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"Zwei-Stadien-Debatte in Graz geht nicht mehr weg" [Exklusiv-Interview]

Sturm Graz-Präsident Christian Jauk und Geschäftsführer Wirtschaft Thomas Tebbich ziehen im exklusiven 90minuten.at-Interview Bilanz über die letzten Monate und blicken in eine Zukunft mit zwei Stadien.

+ + 90minuten.at PLUS - Das Interview führte Jürgen Pucher + +

 

Wenn man aktuell die Geschäftsstelle des SK Sturm in Graz-Messendorf betritt, dann geht es ein wenig ruhiger zu als sonst. Eine lange WM-bedingte Winterpause hat begonnen und der Alltagsstress lässt gerade ein wenig nach. Die Mannschaft weilt im Trainingslager in Marbella und zuhause ist Zufriedenheit zu spüren. Der Herbst, trotz des dramatischen Ausscheidens im Europacup, war ein durchwegs positiver für die Blackys. Sportlich und wirtschaftlich.

Dementsprechend entspannt nehmen Präsident Christian Jauk und Geschäftsführer Wirtschaft Thomas Tebbich am großen Besprechungstisch Platz. Es beginnt ein Gespräch über die wirtschaftliche Situation des Klubs, die Entwicklung des Mitgliedervereins Sturm Graz sowie die geplanten Investitionen für die nahe und mittelfristige Zukunft. In so einem Gespräch landet man irgendwann bei der Stadionfrage, die den Präsidenten kurz aus seiner entspannten Grundstimmung wirft. Mit Ausführungen zum Leitbild und zu Ivica Osim beruhigt sich am Ende aber alles schnell wieder.

 

90minuten.at: Verfolgen Sie beide die WM in Katar?

Thomas Tebbich: Ja, in den News. Die Spiele selbst kaum bis jetzt.

Christian Jauk: Abendspiele, ja. Von den Spielen tagsüber schaue ich mir die Zusammenfassungen an. Sehr exotisch, was die Rahmenbedingungen betrifft. Politisch möchte ich nicht werten. Das Turnier ist einfach anders, als wir es bisher gekannt haben.
Tebbich: Vielleicht noch ein Sidestep dazu: Ich habe einen Bekannten in Doha, der dort seit zehn Jahren lebt. Er hat mir vor dem Turnier erzählt, dass der Keller von allen Einheimischen voll mit Essen ist. Es herrscht Angst vor einem Versorgungsengpass. Fast alles in Katar muss importiert werden und viele fürchten, dass sich das während des Turniers vielleicht nicht für alle ausgeht.

 

90minuten.at: Kommen wir zu Sturm. Der Verein überwintert als erster Verfolger Salzburgs und hat eine Herbstsaison hingelegt, die aller Ehren wert ist. Wie sehr schmerzt das tragische Aus im Europacup gerade deshalb?

Tebbich: Also ich bin extrem stolz. Unser Plan war, nach dem ersten Jahr in der Gruppenphase, uns weiterzuentwickeln. Das ist absolut gelungen und wenn es in der Meisterschaft so weitergeht, werden wir ein weiteres Jahr draufsetzen können.

 

90minuten.at: Das ist die sportliche Brille. Wie bitter ist es finanziell, dass Sturm im Frühjahr nicht mehr in Europa dabei ist?

Jauk: Im Augenblick steht der finanzielle Aspekt des Ausscheidens nicht im Vordergrund. Auch deshalb, weil die wirtschaftliche Situation insgesamt positiv ist. Das hat mit der Weiterentwicklung des gesamten Vereins zu tun, wir haben in vielen Bereichen Zuwächse und das trotz aktuell sehr schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen.

 

90minuten.at: Wie sieht eine Bilanz des internationalen Geschäfts 2022 aus? Was bleibt von dieser Gruppenphase, ökonomisch betrachtet?

Jauk: Die Gelder aus den erreichten Punkten und der Teilnahme sind transparent, was wir davon den Spielern weitergeben, bleibt vertraulich. Der Anteil einer Europacupteilnahme mit Gruppenphase beläuft sich in Relation zum Gesamtbudget in einer Größenordnung von rund 30 Prozent. Das bringt einen gewaltigen Schub und der Europacup ist die größte zusätzliche Einnahmequelle, nicht nur für uns, für die gesamte Liga, wenn man die Transfererlöse von Red Bull abzieht.

"Es ist ein großes Verdienst der Geschäftsführung, diese Euphorie im und abseits des Stadions zu nützen und die Marke Sturm Graz weiterzuentwickeln. Es ist ein Gesamtwerk, wie bei einem Orchester. Aber du brauchst die Initialzündung. Die kommt über den sportlichen Erfolg und die Sondereinnahmen. " - Christian Jauk

90minuten.at: Sie haben unlängst sehr positive Zahlen präsentiert. Der Umsatz sei seit 2019/20 von 14,7 Millionen Euro auf 26,8 Millionen Euro für die Saison 2021/22 gewachsen. Wie viel machen davon die Transfererlöse, also Einmalereignisse, aus?

Tebbich: Die Frage wird oft gestellt und ist natürlich spannend. Es ist differenziert zu betrachten. Nur wenn solche Transfers passieren, sind andere Investitionen und Entwicklungen möglich. Ohne diese Transfers, würde das Gesamtkonstrukt Sturm Graz anders aussehen. Was wir bis dato aufgebaut haben, basiert auf dem Verkauf von Kelvin Yeboah und auf der Teilnahme der letztjährigen Europa League-Gruppenphase. Der Hojlund-Transfer und der Europacup 2022 werden erst in weiterer Folge wirken.
Jauk: Es gibt dazu keine Antwort mit einer Zahl. Uns haben diese zusätzlichen Einnahmen auf ein neues Niveau gebracht. Sie erlauben uns Investitionen und sie geben uns die Möglichkeit, uns zu entwickeln. Diese Entwicklungskosten sind nicht eindeutig zuordenbar. Der Europacup, die hervorragende Meisterschaft oder der Aufstieg gegen den GAK im Cup, haben eine Euphorie entstehen lassen, die nicht einem Transfererlös zuzuordnen ist. Es gibt immer Erfolgskomponenten. Und die haben bei uns im Herbst sehr gut ineinandergegriffen. Es ist ein großes Verdienst der Geschäftsführung, diese Euphorie im und abseits des Stadions zu nützen und die Marke Sturm Graz weiterzuentwickeln. Es ist ein Gesamtwerk, wie bei einem Orchester. Aber du brauchst die Initialzündung. Die kommt über den sportlichen Erfolg und die Sondereinnahmen.

 

90minuten.at: Wie wirkt sich der aktuelle Höhenflug konkret auf Zuwächse im Sponsoring aus?

Tebbich: Massiv. Wir könnten den VIP-Klub doppelt ausverkaufen. Wir haben enorme Zuwächse im Markenwert und der Reichweite auf allen Kanälen, besonders durch die vielen Free-TV-Spiele im Europacup. Wir legen im Merchandising zu, haben einen weiteren Fanshop aufgesperrt. Alles in seiner Gesamtheit ist stark gewachsen.

 

90minuten.at: Wie läuft die Arbeitsteilung zwischen Geschäftsführung und Präsident in wirtschaftlichen Angelegenheiten?

Jauk: Wir versuchen es so zu leben, wie wir es ursprünglich geplant haben. Die Geschäftsführung leitet den Verein im Tagesgeschäft. Wir versuchen uns dann in den strategischen Fragen und zu den finanziellen Rahmenbedingungen abzustimmen. Es ist am Ende eine gute Ergänzung. Wenn man zum Beispiel den Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft nimmt, fungiert der bei uns nicht nur als Kontrollorgan, sondern sieht sich auch als unterstützendes Organ. Wir haben viele Infrastrukturthemen, wo es den Kontakt zur Politik braucht. Die unterscheidet nicht zwischen operativ und ehrenamtlich, da muss ich immer mitmarschieren. In der Außendarstellung hängt es vom Thema ab, wer sich vorne hinstellt. Wenn es um Mitglieder geht, ist es eine klare Aufgabe des Präsidenten. Bei den großen Sponsoren treten wir in der Regel gemeinsam auf.

 

90minuten.at. Die positive Entwicklung bietet wie erwähnt viele neue Möglichkeiten. Wo sind Investitionen geplant?

Tebbich: Es sind schon Dinge passiert, wie etwa bei der Infrastruktur hier in Messendorf mit einem neuen Rasen und einem neuen Drainagesystem für die Trainingsplätze. Wir investieren in Nachhaltigkeit, demnächst wahrscheinlich in Photovoltaikanlagen, wir haben E-Tankstellen gebaut und stellen den Fuhrpark langsam um. Dazu gehört auch der Plan für eine innovative Rasenheizung auf Platz drei. Mit Brunnenbohrungen wird Grundwasser zugeleitet. Das hat immer 15 Grad, fünf Grad dürfen entnommen werden, mit zehn Grad wird das Wasser rückgeführt. Wir bräuchten dann keine Fernwärme mehr, sondern nur noch eine Pumpe und selbst die kann mit Photovoltaik betrieben werden.

"Fast überall sind Investoren am Werk, die das Ziel verfolgen, mit dem Fußball Renditen zu erzielen. Wir tragen mit unserem Modell das Vermächtnis unserer Gründer in die Zukunft. Die Menschen und der Fußball stehen im Mittelpunkt. Dazu braucht es aber eine entsprechende Anzahl an Mitgliedern. " - Christian Jauk

Ein wirklich großer Brocken ist das neue Trainingszentrum für Nachwuchs und Damen, wo wir mittlerweile seit über drei Jahren mit der Politik im Austausch stehen. Messendorf ist zu klein, wir brauchen einen weiteren Standort. Wir haben zwei geprüft, einen am Stadtrand und einen im Stadtgebiet, der unsere präferierte Lösung wäre. Da bleibt abzuwarten, wie die Gespräche weiter verlaufen.

Jauk: Die Frage wurde nicht gestellt, ich möchte das aber trotzdem ergänzen, weil es mir am Herzen liegt. Alles was Thomas zu den Investitionen in Messendorf berichtet hat, wird zu 100 Prozent von Sturm Graz getragen. Wenn ich das wo anders erzähle, sorgt das für Kopfschütteln. Die können sich das gar nicht vorstellen, dass wir das alleine stemmen. Und das möchte ich den Fans und Mitgliedern kommunizieren. Wir machen das mit unseren eigenen erwirtschafteten Mitteln, um gewisse Wettbewerbsnachteile gegenüber unseren Ligakonkurrenten zu kompensieren. Wenn ich etwa nur an die Rasenheizung denke. Selbst beim angesprochenen neuen Trainingszentrum würde Sturm nach den aktuellen Plänen in etwa 70 Prozent der Kosten tragen, der Rest käme aus einer Förderung. Und wir reden hier von einem guten zweistelligen Millionenbetrag. Das stimmt mich sehr nachdenklich. Hohen Erwartungen an uns, stehen schlechte öffentliche Rahmenbedingungen gegenüber.

 

90minuten.at: Im Herbst hat Sturm einen Mitgliederrekord gemeldet. Das 5.000. Mitglied wurde begrüßt. Der Verein hat dazu auch eine Kampagne laufen gehabt. Wo will man bei diesem Thema hin? Was ist die perspektivische Idee zum Mitgliederverein?

Tebbich: Wir haben in diese Kampagne rund 50-60.000 Euro investiert und in einem Jahr die Mitgliederzahl von 3.000 auf 5.000 steigern können. Wichtig war es, vorweg zu definieren, was eine Vereinsmitgliedschaft überhaupt bedeutet. Wir haben es mit „Sturm Graz zum Angreifen“ betitelt, begleitet von Initiativen und Veranstaltungen wie dem Family Day in Messendorf, Mitgliederstammtischen oder Infoabenden. Eingebettet war das in die größte Kommunikationskampagne, die wir bis jetzt gemacht haben. Mit all unseren Medienkanälen und einer steiermarkweiten Plakatkampagne. Wir konnten eine sehr große Reichweite erzielen und die Pandemie hat uns in diesem Fall in die Hände gespielt. Es gab wenig andere Themen und die Leute waren hungrig auf Sturm.

Jauk: Perspektivisch ist die Frage zu den Mitgliedern einfach zu beantworten. Je mehr Mitglieder Sturm hat, desto stärker können wir nach innen und nach außen auftreten. Vor zwanzig Jahren war die Zahl der Mitglieder nicht so bedeutend, die Konkurrenten waren auch Mitgliedervereine, die traditionell gewachsen sind. Das hat sich geändert. Fast überall sind Investoren am Werk, die das Ziel verfolgen, mit dem Fußball Renditen zu erzielen. Wir tragen mit unserem Modell das Vermächtnis unserer Gründer in die Zukunft. Die Menschen und der Fußball stehen im Mittelpunkt. Dazu braucht es aber eine entsprechende Anzahl an Mitgliedern. Ein Traum oder eine Vision wäre es, wenn wir rund die Hälfte jener Personen, die 2018 zum Cupfinale nach Klagenfurt gepilgert sind, als Mitglieder gewinnen könnten. Das wären dann 10.000, was im europäischen Vergleich sehr respektabel wäre. Ich halte das für machbar.

Tebbich: Ich möchte dazu noch die positive Entwicklung bei den Abonnenten erwähnen. Wir werden wahrscheinlich mit den Frühjahrsabos die 7.000er-Marke knacken. Einige Mitglieder sind noch keine regelmäßigen Stadionbesucher. Mitglieder unter 15 Jahre können Spiele gratis besuchen, wenn die das erste Mal kommen und die Stimmung unserer Kurve sehen – die wollen wieder kommen. Für die Zukunft erwarten wir uns dadurch bei den Abos noch eine Steigerung.

 

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Exklusiv: Katar 2022 - Blick hinter die Kulissen

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