2016

Wieso Österreichs Defensive so löchrig war und die Abwehr wenig dafür kann

Nicht die Qualität der Abwehr war das Problem für die Niederlage gegen Serbien, sondern der Matchplan und die Tatsache, dass dieser während des Spiels nicht korrigiert wurde. Eine Taktik-Analyse von Momo Akhondi

 

Marcel Koller meinte nach dem Spiel gegen Wales, dass der kommende Gegner Serbien „das gleiche System spielt wie die Waliser“. Der Teamchef dürfte sich hierbei wohl auf die drei Innenverteidiger bezogen haben, mit denen die Serben in der Regel verteidigen. Das hat, in der Tat, durchaus Ähnlichkeit zu der Waliser Defensivformation. Das ÖFB-Team setzte also seine Flügelspieler, wie bereits gegen Wales, auf die Schnittstellen der Serbien-Abwehr.

 

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Bild 1 – Serbien mit Fünferkette und Arnautovic auf dem Sprung

 

Ein nachvollziehbarer Schritt des Teamchefs, konnte man doch gegen Wales mit dieser Ausrichtung überraschen. Doch genauso wie die Viererreihe des FC Barcelona durchaus Unterschiede zu jener von Atletico Madrid hat, haben auch Fünferketten untereinander viele verschiedene Varianten. Dass die Umformungen einer Dreier/Fünferabwehr durchaus variabel sind, konnte man bereits in der >>> letzten Analyse auf 90minuten.at lesen.

 

Die Serben interpretierten die Fünferkette auf ihre Art und Weise. Der Wechsel zur Viererkette passierte nicht immer auf beiden Seiten gleich. Vielmehr gab es einen Unterschied zwischen der Rolle von Kolarov und jener von Rukavina.

 

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Bild 2 – Rukavina mit besonderer Rolle

 

Nicht nur wenn der Ball auf seine Seite gespielt wurde, sondern sobald sich kein Österreicher auf dem Flügel befand, rückte Rukavina eine Reihe nach vorne. Der Spanien-Legionär „zockte“ sozusagen auf einen Ballgewinn und versuchte bei Ballgewinnen schnell in die gegnerische Hälfte zu kommen. Denn der Konterplan der Serben war gut durchdacht.

 

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Bild 3 – klassische Konterszene der Serben

 

Rukavina löste sich bei Ballgewinn schnell von seinem Bewacher Arnautovic und zwang Kevin Wimmer dadurch aus der Abwehr rauszurücken, um ihn zu stellen. In der Zwischenzeit versuchten die restlichen Offensivspieler bei Serbien zwei Sachen:


1) Den Raum in Wimmers Rücken nutzen
2) Den Rest der österreichischen Abwehr mit möglichst vielen Spielern überladen

 

In vielen Medien wurde Kevin Wimmer nach dem Spiel gegen Serbien schlecht bewertet, auch bei den Fans wurde der Tottenham-Legionär stark kritisiert. Diese Kritik muss in diesem Kontext jedoch relativiert werden. Der Plan der Serben sah es vor, gegen die Abwehr der Österreicher zumindest Gleichzahl herzustellen und jeden einzelnen Verteidiger des ÖFB-Teams dadurch in 1-gegen-1- Situationen zu bringen. Es entstanden dadurch 50:50 Entscheidungen. Geht der Spieler auf den Ballführenden? Oder kümmert er sich um den freien Spieler in seinem Rücken? Diese Ausrichtung war prinzipiell ein Spiel mit dem Feuer für das Team von Marcel Koller. Das Problem der Abwehr war an diesem Abend nicht, dass sie nicht die Qualität hatte, die Situationen zu lösen, sondern, dass der österreichische Matchplan dafür sorgte, dass die Abwehr fast im Minutentakt von den Serben in Gleich- oder sogar Überzahl attackiert wurde.

 


Willi Ruttensteiner fand in der Halbzeit kritische Worte zur Leistung des ÖFB-Teams. Er beschwerte sich vor allem über den Raum, den die Serben zwischen den Linien der Österreicher vorfinden konnten und forderte dementsprechend höhere Kompaktheit gegen den Ball. Der Raum zwischen den Linien der Österreicher war jedoch nicht die Ursache für die Defensivprobleme. Vielmehr war es nur ein Symptom der eigentlichen Problematik.

 

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Bild 4 – Nicht viel Raum zwischen den Linien, das Problem ist wo anders gelagert: Die Abwehr kann nicht rausrücken, ohne in Probleme zu geraten.

 

Durch die hohe Anzahl an Serben in der Abwehr der Österreicher, war jeder Verteidiger an die letzte Linie gebunden. Das simple Herausrücken eines Verteidigers, um den Ballführenden unter Druck zu setzen, war nicht ohne Weiteres möglich, da es zwangsläufig dazu führte, dass ein anderer Serbe dadurch frei stand. Auf Bild 4 ist Hinteregger gezwungen auf Tadic rauszurücken, damit dieser sich nicht frei zwischen den Linien aufdrehen kann. Dadurch ist jedoch einerseits Mitrovic anspielbar, weil Dragovic selber an einen Gegenspieler gebunden ist. Andererseits ist erneut Rukavina frei (roter Kasten), da Wimmer hinter Hinteregger absichern muss.


Ein weiteres Beispiel für dieses Problem war das erste Tor der Serben.

 

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Bild 5 – Hinteregger muss auf seinen Gegenspieler rausrücken, Arnautovic ist noch vor Rukavina.

 

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Bild 6 – Hinteregger hat jetzt die Abwehr verlassen, Rukavina ist Arnautovic schon entwischt, deshalb muss Wimmer zu ihm. Arnautovic und Sabitzer stehen zwar hoch, doch das ist in dieser Situation ihre Aufgabe.

 

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Bild 7 – Dragovic hat auch einen direkten Gegenspieler und verliert diesen 1 gegen1. Klein rückt ein wenig zaghaft in die Mitte.

 

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Bild 8 – Klein muss Tadic stellen, jetzt stößt Mitrovic dazu. Diese Situation ist für Österreich nicht mehr zu verteidigen.

 

Viele Leser werden sich an dieser Stelle die Worte des Teamchefs in Erinnerung rufen, der vom Mittelfeld verlangte, dass man diese die „scheiß zehn Meter“ nach hinten machen muss. Doch diese Erklärung greift zu kurz.

 

Vor allem die österreichischen Flügelspieler, welche hier für Aushilfe hätten sorgen können, waren meist wenige Sekunden zuvor noch im Pressing beschäftigt. Hier einen Spagat zwischen Attackieren des Ballführenden und Absichern der Außenverteidiger zu fordern ist, ist vermessen. Vor allem wenn man bedenkt, dass Marcel Sabitzer bereits vor dem 1:0 einen weiten Sprint hingelegt hatte, um seinen Gegenspieler noch einzuholen.

 

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Bild 9 – Sabitzer kommt fast noch dran.

 

Man kann darüber streiten, ob ein schnelleres Nachrücken von Klein diese Situation hätte verhindern können. Fakt ist, dass die österreichische Abwehr konstant in Situationen kam, in denen sie im Nachteil war. Wenn man seine Verteidiger in zehn 50:50 Zweikämpfe ohne Absicherung schickt, darf man nicht verwundert sein, wenn dabei irgendwann welche verlorengehen.

 

Auch das Argument, dass die Außenspieler zu wenig für die Defensive getan hätten, scheint unzulässig, da dies kein strategischer Plan ist mit dem man einen Gegner wie Serbien wirklich die vollen 90 Minuten lang verteidigen kann. Zumindest nicht wenn man Ambitionen hat nach vorne gefährlich zu werden.

 



Was noch viel mehr verwunderte als die Kampf-Parolen von Koller nach dem Spiel („Das ist nur mental, das ist die Bereitschaft, den Weg zu gehen“), war die Art und Weise, mit der die Österreicher während des Spiels versuchten das serbische Angriffsspiel zu neutralisieren.

 

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Bild 10 – Wimmer muss wiedermal zu Rukavina. In seinem Rücken will Mitrovic entwischen, doch die Abwehr ist selber beschäftigt. Also muss Alaba mitgehen.

 

Versuchten die Serben in den Rücken von Wimmer zu kommen, musste immer wieder David Alaba einen serbischen Stürmer mannorientiert verfolgen. Abgesehen davon, dass Alaba seinem Gegenspieler in solchen Situationen immer nachlaufen musste, war diese Ausrichtung erneut nicht mit dem Offensivspiel der Österreich vereinbar, hatte Alaba doch eine sehr aktive Rolle, wenn die Österreicher den Ball hatten. Der Plan der Österreicher, die Überladungen der Serben zu verteidigen, ging also nur dann auf, wenn die Serben geordnet über den eigenen Spielaufbau angriffen.

 

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Bild 11 – Wimmer muss gegen Rukavina verteidigen und zeigt Alaba auf wen er zu achten hat.

 

In allen anderen Situationen fehlte schlichtweg ein Spieler in der Abwehr, um die massive Besetzung und das Herauslocken der Gastgeber verteidigen zu können.

 

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Bild 12 – die Überladungen der Serben stellen Österreich vor fast unlösbare Probleme

 

An dieser Stelle stellt sich die Frage: Wie soll die Viererkette diese Situation verteidigen?
Die Antwort kann eigentlich nur lauten: mit Verstärkung. Die österreichische Abwehr hätte in fast jeder dieser Situation einen weiteren Verteidiger gebraucht.

 

Dabei hätte Teamchef Koller mehrere Möglichkeiten gehabt, seiner Defensive numerisch zu helfen. Die offensichtlichste Lösung wäre gewesen, mit drei Innenverteidigern zu spielen, welche nicht nur einfacher zum Ball durchgeschoben hätten, sondern auch mit mehr Absicherung im Rücken auf die serbischen Offensivspieler zwischen den Linien hätten rausschieben können.

 

Auch eine pendelnde Lösung, bei der der ballferne Flügelspieler sich durchgehend in die Abwehr fallen lässt, wäre hier denkbar gewesen. Doch die Rolle der Außenspieler blieb die gesamten 90 Minuten lang ident. Koller fordert nur stets ein schnelleres Umschaltverhalten nach Ballverlust, mit teils sehr langen Sprints nach hinten.

 

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Bild 13 – Man erkennt das Dilemma: Hintergger muss Tadic stellen, doch keiner kann sich um Mitrovic kümmern (Doppelpass – rote Pfeile), weil Dragovic selber einen Gegenspieler hat.

 

Mit einem zusätzlichen Verteidiger wäre es hier möglich gewesen, einfacher Richtung Ball durchzuschieben. Das bedeutet nicht, dass sich die Serben mit ihrer Offensivqualität nicht trotzdem hätten durchsetzen können, doch es hätte die Anzahl an 50:50 Situationen in der Abwehr deutlich reduziert.

 


Durch den Ballverlust von Baumgartlinger vor dem 2:1 musste das ÖFB-Team sogar in Unterzahl verteidigen. Das Tor zeigte besonders gut, dass die Einzelleistung der Verteidiger an diesem Abend nicht unbedingt entscheidend war.

 

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Bild 14 – vor dem 2:1

 

Um auf die Aussagen von Sportdirektor Ruttensteiner in der Halbzeitpause zurückzukommen: Die von allen Seiten geforderte Kompaktheit war nicht die Ursache, sondern nur das Symptom. Der ÖFB-Sportdirektor forderte kleinere Abstände in der Vertikalen (von hinten nach vorne), dabei war das Hauptproblem der Österreicher, dass die Abwehr zu viert nicht die Horizontale (von links nach rechts) abdecken konnte. Österreichs Hauptschwäche war also die mangelnde Breitenstaffelung aus der immer wieder Situationen entstanden, die kaum zu verteidigen waren.

 

Ein gutes Beispiel dafür, war das Siegtor durch Tadic:

 

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Bild 16 – Österreich steht in der Vertikalen gut, in der Horizontalen aber nicht.

 

Die Abstände zwischen der Abwehr hinten und dem Mittelfeld vorne sind wie von Ruttensteiner gefordert sehr gut. Die Abstände von links nach rechts jedoch sind problematisch. Wimmer muss den Abstand zu Hinteregger kurz halten weil Tadic sonst frei zum Ball kommt, hinter ihm lauert jedoch schon Rukavina. Somit muss der England-Legionär auf zwei Optionen gleichzeitig achten, während die Innenverteidigung durch Mitrovic beschäftigt wird. Gewissermaßen spielen die Österreicher erneut Mann gegen Mann hinten, obwohl der Zwischenlinienraum maximal klein gehalten wird.

 

Fazit
Nach der >>> guten taktischen Arbeit gegen Wales muss das Auswärtsmatch in Belgrad als Rückschritt gewertet werden. Die Aussage von Koller vor dem Spiel, dass Serbien und Wales aufgrund der Fünferkette dasselbe System spielten, entpuppte sich als Trugschluss. Die Aussagen von Koller nach dem Spiel, in denen er der Mannschaft mangelnden Willen und Einsatz vorwarf waren daher fehl am Platz. Ob man die Stärken der Serben im Umschaltspiel in der Analyse des Gegners vor dem Spiel hätte erfassen müssen, sei dahingestellt. Viel eher hätte Teamchef Koller während der Partie erkennen müssen, dass sein Matchplan eine entscheidende Schwäche hatte: die Breitenstaffelung gegen gegnerische Konter. Koller und sein Trainerteam waren nicht in der Lage, diese Schwäche zu erkennen bzw. auf diese adäquat zu reagieren. Das Ganze erinnert an den Streit zwischen Joachim Löw (bzw. Urs Siegenthaler) und Mehmet Scholl während der Europameisterschaft 2016.

 

Scholl warf dem DFB-Team vor, seine Ausrichtung an den Gegner angepasst zu haben, nachdem Löw beobachten musste, wie die spanische Nationalmannschaft von den weit aufrückenden Außenverteidiger Italiens verdient bewzungen wurde. Wer mehr zu den taktischen Spielchen im Rahmen dieser zwei Spiele erfahren möchte kann sich >>> hier und >>> hier schlaumachen.


 

Momo Akhondi Profilbild

Zum Autor: Momo Akhondi ist neben seiner Tätigkeit bei 90minuten.at auch Analyst beim deutschen Taktik-Portal Spielverlagerung.de und hat bereits mit Bundesligatrainern aus Österreich und Deutschland zusammengearbeitet.

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