
U21-Teamchef Perchtold: "Hundertprozentiger Überzeugungstäter"
2022 kam Peter Perchtold als Co-Trainer zum A-Nationalteam, seit Anfang des Jahres verantwortet er die U21 als Teamchef. Im Interview mit 90minuten spricht er ausführlich darüber, wie aus talentierten Burschen gestandene Fußballer werden.
Als Spieler stand Peter Perchtold unter anderem beim VfB Stuttgart und dem 1. FC Nürnberg unter Vertrag. Die Spielerkarriere beendete der heute 40 Jahre alte Coach 2013.
Als Co-Trainer arbeitete der Deutsche unter Martin Schmidt bei Mainz 05, Domenico Tedesco bei Schalke 04 sowie Pellegrino Matarazzo beim VfB Stuttgart. 2022 kam er in dieser Funktion ins Trainerteam von Ralf Rangnick, mit 1. Jänner 2025 ist er U21-Teamchef.
Im ausführlichen 90minuten-Interview spricht Perchtold über Authentizität, was er am Red-Bull-Fußball so toll findet und wie aus Nachwuchsspielern Vollprofis werden sollen.
90minuten: In Ihrer relativ früh beendeten Spielerkarriere haben Sie viele Seiten des Fußballgeschäfts kennengelernt, auch Schattenseiten wie geplatzte Träume, nicht ausgezahlte Gehälter, schwere Verletzungen. Inwiefern helfen diese ganzen Erfahrungen aus der eigenen Karriere eigentlich im Umgang mit diesem doch schwierigen Alter in der U21?
Peter Perchtold: Ich habe meine Karriere bei einem kleinen Verein in der Region Nürnberg begonnen. Es war lange nicht klar, wo der Weg hinführen würde, obwohl es bereits früh Möglichkeiten gab, zu größeren Klubs zu wechseln. Aber ich kann mit meiner Karriere zufrieden sein, habe beim VfB Stuttgart Bundesliga gespielt und war dort im Champions-League-Kader. Das hätte ich mir drei, vier Jahre davor nicht erträumt. Anschließend bin ich mit Nürnberg in die 1. Bundesliga aufgestiegen, auch das waren unvergessliche Momente. Mit Mitte 20 hatte ich mit Verletzungen zu kämpfen und musste meine Karriere recht früh beenden. Das sind unschöne Situationen, aber man merkt, wie wichtig es ist, gesund zu bleiben.
Diese Erfahrungen kann ich in meine Trainerkarriere mitnehmen. Die Jungs werden gerade beim Thema Gesundheit immer professioneller, aber es schadet jetzt nicht, wenn man all das selbst erlebt hat und seine eigenen Erfahrungen dadurch authentisch weitergeben kann. Vielleicht kann man so den einen oder anderen vor einer ähnlich schwierigen Zeit bzw. Schicksal bewahren. Mir persönlich hat das frühe Karriereende natürlich Erfahrungen im Trainerbereich eingebracht, die man in der Regel erst viele Jahre später erhält.
90minuten: In Zahlen ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass es jemand aus der U21 zu Barcelona oder Bayern schafft, manche werden die Karriere auch bald beenden. Sind das Themen beim Austausch mit der U21-Mannschaft?
Perchtold: So weit würde ich jetzt gar nicht in die Zukunft blicken. Ich schließe es ganz im Gegenteil nicht aus, dass einige da eine große Karriere vor sich haben. Wir haben einen großen Pool an sehr, sehr spannenden Spielern mit richtig großem Potenzial. Sie fragen uns im Staff natürlich auch, ob dieser oder jener nächste Schritt passt oder nicht. Da kann ich schon Ratschläge erteilen, weil ich bzw. wir die Gegebenheiten vor Ort, den Trainer oder die Spielweise des Vereins kennen. Als Trainer will ich generell, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen und sich auf dem für sie höchsten Niveau messen können.
Wenn es sich nicht verhindern lässt, dass man ein paar Monate nicht bei der ersten Mannschaft spielt, muss man seinen Mann stehen und mit dieser Erfahrung zurechtkommen.
90minuten: Welche Steps sind denn passend – eher von Österreich nach beispielsweise Belgien, bevor man bei einem großen Klub auf der Bank sitzt?
Perchtold: Das kann man nicht verallgemeinern. Grundsätzlich ist es wichtig, konstant auf dem höchstmöglichen Niveau zu spielen. Ich weiß auch nicht, ob die belgische Liga so viel besser ist als die österreichische. Für unsere Spieler ist es wichtig, im Profifußball anzukommen, auch in der 2. Liga. Es kann manchmal schon auch gut sein, in einer größeren Mannschaft nur mitzutrainieren und im zweiten Team zu spielen. Spielpraxis ist in diesem Alter elementar. Wenn es sich nicht verhindern lässt, dass man ein paar Monate nicht bei der ersten Mannschaft spielt, muss man seinen Mann stehen und mit dieser Erfahrung zurechtkommen.
90minuten: Ried-Sportchef Wolfang Fiala meinte neulich, wir verlangen zu früh zu viel von den Spielern. Wie sehen Sie das und wie gehen Sie mit den unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten um?
Perchtold: Im Fußball arbeitet man heutzutage vermehrt individuell. Manche brauchen einfach etwas mehr Zeit, sei es körperlich, persönlich oder im sozialen Umgang. Andere funktionieren auf Knopfdruck. Entscheidend für uns Trainer ist es, das Grundpotenzial zu erkennen, konstant einzufordern und dafür zu sorgen, dass der Spieler all das mit der Zeit häufiger abruft als zu Beginn der Zusammenarbeit.
90minuten: Es ist gerade Transferzeit. Was erwarten Sie sich von den einzelnen Spielern?
Perchtold: Wie erwähnt, das höchstmögliche Niveau. Und ich finde es nicht so schlimm, wenn einer sich einmal durchbeißt, sollte es aktuell nicht so viel Spielzeit geben. Man muss nicht immer den Verein wechseln, um den nächsten Schritt zu gehen.
90minuten: Im heutigen Fußball sind die Kicker mit Nachwuchszentren und Akademien gut ausgebildet und müssen sich früh für den Weg in den Profifußball committen. Was sind die zwei, drei Dinge, die aus einem guten Talent einen Profi machen?
Perchtold: Auch da will ich nicht verallgemeinern, wenngleich die meisten guten Spieler schon recht früh bei guten Teams spielen. Es gibt aber auch zahlreiche andere Beispiele. Wenn einer mit 18 Jahren noch auf Amateurebene spielt, macht er andere Erfahrungen, weil er sich in dem Alter mit Erwachsenen misst und nicht mit Gleichaltrigen. Diese Erfahrung bringt den Spielern sicherlich extrem viel. Um konkret auf die Frage zu antworten: Fußball wird immer schneller, also ist Athletik eine gute Basis dafür, konkurrenzfähig zu sein.
Dann ist es gut, wenn man ein Alleinstellungsmerkmal hat – etwa Geschwindigkeit, technische Qualitäten oder Zweikampfstärke. Wenn man das nicht hat, sollte man in vielen anderen Bereichen auf einem hohen Niveau sein, denn das braucht es, um letztlich Geld mit Fußball zu verdienen.
90minuten: Gibt es konkrete Red Flags? Beispielsweise, wenn einer mit 17 schon mit dem Berater im Schlepptau kommt?
Perchtold: Diese Thematik stellt sich bei der Nationalmannschaft nicht und mir fällt jetzt auch keine Situation ein, wo ich sagen würde, dass man überhaupt nicht zusammenarbeiten kann.
90minuten: Wie gehen Sie mit dem Thema um, dass sich viele Spieler im U21-Bereich noch nicht für Österreich oder die Nation ihrer Eltern entschieden haben?
Perchtold: Das ist eine gewisse – wiederum individuell zu sehende – Herausforderung. In den letzten zwei Jahren ist in dem Zusammenhang extrem viel getan worden. Ich kann generell verstehen, wenn sich einer das gut überlegt und diese Grundsatzentscheidung mit sich und seiner Familie ausmacht. Wir sind jedenfalls über alle froh, die sich entscheiden, für unser tolles Land zu spielen und alles zu geben.
90minuten: Die nächste Frage klingt auf den ersten Blick vielleicht etwas komisch: Wie stehen Sie zur Serie A?
Perchtold: Wir haben ja ein paar Spieler, die dort spielen. Darum verfolge ich die Liga und die internationalen Spiele natürlich.
90minuten: Die Frage kam deshalb, weil die Serie A als defensiv/taktisch gilt, dort viele ältere Spieler kicken – also das Gegenteil von dem passiert, was sie als U21-Teamchef mit Red-Bull-Fußball wollen.
Perchtold: Pressing bzw. das Spiel gegen den Ball ist im ÖFB seit drei Jahren die Basis unseres Spiels. Wir haben da teilweise ein Alleinstellungsmerkmal und ich bin hinsichtlich dieser Art und Weise, Fußball zu spielen, hundertprozentiger Überzeugungstäter. Das sieht man auch in den drei Spielen, die ich bislang mit der U21 hatte. Wir konnten viel pressen und haben wenig zugelassen. Allerdings ist es für mich entscheidend, dass die Spieler in allen Teilbereichen des Spiels wissen, was sie zu tun haben. Das gilt natürlich auch für das Spiel mit dem Ball und die Umschaltphasen.
Ich möchte die Serie A aber nicht dahingehend abstempeln, dass dort nur alte Spieler "Catenaccio" spielen. Es gibt einige Teams, die hoch anpressen und mutig nach vorne spielen. Da sieht man 34, 35 Jahre alte Innenverteidiger, die mutig andribbeln und daneben spielen 18-, 19-Jährige. Die Liga ist gesamtqualitativ brutal anspruchsvoll.

90minuten: Aber ist es nicht leichter, einen U21-Kicker mit Pressingfußball-Klub zu haben als einen, der im Verein einen passiveren Ansatz gewohnt ist?
Perchtold: In solchen Extrembeispielen mit komplett unterschiedlichen Philosophien kann es schon zu Anpassungsschwierigkeiten kommen. Es ist dann aber auch meine Aufgabe, das im Vorhinein zu erkennen und zu klären. Die meisten wissen aber schon, dass es sinnvoller und ökonomischer ist, einmal voll zu sprinten als achtmal halbgar.
90minuten: Was finden Sie als "Überzeugungstäter" eigentlich so toll am ÖFB-Fußball?
Perchtold: Die Aktivität, den Mut und die Überzeugung in die eigene Stärke. Einfach die Art und Weise, wie wir aus der Arbeit gegen den Ball Vorteile kreieren, die uns in aussichtsreiche Situationen bringen. Wenn du das Spiel von hinten aufbaust, triffst du meistens auf einen geordneten Gegner – und mit unserer Art und Weise schaffen wir durch Dynamik Überzahlsituationen in Momenten, die den Gegner am meisten schmerzen.
90minuten: Österreichs Nachwuchs gilt als talentiert. In den ersten drei Spielen Ihrer Ära gab es gegen die Schweiz ein 2:0, Lettland ein 1:0 und Ungarn ein 3:1. Insgesamt wäre es doch gut, Gegnern einmal mehr Tore zu schießen, oder?
Perchtold: Grundsätzlich bin ich mit der Torausbeute aus den bisherigen Spielen nicht unzufrieden. Wir haben schon sehr viele Jungs, von denen ich denke, dass sie sehr effizient eine Vielzahl an Toren schießen können. In diesen Freundschaftsspielen haben wir zudem versucht, Gegner zu simulieren, auf die wir in der kommenden Qualifikation treffen. Das Learning aus den Partien ist, dass wir Spiele gewinnen und der Glaube an die eigene Stärke brutal da ist. Man kann ja umgekehrt auch über die Tore reden, die wir nicht bekommen haben. Aber: Im Spiel gegen den Ball waren wir top.
Es gab sicher auch Phasen – etwa gegen Lettland – in denen wir nicht so gut verteidigt haben. Das war allerdings ganz klar die Ausnahme. In der Quali werden wir auf Nationen treffen, die versuchen, unser Pressing zu überspielen und mit Körperlichkeit agieren werden. Wir wollen keine Punkte gegen vermeintlich kleinere Nationen liegen lassen. In den direkten Duellen um die Teilnahme müssen wir dann am Punkt Topleistungen abrufen, damit wir uns qualifizieren.
Man muss auch sagen, dass die Skandinavier eine ganz gute Balance aus Sozialkompetenz und fußballerischer Qualität haben.
90minuten: Österreich ist mit Belarus, Wales, Belgien und Dänemark in der Gruppe, es gibt wohl einfachere.
Perchtold: Es sind bei der Einteilung der Lostöpfe die Leistungen der letzten erfolgreichen Teilnahme rausgefallen und so sind wir in Topf drei gerutscht. Demzufolge war davon auszugehen, dass wir keine einfache Gruppe erwischen, bei der man drei Gegner vermeintlich im Vorbeigehen schlägt. So ist es eine spannende Gruppe ohne den absoluten Favoriten geworden. Die Dänen und Belgier haben eine extreme individuelle Qualität und zehn, zwölf richtig gute Spieler in dieser Altersklasse.
Aber auch Wales ist eine gute Fußballnation, die sich mit dem A-Team zuletzt häufig für Großereignisse qualifizieren konnte – da haben wir mit unserer A-Nationalmannschaft ja auch schon unsere Erfahrungen gemacht. Die Belarussen sind schon alleine organisatorisch eine Herausforderung, weil in Georgien gespielt wird, was flugtechnisch nicht so einfach ist. Darüber hinaus ist das eine richtig gute Mannschaft. Ich will jetzt niemanden starkreden, aber das sieht man an den letzten Ergebnissen (Anm.: 2025 ungeschlagen, mit Siegen gegen Nordmazedonien, die Türkei und Aserbaidschan).
90minuten: Gegen die Dänen hatte das A-Team so seine Probleme. Warum tun wir uns so schwer?
Perchtold: Vom Namen her sind Frankreich, Spanien, England natürlich über sie zu stellen, aber Dänemark steht berechtigt dort, wo sie sind. Alle dänischen Nationalteams spielen dieselbe Art und Weise von Fußball. Dazu kommen richtig gute Spieler, auch in unserer Altersklasse. Beispielsweise Conrad Hader von Sporting CP. Was sie von den großen Teams unterscheidet, ist auch, dass sie eine einheitliche Sprache sprechen. Man muss auch sagen, dass die Skandinavier eine ganz gute Balance aus Sozialkompetenz und fußballerischer Qualität haben.
90minuten: Kommen wir noch zu Synergien mit dem Nationalteam. In der letzten Quali wurde Frankreichs U21 geschlagen, Slowenien hat die Gruppe gewonnen, gegen Zypern gab es zwei Remis. Was können die Jungs bzw. der ÖFB daraus lernen?
Perchtold: Mit dem A-Team haben wir gezeigt, dass wir uns nicht nur für Großereignisse qualifizieren, sondern auch beim Turnier selbst Eindruck hinterlassen können. Auch in der aktuellen Qualifikation ist man wieder auf einem sehr guten Weg. Generell bestätigen die Erfahrungen aus der Vergangenheit der U21, dass es unter dem Strich nur an uns selbst liegt.

90minuten: Und diese Grundlage legen Sie in der U21?
Perchtold: Wenn man diese positiven Erfahrungen bereits in der U21 macht, hilft das natürlich für alle folgenden Herausforderungen auf A-Team-Level. Es geht uns weiters darum, dass die U21 – wie das A-Team auch – ganzjährig gelebt wird. Wir wollen den Ausnahmetalenten des Landes nicht nur sportlich und organisatorisch, sondern auch medizinisch und zwischenmenschlich unsere Wertschätzung zuteilwerden lassen. Das Nationalteam ist das ganze Jahr.
90minuten: Wir haben die Dänen und ihre durchlässige Spielidee angesprochen, die es auch im ÖFB geben soll. Wo stehen wir diesbezüglich?
Perchtold: Das hat schon mit der Einstellung von Ralf und allen damals getroffenen Maßnahmen angefangen. Wenn man sich seit geraumer Zeit die Spiele im Nachwuchs ansieht, erkennt man meist schnell, welche Nation Österreich ist.
90minuten: Welchen Effekt kann man sich in ein paar Jahren davon erwarten?
Perchtold: Die Durchlässigkeit wird einfacher. Es ist für die Spieler ja wesentlich angenehmer, wenn überall ähnliches verlangt oder auch nur dasselbe Wording verwendet wird. Die Spieler wissen ganz genau, was von ihnen erwartet wird und man muss bei Jahrgangswechseln nicht immer bei null anfangen.
90minuten: Wie kann man sich diese Zusammenarbeit nun vorstellen?
Perchtold: Grundsätzlich tauschen wir uns sehr regelmäßig aus. Es gibt viele Gruppen, in denen in unterschiedlichsten Konstellationen Themen besprochen werden. Sportlich, organisatorisch oder alles, was gerade ansteht. Drei- bis viermal im Jahr gibt es einen Jour fixe, bei dem alle Teamchefs und sportlich Verantwortlichen zusammenkommen, um sich mit Präsentationen, Inputs und Austausch abzustimmen. Sicherlich gehört diesbezüglich auch der Perspektivlehrgang Ende Juli dazu. Hierbei ist ein intensiver Austausch notwendig, um festzulegen, welche Spieler dabei sind. Das ist durchaus aufwendig, schafft aber eine unglaublich wertvolle Perspektive für die Zukunft.
90minuten: Sprich: Es wird vermehrt kommuniziert?
Perchtold: Nicht nur, es gibt auch externen Input bei diesen Veranstaltungen, etwa aus der Wirtschaft, wo es beispielsweise um Leadership geht. Wir beschäftigen uns darüber hinaus mit taktischen Trends aus den großen Ligen oder anderen sportlichen Inhalten. Die Basis von allem ist aber natürlich Kommunikation.
90minuten: Wird das aus Ihrer Sicht schon für die Qualifikation zur U21-Endrunde 2027 reichen?
Perchtold: Ich bin davon überzeugt, dass wir uns für diese Europameisterschaft qualifizieren. Es kommt natürlich auf die Tagesform in den direkten Duellen und vielleicht auch etwas Glück an, aber wir werden alles dafür tun, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Teilnahme so hoch wie möglich ist.
90minuten: Wir danken für das Gespräch!