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Champions League-Final-Kommentator Jan Platte: "Was Klopp in Liverpool seit 2015 entwickelt hat, ist beachtlich"

Jan Platte wird für DAZN aus dem Estadio Metropolitano berichten. Es ist ein rein englisches Finale, dabei findet das Endspiel in Madrid statt und eigentlich ist er auch Experte für den spanischen Fußball.

Das Gespräch führte Georg Sander

 

Liverpool gegen Tottenham - wer noch nach den Halbfinalhinspielen auf diese Paarung gewettet hätte, wäre vermutlich reich geworden. DAZN-Kommentator Jan Platte hat das nicht gemacht - als Experte für den spanischen Fußball hätte er wohl auch lieber spanische Beteiligung im Finale in Madrid gehabt. So sind es nun die zwei Engländer geworden, die Platte aber natürlich ebenfalls durchaus zu begeistern wussten. Im Interview mit 90minuten.at philosophiert er wegen gleich beider Europacup-Finali mit je zwei englischen Teilnehmern über eine mögliche Wachablöse im internationalen Klubfußball und erzählt, wie man das wichtigste Spiel des Jahres eigentlich kommentiert.

 

90minuten.at: Herr Platte, sie kommentieren das Champions League-Finale auf DAZN. Im Finale stehen zwei Engländer, eigentlich sind Sie aber auf La Liga spezialisiert.

Jan Platte: Ich habe schon auch Liverpool, Tottenham oder die Clubs aus Manchester kommentiert, am meisten bin ich aber eben in Spanien unterwegs.

 

90minuten.at: Das Finale findet im Estadio Metropolitano, dem Heimstadion von Atletico Madrid, statt. Warum – aus Ihrer Sicht – stehen sich nun zwei Engländer im Finale gegenüber?

Platte: Das müssen wir Barca und Ajax fragen. Wir haben alle die unglaublichen Champions League-Halbfinal-Wochen gesehen. Bei Tottenham war es immer recht knapp, sie haben sich ein bisschen durchgemogelt, hatten das richtige und wichtige Glück in den entscheidenden Momenten auf ihrer Seite. Das hatten die Spanier in den letzten Jahren oft auf ihrer Seite. Abgesehen von den Auswärtsspielen in der Gruppenphase hat es Liverpool sehr souverän gemacht, war stark gegen die Bayern, souverän gegen Porto. Und dann haben sie dieses unglaubliche Rückspiel gegen Barcelona hingelegt – das ist der Grund, warum wir ein rein englisches Finale haben – zum ersten Mal seit 2008.

"Ob es hier eine Wachablöse gibt, werden erst die nächsten Jahre zeigen. Bis zum Rückspiel haben auch unsere Experten auf den FC Barcelona im Finale getippt. Dann würden wir nicht drüber reden. Valencia war in der Europa League auch im Halbfinale." - Jan Platte

90minuten.at: Ist das das Ende der jahrelangen spanischen Dominanz? Die CL wurde seit 13/14 nur von Spaniern gewonnen, von neun Europa League-Siegern kamen nur drei nicht aus Spanien.

Platte: Ob es hier eine Wachablöse gibt, werden erst die nächsten Jahre zeigen. Bis zum Rückspiel haben auch unsere Experten auf den FC Barcelona im Finale getippt. Dann würden wir nicht drüber reden. Valencia war in der Europa League auch im Halbfinale. Aber Arsenal hat das, wohlwissend, dass es schwierig wird, sich über die Liga für die Champions League zu qualifizieren, super gemacht, sich sehr darauf konzentriert. Ansonsten war das immer eine Spezialität spanischer Mannschaften, vor allem auch in der Europa League.  In der Champions League war es Real Madrid, sie haben schon auch in den richtigen Momenten den Kraftakt hingelegt. Man denke an die Spiele gegen Bayern oder Juventus in den letzten Jahren. Es ist immer ein Gesamtpaket. Ich fand Real beeindruckend stark. Sie haben den Bewerb im Vergleich zu La Liga auch priorisiert, weswegen sie auch eher selten spanischer Meister wurden. In dieser Saison machen die Engländer einen tollen Job. Gut, mit Tottenham hat wohl niemand gerechnet. Liverpool stand schon letztes Jahr im Finale. Bei einigen großen Klubs lief es in dieser Saison in der Liga nicht so gut, da wird nun viel investiert werden.

 

90minuten.at: Die innovativen Trainer, allen voran Klopp und Pocchettino, aber natürlich auch Sarri oder natürlich Guardiola, wirken nun in England. Barca oder Real hatten da eher Probleme.

Platte: Schon, aber ich bewundere auch Ernesto Valverde bei Barcelona. Er hat sich getraut, die Barca-Bibel zur Seite zu schieben und sein Konzept zu verfolgen. Da muss man dann wieder überlegen, ob das Scheitern dann nur an ihm liegt. Die englischen Trainer sind aber toll. Was Pep Guardiola geschafft hat, ist schon bemerkenswert. Beim unglücklichen Ausscheiden gegen Tottenham fehlten 1,2 Zentimeter bei der letzten Abseitsentscheidung. Was Klopp in Liverpool seit 2015 entwickelt hat, ist beachtlich. Real wiederum ist eine eigene Geschichte, Da ist wohl auch ein Sättigungsgrad erreicht, wenn man drei Mal hintereinander die Königsklasse gewinnt. Da ist es nur menschlich, die hatten jetzt mal eine Übergangssaison, wir werden sehen, was dann kommt.

 

90minuten.at: Bevor wir zum Kommentieren kommen. Wir beobachten in den letzten Jahren wieder durchaus aufmüpfige kleinere Nationen bzw Teams – Ajax ist wieder im Kommen, Slavia Prag kam ins EL-Viertelfinale, Salzburg war im EL-Halbfinale – können da vereinzelt kleinere Klubs den großen das Wasser reichen oder ergibt sich das aus der KO-Phase?

Platte: Den österreichischen Fußball verfolge ich nicht so genau, aber ich habe sie in der Europa League live gesehen und was ich gesehen habe, lässt eine Erkenntnis zu: Wenn eine Mannschaft einen Plan hat, wenn da was gewachsen ist, ein Konzept, das greift, das beeindruckt. Bei Ajax ist es ähnlich. Da stimmt ganz viel. Die Mannschaft kannte man kaum. Mit der Mannschaft, die 2017 im Europa League-Finale gegen Manchester United gespielt hatte, hat die aktuelle gar nicht mehr so viel zu tun. Ich hatte das Vergnügen, sie gegen Sturm Graz zu sehen. Da habe ich mit Heiko Vogel gesprochen und Peter Hyballa, der bei uns Experte ist für die Niederlande (Anm.: Und Sturm-Trainer war). Bei beiden hörte ich, wie stark sie Ajax einschätzen. Ich habe mich intensiv mit ihnen beschäftigt, dass sie eine so gute Rolle spielen, hätte ich aber auch nicht gedacht. Beide Mannschaften sind tolle Beispiele dafür, was mit einem stimmigem Konzept möglich ist. Bei beiden fehlte nicht viel, um in die jeweiligen Finale zu kommen, bei Ajax nur Sekunden. Ich sehe es auch gerne, wenn in einer Meisterschaft, die von einer Mannschaft stark dominiert wird, mal ein anderer gewinnt.

 

90minuten.at: Wie bereitet man sich auf ein derartiges Spiel genau vor? Quasi die gesamte Fußballwelt schaut hin – und hört hin.

Platte: Die Vorbereitung ist insofern besonders, weil es davor wenig Fußball gibt. Ich kann mich ausführlich vorbereiten, habe Liverpool in Champions League und Liga kommentiert. Tottenham habe ich gegen Dortmund und Barca gesehen. Ich verfolge die ohnehin. Die Vorbereitung ist nicht komprimiert, jetzt, da wenig Spiele sind. Man schaut, wo sie sich vorbereiten, wann es freie Tage gibt, wie es den Verletzten wie Salah oder Kane geht. Ich bereite mich aber genau so vor, wie auf andere Fußballspiele auch. Die Premier League interessiert auch ganz viele Leute, die sich bei den Klubs gut auskennen. Ich sehe keinen Unterschied zu Barcelona oder Real Madrid.

 

90minuten.at: Ich habe neulich mit einer österreichischen Fußballkommentatorin gesprochen. Sie spricht mit Trainern und Spielern, macht sich seine Notizen. Wie machen Sie das? Wie gehen Sie während des Spiels vor?

Platte: Wir bekommen die Mappen mit Daten, Zahlen und Fakten, die sind umfangreich. Dann mache ich meine Notizen, man spricht mit Experten. Ab Freitag sind wir in Madrid, dort gibt es noch die Pressekonferenzen, mit beiden Trainern und dem einen oder anderen Spieler. Manchmal kommt man dran, manchmal ist man in der Nahrungskette weiter hinten, da muss man schauen, ob man noch mit jemandem sprechen kann. Dann sitze ich mit Per Mertesacker auf der Tribüne und dann geht es los. Dann erzählt das Spiel die Geschichte, die wir begleiten und bewerten. Man macht sich dann schon auch vorher Gedanken, welche Duelle entscheidend sein können, wo die Stärken und Schwächen der Mannschaften sind. Das liegt dann alles da und der Blick gilt dem Platz.

"Gegen eine Verlängerung hätte wohl niemand was – und dann vielleicht zwei englische Mannschaften im Elfmeterschießen." - Jan Platte

90minuten.at: Was erzählt man den Zusehern über Spieler, die jeder kennt?

Platte: Die Spieler interessieren so sehr, es gibt Leute in den englischen Medien, die sind unglaublich nah dran. In dem Fall ist man darauf angewiesen, was über Liverpool und Tottenham geschrieben wird. Es gibt vielfältige Quellen. Man kennt Engländer vor Ort, diese Quellen kann man auch anzapfen. Da ist es schwieriger, einmal ein Länderspiel zwischen der Ukraine und Dänemark zu kommentieren, alleine schon wegen der Sprache. Aber gib Harry Kane ein und du bekommst fast 70 Millionen Treffer. Dann muss man den Fokus drauf legen, wie fit er ist, was er oder über ihn in sozialen Netzwerken gepostet wird.

 

90minuten.at: DAZN ist im Internet zuhause – Sie waren auch bei Sat1 – ist es ein Unterschied, ob man im linearen Fernsehen oder im Netz kommentiert?

Platte: Nein, aber meine Sat1-Zeiten sind lange zurück. Bei Sport1 habe ich lange aus der Box kommentiert, immer wieder von vor Ort: Regionalliga, Frauenbundesliga und so weiter. Der große Unterschied mittlerweile ist, dass wir bei DAZN die Champions League-Rechte haben und wir auch vor Ort sind.

 

90minuten.at: Haben Sie das Gefühl, dass sich die Art der Response geändert hat? Als Kommentator kann man es schließlich meistens 50 % der Fans ohnehin nicht recht machen.

Platte: Das ist auch ein Stück weit das Kommentatorenleben. Man trifft natürlich nicht den Nerv aller Leute, die einen hören. Wenn man die einen lobt, dann kommt es so rüber, als ob man die anderen nicht mag. Aber das war immer schon so. Man ist nicht objektiv, wenn man zu jemandem hält. So lange es nicht unsägliche Ausmaße annimmt, ist es ok. Sie haben die erste österrichische Kommentatorin erwähnt, in Deutschland gibt es Claudia Neumann, da gab es wirklich unsägliche, hirnlose Kommentare. In den sozialen Netzwerken herscht eine geringe Hemmschwelle. Es ist schade, dass wir miteinander so umgehen.

 

90minuten.at: Zum Abschluss: Wer holt sich den Henkelpott?

Platte: Ganz ehrlich: Ich bin sehr schlecht beim Tippen und bei zwei englischen Topteams kann alles passieren. Liverpool wird aufgrund der Wahnsinnssaison in der Premier League in den Favoritenstatus gedrängt, die Spiele zwischen den beiden waren immer sehr eng. Liverpool hat wohl mehr Qualität, aber Tottenham lieferte immer, wenn sie mussten. Die haben auch Lösungen. Gegen eine Verlängerung hätte wohl niemand was – und dann vielleicht zwei englische Mannschaften im Elfmeterschießen.

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