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1.000 Tage Kreissl: Weitblick weicht Kurzfristigkeit

Am 1. Mai 2016 übersiedelte Günter Kreissl von Wiener Neustadt nach Graz, um dort seine Arbeit als sportlicher Geschäftsführer beim SK Sturm zu beginnen. Er ist in diesen Tagen also seit 1.000 Tagen im Amt, ein guter Anlass eine Zwischenbilanz zu ziehen.

Ein 12 Meter von Jürgen Pucher

 

Günter Kreissl kam in einem Moment zu den Schwarz-Weißen, als es Zeit war, endlich die Fenster aufzureißen und die Geschäftsstelle einmal ordentlich durchzulüften. Sein Vorgänger Gerhard Goldbrich, der lange für Sport und Wirtschaft zusammen verantwortlich zeichnete, legte seine Tätigkeit eher intransparent, kommunikativ originell und alles in allem eher wenig vorausschauend und zukunftsorientiert an. Der neue Sportchef bekam gleich zu Beginn seiner Tätigkeit einen Vorgeschmack auf das Grazer Intrigenpotenzial.

 

Kreissl bleibt standhaft und positioniert Sturm neu

Goldbrich war nämlich kurz noch parallel mit Kreissl für Sturm tätig. Degradiert, mit beschnittenen Kompetenzen und, dementsprechend gut vernetzt wie er war, im Hintergrund aktiv, um dem neuen Mann den Start nicht allzu leicht zu machen. Es dauerte ein wenig, bis Präsident Christian Jauk alle überzeugt hatte, dass es besser wäre, Goldbrich ganz loszuwerden. Es gelang, ihn in die Geschäftsführung einer Gratiszeitung wegzuloben. Günter Kreissl war ein Problem los und bekam mit Thomas Tebbich einen wirtschaftlichen Geschäftsführer auf Augenhöhe als Kollegen. Blieb noch der damalige Cheftrainer Franco Foda, der bis dahin ungehindert schaltete und waltete. Auch er war nicht sehr froh, plötzlich einen neuen Vorgesetzten zu bekommen. Schmallippig bis distanziert reagierte der heutige Nationaltrainer auf Fragen zur zukünftigen Zusammenarbeit mit Günter Kreissl.

Der aber erwies sich als ebenso zäh wie standhaft und trotzte den Widrigkeiten nicht nur, er schaffte es sogar, eine fruchtbare Ko-Existenz mit Foda aufzubauen. Außerdem hauchte der frühere Tormann der von Goldbrich verunsicherten bis verängstigten Geschäftsstelle wieder Zuversicht und so etwas wie Aufbruchsstimmung ein. Kreissl positionierte den Klub, insbesondere gegenüber den Medien, wieder als offen und zugänglich. Die Zeit der Packelei und einseitigen Bevorzugung gewisser Journalisten war vorbei. Dieser Umstand ist, abseits aller rein sportlichen Themen, bis heute das wesentlichste Verdienst der bisherigen Ära Kreissl.

(Artikel wird unterhalb fortgesetzt)

Krisenfest geht anders

Durch die sportliche Brille liest sich eine Bilanz auf den ersten Blick natürlich auch nicht ganz schlecht. Sieht man ein wenig genauer hin, gibt es hier aber inzwischen schon einige Brüche und Schwachstellen. Der anfängliche Hype rund um den neuen Sportdirektor wurde zunächst durch die Begeisterung rund um Vizemeistertitel und Cupsieg in seiner ersten kompletten Saison beim Verein freilich noch verfestigt. Insbesondere Kreissl flogen die Herzen nur so zu, hatte er doch im Sommer davor eine äußerst konkurrenzfähige Mannschaft zusammengebaut. Allein, die war zu großen Teilen nach den Erfolgen wieder dahin. Wie das eben so ist, in diesem Geschäft, wenn man nicht bei einem der finanziellen Platzhirschen tätig ist. Die Euphorie rund um seine Person und den SK Sturm, fiel Kreissl und somit auch dem Klub aber in der aktuellen Spielzeit auf den Kopf. Die Abgänge konnten nicht kompensiert werden und vor allem das blamable Aus im Europacup ließen die Wogen in Graz hochgehen. Insbesondere deshalb, weil der Sportchef selbst die Erwartungshaltung durch kämpferische Parolen vor der Saison unnötig in die Höhe getrieben hat.

"Mehrere Wutausbrüche in aller Öffentlichkeit zeugten von einem angeschlagenen Nervenkostüm. Aus dem Strahlemann ist ein Zornbinkerl geworden." - Jürgen Pucher

Während dieser Zeit, der ersten wirklich schwierigen Situation nachdem es vorher für Günter Kreissl ausschließlich aufwärts gegangen ist, erwies sich der 44-jährige als nicht besonders krisenfest. Mehrere Wutausbrüche in aller Öffentlichkeit zeugten von einem angeschlagenen Nervenkostüm. Aus dem Strahlemann ist ein Zornbinkerl geworden. Nach innen baute sich mehr und mehr ein Konflikt mit Trainer Heiko Vogel auf, den er selbst als „seinen“ Trainer nach dem Wechsel von Franco Foda zum ÖFB verpflichtet hat. Unter dem Deckmantel der „fehlenden Ergebnisse“ wurde Vogel im Oktober 2018 beurlaubt. In Wirklichkeit war das Verhältnis zwischen Sportchef und Mann an der Linie nicht mehr zu kitten. Einige hätten dem Deutschen zugetraut, den SK Sturm aus der Krise wieder herauszuführen. Kreissl allerdings wollte einen Kurswechsel. Weg vom spielerisch angelegten Vogel-Fußball, der Zeit gebraucht hat, manchmal den einen oder anderen Spieler sicher auch überfordert hat, hin zu den schnellen Ergebnissen. Roman Mählich war dafür sein Mann und der macht bis jetzt genau das, was Kreissl von ihm erwartet hat.

 

Kurzfristiges Denken ersetzt innovative Kraft

Der neuen Übungsleiter brachte frischen Wind, viel Defensive und vor allem: Ergebnisse. Dieser neue Weg mag Ruhe bringen und das zweifelhafte Minimalziel, es unter die ersten sechs der Bundesliga zu schaffen. Was am Ende dieses Weges stehen soll, das möchte oder kann bei den Grazern derzeit niemand kommunizieren. Man ist auf einen Kurs der Kurzfristigkeit umgeschwenkt. Mehr noch, als es ohnehin schon der Fall war. Von Spiel zu Spiel will man denken, zählen würde nur der Erfolg. Der unmittelbare. Keine Zeit für Strategien, die eventuell eine Aufbauphase benötigen, dafür aber langfristiger wirken. Das schließt auch die Nachwuchsarbeit mit ein. Für die Entwicklung und den Einbau der Jugend bleibt genauso kein Platz. Günter Kreissl umschreibt diesen Umstand dann immer so, dass man schon der sportlichen Leitung die Beurteilung überlassen müsse, wer schon „so weit“ sei, und wer nicht.

"Kreissl hat über die Jahre viel von seiner innovativen Kraft verloren und ist mehr und mehr zu einem gängigen Vertreter der Sportdirektorenzunft geworden. (...) Er hat sich einem imaginären Druck gebeugt, der vorgaukelt, bei Sturm wäre nur solange alles gut, solange der „Erfolg“ da ist." - Jürgen Pucher

Der sportlich verantwortliche Mann, der jetzt also bald drei Jahre im Sold der Schwarz-Weißen steht, schreitet bei der beschriebenen Entwicklung voran. Er hat über die Jahre viel von seiner innovativen Kraft verloren und ist mehr und mehr zu einem gängigen Vertreter der Sportdirektorenzunft geworden. Viele, die sich von ihm einen nachhaltigen Paradigmenwechsel erwartet haben, bleiben derzeit ein wenig enttäuscht zurück. Es wird der Blick über das Unmittelbare hinaus vermisst. Das betrifft auch die Transfertätigkeit. Anfangs noch gefeiert für Leute wie Uros Matic oder die Kaderzusammenstellung für die Saison 2017/18, ist jetzt nicht mehr viel los mit Königstransfers. Auch von der Ankündigung nach dem Ausverkauf im Sommer letzten Jahres, zukünftig auf längerfristige Verträge zu setzen, ist nichts geblieben. Die letzten beiden Verpflichtungen im Jänner waren Leihgeschäfte bis Saisonende.

 

Langfristige Strategie statt Red Bull-Leihkicker

Günter Kreissl hat sich einem imaginären Druck gebeugt, der vorgaukelt, bei Sturm wäre nur solange alles gut, solange der „Erfolg“ da ist. Was aber überhaupt dieser Erfolg sein soll, bleibt rätselhaft. Es wird doch wohl nicht gemeint sein, Patz sechs und somit die Meisterrunde zu erreichen? In jedem Fall wird vom Präsidenten abwärts davon gesprochen, dass im Fußball eben die Ergebnisse passen müssen. Irgendwann wird aber auch Roman Mählich Spiele verlieren und dann bräuchte es ein stabiles Konstrukt, an dem sich der Klub wieder aufrichten kann. Eine langfristige Strategie, die nicht an einem einzelnen Trainer oder Leihspielern von Red Bull ausgerichtet ist. Das wäre eine der wesentlichen Aufgaben von Kreissl und diese nimmt er nicht ausreichend wahr. Viele hätten sich genau das von ihm erhofft.

Eine Zwischenbilanz, die rein der Papierform folgt, lässt sich für den Sportdirektor immer noch ganz passabel darstellen. Neben der eingangs erwähnten Öffnung des Klubs hinsichtlich Darstellung und Kommunikation, stehen ein Titel, ordentliche Transfereinnahmen und sinnvolle Investitionen in die Infrastruktur zu Buche. Was schmerzt, ist das selbst ein Mann mit der Willenskraft und der Energie des Günter Kreissl, von den banalen Mechanismen des Fußballgeschäfts übermannt wird. Die Kurzfristigkeit frisst den Weitblick auf, sobald der Gegenwind zu stark bläst. Oder man sich ein Lüfterl als Sturm einbildet. Deswegen schließt diese Geschichte mit der Feststellung, dass bei der Bewertung von Günter Kreissl genau das vorzufinden ist, was dem SK Sturm in fast jeder Saison passiert: Man hätte sich nach der anfänglichen Begeisterung ein bisschen mehr erwartet.

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