Foto: © Screenshot ORF Juni

Viel Ballbesitz, effektives Gegenpressing, aber langsame Zirkulation und geringe Chancenkreierung [Spiel-Analyse]

Die österreichische Nationalmannschaft zeigte beim Auftaktsieg gegen Nordmazedonien einen dominanten Auftritt. Mit viel Ballbesitz und effektivem Gegenpressing konnte man den Gegner stark unterdrücken und nur wenige Torchancen zulassen.

+ + 90minuten.at Exklusiv + + Eine Spielanalyse von Simon Goigitzer

 

Das ÖFB-Team unter Franco Foda startete beim EM-Auftaktspiel gegen Nordmazedonien mit einer 3-5-2-Formation. Dabei spielte David Alaba als zentraler Innenverteidiger in der Dreierkette. Die beiden Außenpositionen wurden von Andreas Ulmer und Stefan Lainer besetzt. Im Mittelfeld wurden Xaver Schlager, Marcel Sabitzer und Konrad Laimer aufgestellt. Schlager bewegte sich im Ballbesitz jedoch hauptsächlich auf der Sechserposition vor der Dreierkette. Laimer bewegte sich im rechten Halbraum und Sabitzer im linken, positionierte sich jedoch sehr oft auf dem linken Flügel, sodass Ulmer den Halbraum besetzte. Saša Kalajdžić und Christoph Baumgartner agierten als Stürmer und variierten zwischen Tiefenläufe und Bewegungen in den Zwischenlinienraum, um vertikale Pässe aus der ersten Aufbaulinie zu erhalten.

 

Die Spielausrichtung der Österreicher

Von Beginn war zu sehen, dass die Gäste aus Nordmazedonien in einer 5-3-2-Formation tief in der eigenen Hälfte verteidigten. Somit hatte Österreich viel Ballbesitz und konnte in der ersten Aufbaulinie den Ball lange zirkulieren lassen, ohne attackiert zu werden. Durch die Überzahl der Dreierkette gegen die zwei gegnerischen Stürmer konnten die äußeren Innenverteidiger nach einer längeren Ballzirkulation den freien Raum vor sich andribbeln und die erste Pressinglinie leicht überbrücken. Sehr früh war auch zu erkennen, dass vor allem der linke Halbraum und Flügel, sowie der Zwischenlinienraum um Kalajdzic von den Innenverteidigern gesucht wurde. Auf der linken Seite kam es auch durch die Bewegung von Sabitzer auf dem Flügel zu Dreiecksbildungen mit Baumgartner, Ulmer und Martin Hinteregger. Zudem wurde vom Frankfurt-Legionär mehrere Male versucht vertikale Pässe durch den Halbraum zu spielen. Auf der anderen Seite gab es im Ballbesitz keine so gute Einbindung. Lainer und Laimer kamen nur selten zum Ball, da vor allem Dragović als Ballführender immer wieder versuchte den tiefsten Ball zu spielen. Hier gab es besonders in der ersten Hälfte einen Ablauf, der einige Male funktionierte. Bekam Aleksandar Dragović  den Ball so bewegte sich Laimer in den Halbraum, um einen diagonalen Passweg zu Kalajdžić in den Zwischenlinienraum zu öffnen.

Gegen den Ball waren die Österreicher auch in diesem Spiel wieder sehr erfolgreich. Mit einem hohen Pressing und auch sehr intensivem und effektivem Gegenpressing konnten sie Angriffe der Gäste immer wieder unterbinden. Im Pressing agierten das ÖFB-Team in eine 5-2-1-2-Formation, wobei der zentrale Mittelfeldspieler auch einige Male auf die Linie der Stürmer rückte, um auf die gegnerische Dreierkette Mann gegen Mann zu spielen. Besonders zu Beginn des Spieles gab es mehrere hohe Balleroberungen, die durch das hohe Pressing erzeugt wurden. Doch was hat Österreich in diesem Spiel gut gemacht?

 

Effektives (Gegen-) Pressing und dominanter Ballbesitz

Das intensive und in diesem Spiel erfolgreiche Gegenpressing zeigte, dass Foda nicht nur auf eine defensiv ausgerichtete Spielweise wert legt. Ein Beispiel aus der 23. Spielminute (Abbildung 1 und 2)

Abbildung 1: Ballverlust am gegnerischen Strafraum

Abbildung 2: Beinahe die Rückeroberung kurz vor dem gegnerischen Sechzehner

Laimer bekam den Ball nach einem Einwurf in die Tiefe, konnte diesen jedoch beim gegnerischen Sechzehner nicht richtig behaupten. Nordmazedonien eroberte den Ball tief in der eigenen Hälfte. Allerdings dauert es nur ein paar Sekunden bis vier Österreicher den ballführenden Gegner unter Druck setzen konnten. Der Konter beziehungsweise der Angriff der Gäste konnte, nachdem der Ball bei einem Zweikampf von Schlager ins Out prallte, unterbunden werden.

Auch die Statistiken zeigen, dass Österreich vor allem in der gegnerischen Hälfte den Ball sehr schnell zurückerobern konnte. Sie hatte beinahe drei Mal so viele hohe Rückeroberungen wie Nordmazedonien und im Vergleich zu den Gästen auch eine niedrigere Anzahl an Rückeroberungen des Balles in der eigenen Hälfte. Dies wiederum zeigt, wie dominant Österreich spielte. Das Spiel Italien gegen die Türkei könnte als ein weiterer Vergleich hergenommen werden. Auch die italienische Nationalmannschaft hatte einen dominanten Auftritt und war sehr effektiv im Gegenpressing. Bei hohen Rückeroberungen war Italien um einiges besser als Österreich, wird jedoch das Gegenpressing im mittleren Drittel verglichen, so hatte das ÖFB-Team bessere Werte. (Statistiken von wyscout.com)

Auch die Pressing-Werte zeigten, dass das Team unter Foda ein sehr aggressives Spiel ohne den Ball hatte. Der PPDA-Wert lag bei 6.58. Diese Zahl zeigt an, wie viele Pässe pro Abwehraktion gespielt werden. Hier hat Österreich den Spitzenwert aller Nationalmannschaften und widerlegt die These, die im österreichischen Journalismus verbreitet wird, dass Foda defensivorientiert spielen ließ. Hier auch der Podcast vor der Europameisterschaft, der die positiven Elemente von Foda erkennt: 90minutenFM Fußballjournal - Fodacast: Pressingmaschine Franco Foda – warum am umstrittenen Deutschen nicht alles schlecht ist

Wie auch schon erwähnt suchte die erste Aufbaulinie der Österreicher immer wieder den vertikalen beziehungsweise den diagonalen Pass in den Halbraum oder in den Raum zwischen der Mittelfeld- und Abwehrlinie der Gegner. Durch das tiefe Abwehrpressing der Gäste war es für die Innenverteidiger schwer solche Pässe zu spielen. Dadurch bräuchte es von den zentralen Mittelfeldspielern viel Bewegung, um Passwege zu schaffen. Hier ein gelungenes Beispiel. (Abbildung 3)

Abbildung 3: Dragović spielte einen flachen diagonalen Pass auf Kalajdžić und überbrückte mehrere Linien.

Aleksandar Dragović bekam im Spielaufbau den Ball und wurde vom gegnerischen Stürmer angelaufen. Laimer bewegte sich in den Halbraum und Kalajdžićpositionierte sich im Zwischenlinienraum. Der Innenverteidiger erkannte den Passweg, der durch die Bewegung von Laimer frei wurde und spielte einen diagonalen Pass auf den Stürmer. Der Deutschland-Legionär ließ auf Schlager prallen, der in der Anschlussaktion auf den linken Flügel spielte.

Jedoch können solche Abläufe nur gespielt werden, wenn es zu genug Bewegung kommt, um den Gegner aus seiner Position wegzulocken. Durch statische Momente kam Österreich auch kaum in das gegnerische Drittel.

 

Statischer Ballbesitz und zu wenig Einbindung der Mittelfeldspieler

Im Ballbesitz der Dreierkette kam es oft zu Situationen, in denen die erste Aufbaulinie keine Anspielstation nach vorne hatte. Zwar verteidigte Nordmazedonien gut und konnte mehrmals die offensiven ÖFB-Spieler in den Deckungsschatten stellen, jedoch gehört viel mehr Bewegung in das Spiel, um mögliche Passwege zu öffnen oder Gegner aus ihren Positionen wegzulocken.

Dazu kam auch noch, dass die Innenverteidigung nur selten Schlager, der als defensiver Mittelfeldspieler im Aufbau agierte, anspielte. Dies zeigt vor allem die Passmap.

Je dicker die Linien zwischen Spieler sind, desto häufiger wurden Pässe zwischen diesen Spielern gespielt. Durch diese Grafik erkannt man nicht nur, dass die Dreierkette immer lange Ballzirkulationen hatten, sondern auch, dass die linke Seite häufiger Kombinationen ausspielte und Schlager nur selten von der Dreierkette angespielt wurde. Diese nicht-gespielten Pässe sorgten auch mehrere Male dafür, dass die Gäste mit geschicktem Anlaufen den Spielaufbau weit in die eigene Hälfte wieder zurückdrängen konnten. Hier ein Beispiel. (Abbildung 4)

Abbildung 4: Das Pressing und das Nicht-Zuspiel auf Schlager drängte uns im Spielaufbau in die eigene Hälfte zurück. (Schwarze Pfeile als bessere Option)

Alaba hatte im Spielaufbau den Ball und wurde von Goran Pandev angelaufen. Durch den Bogenlauf vom Stürmer wurde der Passweg zu Hinteregger zugestellt. Alaba wollte auf Schlager spielen, war sich jedoch durch den Gegenspieler, der im Rücken von Mittelfeldspieler stand zu unsicher den vertikalen Pass zu spielen. Daraufhin musste sich Dragovic fallen lassen und mit einem weiteren Rückpass wurde Österreich zurückgedrängt. Durch diesen Pass von Dragović konnte Österreich nicht nur viel Raum gewinnen, sondern Sabitzer viel Platz am linken Flügel schaffen, sodass er in Richtung des gegnerischen Tores dribbeln kann.

Der Kapitän hätte den Pass auf Schlager spielen können, damit der Wolfsburg-Legionär mit dem ersten Kontakt auf Hinteregger spielt. Dadurch wäre das Pressing ohne Probleme überspielt und Hinteregger hätte zudem den freien Raum vor sich andribbeln können. Allerdings stimmte das Timing des Anbietens von Schlager nicht und auch seine Körperposition, die auf den rechten Flügel gerichtet war, hätte einen Pass auf den linken Innenverteidiger erschwert. Zudem wäre Schlager bei einem vertikalen Pass direkt von seinem Gegenspieler attackiert worden. Diese Situation gab es im Spiel mehrmals, wodurch sie immer wieder zurückgedrängt worden sind, aber mit einem einfachen Pass auf Schlager das Pressing überspielt hätten.

Man konnte jedoch nicht nur die langsame Ballzirkulation oder die statischen Positionen einzelner Spieler kritisieren, sondern die Chancenkreierung beziehungsweise die Positionen und Entscheidung der Spieler. Trotz des hohen Ballbesitzanteiles und des dominanten Auftretens gegen den Ball erspielte sich das ÖFB-Team nur neun Schüsse auf das Tor. Das geringe Kreieren von Chancen hat allerdings einige Probleme, die Foda nicht so schnell lösen könnte für die kommenden EM-Spiele.

Ein kurzfristiger Ansatz wäre mehr Offensivspieler am Feld spielen zu lassen. In der Startelf gab es mit Kalajdžić und Baumgartner nur zwei Offensive, die sich im Strafraum auch immer wieder sehr positionieren können. Zwar war Sabitzer auch auf dem Feld, jedoch übernahm er andere Rolle und spielte viel tiefer. Auch wäre es möglich gewesen Ulmer mit einem Offensivspieler auszutauschen. Durch die Flügelposition von Sabitzer und die Halbraumbesetzung von Ulmer, kam der Salzburg kaum in Situationen, in der sich der Außenverteidiger wohlfühlte und seine Stärken ausspielen konnte. Weder flache diagonale Pässe in das Sturmzentrum noch Flanken in den Sechzehner kamen von Ulmer. Stattdessen hätte Foda beispielsweise Valentino Lazaro aufstellen können.

Des Weiteren gibt es im Kader des ÖFB nur einen richtigen 1 gegen 1 Spieler. Mit Marko Arnautović hat Foda nur einen Offensivspieler, der immer wieder versucht ins Dribbling zu gehen und auch enge Situationen mit einem 1 gegen 1 aufzulösen. Würde Arnautovic von Anfang an spielen, so gäbe es von Beginn an gleich viel mehr und auch möglicherweise bessere Offensivmöglichkeiten.

 

Fazit

Die österreichische Nationalmannschaft kann ein erfolgreiches EM-Auftaktspiel feiern. Franco Foda stellte Alaba auf der richtigen Position auf und der Legionär spielte sofort eine hervorragende Partie. In der Abwehr könnte er dem Team auch eher helfen, als wenn er auf ungewohnten Positionen, wie linkes Mittelfeld, spielt. Zudem traf Foda zum ersten Mal die richtigen Entscheidungen bei den Ein- und Auswechslungen. Hier stimmte nicht nur die Zeit, sondern auch die Spieler wurden richtig gewählt.

Österreich hatte gegen Nordmazedonien ein dominantes Auftreten und konnte in einigen Dingen, wie (Gegen-)Pressing und Spielaufbau aus der ersten Aufbaulinie ihre Fähigkeiten ausspielen, aber in den nächsten Partien bräuchte es dennoch eine große Leistungssteigerung, da der Gegner Nordmazedonien war und der Kader der Gäste den geringsten Markwert bei der gesamten Europameisterschaft hat. Vor allem mit Ball in der gegnerischen Hälfte muss es zu mehr Bewegung kommen und auch eine höhere Chancenkreierung ist notwendig um gegen Ukraine oder Niederlande Punkte mitzunehmen.

 

90minuten.at-exklusiv

90minuten.at-TV: Das neue Everton Stadion