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Erfolgreich kritikfähig

Detailkritik am Nationalteam ist wichtig und hat wenig mit überzogener Erwartungshaltung zu tun. Ein Kommentar von Gerald Gossmann.


Der österreichische Fußball boomt, weil das Nationalteam boomt. Im burgenländischen Trainingscamp stürmten die Schaulustigen das Gelände, auf dem Alaba & Co. turnten. Der österreichische Fan erwartet sich wieder etwas von der österreichischen Nationalmannschaft. Und auch die Nationalmannschaft hat die Erwartungshaltung an sich selbst hochgeschraubt. Nach dem 2:1-Sieg gegen Albanien waren mehr kritische als frohmutige Stimmen zu hören. Vom Teamchef bis zu Spielern oder Journalisten wurden die Problemstellen angesprochen und eher an Verbesserung appelliert als Lobgehudelt. Das ist ungewöhnlich. Schließlich hat die österreichische Nationalmannschaft ja gewonnen. Gegen einen EM-Teilnehmer noch dazu.

 

Während die einen die Mängelliste anführen, warnen die anderen aber zeitgleich davor, die Erwartungshaltung an die Mannschaft nicht zu hoch zu schrauben. Gerald Gossmann< /div>< /div>


Wer einen EM-Teilnehmer schlägt war gut, sparen wir uns doch die Kritik, lautet der Appell. Österreich ist schließlich nicht Spanien oder Barcelona oder Bayern. Österreich hat ja gewonnen. Österreich ist Österreich. Und Österreich ist dort, wo sich eine Mannschaft durch einen Sieg generell jeder Analyse erledigt. Dabei scheint das falsch. Richtig scheint vielmehr: Wer sich weiterentwickeln will, der analysiert. Auch nach Siegen. Auch, wenn die Kritik nur Details betrifft. Wer das verweigert, entwickelt sich oft nicht weiter. Marcel Koller hätte nach dem Sieg gegen Albanien durchaus vor die Medien treten können, um zu beschwichtigen. Nach 9 Siegen in 10 Qualifikationsspielen hätte er jede Kritik als Affront abtun können. Er hätte von seiner Erfolgsbilanz und nicht von Verbesserungsansätzen schwadronieren können.

 

So wie es in der österreichischen Bundesliga noch Gang und Gäbe ist. Wo bei Rapid Problemstellen noch immer nicht benannt werden, sondern auf die tolle Europacup-Bilanz verwiesen wird, während man in der Meisterschaft die Punkte reihenweise auf Dorfplätzen liegen lässt. Öffentlich benannt wird die strategische Einfältigkeit nicht, sondern zugedeckt – mit Verweis auf bisher Gutes wird das Schlechte negiert. Die Folge ist oft ausbleibende Weiterentwicklung. Ähnlich agieren auch andere Großklubs der Liga. Sportdirektoren setzen dort lieber auf Stillhalteabkommen und reagieren auf klares Benennen von Problemstellen flegelhaft. Kritik beschädigt die Außendarstellung, denkt man. Während im Nationalteam - zumindest unter der Führung von Koller - bereits eine andere Herangehensweise angekommen scheint: Kritik sichert die Weiterentwicklung.


Die Detailkritik am Spiel der Österreicher gegen Albanien hat wenig mit überzogener Erwartungshaltung zu tun. Es mag sie geben, die realitätsfernen Journalistenfragen, Boulevardschlagzeilen und Fanträumereien von einem EM-Titel. Damit hat die kritische Analyse eines Spiels, auch eines Sieges, wenig zu tun. Marcel Koller und ein Teil der Fußballöffentlichkeit haben verstanden, dass eine offen geführte Analyse das Produkt nicht beschädigt sondern am Ende erfolgreich macht.

 

>>> Siehe auch - Sturm-Sportdirektor Gerhard Goldbrich denkt, dass Kritik das Produkt Fußball beschädige. Dabei ist es umgekehrt

>>> Taktik-Analyse - Wieso Marcel Koller mit der Defensivleistung nicht zufrieden war