Sturm braucht eine Perspektive

Die Niederlage des SK Sturm gegen St. Pölten ist nur die Folge eines fußballerischen Zugangs, der seit letztem Herbst Platz gegriffen hat. Die Schwarz-Weißen müssen schleunigst weg von Platzierungsbingo und Ergebnishascherei.

Mählich kam, sah und siegte – aber eben mit einer auf Sand gebauten Kickerei, wo sich aktuell zeigt, wohin es schlichtweg führen musste. Mittlerweile wäre nämlich längst ein Entwicklungsschritt notwendig gewesen.

Ein 12 Meter von Jürgen Pucher

 

Glücklich und zufrieden zeigten sich beim SK Sturm am 17. März alle, als mit einem 1:0-Sieg gegen die Austria der Einzug unter die ersten sechs Teams der Bundesliga fixiert wurde. Dieser ständige Druck würde abfallen, man könnte sich jetzt ein wenig befreiter den kommenden Aufgaben widmen und mit viel Elan am Erreichen eines internationalen Startplatzes arbeiten. Dieser Zustand dauerte bis gestern am späten Nachmittag. Danach war die 1:0-Heimniederlage gegen St. Pölten Realität und der Auftakt in die Meisterrunde vergeigt. Sturm war harmlos und zeigte einen Fußball zum Abgewöhnen gegen den vermeintlich schwächsten Gegner in der oberen Tabellenhälfte. Niemand konnte in der Nachbetrachtung den verdienten Sieg der Niederösterreicher leugnen.

 

Kollektive Fehleinschätzung

So besonders verwunderlich und überraschend war der Auftritt allerdings gestern für jene, die schon länger ein bisschen genauer hinschauen, gar nicht. Das Unentschieden gegen Red Bull und der Heimsieg gegen die Austria in den letzten beiden Runden vor der Teilung haben über den tatsächlichen Zustand des SK Sturm heuer schlicht hinweggetäuscht. Der Auftakt in Mattersburg war dürftig und das Heimspiel gegen den LASK eine Blamage. Beim Remis in Salzburg trafen die Grazer auf einen Gastgeber, der nach dem 3:0 in Neapel seine Wunden lecken musste und die wohl schwächste Saisonleistung gezeigt hat. Und der Sieg in Graz gegen Austria Wien war gegen einen desolaten Gegner, der noch dazu eine Stunde lang in Unterzahl spielen musste. Dass Sturm dann nach 22 Runden plötzlich am dritten Platz zu finden war, setzte der insgesamten kollektiven Fehleinschätzung nur noch die Krone auf. Es waren trotzdem nur vier Punkte mehr am Konto als beim krisengebeutelten SK Rapid.

Roman Mählich wurde nach seinen konsolidierenden Ergebnissen im Herbst, nachdem er im Oktober die Mannschaft übernommen hat, kräftig abgefeiert. Wer sich erlaubt hat, die Art und Weise seines Fußballspiels als zu defensiv, zu reaktiv und als einen mit keiner Zukunftsperspektive zu kritisieren, wurde aus so mancher Ecke ordentlich geschimpft. Er bringt jetzt die Ergebnisse, nachdem sein Vorgänger Heiko Vogel nicht oft genug drei Punkte einfahren konnte, hieß es. Nur das wäre von Relevanz. Obwohl es unter Vogel nach einem schwachen Start fußballerisch einen Aufwärtstrend gegeben hat, musste er gehen. Mählich kam, sah und siegte – aber eben mit einer auf Sand gebauten Kickerei, wo sich aktuell zeigt, wohin es schlichtweg führen musste. Mittlerweile wäre nämlich längst ein Entwicklungsschritt notwendig gewesen. Weg von hinten dicht und vorne Zufall, hin zu einem Fußball, der es erlaubt auch gegen eine selbst nicht das Spiel machende Mannschaft Lösungen finden zu können.

Keine Euphorie ohne Perspektive

Es reicht gegen Sturm, siehe etwa das Spiel am Sonntag, die wenigen offensiv ausgerichteten Akteure mit Nachdruck kaltzustellen, um einen schwarz-weißen Torerfolg fast unmöglich zu machen. Der Rest wird offenbar von Mählich mit der Grundausrichtung „Vorsichts- und Reaktionsaufgaben“ aufs Feld geschickt, sodass ein einigermaßen dominanter Offensivfußball nicht mehr möglich ist. Und jetzt steht Sturm dort, wo so ein Zugang meistens hinführt, wenn man höhere Ansprüche hat als den Abstieg zu verhindern. Nämlich vor der Unfähigkeit ein Spiel offensiv-gestalterisch anzulegen, wenn es denn notwendig ist. Und wenn man in den Europacup will, ist das irgendwann notwendig. Das anfänglich allerwichtigste – die Ergebnisse – stimmen längst nicht mehr und erschwerend kommt hinzu: Der Grazer Kick ist furchtbar anzuschauen. In Liebenau hat schon lange niemand mehr mit der durch Fußballkunst aktivierten Zunge geschnalzt.

Das drückt jenen Fans, denen mehr an diesem Klub liegt, als kurzfristiges Platzierungsbingo und Ergebnishascherei, besonders aufs Gemüt. Trotz Qualifikation für die Meisterrunde ist von der Euphorie vor nicht einmal einem Jahr genau nichts mehr zu spüren. Trotz Freibieraufruf fanden gegen St. Pölten nur 8.500 Fans den Weg ins Liebenauer Stadion. Sturm hat die Chance Dritter zu werden und dadurch mit ein wenig Glück sogar direkt einen Startplatz in der Gruppenphase der Europa League zu erreichen. Aber nicht einmal beim Schlager um die Quali zur Meisterrunde konnte der Verein das „Ausverkauft“-Schild an die Tore hängen. Ein Indiz dafür, dass Ergebnisse wohl doch nicht alles sind. Die Art und Weise wie man Fußball spielt und sich insgesamt präsentiert, scheint den Fans eines Traditionsvereins mindestens genauso wichtig zu sein.

Endstation Wurschtigkeit

Die Leute brauchen das Gefühl, dass etwas entsteht. Wenn es nur um Effizienz und Resultate geht und das auch genauso kommuniziert wird, dann erfüllt man vielleicht das Soll, das Besondere wird aus so einem Zugang nicht entstehen. Und sind wir Fans des Kickens nicht alle auf der Suche nach genau diesem Besonderen? Ein Coach, der in Interviews immer nach ein paar Minuten über die kurze Halbwertszeit von Trainerkarrieren spricht und eine Vereinsführung, die glaubt mit schnödem Betonen von Ergebnisnotwendigkeiten das zu machen, was das Umfeld sich wünscht, wird irgendwann entdecken müssen, dass man sich damit immer weiter in den schlimmsten Zustand manövriert, den es rund um einen Fußballklub geben kann: Wurschtigkeit. Wenn es keine Perspektive für das Besondere mehr gibt, dann werden Sturmfans zwar nicht den Klub wechseln, das Feuer der Begeisterung und die Leidenschaft werden aber so lange auf Sparflamme brennen, bis es diese Perspektive wieder gibt.