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Dominik Voglsinger: "Der ÖFB hat seine Spielweise verworfen"

Der Trainer Dominik Voglsinger hat schon für den DFB gearbeitet und Fachbücher geschrieben. Den österreichischen Fußball verfolgt er interessiert, aber mit Sorge. Ein Gespräch über die Probleme der Nationalmannschaft, fachliche Defizite bei ehrenamtlichen Entscheidungsträgern und die fehlende Strategie bei den Wiener Großklubs Rapid und Austria.

Das Gespräch führte Gerald Gossmann 

 

90minuten.at: Das österreichische Nationalteam spielt derzeit weder schönen noch aufregenden noch erfolgreichen Fußball. Warum?

Dominik Voglsinger: Es ist viel verändert worden. Unter Marcel Koller wollte man das Spiel machen, den Gegner höher attackieren und mutiger auftreten. Jetzt wirkt alles defensiver – man konzentriert sich vermehrt aufs Verteidigen und auf das Konterspiel. Wir haben eine sehr gute österreichische Mannschaft, die den Ball braucht, um spielerische Akzente zu setzen. Aber wir gehen wieder einen anderen Weg. Es ist ein Zick-Zack-Kurs, wo erneut die Spielweise gewechselt wurde.

90minuten.at: Franco Foda verneinte das in der ZIB 2. Er meinte: Seine Mannschaft spielt hohes Pressing, offensiv und kreiert viele, viele Torchancen.

Mag sein, dass er so argumentiert hat. Aber es ist nicht so: Sie attackieren später, sie attackieren mit weniger Spielern vorne. Von einem Angriffspressing ist wenig zu sehen. Das österreichische Nationalteam spielt nicht sehr aktiv. Es ist ja nicht so, dass eine offensive Spielweise automatisch erfolgreich sein muss. Aber als ÖFB hat man vor Jahren eine Spielweise gefunden, die passt - die jetzt aber wieder verworfen wurde.

 

90minuten.at: Aber man wusste ja wie Foda Fußball spielen lässt.

Ich kenne kein Spiel von Sturm Graz unter Franco Foda, wo spielerisch agiert und hoch gepresst wurde. Sie sind kompakt gestanden, haben gut umgeschalten und waren bei Standardsituationen gut.

"Die Mannschaft (ÖFB-Team) wirkt auch nicht harmonisch. Es sieht nicht nach einer geschlossenen Mannschaftsleistung aus. " - Dominik Voglsinger

90minuten.at: Kann man als Trainer da gegensteuern und seine bevorzugte Spielweise wechseln?

Ein Paradebeispiel ist für mich der Dieter Hecking bei M´Gladbach, der auch seine Spielanlage verändert hat. Es ist schon möglich. Normalerweise versucht man eine Strategie zu entwickeln, die zur Mannschaft passt. Aber beim ÖFB, bei Rapid, bei Austria erwartet man einen aktiven Fußball. Und so muss auch das Anforderungsprofil für einen Trainer sein.

 

90minuten.at: Zuletzt standen vor allem die Spieler in der Kritik.

Die Mannschaft wirkt auch nicht harmonisch. Es sieht nicht nach einer geschlossenen Mannschaftsleistung aus. Wir haben Ausnahmespieler wie David Alaba und Marko Arnautovic. Aber es stellt sich die Frage: Zerstören sie mehr als sie bringen? Vielleicht sollten wir auf junge Spieler setzen, die zusammenhalten.

 

90minuten.at: Ist es nicht auch die Aufgabe des Trainers, die Spieler zu einer Mannschaft zu formen? Und wäre es nicht auch sein Versagen, wenn viele seinem Weg nicht folgen?

Aber als Trainer musst du auch den Mut haben, zu sagen: Es funktioniert nicht. Wir können in Österreich Erfolg haben – aber nur gemeinsam. Man muss eine klare Linie gehen: beim ÖFB, bei der Austria, bei Rapid. Diese Linie muss von oben vorgegeben werden. Die Vereine verfolgen kein durchgängiges Konzept: Ein Trainer macht das, der andere das. Und keiner kontrolliert das.

 

90minuten.at: Beispiel Austria Wien: Ivica Vastic und Andreas Ogris trainierten im Nachwuchs, Thomas Letsch die Profis. Aber eine gemeinsame Linie wurde nicht verfolgt, oder? 

Ich habe mir das angeschaut: Und sie haben alle etwas anderes gespielt. Bei Red Bull Salzburg spielen alle den gleichen Stil. Bei Rapid und Austria macht jeder etwas anderes. Jeder Trainer zieht sein Ding durch, aber es gibt keine gemeinsame Linie. Es können dann Zufalls-Erfolge erzielt werden, aber es kann keinen dauerhaften Erfolg geben.

 

90minuten.at: Ralf Muhr erklärte, als er noch Nachwuchsleiter war, dass die Austria im Jugendbereich auf Ballbesitzfußball setzt, bei den Profis wurde dann aber ein Trainer aus dem ideologisch vorbelasteten Red-Bull-Stall geholt, der mit Ballbesitzfußball wenig anfangen konnte.

Muhr hat grundsätzlich recht, wenn er sagt, dass die Austria Ballbesitzfußball forcieren soll. Aber dann muss auch der Kampfmannschaftstrainer nach der Nachwuchs-Philosophie bestellt werden. Ich kann nicht im Nachwuchsbereich Ballbesitzfußball forcieren und dann einen Trainer holen, der überhaupt nicht in dieses Anforderungsprofil passt. Thomas Letsch stammt aus der Red Bull-Schule. Das konnte auch nicht funktionieren.

"Warum man (Anm. Rapid) nach Zoki Barisic diesen Kurswechsel in Sachen Philosophie vollzogen hat, kann ich schwer nachvollziehen. Man hat ja Trainer geholt, die nicht die Linie von Rapid Wien verfolgen." - Dominik Voglsinger

90minuten.at: Rapid verfolgt ja, ganz ähnlich zur Austria, keine einheitliche Linie.

Warum man nach Zoki Barisic diesen Kurswechsel in Sachen Philosophie vollzogen hat, kann ich schwer nachvollziehen. Man hat ja Trainer geholt, die nicht die Linie von Rapid Wien verfolgen. Eigentlich wollte man ja Ballbesitzfußball spielen. Sie haben Damir Canadi geholt, der ganz ein anderer Trainertyp ist und nicht Ballbesitzfußball spielen lässt. Goran Djuricin hat mit Ebreichsdorf sehr ähnlich wie Canadi gespielt – er ist kein Ballbesitz-Typ. Und auch Didi Kühbauer hat bisher nicht diesen Fußball forciert, den man bei Rapid haben möchte. Aber Kühbauer hat man bestellt, um die Fans zu beruhigen. Kühbauer hätte man eineinhalb Jahre davor auch haben können – kostenlos. Ich mag den Kühbauer von seiner Ausstrahlung. Aber nur zu sagen: "Der hat ein grün-weißes Herz", das ist mir zu wenig. Da war das Anforderungsprofil nicht klar. Es wirkte so, als ob Sportdirektor Fredy Bickel hier den letzten Ausweg gewählt hätte: Holen wir Kühbauer, dann geben die Fans Ruhe.

 

90minuten.at: Ist es problematisch, dass die Sportdirektoren von ehrenamtlichen Funktionären ausgewählt werden?

Ein Verein ist ein Riesen-Unternehmen. Um diese Entscheidungen im sportlichen Bereich treffen zu können, braucht man Fachwissen. Und so werden sehr oft Anforderungsprofile nicht sehr klar erstellt. Alle internationalen Großklubs haben jemanden, der fachlich gute Entscheidungen treffen kann.

 

90minuten.at: Obwohl der HSV und Schalke in Deutschland jetzt keine Paradebeispiele für perfekt agierende Manager sind.

Ja. Beim HSV und bei Schalke reden zu viele Leute mit. Diese Strukturen mit ehrenamtlichen Funktionären sind nicht mehr zeitgemäß. Es gibt Länder, die eine sehr durchdachte Strategie verfolgen – im Nachwuchs und im Profibereich. Aber wir sind da nicht ganz vorne. Gerade in Holland und Österreich, in kleinen Ländern, kann man sehr vieles sehr leicht umsetzen. Die Wege sind relativ kurz. Man muss jetzt einmal den Mut haben, sich mit den guten Leuten zusammen zu setzen und sich auf einen Weg einigen. Es geht nicht um persönliche Befindlichkeiten und Macht. Es geht darum, das Land Österreich im Fußball nach vorne zu bringen.

 

90minuten.at: Derzeit schaut es nicht danach aus.

Wir waren ja auf einem guten Weg. Aber wir verlassen immer unsere Wege. Man muss zu dem eigenen Weg auch stehen, selbst wenn es nicht gleich funktioniert. Wir weichen ständig von unserer Art auszubilden ab. Wenn etwas nicht funktioniert, wird sofort alles umgeändert.

 

90minuten.at: Viele Funktionäre sagen: Wenn man als Verein nur einen Fußballstil verfolgt, wird er schnell berechenbar. Deshalb heißt das neue Credo: Wir wollen flexibel sein.

Wenn man gute Spieler ausbildet, dann bist du flexibel. Ich sage immer: Beherrsche den Ball, beherrsche den Gegner. Wenn ich den Ball habe, dann bin ich stark. Man kann immer an Stellschrauben drehen. Aber wir kommen nicht dazu an Stellschrauben zu drehen, weil wir sofort die komplette Linie ständig umändern. Und das ist gerade beim Nationalteam passiert: Es wurde die Spielanlage verändert. Und damit wieder einmal alles umgedreht. 

 

Zur Person Dominik Voglsinger

Dominik Voglsinger, 38, ist ein österreichischer Fußballtrainer, Fachbuch-Autor und Lehrer. Er war bereits für Admira Wacker, First Vienna FC, RB Ghana und den DFB tätig, dazu ist er Gründer einer Spielerentwicklungsfirma.