Besian Idrizaj: Der erste Österreicher beim FC Liverpool
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Besian Idrizaj: Der erste Österreicher beim FC Liverpool

Es ist eine der größten "Was wäre wenn"-Geschichten im österreichischen Fußball. Am 22. August 2005 unterschreibt Stürmer Besian Idrizaj beim FC Liverpool. 90minuten erinnert sich an das große Talent.

Es ist der 24. Mai 2005, der LASK spielt in der "Red Zac Erste Liga" vor 1.000 Zuschauern auswärts beim SV Wörgl. In der 59. Minute wird auf Seiten der Tiroler Miron Muslic eingewechselt, wenig später schickt LASK-Coach Werner Gregoritsch den 17-jährigen Besian Idrizaj aufs Feld.

Es ist der 28. Pflichtspieleinsatz für den Offensivspieler in der zu Ende gehenden Saison, bald wird er als "Benjamin des Jahres", sprich bestes Talent der zweiten Liga, ausgezeichnet werden. Gegen Wörgl bleibt er - wie seine Teamkollegen - weitgehend blass.

Besian Idrizaj im Duell mit Sanel Kuljic
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Besian Idrizaj im Duell mit Sanel Kuljic

Einen Tag später liegt der FC Liverpool im Champions-League-Finale in Istanbul zur Halbzeit mit 0:3 zurück. Es ist das Ende einer durchwachsenen Saison für die "Reds", die sich in der Qualifikation für den Bewerb nur knapp gegen den GAK durchgesetzt hatten. Aber das Comeback gelingt, Liverpool gleicht den Rückstand innerhalb weniger Minuten aus und triumphiert spektakulär im Elfmeterschießen.

Gutes Geld für den LASK

Zwischen den beiden Vereinen liegen zu diesem Zeitpunkt Welten, trotzdem wird Liverpool noch im folgenden Juli bei Idrizajs Manager Jürgen Werner vorstellig. Auch andere Vereine - wie Borussia Dortmund und Inter Mailand - zeigen Interesse. Im Gespräch mit 90minuten schwärmt Werner noch heute vom Potenzial des Teenagers: "Er hat bei einem Nachwuchsturnier auf sich aufmerksam gemacht. Wir haben dann die Kontakte nach England geknüpft." Es ist das erste Mal seit langem, dass er auf seinen ehemaligen Schützling angesprochen wird.

Idrizaj ist schon in jungen Jahren knapp unter 1,90 Metern groß und eher schlacksig. "Besi", wie Werner ihn nennt, bringt neben einer physischen Präsenz auch technische Fähigkeiten und einen guten Abschluss mit.

Anfang August 2005 absolviert Idrizaj ein dreitägiges Probetraining bei der mit Stars gespickten Mannschaft von Trainer Rafa Benitez. Der Nachwuchs-Teamspieler behält die Nerven und zeigt sich spielfreudig - "Er hat das gut gemacht. Besi war von seinen Fähigkeiten überzeugt und hat das auch nach außen gezeigt", erinnert sich Werner.

Er war von seinen Fähigkeiten überzeugt und hat das auch nach außen gezeigt.

Jürgen Werner

Der heutige Austria-Sportvorstand pflegte damals gute Kontakte auf die Insel, neben Idrizaj wechselt im Sommer 2005 auch Emanuel Pogatetz zu Middlesbrough. Im Jänner 2006 folgt Paul Scharner zu Wigan Athletic.

Schnell nimmt der Transfer konkrete Form an, Liverpool macht dem LASK ein Angebot in sechsstelliger Höhe, das der Verein zum damaligen Zeitpunkt kaum ablehnen kann. Trotzdem zögern die Linzer um Präsident Peter-Michael Reichel, hinter den Kulissen wird um Details gefeilscht. "Wir haben ihn jahrelang aufgebaut und entwickelt. Jetzt, wenn er fast soweit ist, verlieren wir ihn", argumentiert Reichel kurz vor der Einigung.

Am Ende ringt sich der Aufsichtsrat zum Verkauf durch, der LASK streicht rund 275.000 Euro Sockelablöse ein - es ist der lukrativste Transfer des Vereins zwischen 2002 und 2010. Obendrauf werden Boni für Einsätze und eine Weiterverkaufsbeteiligung vereinbart, die Linzer sichern sich zudem eine Art Rückholrecht: Sollte das Talent sich nicht durchsetzen können, wechselt er zurück zu seinem Ausbildungsverein. Idrizaj unterschreibt an der Anfield Road einen Zweijahresvertrag mit Option auf Verlängerung bis 2008.

Fast zwei Jahre ohne Pflichtspiel

Besian Idrizaj zieht bald nach Liverpool, dort kommt er gemeinsam mit seinem Teamkollegen Godwin Antwi beim Ehepaar Callagher unter. Vorerst soll er für das Amateurteam in der Reserveliga spielen und mit der ersten Mannschaft trainieren, er findet schnell prominente Ansprechpartner wie Didi Hamann und Peter Crouch.

ÖFB U21 im Jahr 2007 mit u.a. Besian Idrizaj (Nr. 8), Frankie Schiemer (Nr. 4), Florian Klein (Nr. 7), Andi Schicker (Nr. 3)
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ÖFB U21 im Jahr 2007 mit u.a. Besian Idrizaj (Nr. 8), Frankie Schiemer (Nr. 4), Florian Klein (Nr. 7), Andi Schicker (Nr. 3)

Im ersten Jahr bleibt der Stürmer großteils unter dem Radar. Hin und wieder gelingen bei der schwächelnden Liverpool-Reserve Tore und Vorlagen, aber nicht mit ausreichend Konstanz, um sich für höhere Aufgaben zu empfehlen. Bei den Profis macht er Testspiele mit, steht aber nie im Premier-League-Kader. Für den ÖFB pendelt Idrizaj zwischen U19 und U21, dort spielt er unter anderem mit Christian Fuchs, Zlatko Junuzovic, Marc Janko, Florian Klein und Andi Schicker.

Erst im Frühjahr 2007 macht der inzwischen 19-Jährige den nächsten Schritt. Liverpool kann sich endlich zu einer Leihe durchringen, Idrizaj wechselt für ein halbes Jahr nach Luton, nördlich von London. Es ist eine schlechte Entscheidung für die junge Karriere: Der Verein steckt hoffnungslos im Abstiegskampf und hat erst Tage zuvor den Trainer entlassen, die Stimmung ist dementsprechend schlecht. Immerhin macht er die ersten sieben Pflichtspiele im Erwachsenenfußball seit fast zwei Jahren - Luton verliert sechs davon, Idrizaj erzielt eines der sechs Tore, die Luton in diesen Partien gelingen.

Sternstunde gegen Wrexham

Aufgegeben hat Rafa Benitez den Österreicher aber noch nicht. Liverpool zieht die Option auf Verlängerung, Idrizaj darf eine weitere Vorbereitung mitmachen. Die Konkurrenz bleibt groß: Neben Peter Crouch, Andriy Voronin und Dirk Kuyt spielen ab Sommer 2007 auch Ryan Babel und Fernando Torres für Liverpool.

Das war ein Vorurteil. Er war nicht überheblich, es wurde ihm aber oft zugeschrieben.

Jürgen Werner

Von Paul Gludovatz wird Besian Idrizaj nicht zur U20-WM mitgenommen, der Trainer lässt durchklingen, dass er mit der Arbeitseinstellung des Spielers unzufrieden ist. Diese Unterstellung begleitet ihn über viele Jahre, Jürgen Werner dementiert: "Das war ein Vorurteil. Er war nicht überheblich, es wurde ihm aber oft zugeschrieben. Er hat gewusst, dass er Talent hat und vielleicht nicht mit Kampfgeist geglänzt, dafür aber mit spielerischen Akzenten. Es war einfach wichtig, einen Zugang zu ihm zu finden."

In England rückt stattdessen überraschend der Durchbruch in greifbare Nähe: In einem Testspiel gegen den Viertligisten Wrexham schießt Idrizaj Liverpool mit einem Hattrick zum 3:2-Sieg. Viele Stars fehlen, weil sie parallel eine Asien-Tour absolvieren, die Leistung des Stürmers erhält deshalb viel Aufmerksamkeit. Benitez behält ihn bis Ende August in seinem Kader, am Ende geht es dann aber doch per Leihe zurück in Richtung London.

Bittere Kapitel in London und Innsbruck

Wieder leistet sich Liverpool einen Fehlgriff: Idrizaj wechselt für ein Jahr zu Crystal Palace. Der Zweitligist hatte die Vorsaison im Tabellen-Mittelfeld beendet, mit Spielern wie Clinton Morrison, Julian Speroni, Lewis Grabban, Jose Fonte, dem jungen Victor Moses und dem späteren Palace-Sportdirektor Dougie Freedman standen einige interessante Namen im Kader. Doch der Start in die Spielzeit 2007/08 missglückt vollkommen, bevor der Österreicher richtig ankommen kann.

Anfang Oktober wird Trainer Peter Taylor entlassen. Sein Nachfolger, Neil Warnock, greift direkt hart durch und hat es schnell auf Idrizaj abgesehen. "Es ist vollkommen sinnlos, wenn er bei uns bleibt, weil er hier nicht spielen wird", sagt der Engländer gegenüber Medien und drängt Liverpool dazu, den Spieler zurückzuholen.

Idrizajs Stammverein gibt nach und beendet die Leihe im Winter. Weitergehen soll es jetzt in Österreich, bei Wacker Innsbruck. Die Tiroler können Verstärkung für die Offensive gut gebrauchen, nach einem horrenden Saisonstart stecken sie seit Monaten im Hintertreffen. Der 20-Jährige gibt sein Bundesliga-Debüt im Februar 2008, er wird in der 63. Minute gegen Sturm Graz eingewechselt. Kurz darauf geht er ohne Fremdeinwirkung zu Boden, Idrizaj verliert zwischenzeitlich das Bewusstsein und wird vom Feld getragen. Die behandelnden Ärzte diagnostizieren einen Kreislaufkollaps aufgrund einer Virusinfektion, alle weiteren Untersuchungen verlaufen unauffällig. Rund einen Monat muss der Spieler pausieren, bevor er ins Aufbautraining starten kann. Parallel gewinnt Wacker von Februar bis April nur noch ein Spiel und steigt ab.

Die Erwartung an junge Spieler ist enorm hoch. Es ist keine Schande, als 18-Jähriger noch nicht Stammspieler zu sein.

Jürgen Werner

Seine Zeit bei Liverpool geht im Sommer 2008 endgültig zu Ende. Jürgen Werner hat aus dieser und anderen Erfahrungen gelernt: "Die Vereinswahl ist sehr wichtig. Es sollte bei den ersten Verträgen nicht um Geld gehen, sondern um die Möglichkeit zu entwickeln."

Der 63-Jährige ergänzt: "Mir fällt ein Spruch ein: 'Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.' Die Erwartung an junge Spieler ist enorm hoch. Es gibt aber viele, die ein bisschen länger brauchen und trotzdem erfolgreich sind. Es ist keine Schande, als 18-Jähriger noch nicht Stammspieler zu sein."

Nach der Saison 2007/08 ist Idrizaj für einige Monate vereinslos und mit einem großen medizinischen Fragezeichen gebrandmarkt. Eine Rückkehr zum LASK scheitert, weil er bei einem Probetraining im November erneut kollabiert.

Rückkehr auf die Insel

Ein Jahr später will es der 21-Jährige trotzdem noch einmal wissen. Er spielt bei Yeovil Town und Nottingham Forest vor, später unterschreibt er einen Zweijahresvertrag beim Zweitligisten Swansea City. Für viele Einsätze reicht es in der Saison 2009/10 nicht, bis Anfang Dezember absolviert er acht Minuten in der Liga, vor Weihnachten dann eine Halbzeit gegen Plymouth Argyle.

Nach Ende der Spielzeit reist Idrizaj zurück zu seiner Familie nach Linz, dort verstirbt er am 15. Mai 2010 im Alter von 22 Jahren plötzlich aufgrund von Herzproblemen.

Swansea City feiert Aufstieg und gedenkt Besian Idrizaj
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Swansea City feiert Aufstieg und gedenkt Besian Idrizaj

Es ist ein Schock, auch für die Teamkollegen in Swansea. Trainer Paulo Sousa erklärt: "Er hat im Lauf der Saison hart gearbeitet, um sich zu alter Stärke zurückzukämpfen. Alle Teamkollegen haben in den letzten Wochen gesehen, wie viel Talent in ihm steckt. Ich habe mir erwartet, dass er im nächsten Jahr regelmäßig für uns zum Einsatz kommt."

Ein Jahr später steigt der Verein aus Wales unter der Leitung von Brendan Rodgers in die Premier League auf. Im Playoff-Finale gegen Reading tragen Teamkollegen T-Shirts mit Besian Idrizajs Namen und Foto. Seine Rückennummer 40 vergibt der Verein nicht mehr.

Fußball hat dazugelernt

Herzerkrankungen im Sport sind über die vergangenen Jahre stark in den Fokus gerückt. Besian Idrizaj wurde im Lauf seiner Karriere vielfach untersucht, aber ebenso oft für fit erklärt. Der langjährige LASK-Arzt sprach nach Idrizajs Tod von einer "Rechtsherz-Überlastung", er habe ihm 2008 deshalb vom Profifußball abgeraten. Trotzdem bestand der junge Mann den Medizincheck bei Swansea. Die Sensibilität für gesundheitliche Probleme und damit verbundenen Gefahren ist seitdem deutlich gestiegen.

Dass ein Spieler, kurz nachdem er auf dem Feld zusammengebrochen ist, in Medien als "Problem-Boy" charakterisiert wird, ginge heute wohl auch mit deutlich mehr Kritik einher als damals.

Du kannst einem jungen Mann schlecht ausreden, dass er zum Champions-League-Sieger nach England wechselt.

Jürgen Werner

Auch wenn Idrizaj keinen Pflichtspieleinsatz für den FC Liverpool vergönnt war, bleibt er der erste Österreicher, der bei den "Reds" unterschreiben durfte. Alexander Manninger folgte 2016 und saß immerhin einige Male auf der Bank. Als erste ÖFB-Akteurin spielt heute Marie-Therese Höbinger für Liverpool.

Den großen Transfer hält Jürgen Werner heute immer noch für richtig. "Die Frage ist nur, ob die verschiedenen Leihen der richtige Weg waren. Vielleicht wäre es besser gewesen, über ein oder zwei Jahre bei einem Verein zu spielen und dann zu Liverpool zurückzukehren. Du kannst einem jungen Mann aber schlecht ausreden, dass er zum Champions-League-Sieger nach England wechselt."


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