"Ob es hier eine Wachablöse gibt, werden erst die nächsten Jahre zeigen. Bis zum Rückspiel haben auch unsere Experten auf den FC Barcelona im Finale getippt. Dann würden wir nicht drüber reden. Valencia war in der Europa League auch im Halbfinale."
90minuten.at: Ist das das Ende der jahrelangen spanischen Dominanz? Die CL wurde seit 13/14 nur von Spaniern gewonnen, von neun Europa League-Siegern kamen nur drei nicht aus Spanien.
Platte: Ob es hier eine Wachablöse gibt, werden erst die nächsten Jahre zeigen. Bis zum Rückspiel haben auch unsere Experten auf den FC Barcelona im Finale getippt. Dann würden wir nicht drüber reden. Valencia war in der Europa League auch im Halbfinale. Aber Arsenal hat das, wohlwissend, dass es schwierig wird, sich über die Liga für die Champions League zu qualifizieren, super gemacht, sich sehr darauf konzentriert. Ansonsten war das immer eine Spezialität spanischer Mannschaften, vor allem auch in der Europa League. In der Champions League war es Real Madrid, sie haben schon auch in den richtigen Momenten den Kraftakt hingelegt. Man denke an die Spiele gegen Bayern oder Juventus in den letzten Jahren. Es ist immer ein Gesamtpaket. Ich fand Real beeindruckend stark. Sie haben den Bewerb im Vergleich zu La Liga auch priorisiert, weswegen sie auch eher selten spanischer Meister wurden. In dieser Saison machen die Engländer einen tollen Job. Gut, mit Tottenham hat wohl niemand gerechnet. Liverpool stand schon letztes Jahr im Finale. Bei einigen großen Klubs lief es in dieser Saison in der Liga nicht so gut, da wird nun viel investiert werden.
90minuten.at: Die innovativen Trainer, allen voran Klopp und Pocchettino, aber natürlich auch Sarri oder natürlich Guardiola, wirken nun in England. Barca oder Real hatten da eher Probleme.
Platte: Schon, aber ich bewundere auch Ernesto Valverde bei Barcelona. Er hat sich getraut, die Barca-Bibel zur Seite zu schieben und sein Konzept zu verfolgen. Da muss man dann wieder überlegen, ob das Scheitern dann nur an ihm liegt. Die englischen Trainer sind aber toll. Was Pep Guardiola geschafft hat, ist schon bemerkenswert. Beim unglücklichen Ausscheiden gegen Tottenham fehlten 1,2 Zentimeter bei der letzten Abseitsentscheidung. Was Klopp in Liverpool seit 2015 entwickelt hat, ist beachtlich. Real wiederum ist eine eigene Geschichte, Da ist wohl auch ein Sättigungsgrad erreicht, wenn man drei Mal hintereinander die Königsklasse gewinnt. Da ist es nur menschlich, die hatten jetzt mal eine Übergangssaison, wir werden sehen, was dann kommt.
90minuten.at: Bevor wir zum Kommentieren kommen. Wir beobachten in den letzten Jahren wieder durchaus aufmüpfige kleinere Nationen bzw Teams – Ajax ist wieder im Kommen, Slavia Prag kam ins EL-Viertelfinale, Salzburg war im EL-Halbfinale – können da vereinzelt kleinere Klubs den großen das Wasser reichen oder ergibt sich das aus der KO-Phase?
Platte: Den österreichischen Fußball verfolge ich nicht so genau, aber ich habe sie in der Europa League live gesehen und was ich gesehen habe, lässt eine Erkenntnis zu: Wenn eine Mannschaft einen Plan hat, wenn da was gewachsen ist, ein Konzept, das greift, das beeindruckt. Bei Ajax ist es ähnlich. Da stimmt ganz viel. Die Mannschaft kannte man kaum. Mit der Mannschaft, die 2017 im Europa League-Finale gegen Manchester United gespielt hatte, hat die aktuelle gar nicht mehr so viel zu tun. Ich hatte das Vergnügen, sie gegen Sturm Graz zu sehen. Da habe ich mit Heiko Vogel gesprochen und Peter Hyballa, der bei uns Experte ist für die Niederlande (Anm.: Und Sturm-Trainer war). Bei beiden hörte ich, wie stark sie Ajax einschätzen. Ich habe mich intensiv mit ihnen beschäftigt, dass sie eine so gute Rolle spielen, hätte ich aber auch nicht gedacht. Beide Mannschaften sind tolle Beispiele dafür, was mit einem stimmigem Konzept möglich ist. Bei beiden fehlte nicht viel, um in die jeweiligen Finale zu kommen, bei Ajax nur Sekunden. Ich sehe es auch gerne, wenn in einer Meisterschaft, die von einer Mannschaft stark dominiert wird, mal ein anderer gewinnt.
90minuten.at: Wie bereitet man sich auf ein derartiges Spiel genau vor? Quasi die gesamte Fußballwelt schaut hin – und hört hin.
Platte: Die Vorbereitung ist insofern besonders, weil es davor wenig Fußball gibt. Ich kann mich ausführlich vorbereiten, habe Liverpool in Champions League und Liga kommentiert. Tottenham habe ich gegen Dortmund und Barca gesehen. Ich verfolge die ohnehin. Die Vorbereitung ist nicht komprimiert, jetzt, da wenig Spiele sind. Man schaut, wo sie sich vorbereiten, wann es freie Tage gibt, wie es den Verletzten wie Salah oder Kane geht. Ich bereite mich aber genau so vor, wie auf andere Fußballspiele auch. Die Premier League interessiert auch ganz viele Leute, die sich bei den Klubs gut auskennen. Ich sehe keinen Unterschied zu Barcelona oder Real Madrid.
90minuten.at: Ich habe neulich mit einer österreichischen Fußballkommentatorin gesprochen. Sie spricht mit Trainern und Spielern, macht sich seine Notizen. Wie machen Sie das? Wie gehen Sie während des Spiels vor?
Platte: Wir bekommen die Mappen mit Daten, Zahlen und Fakten, die sind umfangreich. Dann mache ich meine Notizen, man spricht mit Experten. Ab Freitag sind wir in Madrid, dort gibt es noch die Pressekonferenzen, mit beiden Trainern und dem einen oder anderen Spieler. Manchmal kommt man dran, manchmal ist man in der Nahrungskette weiter hinten, da muss man schauen, ob man noch mit jemandem sprechen kann. Dann sitze ich mit Per Mertesacker auf der Tribüne und dann geht es los. Dann erzählt das Spiel die Geschichte, die wir begleiten und bewerten. Man macht sich dann schon auch vorher Gedanken, welche Duelle entscheidend sein können, wo die Stärken und Schwächen der Mannschaften sind. Das liegt dann alles da und der Blick gilt dem Platz.