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Abstiegskampf: Endspiel Heinle vs. Klose in Ried? [Exklusiv]

Nach neun Runden halten sowohl die SV Ried als auch SCR Altach bei nur fünf Punkten. Am kommenden Sonntag kommt es zum Duell im Innviertel. 90minuten.at nimmt die beiden gegenwärtigen Hauptabstiegskandidaten unter die Lupe.

+ + 90minuten.at PLUS - Eine Reportage von Gerald Emprechtinger + +

 

Die Bestellung von Weltmeister Miroslav Klose als neuer Cheftrainer beim SCR Altach wurde Anfang Juni 2022 von großem medialem Interesse begleitet. Der deutsche WM-Tor-Rekordhalter war zuvor als Co-Trainer von Hansi Flick bei Bayern München aktiv, als Cheftrainer im Profibereich ist der SCRA seine erste Station. Klose löste damit Ludovic Magnin auf diesem Posten ab. Der Schweizer hatte die Altacher in der Vorsaison am letzten Spieltag zum fast märchenhaften Klassenerhalt geführt, nachdem die Mannschaft vor Beginn der Qualifikationsrunde von den meisten schon als sicherer Absteiger bezeichnet wurde. Nach dem Klassenerhalt in Vorarlberg wechselte Magnin jedoch auf eigenen Wunsch in seine Heimat zurück und ist seit Saisonbeginn als Cheftrainer von Lausanne aktiv.

„Es liegt harte Arbeit vor uns“ betonte Klose bei seiner Präsentation als Cheftrainer in Altach. Dass diese Arbeit jedoch derart hart werden würde, damit hätte der 44-jährige vermutlich nicht gerechnet. Denn nach neun Spieltagen der Saison 2022/23 liegen die Altacher (schon wieder) auf dem letzten Tabellenplatz der Admiral Bundesliga. Lediglich fünf Punkte befinden sich aktuell auf der Habenseite der Vorarlberger, dazu stellt man die schlechteste Defensive der Liga (21 Gegentore). Im sky-Podcast DAB | Der Audiobeweis sprach Klose über seine Spielidee mit dem SCR Altach und traf dabei folgende Aussagen: „Kompromisse muss man eingehen […]. Wir müssen kleinere Schritte denken, das ist auf meine Person bezogen. Ich dachte, ich kann das (Anm. System bzw. den Spielstil) schneller in die Mannschaft implementieren. Da muss ich mich anpassen.“

 

Tabellenkellerschlager

Am letzten Spieltag setzte es jedoch ein 1:4 im Heimspiel gegen Austria Klagenfurt, einen Gegner, der vor Saisonbeginn nach den Abgängen einiger Leistungsträger eigentlich in dieselbe Leistungsregion wie die Vorarlberger eingestuft worden war. Der O-Ton nach dieser Niederlage klang schon drastischer: "Wir wollten viele Sachen anders umsetzen, als wir es heute gemacht haben.", sagte er über das Verhalten der Defensive. Des Weiteren: "Diese Fehler und diese Mutlosigkeit sind für mich schwierig zu akzeptieren". Die Nerven scheinen also schon einigermaßen blank zu liegen.

"Besonders negativ stechen die lediglich vier erzielten Tore (0,44/Spiel) heraus. Man muss in den Geschichtsbüchern der obersten Spielklasse schon etwas weiter zurückblättern, um eine andere Mannschaft mit der gleichen Bilanz zu finden." - Gerald Emprechtinger

Noch blanker würden die Nerven vermutlich liegen, wenn es im nächsten Ligaspiel eine erneute Niederlage setzen würde. Denn am 2. Oktober kommt es in der josko ARENA in Ried zum absoluten Schlager im Tabellenkeller gegen die SV Ried, die nur aufgrund des etwas besseren Torverhältnisses aktuell auf dem vorletzten Platz liegt. Bei den Innviertlern ist Christian Heinle seit 19. April 2022 als Cheftrainer aktiv. Als Spieler kann man ihn als die Antithese zu Miroslav Klose bezeichnen, der 37-jährige Grieskirchner schaffte es als Aktiver nicht über die OÖ-Liga (4. Spielklasse) hinaus.

 

„Positiv Denken bei Humboldt absolviert

In der Kommunikation nach außen ist Heinle jedoch ebenso eine optimistische Antithese zu Miroslav Klose. Heinle stellte sich bisher nach jeder Saisonniederlage schützend vor seine Mannschaft und hob stets die positiven Aspekte hervor. In den Augen vieler Kritiker jedoch zuletzt in übertriebenem Maße. Nach dem letzten Ligaspiel machte sich beispielsweise das humoristische sky-Diskussionsformat „Die Abstauber“ in einem Insert über Heinle lustig, indem man einen Interview-Zusammenschnitt des SVR-Cheftrainers mit „hat „Positiv Denken" bei Humboldt absolviert“ untertitelte.

Heinle übernahm das Traineramt im Innviertel nach der für viele überraschenden Beurlaubung von Robert Ibertsberger (Anm.: für den Autor dieser Zeilen war es damals nicht überraschend) zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres, diesmal allerdings permanent und nicht interimistisch wie im Herbst 2021. Durch vier Unentschieden en suite führte Heinle die SV Ried am letzten Spieltag zum Klassenerhalt, wobei man in der Anfangsphase für einige Minuten sogar temporär als Absteiger feststand. Nach neun Spieltagen der aktuellen Saison hält man wie Altach bei nur einem Sieg, dem sechs Niederlagen gegenüberstehen.

 

Viel zu wenig Tore

Besonders negativ stechen die lediglich vier erzielten Tore (0,44/Spiel) heraus. Man muss in den Geschichtsbüchern der obersten Spielklasse schon etwas weiter zurückblättern, um eine andere Mannschaft mit der gleichen Bilanz zu finden. Dabei handelt es sich ironischerweise ebenfalls um die SV Ried. In der Saison 2006/07 hielt man unter Helmut Kraft nach neun Spieltagen ebenfalls bei vier Toren (4:9), hatte jedoch zwei Punkte mehr auf dem Konto. Am Ende dieser Saison konnte sich die SVR kurioserweise zum ersten und einzigen Mal in der Vereinsgeschichte den Vizemeistertitel sichern. Ein Erfolg, den man in dieser Saison definitiv nicht wiederholen wird.

Der durchschnittliche xG-Wert (erwartete Tore) pro Spiel liegt aktuell bei 0.98, was auch für eine mangelhafte Chancenverwertung bzw. Ineffizienz vor dem Tor spricht. In diesem Punkt wird Heinle also von der Statistik bestätigt, wenn er wie nach der 1:2 Heimniederlage gegen die WSG Tirol von einer schwachen Chancenverwertung spricht. Lustenau (0.84) und Hartberg (0.74) liegen bei der xG-Statistik hinter der SVR, vor allem der Aufsteiger aus dem Ländle hat mit 12 Saisontoren deutlich mehr Tore erzielt, als er eigentlich sollte. Der xGA-Wert (erwartete Gegentore) der Innviertler liegt bei 1.52, die 14 Gegentore sind im Gegensatz zu den erwarteten Toren aktuell also genau im Rahmen (13.68).    

 

Heinle mit bescheidener Ausbeute

Abgesehen von der Torausbeute ist auch die saisonübergreifende Punkteausbeute von Christian Heinle relativ bescheiden. In seinen 14 Spielen als permanenter Cheftrainer konnte er lediglich ein Spiel gewinnen (ein 1:0 gegen den Aufsteiger aus Lustenau). Sechs Unentschieden stehen sieben Niederlagen gegenüber, dies bedeutet nur 0,64 Punkte/Spiel. Zusammen mit seinen 14 Spielen aus der Vorsaison kommt er auf einen Gesamtwert von 0,91.

Historisch gesehen weisen nur Miron Muslic (0,30 Punkte/Spiel), Thomas Weissenböck (0,78) und Christian Benbennek (0,87) unter allen SVR-Trainern mit zehn oder mehr Bundesligaspielen eine schlechtere Bilanz auf. Die Bilanz des im Vorjahr geschassten Ex-Trainers Andreas Heraf ist mit 1,53 Punkten/Spiel im Vergleich dazu fast schon sensationell. Er liegt in der ewigen Rangliste des Vereins gemeinsam mit Helmut Kraft ganz vorne, sogar vor den Trainerlegenden Paul Gludovatz und Heinz Hochhauser.

 

Welche Heimstärke?

Auch die vielzitierte Heimstärke in der josko ARENA ist seit Ende des Grunddurchgangs 2021/22 völlig verloren gegangen. Von den letzten zehn Heimspielen konnte die SV Ried nur eines gewinnen, diesem Sieg stehen fünf Unentschieden und vier Niederlagen gegenüber. Bei einer historisch auswärtsschwachen Mannschaft wie der SV Ried (seit dem Wiederaufstieg vor zwei Jahren lautet die Auswärtsbilanz in der Bundesliga 2 Siege, 6 Unentschieden und 19 Niederlagen bei einem Torverhältnis von 20:51) entscheidet die Heimform normalerweise über den Saisonverlauf, was zum aktuellen Zeitpunkt nicht unbedingt ein positiver Indikator für die Zukunft ist.

Doch die mangelhafte Tor- und Punkteausbeute sowie die verlorengegangene Heimstärke sind nur drei Aspekte der aktuellen Krise. Auch die Form- und Leistungs-Tendenz zeigt in den letzten Wochen deutlich nach unten. Zuletzt gingen fünf der letzten sechs Saisonspiele verloren, lediglich im OÖ-Derby in Pasching gab es mit einem 1:1 einen überraschenden Zuwachs am Punktekonto. 

 

Bedenkliche Niederlagen

Klarerweise kann man im eigenen Stadion gegen Red Bull Salzburg oder auswärts bei Austria Wien verlieren. Doch die Manier der Niederlage am letzten Spieltag in Favoriten war bedenklich. In der zweiten Halbzeit wurde man von den Veilchen regelrecht deklassiert, wirkte in keinem Aspekt auch nur annähernd bundesligatauglich, was auch von Christoph Monschein im sky-Interview nach Spielende genau so formuliert wurde.  

"Als Außenstehender beschleicht einen das Gefühl, dass die Spieler derzeit an Spielidee und Spielsystem angepasst werden und nicht vice versa" - Gerald Emprechtinger

Die Ausfälle von Mittelfeld-Leistungsträgern wie Nikola Stosic (rekonvaleszent nach Kreuzbandriss), Marcel Ziegl (Meniskus), Stefan Nutz, Michael Martin (war im Sommer aus Steyr gekommen) oder Michael Kingsley (aus Bologna geliehen) schmerzen klarerweise und sind für eine Mannschaft wie Ried nicht ersetzbar. Dennoch zeigte die Leistungskurve bereits beim Spiel davor gegen Hartberg nach unten, also gegen einen vermeintlichen Gegner auf Augenhöhe. Bei diesem Spiel stand mit Ausnahme der Langzeitverletzten Stosic und Matthias Gragger jedoch der gesamte Kader zur Verfügung.

 

Wo geht es hin?

Bei der völlig überflüssigen Niederlage gegen die WSG Tirol musste Kapitän Ziegl in der Dreierkette agieren, weil Abwehrchef Lackner gesperrt nicht auflaufen durfte. Hier kommt ein weiterer Aspekt für die aktuelle Negativserie ans Tageslicht. Es ist für die Balance und Eingespieltheit der Mannschaft nicht förderlich, wenn man durch die Spieler am Feld regelmäßig durch Dummheiten und undiszipliniertes Einsteigen geschwächt wird. Mit fünf Ausschlüssen (einer mehr als in der gesamten Saison 2021/22) hat man das besondere Kunststück geschafft, Ende September mehr Platzverweise als Tore auf dem Konto zu haben.

Bedenklich verlaufen auch die Formkurven mancher Spieler. Spielmacher Stefan Nutz ist saisonübergreifend seit fast schon unglaublichen 14 Spielen ohne Scorerpunkt. Sein Formverlauf koinzidiert wohl nicht zufällig mit der Bestellung von Christian Heinle zum Cheftrainer. Der 30-jährige Judenburger muss im 3-4-3 System zumeist am rechten Offensivflügel agieren. Eine Position, die dem Routinier augenscheinlich nicht liegt und in welcher er seine Stärken (z.B. den Lochpass bzw. den Pass in die Tiefe) auch nicht so ausspielen kann wie als zentraler Mann hinter den Spitzen.

Generell scheint die Spielidee des Ballbesitzfußballs und die Formation der 3er- bzw. 5er-Kette den Einzelspielern im Kader nur bedingt zu liegen. Als Außenstehender beschleicht einen das Gefühl, dass die Spieler derzeit an Spielidee und Spielsystem angepasst werden und nicht vice versa, wie es etwa Paul Gludovatz mit seinem 3-3-3-1 System praktiziert hatte. Gerade ein kleiner Verein wie Ried kann aber eigentlich nicht auf die individuellen Waffen der Schlüsselspieler verzichten. 

 

>> Weiterlesen - Seite 2: Wird's das für Heinle gewesen sein?

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