12Meter

Der Strich macht kurzsichtig

Das neue Ligaformat ist an seinem ersten neuralgischen Punkt angelangt. Die Liga wurde in oben und unten geteilt, was mit Erfolg und Misserfolg gleichgesetzt wird. Das neue Format brachte Spannung, aber auch noch mehr Kurzsichtigkeit als ohnehin schon vorhanden.

Ein 12 Meter von Jürgen Pucher

 

Am Wochenende war Runde 22 in der österreichischen Bundesliga. Normalerweise ist das nichts Besonderes, seit der aktuellen Saison ist es aber ein neuralgischer Punkt, an dem sich sehr viele Aktionen und Reaktionen der Vereine ausgerichtet haben. Nach dieser Runde nämlich wurde (endlich) die Tabelle geteilt und es gibt nun die sechs besseren Mannschaften, die um den Titel und die meisten der Europacupplätze spielen, und die schlechteren Mannschaften, die noch ein bisschen ums internationale Geschäft mitringen und sich ansonsten den Absteiger ausmachen. Spannender wurde der heimische Kick dadurch jedenfalls, fairer natürlich nicht, aber das wurde ja auch bewusst in Kauf genommen. Was aber viel schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass einige Klubs so gar nicht mit der neuen Situation umgehen konnten und sich ohnehin schon vorhandene Fehlentwicklungen noch weiter verstärkt haben.

 

Der Druck, überall dieser Druck!

Ungefähr im Oktober haben viele Klubführungen bei Vereinen, deren Verlauf nicht zufriedenstellend war, begonnen die Nerven wegzuschmeißen. Trainer wurden getauscht, die Sprache hat sich zugespitzt und eine allgemeine Aufgeregtheit hat rundum Platz gegriffen. Das Saisonziel wurde nur noch auf den „Strich“ reduziert. Jetzt gelte es einmal unter die ersten sechs Teams und in die Meisterrunde zu kommen, alles andere wäre nachrangig. Das hat sich dann bis zur besagten 22. Runde immer weiter zugespitzt. Insbesondere bei jenen Klubs, die an sich etwas höhere Ansprüche stellen, als im Tabellenmittelfeld herumzukrebsen. Konkret meint das die beiden Wiener Vereine und den SK Sturm.

Das Wort „Druck“ wurde omnipräsent, wenn Verantwortliche in Wien und Graz sich öffentlich äußerten. Man hätte fast den Eindruck bekommen können, der Fortbestand des Vereins hinge davon ab, ob man es noch auf den rettenden sechsten Platz schaffen würde. „Die Sponsoren, die Fans, der Europacup“ wurde allerorts hyperventiliert. Nicht umsonst beginnen jene Trainer, die aufgrund der Nervosität während der Saison neu verpflichtet wurden, ihre Aufgabe schon mit einer gewissen Grundangst. Man unterschreibe fast mit dem Vertrag auch seine Kündigung, beschreibt es etwa Roman Mählich, der Sturm im Herbst von Heiko Vogel übernommen hat. Die Übungsleiter bekommen vermittelt: der Erfolg muss her und zwar sofort. Über dem Strich zu sein entscheidet über sein oder nicht sein. Darüberhinaus denken wir nicht nach.

"Dass eine solide Unternehmung, die sich langfristig etablieren soll, stetig und kontinuierlich wachsen muss, wird weggewischt. Jetzt muss er her, der Erfolg." - Jürgen Pucher

Die Fußballbörse

Sportliche Langfristigkeit und etwas aufzubauen, seien romantische Gedanken, lässt Mählich außerdem wissen. Mit dem Zusatz, er sei der Meinung, dass es dazu schlicht keine Möglichkeit gäbe. Sky-Pausenunterhalter Alfred Tatar pflichtet ihm bei. Das Gerede von „etwas aufbauen“ sei naiv und er könne es nicht mehr hören, wird er nicht müde zu betonen. Eine gewisse Börsenmentalität hat Platz gegriffen. Der Moment, vielleicht noch die nächste Woche sind relevant. Wie am Aktienmarkt. Dass eine solide Unternehmung, die sich langfristig etablieren soll, stetig und kontinuierlich wachsen muss, wird weggewischt. Jetzt muss er her, der Erfolg. Das gilt nicht nur für den Fußball. Ein kleiner Seitenblick in Richtung Politik zeigt ein ähnliches Bild. Ein Zeichen der (neoliberalen) Zeit.

Demzufolge haben also jetzt zum Beispiel Austria und der SK Sturm Erfolg gehabt und Rapid nicht. Die Grazer sind Dritter, die Austria Fünfter und Rapid nur Achter in der Tabelle. Die ersten beiden spielen in der Meisterrunde, Rapid „unten“. So sagen es die Fakten. Die Fakten sagen aber auch, dass zwischen dem dritten und dem achten Platz nur vier Punkte liegen. Die Gesamtperformance hinsichtlich der Tabelle war also gar nicht so unterschiedlich. Und wer in den letzten 22 Runden genauer hingeschaut hat, wird gesehen haben, dass alle drei Klubs, die eigentlich den Anspruch vertreten Dauergast in den oberen Tabellenregionen zu sein, mäßigen Fußball abgeliefert haben. Höflich ausgedrückt.

 

Wo ist die USP?

Und egal ob die einen jetzt unten und die anderen oben sind, sie eint ein und dasselbe Problem: Ihre Absage an nachhaltige Struktur und langfristigen sportlichen Aufbau. Seit Jahren werden Spielsysteme und Trainer mit unterschiedlichsten Vorstellungen gewechselt wie die Unterhosen. Eine stringente und strukturierte Transfertätigkeit ist damit natürlich fast unmöglich. Keiner dieser drei Klubs hat es geschafft, eine sportliche Marke (eine USP, wenn man mit der Sprache dem neoliberalen Trend folgt) zu entwickeln und zu etablieren für welchen Fußball man in Liebenau, Favoriten oder Hütteldorf steht. Alles ist Flickwerk, kurzfristige Änderungen oder gar der Komplettumbau aller sportlichen Parameter die einen Tag vorher noch gegolten haben, waren keine Seltenheit. Wenn etwas ein paar Wochen lang nicht sofort Ergebnisse bringt: weg damit, nächster Versuch.

"Dabei wären die Beispiele vor der Tür. Der LASK zeigt vor, wie man es auch ohne die finanzielle Überlegenheit von Red Bull schaffen kann, in einigen Jahren etwas mit Bestand auf die Beine zu stellen." - Jürgen Pucher

Dann kommt ein neuer Trainer, kann mit einem Drittel der Kaderspieler nichts anfangen und versucht in der Regel als erstes die „Defensive zu stabilisieren“. Eine vielfache Lose-Situation entsteht: Teure Leute auf der Tribüne, unattraktiver Fußball, schlechtere Chancen für junge Spieler, weil die als Risikofaktoren gelten, keine vorausschauende Planung und so weiter. Und mantraartig wird wiederholt, dass das Geschäft und der Fußball eben so seien und nur der unmittelbare Erfolg wäre wichtig. Die Einführung der Ligateilung nach zwei Drittel der Spielzeit hat diesen ohnehin vorhandenen Trend nur noch verstärkt. Jetzt muss das Werkl noch schneller laufen. Niemand bei den angesprochenen Klubs Austria, Rapid oder Sturm scheint im täglichen Hamsterrad noch die Fähigkeit zu haben, über den Tellerand zu blicken oder sich zu überlegen, wie man aus dieser zermürbenden Mühle herauskommen kann.

 

Erfolgsdruck hausgemacht

Dabei wären die Beispiele vor der Tür. Der LASK zeigt vor, wie man es auch ohne die finanzielle Überlegenheit von Red Bull schaffen kann, in einigen Jahren etwas mit Bestand auf die Beine zu stellen. Wenn man ein wenig über die Grenze blickt, finden sich etwa Eintracht Frankfurt oder der ewig konstante SC Freiburg, wo sehr schön nachvollzogen werden kann, wie Geduld und Kontinuität zu langfristiger Stabilität und beachtlichem Erfolg führen können. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass es sich auch bei den deutschen Beispielen nicht um die potentesten Vertreter ihrer Liga handelt. Und die Fans tragen diesen Kurs mit. Das Umfeld brodelt nicht sofort, wenn etwas nicht gleich zu den gewünschten Ergebnissen führt. Weil über die Jahre eben nicht nur sportlich langfristig ausgerichtet gearbeitet wurde, sondern auch, weil das kommunikativ gut begleitet wurde.

Bei den Möchtegern-Top 3 hinter Salzburg in der heimischen Liga ist der vielzitierte Druck, der den Katalysator zur Unvernunft darstellt, hingegen meistens hausgemacht. Hochtrabendes Gequatsche über Top 50 in Europa oder überschwengliche Ankündigungen der eigenen Stärke, ersticken Geduld und Aufbau schon im Keim. Über Jahre in der selbst kreierten überzogenen Erwartungshaltung sozialisiert, ist es für die Protagonisten schon fast denkunmöglich geworden, ein-zwei Jahre der Konsolidierung anzukündigen, geschweige denn durchzuhalten. Dabei würden die Fans und das Umfeld, so es glaubwürdig und authentisch daherkommt, das viel eher mittragen, als es derzeit viele glauben. Präsidenten-Sportchef-Trainerkonstellationen bei Rapid, Sturm oder Austria, die sich in ihrem Irrglauben des permanenten Erfolgsdrucks ständig nach dem Mund reden, schaffen diese „out of the box“-Gedanken aber maximal noch in der Theorie. Als romantische Vorstellung.

 

>>> Weiterlesen - Alle 12 Meter auf einen Blick

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