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"In dieser Hinsicht war die Corona-Pause ein Segen"

Der SV Lafnitz liegt nach zehn Spielen in der 2. Liga auf Rang 2 und somit (sehr theoretisch) auf Aufstiegskurs in die Bundesliga. Grund genug für 90minuten.at, mit dem Architekten des Erfolgs, Trainer Philipp Semlic, ausführlich zu sprechen.

+ + 90minuten.at Exklusiv + + Das Interview führte Georg Sander

 

Die Bundesliga hat schon einiges ausgehalten an sogenannten Dorfklubs. Manche verschwanden wieder, wie der SV Grödig, andere, wie die SV Ried, sowie so kein Dorf, nicht einmal im weiteren Sinne, ist seit Jahrzehnten ein festes Mitglied der höchsten Spielklasse. Lafnitz wäre da aber noch einmal eine andere Kategorie, geht man doch mit rund einem Viertel von Grödig duchaus auch im engeren Sinne als Dorf durch. Gerade einmal 1.500 Menschen leben in der östlichen Steiermark. Sportlich sieht es derzeit gut aus mit einem Aufstieg. Nur einen Punkt liegt man nach zehn Spielen hinter den Jungbullen des FC Liefering. Austria Klagenfurt, nebst Wacker Innsbruck eher Aufstiegsfavorit als die Steirer, liegt schon fünf Punkte dahinter.

Doch auch wenn Philipp Semlic, seit Anfang des Jahres als Nachfolger von Ferdinand Feldhofer Trainer bei den Lafnitzern, abwinkt und meint, man würde sich über einen Aufstieg keine Gedanken machen, so scheint der SV Licht-Loidl Lafnitz einer näheren Betrachtung wert. Im Land des Umschaltkicks setzt  man auf Positionsspiel, der Trainer will nicht nur Spieler holen und entwickeln, sondern hat noch den Faktor Regionalität zu berücksichtigen und überhaupt ist die Corona-Pause maßgeblich am jetzigen, guten Abschneiden "schuld".

 

90minuten.at: Der SV Lafnitz hat 22 Punkte aus zehn Spielen geholt, liegt einen Punkt hinter Liefering dort, wo andere gerne wären: Auf Aufstiegskurs. Hat man damit rechnen können?

Philipp Semlic: Wir in Lafnitz wissen schon, dass das nicht selbstverständlich ist. Wir können das gut einschätzen, freuen uns über die Siege, wissen allerdings auch, wie viel harte Arbeit dazu gehört.

90minuten.at: Ein Aufstieg ist vermutich nicht realisierbar. Allerdings war auch beispielsweise Grödig in der Bundesliga. Im September haben sie das in Abrede gestellt. Bleiben Sie dabei?

Semlic: Zur Zeit ist das ehrlicherweise kein Thema. Wir wollen uns von Spiel zu Spiel orientieren und die langfristige Entwicklung in den Vordergrund stellen. Was am Ende dabei heraus schaut, wird man sehen. Klar bereiten wir uns unter der Woche so vor, dass wir gewinnen, aber ein Aufstieg ist kein Thema. Das kann ich kathegorisch verneinen. Die Saison ist noch lang, die Liga sehr eng. Es kann wirklich jeder jeden jederzeit schlagen. Von daher kann es für uns kein Thema werden. Wenn wir an Dinge denken, die wir nicht beeinflussen können, dann wird Lafnitz in der 2. Liga keine Chance haben.

 

90minuten.at: Schaut man sich den Kader an, dann sieht man Namen wie Bürger, Wendler, Kröpfl. Das sind bekannte Personalien. Könnte es auch am gut zusammen gestellten Kader liegen?

Semlic: Das ist eine berechtigte Frage. Die angesprochenen Spieler haben einen Namen, konnten aber bei ihren vorigen Klubs nicht so performen. Wir haben uns während Corona neu ausgerichtet, um dem Verein ein Gesicht zu geben, wir wollen die Region repräsentieren, mit Spielern von hier. So wollen wir auch Fans ins Stadion bringen, das geht nur mit Spielern aus der Region. Es müssen aber auch diese Spieler ihre Rollen annehmen. Das machen sie sehr gut. Patrick Bürger ist nicht nur Spieler, sondern auch im Trainerteam als Individualtrainer für die Stürmer verantwortlich. Bürger oder Wendler hatten noch nicht so viel Spielzeit, sie sind aber für das Klima im Verein sehr wichtig.

"Wir haben auch letztes Jahr, als es keinen Absteiger gab, als es um nichts gegangen ist, alle Spiele hundert Prozent gegeben. Das sind wir uns selbst schuldig." - Philipp Semlic

90minuten.at: Stand heute wird Lafnitz nicht aufsteigen wollen. Können Sie den Fans der Klubs, die das wollen, etwa Austria Klagenfurt und Wacker Innsbruck, versprechen, dass es nicht zu unterschiedlichen Leistungen kommt? So mancher Verfolger des Unterhausfußballs kennt das ja, dass ein Klub, der nicht aufsteigen will, gegen Saisonende hin dann plötzlich oft verliert.

Semlic: Dass wir uns jetzt schon mit der 23., 24. Runde beschäftigen, ist bei uns überhaupt nicht so. Aber uns war bei der Kaderzusammenstellung der Charakter wichtig. Wir haben auch letztes Jahr, als es keinen Absteiger gab, als es um nichts gegangen ist, alle Spiele hundert Prozent gegeben. Das sind wir uns selbst schuldig. Das verlange ich auch von meinen Spielern.

 

90minuten.at: Kommen wir zu den Gründen, warum Lafnitz so gut spielt. In Österreich ist die Benchmark eher Umschaltspiel. Sie verfolgen einen anderen Weg.

Semlic: Wenn man sich den Spitzenbereich in Europa ansieht, dann gibt es zwei Richtungen. Einerseits das Umschaltspiel, das andere ist das Positionsspiel. Ich sehe mich und Lafnitz in der zweiten Kategorie. Es ist eine schmale Gratwanderung, es ist komplex und verzeiht wenig Fehler – gerade in der 2. Liga, in der die Passstaffetten im Schnitt viereinhalb Pässe betragen. Dann kommt es zu einem Zweikampf. Hier eine Mannschaft zu sein, die Fußball spielen will, ist eine Herausforderung.

 

90minuten.at: Haben Sie sich eine Nische also gesucht?

Semlic: Richtig. Ich bin ein Trainer, darum hat mich Bernhard Loidl geholt, der eine mutige Spielweise an den Tag legt. So wollen wir uns auch positionieren: Wir werden nicht die außergewöhnlichen Spieler haben, die Spiel eim Alleingang entscheiden. Wir müssen uns über etwas anderes definieren. Für mich ist da Positionsspiel eine gute Möglichkeit, um ein Alleinstellungsmerkmal zu haben und erfolgreich zu sein.

 

90minuten.at: Da muss man also viele Parameter bedenken. Wie stellen Sie den Kader zusammen? Corona hat den Pool an Spielern nicht gerade kleiner gemacht.

Semlic: Es war eine große Herausforderung. Ich bin im Winter gekommen, hatten drei normale Spiele, dann kam der Lockdown mit der Pause. Da haben wir uns zusammentelefoniert und die Zeit genutzt, um dem Verein ein Gesicht zu geben, um nachhaltiger und authentischer zu arbeiten. Es kostet Zeit und Idee, diese Spieler zu finden. Wenn einer am Papier aus der Region ist und das Positionsspiel beherrscht, heißt das noch nicht, dass er vom Charakter her dazu passt. Es muss jeder Spieler, der hier nach Lafnitz ins Dorf kommt, wissen, dass man hier nicht den Ronaldo spielen kann. Aber es hat eben sehr viel Zeit in Anspruch genommen und in dieser Hinsicht war die Corona-Pause ein Segen.

"Ein Ex-Profi auf Topniveau war früher in Drucksituationen. Ich habe kein Cupfinale vor 30.000 Zuschauern oder in der Champions League gespielt." - Philipp Semlic

90minuten.at: Sprich Sie haben im März/April die Saison 2020/21 geplant?

Semlic: Das letzte Spiel war in Liefering, dann kam der Lockdown und wir haben schnell gehandelt. Wir wussten nicht, wie es weiter geht, wollten aber die Zeit nutzen und nicht nur trainieren. Darum haben wir uns entschieden, früh zu schauen, wie wir den Verein auf die nächste Stufe heben können.

 

90minuten.at: Bleiben wir bei der Kaderzusammenstellung. Da nimmt man dann beispielsweise einen schlechteren Spieler, der aber einen guten Charakter hat und aus der Region?

Semlic: Das ist eine berechtigte Frage. Ich als Cheftrainer bekomme nicht jeden Spieler. Die Endverhandlung führt Bernhard Loidl. Wir haben in Lafnitz nicht das Überbudget. Jene, für die ich mich entschieden habe, haben vielleicht auch Gehaltsabstriche in Kauf genommen. Sonst hätten wir vielleicht die oben erwähnten nicht bekommen haben.

 

90minuten.at: Sie waren, wie auch beispielsweise ein Christian Ilzer, kein Fußballprofi. Wie kamen Sie dazu, Fußballtrainer zu werden?

Semlic: Ich habe Sport und Mathematik auf Lehramt studiert. Im Zuge des Studiums war es möglich, gemeinsam mit dem steirischen Fußballverband, die Trainerausbildung zu machen. Ich habe gemerkt, dass mir das total taugt. Ich hatte schon die Ambitionen Profi zu werden, aber relativ früh gemerkt, dass es nicht in die Richtung geht. Als Lehrer und Fußballtrainer konnte ich auch nicht mehr selber Fußball spielen. Darum habe ich mich früh entschieden, in die Trainerschiene zu gehen. Mit 27 Jahren habe ich die Fußballschuhe an den Nagel gehängt. Es war keine Verletzung, ich habe einfach gesehen, dass meine aktive Karriere nicht dort hingeht, wo ich hin wollte.

 

90minuten.at. Sie habe im Jugendbereich angefangen. Im Ausland normal, in Österreich reicht oft eine gute Karriere. In den letzten Jahren ändert sich das. In welche Richtung geht es Ihrer Meinung nach?

Semlic: Das eine schließt das andere nicht aus. Ein Ex-Profi, der im Nationalteam war, ist nicht authomatisch ein guter Trainer. Umgekehrt ist es genau das Gleiche. Die Frage ist, wie ich mich mit der Materie auseinander setze und bereit bin, mich zu entwickeln. Mein Motto ist, dass man ein Leben lang lernt. Der Fußball entwickelt sich so schnell weiter, wenn ich glaube, alles zu wissen, habe ich schon verloren. Was vor einem halben Jahr funktioniert hat, muss heute nicht auch klappen. Da muss man Schritt halten und es ist egal, ob man Profi war oder nicht. Was ich aber sagen muss: Ein Ex-Profi auf Topniveau war früher in Drucksituationen. Ich habe kein Cupfinale vor 30.000 Zuschauern oder in der Champions League gespielt. Ich muss mich gezielt auf solche Situationen vorbereiten. Aber, das möchte ich festhalten: Das eine schließt das andere nicht aus.

 

90minuten.at: Wohin soll es nun für den Trainer Semlic gehen? Wovon träumen Sie?

Semlic: Ich bin zunächst einmal froh, hier beim SV Lafnitz Cheftrainer sein zu können und das es funktioniert, wie ich Trainer bin. Aber man strebt immer nach dem nächsten Schritt. Es ist zwar ein bisschen eine Floskel, aber ich konzentriere mich jetzt voll und ganz auf meine Aufgabe hier.

 

>> Scouting 2.0, Kaderzusammenstellung in der 2. Liga - wie das geht, verrät Philipp Semlic bei sportsbusiness.at

 

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