Ein Dienstag im Herbst. Hinter dem Altmannsdorfer Ast, wo Böhringer-Ingelheim noch kein weiteres Betriebsgelände erschlossen hat, ist vor der U6-Station Tscherttegasse der Platz der Wiener Viktoria.
Am Platz wuselt es vor Nachwuchsteams. Hier werden Abschlüsse trainiert, dort Volleys. Im "Raunzereck" vor der Kantine spricht Trainer und ÖFB-Legende Toni Polster mit ein paar Männern. Ein Hündchen rennt herum.
Der Vierbeiner gehört Sandra Wilhelm. Sie ist Projektleiterin bei dem Sozialfond des Vereins und Klubmanagerin beim Regionalligisten. Wilhelm und Obmann Roman Zeisel wollen, dass der Verein mehr als ein Grätzlklub ist. Es wirkt sehr bodenständig, dabei sind Webauftritt und Präsidium ganz anders.
Prominente Namen im Präsidium
Der Blick ins Präsidium legt den Verdacht nahe: Ex-Nationalteamspieler Martin Hinteregger ist Präsident, Trainer ist ÖFB-Legende Toni Polster, Popsänger Christoph Seiler Markenbotschafter. Dazu sitzen die Politiker Nurten Yilmaz (SP) und Hans Arsenovic (Grüne) sowie Werbe-Experte Marcello Demner mit im Boot.
Wir wollen keinesfalls als Promi-Klub wahrgenommen werden. Genau das Gegenteil ist der Fall.
"Wir wollen keinesfalls als Promi-Klub wahrgenommen werden. Genau das Gegenteil ist der Fall", stellt Wilhelm gleich klar. Denn: Fußballvereine haben eine gesellschaftliche Bedeutung und stehen vor einer Reihe an Herausforderungen: "Gerade wir Vereine leisten enorm viel. Wir stehen für gelebte Integration und Sozialarbeit. Als einer der wenigen Fußballklubs betreiben wir sogar einen eigenen Sozialverein."
Was aber nicht heißt, dass sich andere Klubs nicht auch sozial engagieren. Jedenfalls zieht es sich durch die Historie, die eng mit dem jetzigen Obmann verbunden ist.
Mit der Bim zur Nachmittagsbetreuung
Sportlich war der Klub lange nicht über die Landesgrenzen hinaus bekannt. 1931 gegründet, wurde der Verein nach dem Anschluss an Deutschland wegen eines jüdischen Präsidenten verboten. Seit 1945 dümpelt die Viktoria in der fußballerischen Bedeutungslosigkeit dahin.
Roman Zeisel sitzt mittlerweile auf dem Sessel im Büro neben der Kantine. Namensvetter Roman Gregory und er sind "schuld" daran, dass Zeitungsartikel "Das St. Pauli Österreichs" headlinen, wenn es um den Meidlinger Verein geht.
Die gesamte Geschichte beginnt im Jahr 1978. Der kleine Roman ist nach dem 3:2 gegen Deutschland in Cordoba fußballnarrisch und bekniet die Mama, dass er auch kicken will. Als Alleinerzieherin hat sie nicht viel Zeit und schaut, was denn der räumlich nächste Klub ist.

Jedenfalls kann Zeisel mit dem 62er alleine zum Training fahren. Dort betreibt Mama Gregory die Kantine und "der Roman und ich sind bis neun am Abend am Platz herumgelaufen". Während sein Kollege Sänger der Mundart-Hardrocker Alkbottle wird, kickt er von den Stöpseln bis 1989 bis hinauf in die Kampfmannschaft hier.
Verein zerfällt und wird neu aufgebaut
Es gibt mit Sicherheit noblere Ecken Wiens und gerade Meidling ist als Arbeiterbezirk in den 90er-Jahren ein Ort, an dem sich Menschen aus dem Ausland niederlassen. Ein Fußballverein wäre schon damals ein perfektes Integrationsvehikel gewesen, die Vereinsführung aber war anders. "Da waren lauter Rassisten am Werk", sagt Zeisel unmissverständlich.
Die Vision von ihm und Gregory war anders, er nennt es "Multikulti-Klub". Aber den Obmann, seine die Kantine betreibende Frau sowie deren sechs Kinder, die allesamt Trainer waren, hinauszubekommen, war Schwerstarbeit. Aber ohne diesen Einsatz wäre das Motto "Mit Herz und Leidenschaft" kaum umsetzbar.
"Von 2003 bis 2006 haben wir an der Übernahme von unserem Verein sowie einem umfassenden Marketingkonzept gearbeitet", erinnert er sich an diese anstrengende, intensive und da und dort kuriose Zeit zurück: "Als ich die Obmannwahl letztlich gewonnen hatte, hatte ich gleichzeitig Lokalverbot in unserer Kantine." Wichtig war es zudem, aus dem Unterhaus rauszukommen.
Ich habe nicht locker gelassen, meinen Vorschlag hat sich Polsters Berater aber nicht einmal angesehen.
Raus aus der Unterklasse
Die Viktoria kickte damals in der sechstklassigen Oberliga. Wer hoch hinaus will, muss groß denken. "In der Oberliga fragt man sich überhaupt, wieso man trainiert", sagt Zeisel heute. Er verpflichtete 2009 Franz Weber. Der war in den 80ern zweimal mit Rapid Meister geworden. Nachhaltig aufzusteigen, gelang weder ihm noch seinem Nachfolger.
Dieser fiel noch dazu durch einen eher schwierigen Umgang auf. Das passte nicht. Zeisel dachte sehr groß und somit an Toni Polster. Man trifft sich zum Essen, aber 6. Liga, das ist dem Toptorjäger zu wenig:
"Ich habe nicht locker gelassen, meinen Vorschlag hat sich Polsters Berater aber nicht einmal angesehen." Der Ex-Stürmer lässt sich breit schlagen und wird Berater, liegt dem Verein im Ohr, was nicht alles falsch läuft. "Irgendwann sag' ich ihm: Toni, dann mach's eben selber!"
Und so kam es auch. "Toni" übernimmt, Ex-Rapid II-Trainer Andreas Reisinger übernahm nach Polsters Admira-Abenteuer. Seit 2014 ist Polster nun zurück. Die Meidlinger sind seit 2019 fixer Bestandteil der Ostliga.
Sozial sein und begeistern
Wie kam es nun zum sozialen Engagement? Das Selbstbild hatten Zeisel und Gregory schon lange in der Schublade. Entwickelt hat es dann letztlich Zeisel. Vor 13 Jahren kickte man schließlich gegen das große Vorbild St. Pauli, auf dem Sportclub-Platz. Ein Kick-off für vieles. In Folge gründet man Vik-Sozial, die heutige Foundation. Dass Toni Polster als Fußballlegende alle Sozialprojekte immer mitunterstützt und mitentwickelt, ist für das Vorhaben entscheidend.

"Wir nutzen den Fußball als Instrument, die Sozialarbeit ist die Musik", formuliert es Wilhelm. Das ist auch der Punkt, der Promis von Hinteregger bis Seiler anspricht. Eines der prominentesten Beispiele ist, dass die Viktoria die Kabinen im Winter als Schlafplatz für Obdachlose zur Verfügung stellt.
Heute "platzen wir aus allen Nähten", stellt Wilhelm aber auch klar. Der Austausch mit der Politik ist gut, die Stadt kümmert sich um den Kunstrasen, aber es braucht mehr als die nur vier Nachwuchskabinen für die hunderten Kinder und Jugendlichen. Dass der Kunstrasen ein Nachteil bei der ersten Mannschaft ist, kommt on top dazu.
Weit rauf!
Darum gibt es Pläne für einen Umzug auf eine neue Anlage. Die Gespräche laufen und man hofft sehr auf einen positiven Ausgang, um einerseits noch mehr Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu bieten, vom Sport- und Sozialangebot zu profitieren und andererseits auch einen möglichen sportlichen Aufstieg langfristig realisieren zu können.
Denn: "Als Fußballfunktionäre wollen wir natürlich sportlichen Erfolg, bei unseren beiden ersten Mannschaften der Männer und Frauen". Dass der Bezirk gewechselt wird, ist dabei egal. Man versteht sich ohnehin als Klub für alle Wienerinnen und Wiener.
Wir betreuen zahlreiche Jugendliche – Mädchen wie Burschen – und leben Gesundheitsförderung, seelisch und körperlich. Inklusion und Integration sind mehr als Banner hochhalten und Workshops – bei uns wird das wirklich gelebt.
An dem neuen Standort soll es dann auch möglich sein, die soziale Idee weiter voranzutreiben, mit Nachmittagsbetreuung, Kindergarten, mehr Jobcoaching, vielleicht sogar Tiny Houses, um Obdachlosen nicht nur einen Schlafplatz, sondern einen Neustart in ein normales Leben zu ermöglichen.
Hemmschuhe?
All das ist dann auch ein Angebot an die Stadt Wien. Diese könne sich bei mehr sozialem Engagement mehr beteiligen und das unterstützen, woran Gregory und Zeisel 2003 dachten und worum es für Wilhelm bei einem Fußballverein wirklich geht: "Unsere Botschaft ist es, dass es abseits der Kampfmannschaft der Männer beim Fußball immer um viel mehr Themen geht: Wir betreuen zahlreiche Jugendliche – Mädchen wie Burschen – und leben Gesundheitsförderung, seelisch und körperlich. Inklusion und Integration sind mehr als Banner hochhalten und Workshops – bei uns wird das wirklich gelebt."
Am Platz wird auf Deutsch kommuniziert, religiöse Feste verschiedener Kulturen finden ebenso Raum. Und: "Wenn eine Familie nicht genug Geld für den Mitgliedsbeitrag hat, müssen sie uns nur nachweisen, dass sie wenig verdienen – und die Foundation übernimmt Teile der Summe. Weil was passiert, wenn wir das nicht machen? Die Leute finden erst recht keinen Anschluss!"
Dieses Engagement unterstreicht die gesellschaftliche Rolle, die ein Fußballverein in Wien und anderswo einnehmen kann.