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"Wir sehen beide Seiten, die Öffentlichkeit oft nur die eine" (2)

In der Meisterschaft steht Red Bull Salzburg zwar an der Tabellenspitze, in einer schwierigen Champions League-Gruppe könnten mehr Punkte am Konto sein. Es läuft nicht ganz rund. Sportdirektor Christoph Freund spricht im 90minuten.at-Interview über die aktuelle Lage beim Serienmeister.

90minuten.at: Was auffällig ist, wenn man sich die Transfers in den letzten Jahren ansieht, dass eher Offensivspieler um hohe Summen weggekauft werden. Einigen Defensivabgängen um hohe Summen (Lainer, Pongracic) stehen viel mehr Offensivspieler gegenüber. Für neue Abwehrspieler Wöber, Kristensen – nimmt man Millionen in die Hand. Woran liegt das?

Freund: Das kann ich so weder bestätigen noch ganz nachvollziehen. In den letzten fünf, sechs Jahren haben wir mit Martin Hinteregger, Dayot Upamecano, Duje Caleta-Car, Bernardo, Marin Pongracic oder Stefan Lainer und auch den damals zu Leverkusen gewechselten André Ramalho mehrere Spieler entwickelt, die zu Topvereinen gegangen sind. Natürlich ist es spektakulärer, wenn ein Stürmer Tore macht, sie sind in der Regel auch die teureren Spieler. Die Balance ist bei uns gesund.

 

90minuten.at: Van der Werff, Todorovic, Ludewig haben nicht so gezündet.

Freund: Das muss man sich einzeln anschauen. Van der Werff hat sich bei uns leider bald schwer verletzt, ist fast ein Jahr ausgefallen, ist nun zu Basel verliehen, dortStammspieler und macht eine sehr gute Entwicklung. Hoffentlich bleibt er jetzt über einen längeren Zeitraum fit. . Kilian Ludewig kam mit 18 zu uns, hatte von Beginn an immer wieder Probleme mit kleineren Verletzungen , ist aktuell Stammspieler bei Schalke 04, ich halte große Stücke auf ihn, hoffentlich macht er bei uns auch noch Karriere. Darko war zu Beginn gut drin bei uns, hatte dann zu kämpfen. Klar ist: eine hundertprozentige Quote wird man bei Transfers nie haben, aber wenn es so bleibt wie in den letzten Jahren, dann sind wir schon sehr zufrieden

 

90minuten.at: Ist ein Problem auch, dass sich grade bei Salzburg Stürmer leichter tun wegen des offensiven Spielstils? Umgekehrt ist das Spiel für Abwehrspieler schwieriger.

Freund: Absolut. Vielleicht ist es für Abwehrspieler bei anderen Teams, die sich mehr fallen lassen, weniger raus verteidigen, leichter. Wir haben ein anderes, mutigeres Verteidigen. Darum wollen wir die Spieler jung zu uns holen oder selber in der Akademie dafür ausbilden. Aber wir haben in den letzten Jahren ein sehr hohes Level erreicht, da ist es nicht so einfach, bei uns in der ersten Mannschaft Fuß zu fassen.

 

90minuten.at: Das führt zum letzten Thema. Die Nachwuchsschmiede Salzburg ist in den letzten Jahren eher zu „Wir kaufen Junioren und führen sie via Liefering an RBS ran“ geworden. Warum?

"Wir werden auch damit leben können, wenn einmal eine andere Mannschaft Meister wird und wir international ausscheiden. Wenn wir dafür aber viele junge Spieler integrieren, war es von dem her auch eine erfolgreiche Saison. Wir sehen beide Seiten, die Öffentlichkeit oft nur die eine." - Christoph Freund

Freund: Grundsätzlich macht es uns sehr stolz, wenn wir Spieler sehr jung zu uns holen, sie mit 12, 13 Jahren in die Akademie kommen. In der Nationalmannschaft beginnen Spieler wie Hinteregger, Lazaro, Laimer, Lainer oder Schlager regelmäßig, die aus unserem Nachwuchs stammen . Es gibt extrem viele, die den Weg bei uns gemacht haben, nachdem sie ganz jung gekommen sind. Das bleibt auch weiter unser oberstes Ziel, wird uns aber nicht jedes Jahr gelingen. Unsere U18 ist derzeit eine der interessantesten, die wir je hatten . Ich bin davon überzeugt, dass wir in den nächsten Jahren wieder einige bis ganz nach oben bringen werden. Eines möchte ich aber noch anmerken.

 

90minuten.at: Das wäre?

Freund: Es ist schon auch ein wesentlicher Teil unserer Strategie, 16-, 17-jährige Spieler zu holen und sie dann bei uns reifen zu lassen. Nur in diesem Alter haben wir die Möglichkeit auch Europa-weit Top-Talente zu bekommen, weil mit 20 gehen die schon woanders hin, spielen schon in einer großen Liga. Wenn ich jetzt unsere Stammelf hernehme, dann haben wir mit Ramalho, Camara, Mwepu, Daka, Szoboszlai, Koita, Okugawa oder Berisha viele Spieler in der der Startformation, die diesen Weg bei uns gegangen sind! Früher waren es mehr, die vorher schon bei uns waren. Aber da wird es immer wieder unterschiedliche Phasen geben.

 

90minuten.at: Adamu, Sučić, Seiwald, Antosch sollen aber auf Sicht schon eingebaut werden.

Freund: Diese Jungs und einige andere mehr, die noch in der Akadmie spielen, sind unsere Zukunft. Sie haben viel Potential und wir werden unsere Kaderplanung darauf ausrichten.

 

90minuten.at: Ist das auch ein Auftrag an Jesse Marsch?

Freund: Es ist ein gemeinsamer Auftrag, eine gemeinsame Kaderplanung. Im Endeffekt müssen es sich die Spieler verdienen, aber auch die Chance bekommen, dass sie sich zeigen können. Sie verdienen sich das im Training. Da kommt man schon immer wieder in Verlockung. Uns werden viele Spieler angeboten, gute ältere Spieler, die uns in den kommenden Monaten sehr rasch helfen. Aber auf Sicht gesehen machen die jungen Spieler für uns mehr Sinn und haben am Ende vielleicht noch mehr Potential. . Da muss man immer gut abwägen. Weil wir letztlich immer Meister werden und international jedes Jahr so weit wie möglich kommen wollen. Wir wollen aber genauso wie wir Fußball spielen, auch in der Kaderplanung weiter mutig unseren Weg gehen.

 

90minuten.at: Zum Abschluss: Wäre es eine vertane Saison, wenn wer anderer Meister wird und man – so unrealistisch ist das nicht – nicht europäisch überwintert?

Freund: Es wäre nicht zufriedenstellend, aber auch kein Fiasko. Wir wollen erfolgreich Fußball spielen. Uns wurde vor sechs, sieben Jahren gesagt, dass wir eh nur noch ausbilden wollen, mehr nicht. Aber wir wollen beides - erfolgreich sein und jungen Spielern die Chance geben, sich bei uns auf hohem Niveau weiter zu entwickeln.. Dass es uns immer gleich gut gelingt, ist aber ein Balanceakt. Wir werden auch damit leben können, wenn einmal eine andere Mannschaft einen Lauf hat, Meister wird und wir international ausscheiden. Das wird irgendwann einmal so sein. Wenn wir dafür aber viele junge Spieler integrieren, war es von dem her auch eine erfolgreiche Saison. Wir sehen beide Seiten, die Öffentlichkeit oft nur die eine.

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