
Gligoroski: Gastarbeiterkind, Wasseraufbereiter in Gaza, Fußballtrainer
Renato Gligoroski ist Trainer des ersten Teams der Frauen des FC Zürich. Aus einem jungen Haufen Halbprofis machte der Wasseringenieur Titelkandidatinnen. Und das, obwohl er mit dem Fußball mehr als einmal abgeschlossen hatte.
"Mit den richtigen Personen kommt der Erfolg von alleine", sinniert Renato Gligoroski gegen Ende des 90minuten-Interviews. Der zweifache Diplomingenieur hat für seine 48 Jahre schon sehr viel erlebt. In seiner Vita stehen St. Pölten, Austria Wien, SV Mattersburg, der Gaza-Streifen und der Nordpol.
Heute ist er erfolgreicher Trainerexport in der Schweiz und betreut die Frauen des FC Zürich. Dorthin führte ihn ein Zufall. Er sollte eigentlich die U19 trainieren, dann fiel auf, dass er vor zwei Jahrzehnten im ÖFB einmal Abteilungsleiter für Frauenfußball war.
Bis hierhin merkt man schon, dass hier eine interessante Geschichte dahintersteckt. Hier ist sie:
Das Ausländerkind
Wir schreiben den 4. November 1976. Renato Gligoroski wird in Wien als Kind von Gastarbeitern aus dem ehemaligen Jugoslawien geboren. In den 70ern spricht man nicht so viel über Integration, die Eltern haben nicht einmal einen Fernseher. Als der kleine Renato in die Schule geht, kann er kein Deutsch.
"Ich habe nur mit Gastarbeiterkindern gesprochen, obwohl ich hier geboren und aufgewachsen bin", erinnert er sich zurück. "In der Schule musste ich deshalb viel beobachten, weil ich nichts verstand und mich nicht ausdrücken konnte. Das hat mich geprägt."
Im Wien der 80er-Jahre war der Ton noch sehr rau. Der kleine Renato wird oft rassistisch beschimpft. Nur beim Fußball nicht, da geht es nur um das, was man kann.
Menschen helfen
Also fühlt er sich wohl, Talent ist ebenfalls vorhanden. Er heuert beim VfB Mödling an, beginnt parallel schon als 20-Jähriger seine Trainerlaufbahn und sein Studium. Eine kluge Idee, nicht nur, weil der Verein für Bewegungsspiele dann mit der Admira fusioniert.
Gligoroski verlässt den Klub, der Körper lässt keine Profilaufbahn zu. "Ich hab mehrere Knieverletzungen gehabt und bin durch das Kicken doch nicht reich geworden", sagt er mit einem Augenzwinkern.
Er studiert Wasserbau, später kommt Wirtschaftsingenieurwesen dazu und er wird doppelter Diplomingenieur sein. Wasser und Fußball, eines von beiden wird sein Leben bestimmen. Er zitiert Goethe: "Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust." Warum ist das so? Egal.

Eines ist ihm klar: "Ich habe mich immer in einer Position gesehen, in der ich mit Menschen arbeite, darum war mein Studienschwerpunkt Human Resources", meint er. "Ich wollte immer einer sein, der anderen hilft. Das hätte ich als kleines Kind gebraucht und diese Wärme habe ich im Fußball gespürt – und wollte sie, egal wo, weitergeben."
Kicken abhaken
Er tingelt nach dem Abschied aus der Südstadt durch das Unterhaus. Perchtoldsdorf, Atzgersdorf, Brunn am Gebirge, Marienthal, Ritzing, Union Mauer – das sind die Klubs, bei denen er bis 2011 kickt.
Er kickt, studiert, macht mit 25 Jahren als Jüngster in Österreich die A-Lizenz. Er landet zudem beim ÖFB, wird dort Leiter Kinder & Jugendfußball - und weil es 2003 ist und es "irgendwer machen musste, auch Frauen-Fußball-Abteilungsleiter". Diesen Halbsatz darf man sich merken. Er arbeitet auch mit Hermann Stadler als Team-Manager der U17-Nationalmannschaft, Jahrgang 1988. Dort spielt unter anderem Veli Kavlak.
Mit Freude erfüllt ihn das alles aber nicht lange: "Im Fußball gibt es viele, die aus dem Fußball kommen und nur Fußball kennen, aber nicht kurz-, mittel- und langfristig denken können. Es wurde damals wenig methodisch oder wissenschaftlich, geschweige denn strategisch gearbeitet." 2005 verlässt er deshalb den ÖFB.
Die Frage hat mir noch nie wer gestellt. Ich habe eine Meerwasserentsalzungsanlage im Gaza-Streifen gebaut und war am Nordpol als Klimaforscher tätig.
Es hat gefunkt
Er eröffnet ein Zivilingenieurbüro und beginnt ein bürgerliches Leben, das Kicken ist ein Ausgleich. Doch es geht ihm dann mit Mitte 30 doch ab, als er die Fußballschuhe an den Nagel hängt. Dann ruft sein alter Bekannter Hermann Stadler an. Dessen Jugendfreund Gerald Baumgartner wird im September 2013 Trainer des SKN St. Pölten.
"Der Gerald hat jemanden gebraucht, der analytisch-taktisch denken kann", erzählt er, "zwischen ihm und mir hat es dann gleich gefunkt." Auch sportlich läuft es. Baumgartner übernimmt nach einem 1:4 am 8. Spieltag den Siebtplatzierten. Am Ende ist der SKN St. Pölten Vierter.
Die Niederösterreicher schaffen es ins Cupfinale, schießen Salzburg dort sogar zwei Tore, kassieren aber auch vier. Die Austria registriert den Erfolg und holt Baumgartner und mit ihm auch Gligoroski. Aufgrund von Exklusivverträgen steht dieser vor der Frage: große Fußballwelt oder doch Zivilleben? Wie geht er mit der Unsicherheit um?
Kontrolliertes Risiko
"Die Frage hat mir noch nie wer gestellt", lacht er. "Mir ging es immer drum, mit Menschen zu arbeiten, die positiven und auch negativen Emotionen faszinieren mich. Die Hauptfrage im Studium lautete: Wie entwickelt man Personen?"

Zwar ist er als Gastarbeiterkind Rapid-Fan, aber da weiß man schon genau, wie groß die Wiener Austria ist. Und überhaupt: "Ich habe eine Meerwasserentsalzungsanlage im Gaza-Streifen gebaut und war am Nordpol als Klimaforscher tätig."
Als er dafür verpflichtet wird, fragt ihn sein Kontakt: Wo sehen sie sich in fünf Jahren? Seine Antwort: "Vor fünf Jahren hätte ich nicht gedacht, dass ich einmal am Nordpol bin." Man kann eben nicht alles planen und im Gegensatz zu diesen zwei Orten ist Fußball sowieso ein "kontrolliertes Risiko".
Frau Gligoroski stimmt dann auch noch zu, ohne ihr Wohlwollen geht es nicht: "Aber sie hätte mich auch nicht geheiratet, wenn ich der klassische 9-to-5-Typ wäre."
Fußball im Schnelldurchlauf
Nach der Freunderlwirtschaft erlebt er in der Folge quasi den Rest des worst-of des heimischen Fußballs. Nach eineinhalb Jahren werden Baumgartner und er bei der Austria geschasst. Sie gehen zum SV Mattersburg. 2018 ist auch dort Schluss.
Nach nur vier Tagen setzt Martin Pucher das Trainerteam vor die Tür, trotz noch zwei weitere Jahre laufenden Vertrags. Zuerst erwischt es ihn als Co-Trainer, er soll seine Kompetenzen überschritten haben, eine Woche später den Chefcoach. Es hat angeblich zwischenmenschliche Probleme mit Sportchef Lederer gegeben.
Und dann fragt er: Magst du unsere Frauen übernehmen? Die Kampfmannschaft! Dabei hatte ich den Posten ja nur gehabt, weil die UEFA Gelder vergeben hat, wenn es eine Abteilung gibt.
Gligoroski beginnt bei laufendem Vertrag Bücher zu schreiben, befasst sich mit Trainingsmethoden und expected Goals. Sogar nach Korea hätte es gehen können. Das war ihm aber zu steil. Nicht wegen des Fernen Ostens, sondern weil man ihm dort nur einen Zweijahres-Vertrag geben will. Stichwort: kontrolliertes Risiko.
Hut drauf!
Wenige Monate nach dem Finanzcrash der Mattersburger folgt er dem Ruf von Wacker Innsbruck. Er wird Nachwuchskoordinator beim Traditionsverein. Spieler entwickeln, langfristig strategisch arbeiten – das gefällt ihm.
Die Geschichte der Tiroler ist bekannt: Der Verein erhält am Ende der Saison 2021/22 keine Zulassung mehr. Er dachte sich dann nach dem zweiten Finanzcrash in seiner Karriere: "Ihr könnt mich gerne haben."
Er widmet sich seinen Büchern, eröffnet eine Fußballschule, werkelt unter Freund Stadler als ÖFB-Co-Trainer, bei der U15 bis zur U19.
Im Juni 2024 klingelt das Telefon. Dran ist Sascha Milicevic, weil Stadler Gligoroski empfiehlt. Der gebürtige Salzburger war von 2005 bis 2023 in verschiedensten Funktionen bei Red Bull Salzburg tätig und seit Dezember 2023 Ausbildungsleiter beim FC Zürich. Er sucht einen U19-Trainer.

Magst du die Frauen übernehmen?
"Ich bin nach Zürich gefahren und wir haben verhandelt, haben aber nicht zusammen gefunden", erzählt er. "Ich wollte meine Bücher schreiben und meine Schule betreiben, das hat mit ihren Vorstellungen aber nicht zusammen gepasst."
Sportdirektor Milos Malenovic, auch bei dem Interview anwesend, überfliegt im Zuge des Gesprächs den Lebenslauf und sieht Frauen-Fußballchef beim ÖFB in der Vita stehen.
"Und dann fragt er: Magst du unsere Frauen übernehmen? Die Kampfmannschaft! Dabei hatte ich den Posten ja nur gehabt, weil die UEFA Gelder vergeben hat, wenn es eine Abteilung gibt. Das war ja vor 20 Jahren – oft habe ich Frauen noch nicht trainiert."
Der FCZ ist schnell von der Idee überzeugt. Der 24-fache Meister verliert 20 ältere Spielerinnen und hat einen tiptop Nachwuchs-Campus, will sich vor der Europameisterschaft im eigenen Land aber nicht auf ein Wettrüsten mit Basel, Bern, YB und Genf einlassen.
"Ich habe drüber geschlafen, bin in Zürich geblieben. Sie waren erpicht, dass wir uns am nächsten Tag sehen. Ich habe zugesagt, weil einen strauchelnden Verein neu aufzubauen, hat mich fasziniert."
Moment – keine Erfahrung, aber sofort anfangen?
Zwischenfrage: Nie Frauen trainieren und dann ein Frauen-Team übernehmen? Mittlerweile ist ja breit bekannt, dass die Trainingssteuerung bei Frauen und Mädchen anders laufen muss als bei den Männern und sie für gewisse Verletzungen anfälliger sind. Ist das nicht zu viel des (männlichen) Selbstbewusstseins?
Wir machen Umfragen zum Zyklus, fragen täglich Schlafqualität und Wohlbefinden ab, danach erstellen wir Profile, wie wir trainieren. Die Frauen sind keine Profis, da haben wir eine ganz andere Verantwortung als im Männer-Profibereich.
Diese Frage treibt ihn auch rum. "Ich bin ein Mann der Wissenschaft. Frauen haben anatomisch andere Voraussetzungen, das Kreuzband reißt leichter. Das hat mit mehreren Dingen zu tun, unter anderem damit, dass es 30 Mal mehr Männer als Frauen gibt, die kicken."
Eine Renate Gligoroski wäre vielleicht Bundesliga-Kickerin geworden, der Renato nicht. Seine Reaktion: "Wir machen Umfragen zum Zyklus, fragen täglich Schlafqualität und Wohlbefinden ab, danach erstellen wir Profile, wie wir trainieren. Die Frauen studieren oder arbeiten, sind keine Profis, da haben wir eine ganz andere Verantwortung als im Männer-Profibereich."
Sportlicher Erfolg
Das Training funktioniert. Die Laufleistung des Teams ist seit dem Amtsantritt im Sommer 2024 um ein Viertel angestiegen. Zwar wird der FCZ nur Fünfter in der regulären Meisterschaft, begeistert aber mit kaum gesehenem Offensivpressing und hoher Verteidigung. Im Cupfinale schlägt die Elf den höher einzuschätzenden FC Basel.
Die Öffentlichkeit zeigt sich begeistert von dem Offensivfußball. Das soll so bleiben, auch wenn der den 25. Meistertitel des Rekordmeisters vielleicht noch nicht diese Saison erleben wird.
Dabei ist er akribisch. Alle drei Monate führt er Einzelgespräche mit den Spielerinnen, im Sommer testet er gegen Milan, Nürnberg; Freiburg, Juventus und die Bayern. Für den Titel muss man in der Zehnerliga unter die ersten acht kommen, dann gibt es ein Playoff wie in der NFL. Wer gewinnt, spielt Königinnenklasse. Ein Muss?

"Wir pressen, stehen hoch. Bevor wir nur auf Ergebnisse gehen und den Ball wegschlagen, um uns in der Champions League abschießen zu lassen, lerne ich lieber. Noch ist das Gefälle viel zu groß, das bringt meinem Team nichts."
Keine Träume
Heute ist er eine der Personen, die für Erfolg sorgen. In seinem Leben sind das Hermann Stadler und Gerald Baumgartner. Für seine Kickerinnen ist er nun die Person, die sagt: Ich helfe dir. Wo es für ihn noch hingehen kann? Die Antwort ist ein bisschen sinnbildlich für ihn:
"Ich bin ja kein Philosoph, ich gebe ja nur weiter, was ich lerne. Dass ich eben gut beobachten kann, hilft natürlich", winkt er ab.
"Man hat mich schon gefragt, was ich will, aber ich hätte eben nie gedacht, dass ich mit Ende 40 Cheftrainer im Frauenfußball bin. Für mich zählt einfach die Entwicklung: ein 15-jähriger Teenager braucht immer fünf Jahre, bis sie oder er 20 sind. Entscheidend ist, was dazwischen passiert."
Dabei kann man vieles, aber nicht alles planen...