Schnittmeister Sturm
Der SK Sturm wird die Saison als Vizemeister und Cupsieger abschließen. Das gründet nicht unbedingt auf Budget- und Statistikzahlen. Die Grazer waren am Punkt da, wenn sie mussten. Und sie haben einen Trainer, der rechtzeitig die Liebe zur Flexibilität entdeckt hat.
Ein 12 Meter von Jürgen Pucher
Der SK Sturm wird die laufende Saison auf Rang zwei beenden und somit neben Red Bull Salzburg in der Champions League-Qualifikation an den Start gehen. Es wird eine rundum erfolgreiche Spielzeit für die Schwarz-Weißen gewesen sein, nicht zuletzt gab es ja am 9. Mai auch noch den Cup-Titel zu verbuchen. Sturm war auch die einzige Mannschaft, die mit Salzburg zumindest fallweise mithalten konnte. Zwei Mal verloren die Mateschitz-Jünger in 34 Runden, einmal gegen Sturm und einmal gegen den LASK. Nur die Grazer waren, zumindest im Herbst, auf Augehöhe mit den Salzburgern. Was waren die Gründe, dass finanziell weit besser ausgestattete Teams wie Rapid oder die Austria und schließlich auch jene Mannschaft mit dem „größten Lauf“, der LASK, auf Distanz gehalten werden konnten?
(Artikel wird unterhalb fortgesetzt)
Zunächst war da ein fulminanter Start in die Meisterschaft. Sechs Siege in Folge bedeuteten zunächst bis die Tabellenführung bis weit in den Herbst hinein und schließlich übergab Franco Foda den SK Sturm sogar als Spitzenreiter zum Ende des Kalenderjahres 2017 an seinen Nachfolger Heiko Vogel. Der kam mit großem Optimismus und landete knallhart am Boden der SK Sturm-Frühjahrsrealität. Zwei 1:0-Niederlagen gegen die Nachzügler Mattersburg und WAC brachten gehörig Unruhe in die Winterkönig-Glücksseligkeit. Der neue Trainer grantelte, der Präsident wurde nervös und Sportchef Günter Kreissl schaltete in den Kampfmodus. Kurze Erholung mit dem 1:1 bei Rapid, aber dann kamen Red Bull und die nächste Niederlage. Der Titel war futsch, zehn Punkte waren die Salzburger enteilt.
Flexi-Vogel schafft den Turnaround
Viele befürchteten den Beginn einer Talfahrt, aber es kam anders. Heiko Vogel bewies ein Maximum an Flexibilität. Er verließ seine nach Graz gebrachte Idee des Ballbesitzfußballs und verlagerte sich und seine Mannschaft aufs Motto „bedarfsorientierter Effizienzfußball“. Immer wieder reagierte der Deutsche auf den kommenden Gegner und konnte so einerseits überraschen und andererseits wieder Leben in ein am Abgrund taumelndes, zum Sprung in die Tiefe bereites Team, einhauchen. Platz zwei blieb so bis zum Ende in Grazer Händen, wäre Vogel nicht teilweise ziemlich übel von Teilen seines (scheidenden) Innenverteidigungspersonals im Stich gelassen worden, es hätte wohl nicht bis Runde 34 gedauert, dass dieser Umstand feststeht. Vogel bewies jedenfalls Steherqualitäten und zusammen mit der Kampfmodus-Parole des Sportchefs zog er den Kopf noch einmal aus der bereits bereitgestellten Schlinge. Dafür gebührt ihm Respekt.
Sturm war in der abgelaufenen Saison außerdem ein Beispiel dafür, dass die Zahlen und die Statistiken eine Sache sind, die Realität am Platz aber auch immer wieder anderen Parametern folgt. In der immer wieder bemühten „Expected Goals“-Statistik liegen die Steirer nämlich nur im Ligamittelfeld. Diese Aufzeichnungen erheben, wie groß die Wahrscheinlichkeit für das Erzielen und das Erhalten eines Tores während eines Spiels gewesen ist. Red Bull, Rapid, der LASK und auch Mattersburg liegen hier vor Sturm. Aber die Schwarz-Weißen wiesen insbesondere die Qualität auf, in den richtigen Momenten voll da zu sein. Gegen die direkten Konkurrenten um den CL-Platz aus Wien und Linz, gab es in acht Spielen nur eine Niederlage. Gegen Rapid gar keine. Was den Grazern jahrelang vorgehalten wurde, in den Big Games auszulassen, wurde heuer ins Gegenteil umgekehrt. Die sogenannten „Schnittpartien“ wurden erfolgreich bestritten.
Sturm ist ein Siegerteam
Das galt für die Meisterschaft und das traf auch im Cup zu, wo insbesondere im Semifinale und im Finale eine beachtliche Siegermentalität zu sehen war. „Sieger“ ist überhaupt ein gutes Stichwort. Der SK Sturm sammelte viele volle Erfolge (21), bis dato nur drei weniger als der Meister. Und Unentschieden war des Vizemeisters Sache nicht (3). Da fallen relativ viele Niederlagen natürlich weniger ins Gewicht und es spricht vor allem für ein „Siegergen“, oder wie auch immer man es nennen mag.
Daran werden sowohl der Kampfmodus des sportlichen Leiters als auch der Neo-Trainer ihren Anteil haben. Der Coach hat es vor allem in den schwierigen Zeiten im Februar und im März stets geschafft hat, die Mannschaft hinter sich zu haben. Und auch die Kurve hat gespürt, dass man Vogel noch nicht fallen lassen darf. In Klagenfurt bedankten sich alle gegenseitig beieinander. Mannschaft und Trainer schenkten den Fans den ersten Titel seit sieben Jahren und die Tribüne feierte neben den Kickern auch die sportliche Leitung frenetisch. Und ja, eh, Franco Foda sei an dieser Stelle auch noch einmal ein kleines Dankeschön in sein Büro im Happel-Stadion nachgerufen. Er war zwar gerade nicht dort, aber die Botschaft wird ihn erreichen. Aber mit Heiko Vogel bekommt der SK Sturm nach den Jahren mit Foda und weniger erfolgreichen Trainern jetzt tatsächlich die Chance aufs nächste Level. Wenn die Transferzeit eine konkurrenzfähige Mannschaft bringt, die im Kern ihre Mentalität bewahren kann, ist einiges möglich, für die Kombi Vogel-Sturm.