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Ohne Lizenz zum Quasi-Chefcoach [Exklusiv]

Emanuel Pogatetz agierte wochenlang an der Seitenlinie wie ein Cheftrainer. Das Problem: Er ist nur Co-Trainer und hat nicht die entsprechende Ausbildung.

++ 90minuten.at investigativ von Michael Fiala ++

 

Die Trainerausbildung in Österreich stand in den vergangenen Jahren immer wieder im Fokus der medialen, durchaus kritischen Berichterstattung. Dabei ging es unter anderem darum, ob die Qualität der Ausbildung hoch genug sei oder etwa, ob ehemalige Nationalteamspieler bei der Auswahl für den (UEFA-Pro-Lizenz-)Kurs bevorzugt werden. Der ÖFB hat sich diese Kritik durchaus zu Herzen genommen und hier in den letzten zwei Jahren den einen oder anderen Hebel angesetzt.

Während an diesen Baustellen gearbeitet wurde, haben 90minuten.at-Recherchen nun ein anderes Problemfeld zu Tage gefördert, das (nur) auf den ersten Blick kleinlich klingen mag, aber durchaus für Missstimmung und Signalwirkung sorgt. Konkret geht es darum, ob bei den Klubs der ersten und zweiten Bundesliga, die den selbst auferlegten Lizenzkriterien unterliegen, auch immer Trainer eingesetzt werden, die die notwendige Ausbildung mitbringen.

Dem ist nämlich offenbar nicht so, wie man am Beispiel des SKN St. Pölten sehen kann: Wie 90minuten.at-Recherchen nämlich ergeben haben, stand bei den vergangenen Spielen dort zuletzt Emanuel Pogatetz fast ausnahmslos an der Seitenlinie und coachte seine Mannschaft. Das Problem: Pogatetz ist erstens nicht als Cheftrainer der Mannschaft gemeldet und hat zweitens auch nicht die entsprechende Ausbildung. Um in der ADMIRAL 2. Liga als Cheftrainer agieren zu können, braucht es eine A-Lizenz. Diese kann Pogatetz aktuell nicht vorweisen.

"In Zukunft recherchiere die Themen genauer, bevor du uns eine Anfrage mit derartigen Anschuldigungen schickst. Die von dir dargestellten Sachverhalte entsprechen nämlich in keinster Weise der Realität." - SKN-Pressesprecher Tobias Weber

SKN reagiert verschnupft

Als 90minuten.at den SKN auf diesen Umstand Anfang März hingewiesen und in den Raum gestellt hat, dass Stephan Helm als Cheftrainer bei den Matches nur als Strohmann eingesetzt werde, war die Empörung in der niederösterreichischen Landeshauptstadt groß. „In Zukunft recherchiere die Themen genauer, bevor du uns eine Anfrage mit derartigen Anschuldigungen schickst“, hieß es von SKN-Pressesprecher Tobias Weber. Und weiter: „Die von dir dargestellten Sachverhalte entsprechen nämlich in keinster Weise der Realität.“ Was genau von 90minuten.at falsch recherchiert wurde, konnte der SKN-Pressesprecher in einem anschließenden Telefonat nicht erklären.

Stattdessen übersendeten die Niederösterreicher in der Beantwortung der Presseanfrage einen Link zu einem Kicker-Interview mit Stephan Helm und Emanuel Pogatetz, in dem sich die beiden als „Trainerduo“ inszenieren. Der SKN argumentierte gegenüber 90minuten.at im anschließenden Telefongespräch damit, dass diese interne Sichtweise die Aufteilung der Aufgaben zwischen Helm und Pogatetz rechtfertige. Soll heißen: Helm ist offiziell Cheftrainer und etwa bei Medienterminen immer im Vordergrund, während Pogatetz eben Aufgaben an der Seitenlinie übernehme - und somit die 90minuten.at-Recherchen eigentlich auch bestätigte. 

 

Meisterschaftsregeln eindeutig

Die interne Sichtweise ist das eine, die Regeln sprechen jedoch eine andere Sprache. Aus den Meisterschaftsregeln des ÖFB (>> siehe hier) heißt es dabei unter §28 (7): „Der vom Verein für die Kampfmannschaft gemeldete hauptverantwortliche Trainer hat seine Aufgaben beim Training (hauptverantwortliche Leitung des Trainings) und bei den Spielen (Aufstellung, Taktik, Coaching usw.), die Anweisung der Spieler und des technischen Stabes in der Kabine und der Coaching-Zone vor und nach dem Spiel sowie mediale Aufgaben und Termine tatsächlich selbst wahrzunehmen. Die Verantwortung des jeweiligen Trainers für seine Mannschaft muss nach außen klar erkenn bar sein.“ (siehe Screenshot)

Damit ist klar: Pogatetz ist eigentlich nicht befugt, den Großteil des Coachings an der Seitenlinien zu übernehmen. Zu den klar formulierten Regelungen des ÖFB wollte sich der SKN dann nicht mehr äußern – alle weiteren Anfragen von 90minuten.at blieben unbeantwortet.

 

Kleinliche Regelauslegung?

Die Recherchen von 90minuten.at haben in der Szene durchaus unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen – nicht nur positive. Immer wieder war dabei auch zu hören, man sei kleinlich. Es sei doch schlussendlich egal, wer an der Seitenlinie stehe und die Mannschaft coache.

Dagegen sprechen jedoch zwei Argumente. Das erste ist ein rein formales. Die Bundesliga hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder dafür gerühmt, die Lizenzkriterien verschärft zu haben und diese auch genau einzuhalten mit dem Ergebnis, dass beispielsweise amateurhaft geführte Vereine im Profifußball der Vergangenheit angehören. Eine lasche Auslegung der Trainerkriterien würde diese Argumentation konterkarieren.

"Dass auch Emanuel Pogatetz als Co-Trainer unterstützend an der Seitenlinie auftritt ist im (inter-)nationalen Fußball nicht unüblich und steht nicht im Widerspruch mit der Cheftrainer-Funktion von Stephan Helm." - Bundesliga

Es gibt aber auch ein zweites, durchaus gewichtiges Argument: Wie ernst nimmt man in Österreich die eigene Trainerausbildung, wenn es am Ende des Tages dann doch relativ egal ist, ob Trainer bei Bundesliga-Klubs die entsprechende Ausbildung mitbringen oder nicht? Konstellationen wie beim SKN sind keine Premiere und werden natürlich von Trainern, die sich gerade in Ausbildung befinden, nicht goutiert. Wenn der Fall „Pogatetz“ jetzt Schule macht, wäre dies schlicht und einfach ein falsches Signal.

 

Bundesliga sieht keinen Widerspruch

Gefordert ist in diesem Fall auch die Bundesliga. „Es ist Sinn und Zweck der Lizenzierung, dass die geforderten Ausbildungen bei jenen Personen, die diese Tätigkeit auch tatsächlich ausüben, nachgewiesen werden. Die Bundesliga fordert diese Nennungen mitsamt Ausbildungsnachweis ein. In Einzelfällen finden auch Beobachtungen vor Ort statt, wobei die Tätigkeit der genannten Personen iVm den Vorgaben in den Lizenzbestimmungen analysiert wird“, heißt es dazu allgemein von der Liga auf Anfrage von 90minuten.at.

Und konkret zum beschriebenen Sachverhalt? Die Bundesliga stärkt nach einer Anfrage, die 90minuten.at Anfang März gesendet hat, dem SKN St. Pölten vorerst den Rücken: „Stephan Helm ist in seiner Rolle als Cheftrainer für die taktischen Bereiche verantwortlich, coacht von der Seitenlinie und nimmt auch sämtliche Medientermine in seiner Funktion wahr. Dass auch Emanuel Pogatetz als Co-Trainer unterstützend an der Seitenlinie auftritt ist im (inter-)nationalen Fußball nicht unüblich und steht nicht im Widerspruch mit der Cheftrainer-Funktion von Stephan Helm.“ Offenbar wertet die Liga das permanente Coaching von Pogatetz als Unterstützung für Helm.

 

Es kommt Bewegung rein

Möglicherweise kommt nun aber doch etwas Bewegung in die Sache: Wie 90minuten.at in Erfahrung bringen konnte, haben die Recherchen dazu geführt, dass die Bundesliga sich den Sachverhalt offenbar nun doch etwas genauer ansieht und die Videos der vergangenen Spiele sichtet. Eine offizielle Bestätigung dazu von der Liga gibt es nicht. Auf erneute Nachfrage von 90minuten.at heißt es nur, dass man im Rahmen der Lizenzierung natürlich alle Angaben einer genauen Überprüfung unterziehe.

Immerhin: Vor einigen Tagen hat es Pogatetz in den aktuellen A-Kurs geschafft. Damit wäre der SKN St. Pölten berechtigt, Pogatetz offiziell als Cheftrainer in der 2. Liga zu führen. Da ein Aufstieg in weite Ferne gerückt ist, scheint es also durchaus wahrscheinlich, dass man Emanuel Pogatetz in der kommenden Saison wieder an der Seitenlinie stehen sehen wird – dann möglicherweise ganz offiziell als Cheftrainer, der auch die notwendige Ausbildung mitbringt. 

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