2016

Balldominante Bayern ohne Durchschlagskraft

Die Münchner Ballzirkulation konnte die Gäste aus Madrid am Dienstag-Abend in einer Partie, in der David Alaba Licht und Schatten zeigte, kaum in Gefahr bringen. Eine Taktik-Analyse von David Goigitzer

 

Bayern München mit einer 4-4-2 Grundordnung

Die Bayern formierten sich in der Defensive in einer 4-4-2 Grundordnung. Ancelottis Team wollten ein orthodoxes Mittelfeldpressing auf die Gäste ausüben. Dieses Pressing konnten sie jedoch selten nutzen, da die Madrilenen sich die meiste Zeit zurückzogen und den Ball den Bayern überließen. In den wenigen Situationen, in denen Madrid Angriffe formierte, sah man die deutlichen Mannorientierungen bei den Bayern, die teilweise zu Fünferkettenformationen führten, da die Außenstürmer die ballfernen Gegenspieler deckten und so öfters in die Kette rückten.

 

Thiago und Lewandowski agierten als Doppelspitze im Zentrum und liefen die beiden spanischen Innenverteidiger immer wieder an, taten dies jedoch nicht sehr intensiv, sodass man vielleicht hohe Bälle erzwingen konnte, diese aber dennoch gezielt gespielt werden konnten. Das Pressingsystem unter Ancelotti ist wieder mehr auf klassische Ballgewinne mit Zweikämpfen fokussiert, dies rechtfertigt auch die Aufstellung von Vidal und Sanches auf der Doppelsechs. Beide sind dynamisch und dominieren ihre Gegner physisch.

 

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Die Raumaufteilung beider Mannschaften ist hier gut zu sehen. Atletico im verdichtet das Zentrum im 4-4-2, während die Bayern im 4-2-3-1 aufbauen.

 

Auch im Ballbesitz agierten die Bayern im 4-2-3-1, wobei man hier mehrere Staffelungsmöglichkeiten hatte. Zum einen konnte im Aufbau, wenn Atléticos Doppelspitze Druck erzeugte, Vidal zwischen beide Innenverteidiger kippen und den Ballvortrag erleichtern. Thiago und Sanches agierten dann als Achter. Als weitere Möglichkeit gab es eine Doppelsechs Sanches-Vidal im Aufbau, die sich meist auf gleicher Höhe aufhielten. Sanches konnte auch diagonal rechts heraus kippen. Costa und Robben rückten konstant in die Halbräume oder sogar den Zehnerraum ein, während Rafinha und Bernat klassisch die Breite gaben.

 

Alaba agierte an diesem Abend als Innenverteidiger, eine Position die er unter Guardiola bereits hervorragend ausgefüllt hatte. Jedoch ist das System des Katalanen deutlich ballsicherer gewesen, seine defensiven Fähigkeiten auf dieser Position waren weniger gefordert. Alabas größtes Problem ohne Ball ist seine Orientierung, hier zeigt er auf hohem Niveau Fehler, was auch bei zwei Situationen bei flachen Hereingaben Madrids zu sehen war. Er fokussiert sich in solchen Momenten zu sehr auf den Ball und ist sich nicht der Position des Gegenspielers bewusst.

 

Atlético im typischen 4-4-2
Atlético formierte sich im für sie typischen 4-4-2 und übten primär Mittelfeldpressing aus. Hierbei sollten Griezmann und Carrasco das Mittelfeldzentrum versperren und dabei helfen, die Bayern auf die Flügel zu leiten. Hier wollte man die Münchner dann einkesseln und dort Bälle gewinnen. Dabei nutzten die Außenstürmer der Madrilenen ihre Deckungsschatten klug, liefen die Ballführenden so an, dass diagonale Zuspiele in den Zwischenlinienraum nicht wirklich möglich waren. Dies gelang meist, weshalb Durchbruchsversuche am Flügel zu risikoreich gewesen wären und man meist den Rückpass suchen musste. Dies war dann ein Zeichen für intensive Verfolgung des Balles im Sprint für Carrasco und Griezmann, die Alaba und Hummels in diesen Situationen unter Druck setzen wollten. In tiefen Situationen bleiben die Außenverteidiger Atléticos immer etwas breiter, um nach Verlagerungen der Bayern schneller Zugriff erlangen zu können.

 

Im Angriff agierten die Spanier sehr eng, staffelten sich nur so breit wie nötig. Dies sollte die strukturellen Defizite des 4-4-2 aufwiegen, man konnte so ein engmaschigeres Netz spannen und kürzere Passdistanzen untereinander halten. Im Ballbesitz kann man die Formation Madrids sowieso eher mit einem engen 4-2-2-2 bezeichnen. Angriffe über die Mitte sind ein bevorzugtes Mittel, mit Gabi und Koke hatte man eine sehr spielstarke Doppelsechs, die sich aufgrund des geringen Bayern Drucks immer wieder drehen konnte. Flexible Rochaden unter den vorderen Vier sorgten für Zuordnungsprobleme bei den Bayern, mit vertikalen Pässen und anschließendem Prallen lassen auf nachrückende Spieler kombinierten die Gäste schnell und durchschlagskräftig. Über die Halbräume versuchte man dann durchzustecken und flache hereingaben in den Strafraum zu bringen, Carrasco konnte so einmal aufs Tor schießen.

 


Balldominante Bayern ohne viel Durchschlagskraft
Die Bayern übernahmen von Beginn an die Kontrolle und hatten fast 70% Ballbesitz. Atlético zog sich meist weit zurück, und die situativen Druckphasen, die meist nur durch Carrasco und Griezmann durchgeführt wurden, konnten die Aufbauspieler der Münchner recht einfach umspielen. Hierbei half vor allem Manuel Neuer, der sich konstant anbot und auch ein, zwei Pressingsituationen durch Zwischenlinienpässe auflöste. Trotz des vielen Ballbesitzes hatten die Hausherren jedoch das Problem der fehlenden Penetration der gegnerischen Linien. Meist konnte man die Ballzirkulation nur rund um den spanischen Block herum spielen, selten kam man durch Vertikal- oder Diagonalpässe in die Formation des Gegners hinein. Atléticos Pressing war zu gut organisiert und die eigenen Freilaufbewegungen zu vorhersehbar, dass man hier viel Schaden bei den Gästen hätte anrichten können. Nur in Situationen, wo Robben und Thiago gemeinsam den Zehnerraum besetzten und man über schleppende Dribblings von Sanches in die Halbräume kam, gab es vielversprechende Situationen. Über so einen Angriff kam Lewandowski nach Pass von Robben auch in den Strafraum, wo er dann zu Fall gebracht wurde und es Diskussionen über einen Elfmeterpfiff gab.

 

bayern v atletico 1

Abbildung 1: Sanches hat keine Möglichkeit zur Vertikalität: Keine Passoption und ein unabgesichertes Dribbling gegen 4 Leute würde auch Messi nicht versuchen. So ist nur der Querpass auf den Flügel möglich.

 

Nach etwas mehr als einer halben Stunde gingen die Bayern aber dennoch in Führung, und zwar durch einen Freistoß von Robert Lewandowski. Der Pole zirkelte den Ball aus rund 18 Metern genau ins Kreuzeck und ließ Oblak keine Chance. Diese Führung der Bayern schien nicht ganz dem Spielverlauf entsprechend, hatte man doch genauso viele Schüsse aufs Tor (zwei) wie die Gäste. Es zeigte sich deutlich, dass man kein richtiges Mittel gegen die spanischen Defensivmeister hatte.

 

Costa blieb farblos, sein Freilaufverhalten und seine Körperpositionierung ist mit dem Rücken zum gegnerischen Tor vor allem im linken Halbraum zu unpassend, um fluide Angriffe fortzuführen. Er braucht den Platz, den er vor allem am Flügel oder durch spezifische Ballzirkulation die ihn befreit bekommt. Seine durchschlagskräftigen Dribblings konnte er zwar immer wieder starten, jedoch nur in wenigen Situationen zu Torchancen umwandeln. Zum Ende der ersten Halbzeit hin konnten die Münchner ihre Ballzirkulation jedoch ein Stück höher gestalten, das den Druck auf die Mannen von Simeone erhöhte. In den Abschlussversuchen agierte man jedoch etwas merkwürdig; richtige Muster waren nicht erkennbar. Teilweise versuchte man es mit leicht zu verteidigenden Flanken aus dem Halbfeld, trotz dem Umstand dass in zum Beispiel einer Situation Lewandowski und Vidal, die zwei stärksten Kopfballspieler dieser Startelf, sich nicht im Strafraum beziehungsweise auf den Weg dort hin befanden.

 


Die Rolle von David Alaba
Alabas Rolle war eine sehr simple in dieser ersten Halbzeit: Aufgrund von Bayerns hoher Ballbesitzzahl hatten die Münchner kaum Angriffe zu verteidigen. Zudem wurden Konter meist stark entschleunigt. Schnellangriffe sind das bevorzugte Mittel der Madrilenen, dieses konnten sie nur in zwei Situationen, in denen man jedoch auch auf das Tor schoss, ausspielen. In einer dieser Angriffe verlor Alaba seinen Gegenspieler aus den Augen, Carrasco schlich sich hinter seinem Rücken davon und konnte recht unbedrängt in Neuers Arme schießen. Im Ballbesitz streute der junge Österreicher gezielt gute hohe Bälle ein, ohne es zu übertreiben. Insgesamt blieb er jedoch ohne große Auffälligkeiten und Aktionen, zeigte aber eine gute erste Halbzeit.

 

Die zweite Halbzeit
Die zweite Hälfte führte das, was davor passiert war, einfach fort. Die Bayern hatten mehr vom Ball, hatten jedoch wie in der ersten halben Stunde bereits diesen Ballbesitz primär im zweiten Drittel des Platzes und konnten kaum durchbrechen, geschweige denn in den Zwischenlinienraum kommen. Hier zeigten sich die Verschlechterungen im Vergleich zur vergangenen Saison bereits im Aufbau. Unbalanciertes, nicht wirklich benötigtes Herauskippen von Vidal und Sanches, sowie dann schwach besetztes Zentrum und Halbräume sorgten für gefahrlose Ballzirkulation, die die Madrilenen leicht kontrollieren konnten. Zwei Mal konnte man jedoch Gefahr entfachen, und zwar durch Konter. Wenn man die Madrilenen aufrücken ließ, den Ball gewann und dann vor allem immer wieder durch Thiago mit Dribblings und Vertikalpässen auf den diagonal laufenden Robben Angriffe startete. Man hätte sich hier wohl taktisch anpassen müssen, etwas höhere Direktheit wurde nun auch in manchen Situationen fokussiert, hohe Bälle auf den starken Zielspieler Lewandowski hätten ein Mittel sein können. Auch tiefere Zirkulation, um Atlético heraus zu locken oder absichtliche Ballverluste, um Gegenpressingsituationen zu provozieren wären ebenfalls Möglichkeiten gewesen.

 

bayern v atleti 2

Abbildung 2: Bei solchen Staffelungen würde es Guardiola die Haare aufstellen, wenn er noch welche hätte. Keine Besetzung des Sechserraums, eine vernünftige Progression ist praktisch nicht möglich.

 

Mit den Einwechslungen von Gameiro und Correa suchte Simeone mehr Präsenz im Strafraum, Griezmann und Carrasco sind ja doch eher dribbelfokussierte und ausweichende Akteure. Die eingewechselten Spieler weichen zwar ebenfalls gelegentlich aus, suchen jedoch öfter den Abschluss nach Hereingaben in und um den Strafraum herum. Auffällig war, dass die Gäste aus Spanien ihre Angriffe nicht sonderlich gut absicherten, das Gegenpressing griff nicht ideal und die Konter der Bayern konnte meist nur durch die starke Restverteidigung rund um Godín und Savic, sowie etwas unpassender Entscheidungsfindung von Seiten der Bayern entschleunigt und gestoppt werden. Ancelotti versuchte durch mehrere Auswechslungen ebenfalls der Partie neue Aspekte zu geben. Mit Müller als Raumdeuter suchte man wahrscheinlich die Konter besser auszuspielen. Kimmich kam als rechter Außenstürmer statt Robben und Martínez für Costa, Alaba rückte somit auf die linke Außenstürmerposition. All diese Änderungen kamen schlussendlich jedoch zu spät, um noch wirklich etwas zu verändern. Dies war jedoch prinzipiell sowieso nicht wirklich von Nöten, da man ja 1:0 führte, was auch der Endstand war.

 

Fazit
Die Bayern konnten über Ballzirkulation zwar kaum zu Chancen kommen, verteidigten aber stark und ließen Atlético kaum zu richtigen Chancen kommen. Die Madrilenen sicherten ihrerseits die eigenen Angriffe nicht gut genug ab und hätten sich durchaus ein zweites Gegentor einfangen können. Alles in allem geht der Sieg der Bayern zwar in Ordnung, ein Unentschieden wäre jedoch wahrscheinlich auch gerecht gewesen.

 

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