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This time for Africa [Momentum am Montag]

Marokko spielt am Mittwoch gegen Frankreich um die nächste Sensation. Die afrikanische Nation wird dabei zum Symbol für den Fußball am Kontinent. 90minuten.at wirft einen genauen Blick auf die Sachlage.

+ + 90minuten.at PLUS - Von Georg Sander + +

 

Marokkos Sieg über Portugal ist unser Momentum am Montag.

Anlässlich der ersten Weltmeisterschaft am afrikanischen Kontinent, 2010 in Südafrika, hatte Latinpop-Star Shakira den Song „Waka Waka“ aufgenommen. Die Querverbindung der in Kolumbien geborenen Sängerin zu Marokko ist unter Umständen der Vater, ein gebürtiger New Yorker libanesischer Herkunft. Jedenfalls twitterte Shakira nach dem Sieg Marokkos gegen Portugal „This time for Africa!!“ - quasi der Subtitel des Hits Waka Waka. Man muss also ein bisschen um ein paar Ecken denken. Das betrifft wohl relativ viele Aspekte des Themas.

 

Wenig Historie?

Mittlerweile sind Fußballer aus vielen der 54 afrikanischen Staaten Superstars, etwa Didier Drogba, Samuel Eto'o, Sadio Mane oder Mo Salah. Die Nationalteams können fußballerisch aber im Großen und Ganzen nicht mit den europäischen Nationen und den Südamerikanern, vornehmlich Brasilien, Argentinien und Uruguay, mithalten. Zwar nahm mit Ägypten bereits bei der zweiten WM 1934 ein afrikanisches Land am Turnier teil, es dauerte aber, bis die Nationalteams größére Rollen spielen konnten. Nicht zu vergessen: Bis lange nach dem 2. Weltkrieg herrschten europäische Nationen als Kolonialherren über weite Teile des Kontinents. Erst 1970 gab es aber einen Fixplatz, den sich Marokko holte; das Land ist übrigens seit 1956 unabhängig von Frankreich bzw. Spanien.

1974 nahm Zaire teil, vier Jahre später Tunesien. 1982 waren mit Algerien und Kamerun schon zwei Länder vertreten. 1986 kickten Algerien und Marokko mit. Die Marokkaner gewannen ihre Gruppe sogar, schieden aber im Achtelfinale gegen Deutschland aus. 1990 dann das erste Viertelfinale. Ägypten als einer von zwei Vertretern schied in der Vorrunde aus, Kamerun besiegte im Achtelfinale Kolumbien. Gary Lineker verwandelte nach einem 2:2 in der regulären Spielzeit in der Nachspielzeit einen Foulelfmeter zum englischen Aufstieg.

 

Im Konzert der Großen

1994 nahmen mit Marokko, Kamerun und Nigeria drei Nationen teil. Nigeria musste sich im Achtelfinale Italien geschlagen geben. 1998 gab es erstmals 32 Teilnehmer. Aus Afrika waren Kamerun, Marokko, Nigeria, Südafrika und Tunesien mit dabei. Nigeria überstand als einziger die Vorrunde, musste sich Dänemark aber mit 1:4 geschlagen geben. 2002 schlug die große Stunde des Senegal, der gemeinsam mit Kamerun, Nigeria, Südafrika und Tunesien mitspielte. Die Senegalesen konnten Schweden im Achtelfinale schlagen, mussten sich im Viertelfinale wegen eines Golden Goals der Türkei beugen.

2006 in Deutschland überstand von Angola, der Elfenbeinküste, Togo, Tunesien und Ghana nur letztere Nation die Gruppenphase, Brasilien machte im Achtelfinale aber kurzen Prozess und gewann mit 3:0. 2010 waren schließlich dank Gastgeber Südarfika sechs Nationen mit dabei, Algerien, die Elfenbeinküste, Ghana, Kamerun und Nigeria ritterten um die KO-Phase. Die Ghanaer überstanden diese als Einzige, kickten die USA im Elfmeterschießen raus und verloren ebensolches nach einem 1:1 im Viertelfinale gegen Uruguay. In Brasilien 2014 überstanden aus dem Qunitett Algerien, Elfenbeinküste, Ghana, Kamerun und Nigeria Letztere und Erstere die Gruppenphase. Algerien verlor nach Verlängerung gegen Deutschland, Nigeria gegen Frankreich. Vor vier Jahren in Russland fuhren Ägypten, Marokko, Nigeria, Senegal, Tunesien bereits nach der Vorrunde heim.

 

On the Map

Ungeachtet der sportlich mauen WM in Russland haben sich afrikanische Länder in die Geschichtsbücher der Weltmeisterschaften eingetragen. Nun hat es Marokko ins Halbfinale geschafft, erstmals. Das ist historisch. Sollten es die Marokkaner ins Finale schaffen, wäre das die erste Teilnahme eines Landes, das nicht aus Südamerika oder Europa kommt. Apropos Europa: Dort spielen die meisten Kicker. Keeper Bono steht etwa bei Sevilla zwischen den Pfosten, Achraf Hakimi kickt mit Neymar und Messi bei PSG, Noussair Mazraoui spielt mit Müller, Neuer und Co. bei den Bayern, Hakim Ziyech steht bei Chelsea unter Vertrag. Drei Spieler sind bei dem marokkanischen Topklub Wydad unter Vertrag, zwei in Saudi-Arabien, einer in Qatar. Viel afrikanischer Klubfußball steckt da kaum drinnen. Viele Kicker sind Doppelstaatsbürger.

 

Zwischen den Stühlen

Die Beziehungen zwischen dem arabischen Nordafrika und dem Rest des Kontinents sind durchaus komplex. So wie Europa gegenüber afrikanischen Ländern in den letzten Jahrhunderten als Kolonialherren aufgetreten waren, gab es auch einen über 1.000 Jahre alten araboislamischen Sklavenhandel. Warum das hier steht: Weil der arabische Raum, zu dem Marokko gehört, eben über Afrika hinaus geht. Die Repräsentanz ist also eher schwierig. Zudem besetzte Marokko 1975, nachdem Spanien sich zurückgezogen hatte, die Westsahara. Das Land ist seitdem annektiert, gegen den Willen der dortigen Bevölkerung. Die Demokratische Arabische Republik Sahara wurde 1984 in die Afrikanische Union aufgenommen, worauf hin Marokko austrat. Seit 2020 kämpft die Unabhängigkeitsbewegung wieder mit Waffen gegen das Land. Im selben Jahr wiederum erkannte Marokko als viertes islamisches Land Israel als Staat an, woraufhin die USA unter Präsident Trump die Ansprüche Marokkos auf die Westsahara anerkannten. Übrigens: Nach den WM-Spielen posierten die Nationalhelden mit Palästina-Fahnen und Frankreich war früher die Kolonialmacht in Marokko...

 

Zurück zum Fußball

Wer nun ein bisschen verwirrt ist, ob es passend ist, Marokko die Daumen zu halten, geschenkt. Was der marokkanische Erfolg aber auf jeden Fall zeigt, ist, dass der Fußball über die Jahre hinweg gesehen immer internationaler wird. Das ist zunächst natürlich mehr Startplätzen geschuldet und dem Umstand, dass der Transfermarkt immer weiter über die europäischen Grenzen hinaus blickt, um Talente zu finden. Gerade diese Internationalität sorgt dafür, dass eben nicht nur in Europa und Südamerika exzellent gekickt wird, sondern weit darüber hinaus.

Und letztlich ist es doch egal, ob die Marokkaner jetzt „für“ Afrika, „nur“ für die arabische Welt oder dafür kicken, dass ihre Mamas und Papas stolz sind. Wer den glücklichen Menschen beim Fußballgeschichte schreiben zusieht, dem kann doch nur das Herz aufgehen, oder?

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