Nachwuchs: Was die Schweiz besser macht – und was nicht
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Nachwuchs: Was die Schweiz besser macht – und was nicht

Österreich kämpft um die erste WM-Teilnahme seit 1998. Die Schweiz war damals nicht mit dabei, seit 2006 aber immer – und überstand außer 2010 auch stets die Vorrunde. Was machen die Eidgenossen anders?

Die Schweiz gilt in vielen fußballerischen Bereichen als Vorbild für Österreich. So sehr, dass der ÖFB 2011 mit Marcel Koller einen schweizerischen Teamchef verpflichtete – der Rot-Weiß-Rot aus dem fußballerischen Jammertal herausführte. 

Die westlichen Nachbarn haben dem ÖFB aber noch immer einiges voraus. Im Klubfußball ist der Unterschied nicht so eklatant. Was beide Nationen eint: Die Unzufriedenheit mit der Nachwuchsarbeit. Mit dieser kennt sich David Goigitzer aus. 

Er ist im Nachwuchs des FC Zürich tätig, gegenwärtig als U17-Co-Trainer. Der 33-Jährige war hierzulande beim FAC Videoanalyst, Co-Trainer beim SCR Altach, Analyst in der Salzburg-Akademie sowie Trainer bei der U15 des LASK. Kurz gesagt: Er weiß, was sich im Nachwuchs tut.

Offensichtliche Gemeinsamkeiten

Anfälligkeit für Investoren

"Österreich und die Schweiz ticken ähnlich – in beiden Ländern ist Fußball die Nummer eins, dann kommt Skifahren", legt er seine Eindrücke im 90minuten-Gespräch dar.

"Umgekehrt ist die Fußballkultur anders als in Deutschland, in der Breite kommen beispielsweise nicht so viele Fans.“ Wobei die Schweiz mit 12.599 Besucher:innen im Schnitt Österreich doch einiges voraus hat, hierzulande beträgt der Schnitt 8.798. 

Das hat sich in den letzten Jahren gebessert, auch aufgrund von Entscheidungsträgern mit Plan. Menschen mit Visionen, das kann sich positiv und negativ auswirken. Und wer glaubt, dass die Präsenz wunderlicher Präsidenten der Marke Stronach in der Schweiz geringer wäre, irrt. Wir haben Frank Stronach gehabt, sie Sion-Boss Christian Constantin. Großmannsucht kennt man auch. 

Wenn du hier mit Schweizern redest, sind sie mit der Talententwicklung ebenfalls unzufrieden und bemängeln, dass es kaum Topspieler gibt – eben weil es 'uns' in der Schweiz zu gut geht – das ist dasselbe wie in Österreich!

David Goigitzer

2015 vermeldete Traditionsklub Servette Genf nach dem Einstieg von "Retter" Hugh Quennec im Jahr 2012 den Konkurs und musste zwangsrelegiert werden. 2017 krachte der FC Wil nach großen Plänen von Investor Mehmet Hazif Günal zusammen.

Mangelndes Standing

Was Österreich und die Schweiz seiner Meinung nach ebenfalls eint, ist das mangelnde Standing einer Profikarriere. In der Schweiz sind die Verdienstmöglichkeiten für gut ausgebildete Menschen noch einmal besser als in Österreich. 

"Wenn du hier mit Schweizern redest, sind sie mit der Talententwicklung ebenfalls unzufrieden und bemängeln, dass es kaum Topspieler gibt – eben weil es 'uns' in der Schweiz zu gut geht – das ist dasselbe wie in Österreich!" 

Die Summen in der Schweiz sind höher, aber mit einer abgeschlossenen Lehre lässt sich da wie dort als Facharbeiter im Monat mehr verdienen als in der zweiten Fußballliga. Und weil die hohen Gehälter in den Ballungsräumen dazu führen, dass das Leben an sich teuer ist, wird darauf mehr geachtet.

Zielland für Migration

Die Schweiz ist zudem wie Österreich ein Zielland für Migration. Plakativ ausgedrückt bedeutet das auf beiden Seiten des Rheins, dass es einen Marko Arnautović und David Alaba bzw. Granit Xhaka und Breel Embolo gibt. Umgekehrt entscheiden sich Spieler für andere Nationen. 

Die Schweizer gehen lieber zu ihren Fußballklubs
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Die Schweizer gehen lieber zu ihren Fußballklubs

Der in Grenchen geborene Haris Tabakovic ist beispielsweise Teamkollege von Amar Dedic und Emir Karic, der eine aus Zell am See, der andere aus Linz. Die Sachlage in der Schweiz ist zuweilen noch komplizierter. Viele Migrantenfamilien, die nach Österreich kommen, möchten hierbleiben. 

In der Schweiz ist es seinem Eindruck nach normaler, einfach ein paar Jahre hier zu sein und dann weiterzuziehen. So oder so – für den Verband ist es eine Herausforderung. Wer für welchen Verband spielt, hängt aus seiner Erfahrung vom Einberufungszeitpunkt und dem Plan ab, den man vorlegt. Hierbei hat Österreich mit Ex-Teamspieler Sebastian Prödl einen Mann im Verband, der versucht, die hierzulande ausgebildeten Spieler auch an den ÖFB zu binden.

Die Unterschiede

Verschiedene Spielkulturen

Ein grundlegender Unterschied ist allerdings, dass die Schweizer mit der französischen Schweiz (und mit Abstrichen der italienischen) zwei Fußballkulturen in einem Land verbinden. "Die französische Fußballkultur ist um einiges spielfreundlicher", so Goigitzer, "Das merkt man, wenn wir gegen Servette Genf spielen, schon sehr stark." 

Österreich ist maßgeblicher von der deutschen Kultur beeinflusst. Konkret: Ralf Rangnick und sein Pressing-orientierter Fußball. Dieser ist keinesfalls eindimensional oder per se schlecht. Allerdings schafft es die Schweiz besser, außergewöhnliche Spielkulturen zu verbinden. 

Also mehr oder weniger deutsche Disziplin, französisch-nordafrikanischen Spielwitz und Robustheit, südost-europäische Wucht und Mentalität. Auf diese Masse an Einflüssen kann man hierzulande nicht so ganz zurückgreifen. Womit der Ball zur Ausbildung hingespielt wird, um unter den ähnlicheren Spielern die außergewöhnlichen Talente zu finden.

In Österreich kann man dir sagen, was ein Red-Bull-Spieler ist, in letzter Zeit setzt die Austria auf typisches, technisches Spiel, aber sonst?

David Goigitzer

Österreich hat gute Kicker, aber ...

Denn der Tenor ist, dass in Österreich zu uniform ausgebildet wird, die Werte orientieren sich eher an athletischem Spiel: Schnelligkeit, Größe, Ausdauer. Kicker wie Laimer oder Schlager kommen Goigitzers Meinung nach dabei aber zu schlecht weg, weil sie technisch sehr beschlagen sind. 

Offensive Unterschiedsspieler finden sich in der Schweiz hingegen – auch aus eben genannten Gründen – schlichtweg leichter. Die Fußballstile schlagen sich zudem in der Ausbildungsphilosophie der Klubs aus den Regionen nieder. "Die Genfer stehen für technisch hervorragenden Fußball, die Young Boys sind die körperlich starken Maschinen, im Süden steht das italienisch-taktische im Vordergrund", lautet sein Attest. 

"In Österreich kann man dir sagen, was ein Red-Bull-Spieler ist, in letzter Zeit setzt die Austria auf typisches, technisches Spiel, aber sonst?", stellt er eine berechtigte Frage. Das heißt nicht, dass Rapid, Sturm und Co. alle wie Salzburg ausbilden, die Unterschiede sind in der Schweiz noch klarer herausgearbeitet.

Gezielt ausbilden

Wichtig wäre eine gezielte Förderung, vor allem auf den Positionen, wo es wichtig ist. Die Schweizer bringen mehr Stürmer auf das Toplevel, in Österreich kicken die Einsatzstürmer bei Roter Stern Belgrad und Bröndby, haben den 30er schon länger hinter sich. 

Dabei kümmert sich Österreich im Großen und Ganzen um seine Spieler, der Perspektivlehrgang richtet sich ja geradezu an die Kicker, die in den bisherigen U-Teams nicht so auffielen, noch nicht A-Kader-Potenzial entfaltet haben. In Belgien gibt es dafür ein eigenes Future-Team – dort kicken die "retardierten" Kicker – also jene, die sich später als andere entwickeln. Im Regelfall haben nämlich Spieler, die früher im Jahr geboren sind, einen Vorteil. 

"Unsere" Kicker sorgen für Druck beim Gegner. Besser als gar nichts.
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"Unsere" Kicker sorgen für Druck beim Gegner. Besser als gar nichts.

Änderungen in der Nachwuchsausrichtung können Österreich in diesem Punkt helfen. So setzt man beispielsweise in der Ausbildungsphilosophie unterhalb der Akademien, sprich U14, auf mehr Ball-Spiel.

Fazit: Zumindest brutaler Druck

Klickt man sich durch die Schweizer Sportwebsites, eruiert man viele ähnliche Themen wie hierzulande; gefühlt ist alles nur ein bisschen teurer. Beide Länder versuchen sich gerade im Nachwuchs so zu positionieren, dass sie die Schwachstellen im System verbessern. 

Was dabei nicht hilft: Sich in unsinnigen Diskussionen zu verzetteln. "Wenn wir jetzt über Ex-Profis vs. Laptop-Trainer diskutieren, ist das in beiden Ländern falsch", so Goigitzer. "Der Profi hat vielleicht mehr Situationen erlebt, aber einer, der Innenverteidiger war, wird sich dennoch schwertun, einen dynamischen Offensivspieler so auszubilden, wie man es braucht." 

Es braucht seiner Ansicht nach schlichtweg beides, Erfahrung und Buchwissen. Nur wer Wissenschaft und Fußballpraxis verbindet, findet die richtigen Kicker, aus denen Stars werden.

Was Österreich seit Koller aber geschafft hat, fasst David Goigitzer abschließend so zusammen: "Wenn meine Spieler von Duellen mit Österreich berichten, reden sie immer davon, dass sie brutal unter Druck kommen."


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