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Homophobie: Vom Anlassfall Derby und mühsamer Arbeit dahinter [Reportage]

Am Sonntag ist Derby - Mit oder ohne Homophobie? Im Hintergrund wird viel geredet, nicht immer erfolgreich.

+ + 90minuten.at PLUS - Eine Reportage von Daniel Sauer + +

 

Am Sonntag ist Derby. Rapid Wien könnte die Wiener Austria in deren Stadion noch in die Quali-Gruppe schießen – beide Vereine haben eine bisher turbulente Saison hinter sich, es geht wie immer um die Vorherrschaft in der Hauptstadt. Die Tragweite reicht diesmal aber auch darüber hinaus.

Mit dem Wiener Derby bekommen Bundesliga und die Fußballlandschaft allgemein regelmäßig vor Augen (und Ohren) geführt, was bei uns noch wirklich gar nicht funktioniert. "Schwuler FAK", "Schwuler SCR" – Einen Spieler als "Woamen" bezeichnen. Sprechchöre und Transparente, die sowohl in Wortwahl als auch in ihrer beharrlichen Kritikresistenz als homophob einzuordnen sind, waren in den letzten Jahren Teil der Derby-Tradition. 

 

Einige Beispiele zum Einstieg:

  • 11.02.2018: "Dem Woamen platzt a Wimmerl auf und ihr machts an Skandal daraus" (Transparent – Rapid)
  • 16.12.2018: "Schwuler SCR" (Sprechchor - Austria)
  • 01.09.2019: "Schwuler FAK" (Sprechchor – Rapid)
  • 08.12.2019: "Schwuler FAK"/"Schwuler SCR" (Sprechchor – Rapid/Austria)
  • 08.05.2022: "Schwuler FAK – Weder Klasse noch Masse" (Transparent – Rapid)
  • 26.10.2022: "Schwuler VAR" (Sprechchor – Rapid)

Prävention? Wenig Konkretes vor dem Derby

Das Problem sollte grundsätzlich bekannt sein, eigentlich schon seit längerem. Welche Präventionskonzepte haben sich also die beiden Wiener Vereine überlegt? Von 90minuten.at nach konkreten Plänen gefragt, betont die Austria Anfang März, "Aktionen für Vielfalt und gegen Diskriminierung bewusst und lautstark" zu unterstützen, differenziert aber zwischen sichtbaren Aktionen einerseits und Gesprächen in der Fanarbeit andererseits - beides würde regelmäßig stattfinden. So auch im Vorfeld des Spiels, mit Fanklub-Vertretern wurde kurzfristig kommuniziert.

Rapid – als Auswärtsteam diesmal mit weniger Handhabe – erklärt, rund um das Derby verstärkt darauf hinzuweisen, dass homophobe Sprechchöre und Transparente nicht mit den Werten des Leitbildes vereinbar sind. "Uns ist bewusst, dass in diesem Zusammenhang sowohl in unserer Community, als auch in der Gesellschaft generell weiter und unentwegt viel Arbeit zu leisten ist", meint Kommunikationschef Peter Klinglmüller gegenüber 90minuten.at – Rapid will Prävention und Dialog weiter in den Mittelpunkt der Fanarbeit stellen.

"Wir wollen, dass Diskriminierung aus eigenem Antrieb heraus nicht vorkommt. Das bedeutet, dass die Fankurven und Klubs tätig werden" - Christian Ebenbauer

Nachdem Gespräche alleine aber zumindest in der jüngeren Vergangenheit wenig konkrete Fortschritte gebracht haben, stellt sich die Frage, ob kurzfristig nicht doch andere Maßnahmen zu setzen wären. Auftritt Bundesliga: Erst im Dezember wurde Vorstand Christian Ebenbauer im 90minuten.at-Interview zu diesem Thema befragt: "Inhaltlich gibt es keine zwei Meinungen, wir wollen keine homophoben Chants oder gewaltverherrlichenden Transparente. Ich habe derzeit keine Lösung, weiß nicht, ob es klug ist, ein Spiel zu unterbrechen", meinte er damals – repressive Maßnahmen könne man immer noch im Nachgang setzen. "Wir wollen, dass Diskriminierung aus eigenem Antrieb heraus nicht vorkommt. Das bedeutet, dass die Fankurven und Klubs tätig werden", so Ebenbauer weiter. Also eher ein 'Nein' zu Sanktionen oder der Anwendung des Drei-Stufen-Plans, es bleibt beim Dialog. Abgang Bundesliga, der Ball liegt wieder bei den Vereinen.

Angebote bleiben ungenutzt

Die Vereine sollen also mit ihren Fans reden. Ein logischer erster Schritt, der bei den meisten Vereinen umgesetzt wird. Damit die Vereine in dieser Frage nicht alleine dastehen, hat sich die Bundesliga etwas einfallen lassen: Schon 2019 wurde eine Einrichtung ins Leben gerufen, die hinsichtlich Homophobie-Prävention gerne nach vorne geschickt wird - die Ombudsstelle "Fußball für Alle", ein unabhängiger Verein, der von Liga und ÖFB mitfinanziert wird. Sie dient einerseits als Anlaufstelle für alle im österreichischen Fußball, die Fragen rund um das Thema sexuelle Identität haben. Andererseits wäre sie auch als Ressource für Vereine gedacht, bei der man sich in diesem Bereich fehlendes Know-How holen könnte. Dass das nicht, oder nur selten passiert, ist Teil des Problems – dazu gleich mehr.

Es gibt nämlich grundsätzlich weitere Angebote, die den Vereinen den gewünschten Dialog erleichtern könnten. Einigermaßen bekannt sollte die "fairplay Initiative" sein, die jeden Herbst eine Aktionswoche organisiert. Themen dabei sind Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus und eben zuletzt 2018 und 2019 Homophobie. Tafeln werden in die Kamera gehalten, Statements verlesen und Social-Media-Profilbilder geändert – die Materialien werden von der Initiative kostenlos bereitgestellt und von den Vereinen mal mehr, mal weniger prominent genützt. Soweit so gut, zumindest einmal im Jahr findet flächendeckende Öffentlichkeitsarbeit statt. Hinter den Kulissen fällt die Resonanz aber eher verhalten aus.

"Es ist eine Art Sisyphus-Arbeit. Es ist schade, dass sich von den Vereinen fast niemand aktiv meldet. " - Oliver Egger

"Andere Sportarten waren bisher offener"

"Es wundert uns manchmal ein bisschen", erklärt Nikola Staritz von „fairplay“ gegenüber 90minuten.at. "Die Angebote gibt es, wir schicken das auch bei den Aktionswochen immer mit". Allerdings ohne große Wirkung: "Im Fußball ist da noch nicht viel zurückgekommen, da waren andere Sportarten bisher offener". Ein ähnliches Fazit zieht auch "Fußball für Alle", vertreten von Ombudsmann Oliver Egger. Im Interview mit 90minuten.at spricht er von "Sisyphus-Arbeit", vonseiten der Vereine würde sich kaum jemand bei ihm melden. Dafür wieder ein Beispiel zum Wiener Derby: Im Mai 2022 hielt Egger nach einem weiteren Vorfall auf Facebook fest: "Nichts entschuldigt pauschale Verachtung. Diese richtet sich dann womöglich auch gegen schwule Mitspieler am Feld und gegen LGBTIQ-Fans auf den Rängen. Man tritt damit auch eigene Fans und Kollegen mit den Füßen! Mit der Bundesliga gibt es in den nächsten Tagen Gespräche, Verantwortliche von Austria Wien und Rapid Wien haben sich leider noch nicht gemeldet". 

Dazu muss man festhalten, dass Oliver Egger oder die "fairplay Initiative" nicht als Privatperson oder beliebige Interessensvertretung in Kontakt mit den Vereinen treten. Es handelt sich um Organisationen, die von der Bundesliga unterstützt und autorisiert wurden, um den Dialog von und mit Vereinen zu erleichtern. Auf der Website von "Fußball für Alle" steht dazu beispielsweise: "Die Anlaufstelle ist mit einer Legitimation von ÖFB und Bundesliga ausgestattet, um bei Problemen bei Vereinen oder Verbänden ­vorstellig zu werden". Auch das Fazit von Nikola Staritz fällt eher ernüchternd aus: "Es gibt Vereine, die einen offeneren Zugang haben - manche machen nur das Nötigste, wenn sie unbedingt müssen".

 

Sturm Graz und FAC mit Vorbildwirkung

Es ist aber klarerweise nicht alles negativ. Zuständigen Personen fehlt es oft weniger am Willen und eher an Zeit, auch Oliver Egger ist nur ehrenamtlich tätig. "Es muss sich neben dem Alltagsjob und dem aktiven Kicken ausgehen – ich schaue, dass ich 'Fußball für Alle' da irgendwie reinquetsche", erklärt er beispielsweise. Umso wertvoller wird die direkte Kommunikation, zwei Vereine heben sich in diesem Bereich heraus.

Einer, der sich laut Egger auch von sich aus meldet, ist Dominik Neumann. Im Gespräch mit 90minuten.at erzählt der Fanbeauftragte von Sturm Graz: "Wir haben die Aktionswoche ausgeweitet: Wir informieren unter anderem auf unserer Website, in den Shops hängen Regenbogenfahnen. Beim Geisterspiel gegen Rapid während Corona haben wir eine große Regenbogenfahne im VIP-Bereich aufgehängt". Das Verständnis innerhalb des Klubs sei jedenfalls da, meint Neumann: "Das Thema wird bis zur Geschäftsführung hinauf sehr ernst genommen, man stößt da immer auf ein offenes Ohr. Es ist jedem bewusst, dass das wichtig ist". Und auch innerhalb der Fanszene gab es zuletzt keine Probleme: "Zum Glück gehören solche Sprechchöre bei uns eher der Seltenheit an. Einige sind im Laufe der Jahre auch ganz verschwunden. Das geht nicht von den Vorsängern aus, sondern von Einzelnen und dann singt auf einmal die halbe Kurve. Dass man das herauskriegt, braucht jahrelange Arbeit. Umso wichtiger ist die Vorbildfunktion von Fangruppen, Vorsängern und dem gesamten Verein, dass man so etwas sofort unterbindet und da arbeiten wir laufend daran".

"Diskriminierung, Rassismus, Sexismus oder Homophobie finden beim FAC keinen Platz" - Leitbild FAC

In Wien gibt es grundsätzlich mehrere Vereine, die viel richtig machen – besonders erwähnt sei an dieser Stelle aber der Floridsdorfer AC. Der Zweitligist setzt ganzjährig auf Regenbogen-Kapitänsbinden und -Eckfahnen, außerdem entschied man sich Anfang 2022 für eine Kooperation mit der "fairplay Initiative" – als erster Profi-Fußballverein in Österreich. In Workshops soll Führungsebene, Trainer:innen und Spieler:innen ein klares Verständnis für Vielfalt und Toleranz vermittelt werden, wie Wirtschaftsgeschäftsführer Stefan Krainz gegenüber 90minuten.at erklärt: "Oft reicht es schon, wenn man sich mit diesen Thematiken einfach einmal ordentlich beschäftigt, um bei so manchem eine stärkere Sensibilisierung zu erzeugen". Angesichts der begrenzten Ressourcen sei die Zusammenarbeit mit "fairplay" sehr wichtig, um von externem Fachwissen profitieren zu können. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal des FAC: Bei keinem anderen Bundes- oder Zweitligaverein wird homophobe Diskriminierung explizit im Leitbild zurückgewiesen. Man habe sich dazu im Jahr 2019 entschieden. Für den FAC sei das Leitbild ein enorm wichtiges Instrument, das Werte nach außen und innen unmissverständlich festlegt, meint Krainz. "Da unserer Ansicht nach Wertevorstellungen nicht starr sind, sondern sich im Laufe der Zeit auch immer wieder ändern oder ergänzen, überprüfen wir unser Leitbild auch jährlich". Der Fußballplatz müsse ein Ort sein, an dem unterschiedlichste Menschen zusammenkommen und sich jeder einzelne wohlfühlt.

"Bei rassistischen Sprechchören würde der Verein aber schnell belangt werden, bei Homophobie wird abgestuft" - Oliver Egger

Durchsagen, Schulungen, Interviews - dann Strafen

Bei andere Vereinen spielt das Thema offensichtlich eine kleinere Rolle, in Ried zum Beispiel: "Ich sehe kein Homophobie-Problem, bei uns ist im Stadion jeder willkommen. Manche Fangesänge sind das Thema. Ich glaube, dass es nicht als Angriff auf homosexuelle Menschen gemeint ist, das Wort wird zur Abwertung des Gegners verwendet - was nicht richtig ist. Wir versuchen, das in der Fanpolitik zu behandeln, wir können als Klub aber nur einen Teil dazu beitragen", erklärt Tim Entenfellner gegenüber 90minuten.at. Er ist bei den "Wikingern" unter anderem für die Fanarbeit zuständig.

Neben dem Wiener Derby gilt jenes in Oberösterreich als zweites Spiel, bei dem man besonders genau hinhören sollte. 2021 wurde ein Transparent präsentiert, auf dem zwei sich küssende Männer abgebildet waren – darüber der gegen den LASK gerichtete Schriftzug "Schwuler ASK". Die gemalten Figuren trugen pinke Trikots, eines davon mit der Rückennummer 36 – jene von Ex-Rieder Thomas Gebauer. Der Verein erklärte damals gegenüber 'Heute': "Die Fangruppen der Vereine versuchen sich durch derartige Äußerungen gegenseitig herabzuwürdigen. Dabei geht es in erster Linie um die Beleidigung selbst und weniger um den tatsächlich transportierten Inhalt. Leider werden auch Themen wie Homophobie dafür benützt, was wir als Verein natürlich in jeder Hinsicht ablehnen". Das Bewusstsein sei bei den Fans aber grundsätzlich schon da, erklärt Entenfellner.

Ideen dafür, wie man konkret vorgehen könnte, liefert Oliver Egger. So wären Schulungen für das Stadionpersonal denkbar: "Das sind die Personen, an die ich mich wenden kann, wenn zwei Reihen vor mir jemand etwas Homophobes schreit". Der Schiedsrichter könnte Vorfälle im Spielbericht vermerken, auch eine Durchsage des Stadionsprechers könnte vorbereitet werde. Ein weiterer Punkt: Das Thematisieren in der TV-Übertragung. "Ich wünsche mir auch, dass es live von Moderator:innen erwähnt und klar benannt wird - auch in den Interviews. Oft hört man es im Hintergrund der Übertragung, es läuft dann einfach so mit", so Egger. Als mögliche Sanktionen wären verpflichtende Workshops für Vereinsverantwortliche möglich. "Anders wird man der Sache nicht Herr werden, wenn Vereine nicht selbst etwas tun". Er sei sich bewusst, dass Konsequenzen und Strafen nicht gerne gesehen sind – "Bei rassistischen Sprechchören würde der Verein aber schnell belangt werden, bei Homophobie wird abgestuft. Wenn man das nicht auf die gleiche Ebene bekommt, werden es die Leute nicht wirklich kapieren".

Die Bundesliga dokumentiert, verantwortlich sind die Klubs

Wie Nikola Staritz festhält, braucht eine Organisation wie "fairplay" einen konkreten Auftrag, um tätig zu werden: "Es braucht eine nach innen gerichtete Strategie, die in die Vereine und eigenen Strukturen hineinwirkt. Das können wir nur machen, wenn uns jemand dazuholt - das muss vom ÖFB oder von der Liga kommen". 

Spielbeobachter sind bereits flächendeckend vor in den Stadien unterwegs, sie dokumentieren – sofern wahrnehmbar – diskriminierende Sprechchöre und Transparente. Dass diese Aufzeichnungen nicht auch an die mit-zuständige Ombudsstelle weitergegeben wird, wirkt unpraktisch. Aber immerhin: Wie die Bundesliga in einem Statement gegenüber 90minuten.at erklärt, wird nach dokumentierten Vorfällen das Gespräch mit den betroffenen Klubs gesucht – auch um präventive Maßnahmen zu erfragen. Letztendlich läuft der gesamte Prozess aber ein bisschen im Kreis: "Die Bundesliga als Verband und Bewerbshüter kann Bewusstseinsschaffung betreiben und gegebenenfalls bei Verfehlungen sanktionieren, als Veranstalter sind jedoch die Klubs für ihre eigenen Fans verantwortlich", so die Liga.

 

Das 338. Wiener Derby

Das heißt: Das Spiel geht am Sonntag, 19. März – soweit es derzeit erkennbar ist – ohne besondere Vorbereitung über die Bühne. Bei beiden Vereinen wurden eigens Gespräche geführt, wie zuvor erwähnt. Wenn am Sonntag Sprechchöre homophober Natur ausbleiben: Gut. Dann kann auf erfolgreiche Prävention verwiesen werden, die noch dazu aus eigener Kraft gestemmt wurde. Wenn nicht, wird man zumindest ein weiteres Mal hinterfragen müssen, ob das, was bisher getan wurde, reicht.

Der Verein "Fußball für Alle" hat vor einer Woche Gespräche mit beiden Vereinen zum Derby angekündigt. Das Ziel war, ein gemeinsames Statement der beiden Vereine zu erwirkten. Bis jetzt war davon noch nichts zu sehen, ein paar Tage bleibt aber noch Zeit.

 

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