hickersberger sein Amt als Teamchef angetreten. Die Marschroute war typisch rot-weiß-rot: "Italien kommt für meine Mannschaft zwei, drei Jahre zu früh". Vor allem, wenn man bedenkt, dass er nach der Quali-Halbzeit meinte: "Zwei Jahre Teamchef ist eine Zeit, die reicht."

Das Ziel lautete Achtelfinale, Österreich hat aber zu oft sich und auch den anderen ein Bein gestellt. 90minuten hat Geschichten und G'schichtln rund um die WM 1990 zu einem Kuriositäten-Kabinett gezimmert.

Manches klingt sehr aktuell, etwa dass Österreich als Geheimtipp galt – anderes, wie VHS-Kassetten, müssen die einen oder anderen jüngeren Lesenden jetzt wohl erstmals googeln …

Dem Kapitän den Zahn gezogen

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Bruno Pezzey hätte Abwehrchef sein können, Teamchef Hickersberger entschied sich aber für Heribert Weber, was wiederum Pezzeys Teamkarriere beendete. Vor dem denkwürdigen 3:0 gegen die DDR war Weber aber aufgrund einiger Zahnarztbesuche beim Training. Hicke wollte ihn auf die Bank setzen, das wollte sich der Routinier nicht antun und landete auf der Tribüne. Ernst Aigner lief stattdessen auf und zur WM.

Toni, lass es polstern

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Apropos DDR. Das Thema "Toni Polster" war für Hicke im Vorfeld "aufgebläht". Es gab während der Qualifikation öffentliche Diskussionen, ob Polster spielen sollte oder nicht. Letztlich schoss er Österreich mit der Gala gegen die DDR zur WM. Der Torjäger krönte seine bis dahin sportlich beste Saison (33 Tore alleine in La Liga für Sevilla) mit der Hochzeit im Marchfelder Hof in Deutsch-Wagram.

Der Ehe mit Lisi entsprangen Anton-Jesus und Lisa-Marie (2008 folgte die Scheidung, Anm.). In Bezug auf die WM war er mehr als optimistisch: "Ich habe mich für fünf Wochen Aufenthalt eingerichtet." Mittelfeldmann Peter Artner dürfte es schon geahnt haben, dass alles schwierig wird, bezifferte er seinen Aufenthalt auf vermutlich drei Wochen.

Dazu passend übrigens ein Klassiker der TV-Geschichte: ORF-Reporter Peter Elstner wollte nach dem 3:0 gegen die DDR in die Kabine, um die jubelnden Teamkicker zu filmen.

Ich bin überzeugt, wir kommen weiter.

Bundeskanzler Franz Vranitzky, bei der Verabschiedung mit Musik von u.a. Boris Bukovski und Harald Juhnke

Vom Arbeitsgericht nach Italien

Bleiben wir im Sturm. Denn es gab nicht nur Aufregung um Polster, sondern auch um Gerhard Rodax. Der hatte für die Admira gerade in der Saison vor der WM 35 Goals geschossen. Atlético Madrid wollte den Stürmer holen. Mit ein Grund war ein tolles Solo beim 3:2 gegen Spanien im Vorfeld der WM.

Jedenfalls verweigerte ihm die Admira die Freigabe, die er erst mühsam vor dem Arbeitsgericht erstreiten musste. Die Südstädter sollen 30 Mio. Schilling als "Schmerzensgeld" erhalten haben, das wären heute wohl 2,4 Mio. Euro.

Absage an Loch 9

Die Enttäuschung ging, dem Golfsport blieb er erhalten: Franz Wohlfahrt
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Die Enttäuschung ging, dem Golfsport blieb er erhalten: Franz Wohlfahrt

35 Jahre, das ist eine lange Zeit. Heutzutage wäre folgendes nicht passiert: Kurz vor der WM musste Hicke einen aus dem Tormannquartett streichen, die Wahl fiel auf Franz Wohlfahrt. Dem Teamchef war die Entscheidung für Lindenberger, Konsel und Konrad nicht leicht gefallen, wie er betonte. Außerdem erreichte er Wohlfahrt nicht. Der hatte nämlich gar kein Telefon.

Nach einigem durchtelefonieren hatte Hickersberger Wohlfahrt erreicht: Bei Loch neun am Golfplatz in Ebreichsdorf: "Nie mehr werde ich hier an diesem Loch spielen." Das gab Wohlfahrt zu Protokoll, 90minuten recherchiert aktuell, ob er bei dieser Drohung blieb. Detail am Rande: Auch den damaligen noch-Teenager Thomas Flögel, der letztlich nicht mitfuhr, erreichte man am Golfplatz.

Eingesperrt im Paradies

Über das WM-Quartier in Südtirol gibt es geteilte Meinungen. Manche meinen, es wäre toll gewesen, mit Pressezentrum im Weinkeller und im Endeffekt sehr rot-weiß-rot anmutend, weil Südtirol. Allerdings erzählen die Spieler etwas anderes, denn das Quartier war mehr ein Gefängnis, es war "irgendwo im nirgendwo".

Damit gab es wenigstens keine Ablenkung. Darüber machte man sich auch in Italien Gedanken:

Keuschheit der Sportler vor und während eines großen Bewerbes ist ein heiß dabattiertes, aber noch immer ungelöstes Problem. Die Spieler müssen sich auf Training, Studium der Gegner und Taktik konzentrieren.

Italien-Teamchef Azeglio Vicini

Vorbereitung mit VHS

Während Videoanalyse heute einfach ist, brauchte es damals mehr. Video-Studium war so außergewöhnlich, dass die Presse sogar erfuhr, welche Spiele enthalten waren:

Spiele zur WM-Vorbereitung

Italien - UdSSR (EM-Halbfinale)

Italien - Griechenland

Schweiz - CSFR

England - CSFR

BRD - CSFR

DDR - USA

Ungarn – USA

Dies war auch bitter notwendig, vor allem wegen des WM-Ausrichters in vier Jahren, den USA. Der Teamchef hatte sie nicht auf die leichte Schulter genommen, kannte im Vorfeld aber nur "Caliguri, der in der Deutschen Bundesliga beim HSV gespielt hat".

Auf den VHS-Kassetten waren übrigens noch Spielfilme, Comics und Komödien, damit die Spieler Abwechslung hatten.

Österreichs Schiribeitrag

Einigermaßen verwunderlich: Österreich hatte einen Schiedsrichter in WM-Form. Noch verwunderlicher als der Umstand, dass er Helmut Kohl hieß, war, dass er damals bereits 47 Jahre alt war, erst mit 38 Jahren pfiff er 1981 das erste Mal ein Bundesligapsiel. Bei der WM fiel er nach zwei Vorrundenpartien im Viertelfinale auf:

Deutschland führte 1:0, da zeigte Kohl dem Tschechoslowaken Ľubomír Moravčík Rot. Er hatte sich darüber geärgert, weil ihm nach einem Zweikampf mit Pierre Littbarkski ein Freistoß verweigert wurde und dieser daraufhin den linken Schuh, der ihm da von der Ferse gerutscht war, weggekickt hatte.

Ein Rennen ist schnell vorbei, aber beim Fußball muss man ja 90 Minuten mitzittern.

Petra Kronberger, damals im Skifahren Weltklasse - als Expertin eher Landesliga

Schon damals viel Betrieb

Vieles klingt bis hierhin vertraut, so manches anachronistisch. Rund ums Team gab es schon einiges. Stellvertretender Chef der rot-weiß-roten Delegation ist ÖFB-Vize-Präsident und Bundesliga-Vorsitzender Hans Reitinger. Selbstverständlich wird auch Beppo Mauhart seinem Team an Ort und Stelle die Daumen drücken. Der ÖFB-Präsident wird jeweils einen Tag vor den Spielen anreisen. Bleibt zu hoffen, dass er die Reisestrapazen über die Vorrunde hinaus auf sich nehmen muss.

Der ÖFB-Betreuer-Stab in Italien:

Delegation:
Beppo Mauhart, Delegationsleiter
Hans Reitinger, Stellvertretender Delegationsleiter
Friedrich Wendl, ÖFB-Kassier und Mitglied der Delegation
Alfred Ludwig, Generalsekretär und administrativer Leiter
Heinz Palme, Pressechef und Teamorganisation
Herbert Prohaska, ÖFB-Attache
Herbert Hübel, Dolmetscher
Susanne Millonig, Sekretärin
Wolf-Dieter Untiedt, Sicherheitsbeauftragter

Technischer Stab:
Josef Hickersberger, Teamchef
Walter Gebhardt, Assistenztrainer
Gerhard Hitzel, Assistenztrainer
Friedl Koncilia, Torwarttrainer
Oswald Schwinger, Arzt
Anton Kulovits, Masseur
Johann Hartweger, Masseur
Helmut Legenstein, Zeugwart
Georg Pesek, Koch

Promigäste sind Promigäste

Hickersberger und Prohaska hatten, wie später auch, wohl einiges zu lachen mit dem Teamkickern
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Hickersberger und Prohaska hatten, wie später auch, wohl einiges zu lachen mit dem Teamkickern

Für Ablenkung soll übrigens Sportministerin Hilde Havlicek gesorgt haben, die zwei Tage lang vor dem zweiten Gruppenspiel im Teamquartier veweilt war und dort schwimmen war, was einem bekannten Kollegen noch immer im Kopf geblieben war ("Bewundernd beobachtet von den Spielern", schrieb er.). Nebst Bundeskanzler Vranitzky und seinem Vize Josef Riegler schaute auch Gesamtweltcupsiegerin Petra Kronberger vorbei.

Vienna-Präsident und Obmann des Wiener Handels, Walter Netting, der das organisiert hatte, war bei der Tischrede überzeugt, dass Italien Weltmeister wird – und Österreich Vizeweltmeister. Die spätere Weltmeisterin und Olympiasiegerin gab zu Protokoll: "Ein Rennen ist schnell vorbei, aber beim Fußball muss man ja 90 Minuten mitzittern. Einmal was ganz anderes und ein wirklich schönes Erlebnis." Das hatten offenbar auch die Kicker, sie verabschiedeten sie mit "Petra, bleib' noch da..."-Chören...

Na, Mahlzeit!

Genauso wie bei den Videokassetten wurde die Presse auch vom Tagesablauf informiert. Hier der Speiseplan für den Tag, an dem Österreich auf Italien traf:

Spätestens 10 Uhr: Frühstück: Kaffee, Tee, Orangensaft, Weiß- und Schwarzbrot, Butter, Marmeladen, Honig, Müsli, Schinken, Eier, Käse
13 Uhr: Mittagessen: Bouillon mit Ei, Spaghetti Bolognaise oder Carbonara, Beefsteak, Petersilkartoffel, grüner Salat, Kaiserschmarren mit Kompott
18 Uhr: Jause: Kaffee, Tee, Orangensaft, Marmorkuchen, Schinken und Käsebrote

Nicht gerade leichte Kost …

Genau geschaut? Na, bitte nicht!

Ein Fundstück zwischendrin: Sehhilfen waren damals verpönt. Noch in den 1970er-Jahren waren es laut Kurier-Journalisten-Legende "nur ein paar G'studierte, die sich klammheimlich Haftschalen aufs gezreizte Auge drückten". Manfred Zsak oder Peter Schöttel trugen sie 1990 schon ganz selbstverständlich.

Das war's dann wohl

Teamchef Hickersberger, Realist

Rauchender Nicht-Raucher

Vorbei war es am Schluss noch nicht. Nach dem 2:1 gegen die USA gab es noch die Möglichkeit, als einer der vier (von sechs) besten Gruppendritten aufzusteigen. Der "Schande von Gijon" zum Dank wurden die letzten Spiele der jeweiligen Gruppen zwar am selben Tag ausgespielt, aber - wie heute bei der EM - muss man manchmal warten. Zwei Tage zitterten die Österreicher, ob sich das Achtelfinale nicht doch ausgehen würde. Der ORF hatte schon Kameras aufgebaut, um den Jubel zu filmen. Aber zunächst schlug Uruguay Südkorea in der 93. Minute durch ein Abseitstor mit 1:0.

Hickersberger schrie "Draht's des Licht ab", als das Tor fiel. Der Nicht-Raucher soll sich mit einem Zigarillo beruhigt haben und gemeint: "Das war's dann wohl". Er ging golfen. Die letzte Mini-Chance: Holland musste am Abend Irland schlagen, führte auch 1:0, aber es gab ein 1:1 und am Ende Rasenschach wie acht Jahre zuvor in Gijon zwischen Deutschland und Österreich.

Und aus!


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