"Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die Fans der Austria verstehen, dass das wirtschaftliche Überleben über der sportlichen Erfolgsaussicht steht", sagt Harald Zagiczek.
Der 50-Jährige ist Finanzvorstand der Wiener Austria und hat eine Sport-Strategie in Auftrag gegeben, die künftig Transfererlöse einspielen soll. Darauf zu setzen, ist weniger riskant als die Karte Europacup-Teilnahme.
Im Exklusiv-Interview mit 90minuten erklärt der Niederösterreicher, warum er jetzt handeln musste, warum Michael Wagner der richtige Sportdirektor ist, in welchem Bereich er investieren will und wie es um einen neuen Sportvorstand steht.
90minuten: Warum war jetzt der richtige Moment für die Neuausrichtung der Sport-Strategie?
Harald Zagiczek: Jürgen Werner ist vor 13 Wochen zurückgetreten. Ich bin als verbliebener Vorstand in der Verantwortung. Ich habe nicht die sportliche Kompetenz, um Gestaltung durchzuführen. Ich habe zeitnah die Konzeption der Sport-Strategie in Auftrag gegeben, mit einem Hintergedanken.
90minuten: Mit welchem?
Zagiczek: Wie muss sich der Sport verändern, damit es nachhaltig zu Transfererlösen kommt? Das Resultat war ein eindeutiges Konzept. Warum zuwarten? 13 Wochen sind eine lange Zeit, in der es eigentlich keinen Sportchef gegeben hat. Ja, Manuel Ortlechner war da, aber das hat sich mit seinen Tätigkeiten der letzten drei Jahre sehr wenig überschnitten.
90minuten: Verstehen Sie die Zweifel, dass Michael Wagner keine Erfahrung auf der Position des Sportdirektors hat?
Zagiczek: Das ist nachvollziehbar, in seiner Vita eindeutig ersichtlich. Uns war klar, dass dieser Kritikpunkt kommen wird. Aufgrund seiner Persönlichkeit sind diese Zweifel widerlegt. Er hat eine Bilderbuch-Karriere hingelegt, hat sich als Eigenbauspieler in der Austria-Kampfmannschaft etabliert. Er weiß genau, welche Hürden da im Weg liegen. Er war in der deutschen Bundesliga, danach mit Austria Wien Meister. Im Fußball-Bereich und in der Analyse von Spielern kann man ihm nichts vormachen, da ist er ein absoluter Fachmann. Er war in der Privatwirtschaft ein höchst erfolgreicher Unternehmer mit einem guten wirtschaftlichen Denken. Und er kennt aus den letzten zwei Jahren im Verwaltungsrat die Probleme der Austria wirklich zur Gänze. In Diskussionen haben wir immer gemerkt, welches Wissen er im Akademiebereich hat.
"Innerhalb des Fachbereichs Sport gibt es kein Mandat von mir."
90minuten: Er hat in den letzten Jahren aber vermutlich wenig internationale Netzwerk-Pflege betrieben.
Zagiczek: Das würde ich so nicht bestätigen. Er hat Kontakte in die Scouting-Abteilung von Bayern München, viele ehemalige Mitspieler und Freunde sind in spannenden Positionen.
90minuten: So wie die Sportdirektion aufgestellt ist, kann man den Eindruck gewinnen, er ist der Abteilungsleiter und Kommunikator in alle Richtungen, der dann auf die Experten in anderen Bereichen hört.
Zagiczek: Er ist ein Teamplayer, aber am Ende des Tages ist er die Führungsperson, die entscheidet. Er wird sich sehr viele Inputs holen – so mache ich das auch.
90minuten: Sie betonen regelmäßig, sich nicht ins Sportliche einmischen zu wollen. Nichtsdestoweniger sind Sie Wagners Vorgesetzter. Wann, wo und wie greifen Sie ein?
Zagiczek: Bei dienstrechtlichen Geschichten. Ich bin der, der den Vertrag mit ihm unterschreibt. Innerhalb des Fachbereichs Sport gibt es kein Mandat von mir. Er bekommt ein Budget von mir, das wir uns am Anfang der Saison ausschnapsen werden. Innerhalb dieses Budgets ist er völlig frei. Teamplayer wie er ist, werden Ablöse- und Transferentscheidungen sicher vorab präsentiert und vorgeschlagen.
90minuten: Das Budget für Spieler ist zuletzt um etwas mehr als zwei Millionen Euro überzogen worden. Muss Wagner dieses Geld einsparen oder kann er das Budget mit Spielerverkäufen nach oben schrauben?
Zagiczek: Ein Transfererlös ist eine Wunschvariante, die man vor Budgeterstellung nicht hat. Ich kann nicht sagen, ich kaufe ein, zwei Spieler, weil den dritten Spieler verkaufe ich eh. Wir wollen zukünftig von IST-Zahlen sprechen. Budgets werden zu 100 Prozent eingehalten und erst dann, wenn die Erlössituation mit Brief und Siegel da ist, Freigaben für andere Bereiche gegeben.
90minuten: Der Kader soll mehr in Richtung Eigenbauspieler und Benchmarkspieler ausbalanciert werden. Diese Spieler können im Idealfall irgendwann verkauft werden. Wie viele Transfererlöse braucht die Austria im Jahr?
Zagiczek: Wenn man seriös schätzt, sollten 2-3 Millionen Euro im Jahr nicht unrealistisch sein. Ich spreche hier von einem Transferüberhang, keinen reinen Erlösen.
90minuten: Jürgen Werner hat immer das Bild von der Austria als Komapatient, der dann später auf der Intensivstation gelegen ist, gezeichnet. Bekommt der Intensiv-Patient jetzt eine andere Therapie?
Zagiczek: Diese anatomischen Vergleiche möchte ich nicht anstellen. Es ist in der Wirtschaft normal, dass man auf der Erlösseite zumindest das Gleiche wie auf der Ausgabenseite haben muss. Jürgen Werner sieht das zu 100 Prozent gleich, vielleicht haben wir andere Zugänge, wie die Lösung zu bewerkstelligen ist.
"Wir streben das obere Playoff an, wenn wir das das eine oder andere Jahr nicht erreichen, ist das keine große Überraschung und kein Beinbruch."
90minuten: Auf welche Dauer ist die neue Strategie ausgelegt?
Zagiczek: Bis auf Weiteres. Die Vorgehensweise ist unbefristet, wiewohl so etwas ja nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Michael Wagner hat schon kommuniziert, dass wir von unserem bestehenden Kader zu 100 Prozent überzeugt sind, die zukünftige Ausrichtung in Hinsicht auf Transferpotenziale aber so gewichtet wird, dass sich die Spielergruppen relativieren. Das ist ein Mehrjahres-Plan, der sicher nachjustiert wird, wenn man den Bedarf sieht.
90minuten: Ist für Ihren Geschmack dieser junge Weg in der Rezeption der neuen Strategie zu sehr in den Vordergrund gerückt?
Zagiczek: Nicht zu sehr, aber man muss generell aufpassen, dass man im Spitzensport im Leistungsprinzip lebt. Die Besten werden immer spielen. Wenn aber die Kaderphilosophie darauf ausgerichtet ist, wird sich diese Verteilung von alleine regeln.
90minuten: Es werden wohl Investitionen in den Akademie- bzw. Übergangsbereich in den Erwachsenen-Fußball notwendig sein, oder?
Zagiczek: Das werden wir tun müssen, das ist sehr wichtig. Es geht um eine Begleitung – im physiotherapeutischen Bereich, im psychologischen und Mentalbetreuungs-Bereich. Es sind immer wieder Investitionen in den baulichen Bereich der Akademie erforderlich. Wir haben erst einen Kunstrasen ausgewechselt, wollen auf LED umstellen. Wir wollen auch im Bereich Trainer investieren – wir haben sehr gute Trainer, die meisten leisten aber nebenberuflich wirklich Großes, wir wollen da Dinge stabilisieren.
90minuten: Es sollen mehr junge Spieler eingesetzt werden. Wir alle wissen, dass junge Spieler in der Regel nicht konstant liefern. Müssen dann fürs Erste konsequenterweise die Ziele nach unten nivelliert werden?
Zagiczek: Es geht um die Definition. Die Austria will im sportlichen Bereich immer das Maximum liefern. Nur, weil man mit Jungen spielt, wird man nicht automatisch unerfolgreicher. Aber natürlich ist es realistisch, dass man nicht um die Meisterschaft spielt. Das ist in der Kommunikation klarzustellen. Wir streben das obere Playoff an, wenn wir das das eine oder andere Jahr nicht erreichen, ist das keine große Überraschung und kein Beinbruch. Ein wesentliches Ziel ist aber kontinuierliche Entwicklung und Einbau von jungen Eigenbauspielern – daran wird die sportliche Abteilung auch gemessen.
90minuten: Wäre es nicht einfach, zu sagen: Der sportliche Erfolg ist dem wirtschaftlichen Überleben des Vereins untergeordnet?
Zagiczek: Das liegt in der Natur der Sache, dass die wirtschaftliche Stabilisierung die oberste Prämisse sein muss. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die Fans der Austria verstehen, dass das wirtschaftliche Überleben über der sportlichen Erfolgsaussicht steht. Sie wissen, dass wir aus schweren Zeiten kommen, dass wir schon vieles repariert und verbessert haben, trotz allem der Rucksack der Vergangenheit aber noch groß und schwer ist – man muss entsprechend einschneidende Maßnahmen setzen.
90minuten: Bei der Präsentation von Michael Wagner ist das Wort Geduld mehrmals gefallen. Diese Eigenschaft zeichnet die Austria und ihr Umfeld nicht unbedingt aus.
Zagiczek: Generell ist Geduld im Spitzensport mit vielen Erwartungshaltungen immer ein strapaziertes Wort, das man hernimmt, wenn es aktuell nicht so läuft. Ich muss trotzdem darauf hinweisen, dass man jungen Spielern Zeit und Vertrauen geben muss. Und, dass wir Mut zur Umsetzung haben müssen. Michi Wagner kriegt die Zeit, um das hier nachhaltig zu entwickeln. Wir werden sie brauchen.
"Wenn ein Sportvorstand kommt, der unseren Weg mitgeht, ist er herzlich willkommen."
90minuten: Gibt es einen Vorschlag für einen neuen Sportvorstand von Jürgen Werner?
Zagiczek: Aktuell liegt kein konkreter Vorschlag vor. Ich nehme die nächste Frage vorweg: Jörg Schmadtke wurde nicht offiziell benannt.
90minuten: Ist Ihnen recht, dass da wenig passiert, oder hätten Sie gerne irgendwann Klarheit?
Zagiczek: Klarheit ist immer gut. Wenn ein Sportvorstand kommt, der unseren Weg mitgeht, ist er herzlich willkommen. Man kann von guten Leuten nur profitieren. Ich kenne Jürgen Werners Kompetenz, sie ist sehr hoch. Wenn nichts passiert, sind wir vorbereitet – wir mussten und haben das sportlich entsprechend abgesichert.
90minuten: Von außen stellt es sich so dar, als ob Sie aktuell der starke Mann bei der Austria wären.
Zagiczek: Ja, ich bin das einzig verbliebene Vorstandsmitglied. Am Ende aller Tage bin ich für alles verantwortlich – vom Popcorn-Verkauf im Stadion über das Ticketing bis zu den Mitarbeitern, der Kommunikation und letztendlich auch der Sportbereich, was das Vertragliche und Finanzielle betrifft. Inhaltlich bin ich bei Weitem nicht der Alleinherrscher! Ich bin ein Teamplayer, der sehr stark von der sportlichen Kompetenz seiner Kollegen abhängig ist.
90minuten: Das Sportliche wird Ihnen dennoch emotional näher sein als der Popcorn-Verkauf.
Zagiczek: Der nichtsportliche Bereich füllt 97 Prozent meines Tagesgeschäfts aus. Und in den verbleibenden drei Prozent höre ich gerne zu.
Harald Prantl