Es ist ein breites Lächeln, das Jannik Robatsch die Frage nach den aufregenden letzten Wochen entlockt.
Kein Wunder: Ende Mai fand sich der 20-jährige Villacher in seiner ersten vollen Bundesliga-Saison mit Austria Klagenfurt am Tiefpunkt einer sportlichen Talfahrt wieder. Abstieg, sang- und klanglos.
Rund vier Monate später sieht die Welt ganz anders aus. Das Defensiv-Talent wagte den Sprung in die deutsche Bundesliga - und mischt mit dem FC St. Pauli seit Saisonbeginn die deutsche Bundesliga auf. Last-Minute-Unentschieden gegen Borussia Dortmund, souveräner Derbysieg gegen den HSV und ein 2:1-Erfolg gegen den FC Ausgburg stehen nach drei Spieltagen zu Buche. Mittendrin: der kräftige Linksfuß, dessen Fußballkarriere in Velden ihren Lauf nahm.
Millerntor statt Wörthersee-Stadion, Hamburg- statt Kärntner-Derby: Jannik Robatsch über seinen Wechsel, Trainingsalltag im deutschen Oberhaus, seine besondere Stärke und einschneidende Erfahrungen.
90minuten: Du hast im Rahmen der Länderspielpause ein paar freie Tage gehabt. Hast du die Zeit ein bisschen nutzen können, um die verrückten letzten Wochen und Monate einmal Revue passieren zu lassen?
Robatsch: Ich habe viel rund um meine neue Wohnung in Hamburg zu tun gehabt. Deswegen bin ich auch nicht nach Hause oder sonst wohin geflogen. Meine Freundin ist hergekommen und wir haben ein paar ruhige Tage verbracht. Die Stadt ist sehr schön, man kann echt viel machen. Ich habe die freien Tage genutzt, um ein paar Dinge zu erkunden.
90minuten: Von Kärnten nach Hamburg: Wie ist es dir mit der Eingewöhnung gegangen?
Robatsch: Für mich war es der erste Umzug, davor habe ich noch zu Hause gewohnt. Ich bin leicht angeschlagen aus der Vorsaison raus und deshalb früher zur Vorbereitung nach Hamburg gekommen. So konnte ich mich schon ein bisschen einleben, die Physios, die Sportwissenschaftler und viele andere Leute früher kennenlernen. Das war wichtig für mich. Als es dann richtig losging, prasselte nämlich schon viel auf einen ein.
90minuten: Wie wohl fühlst du dich mittlerweile? Fühlst du dich schon ein bisschen als Hamburger?
Robatsch: Also ein Hamburger Kennzeichen habe ich schon einmal (lacht). Zuerst musste ich ein wenig die Sprache umstellen. Im Norden ist man nicht so mit dem österreichischen Dialekt vertraut. Auch die Wohnungssuche war nicht einfach, ich habe circa einen Monat im Hotel gewohnt. Um sich zu Hause zu fühlen, braucht man schon seine eigenen vier Wände. Mittlerweile brauche ich, wenn ich irgendwo hinfahre, nicht mehr für alle Strecken ein Navi. Ich habe mich ganz gut eingelebt.

90minuten: Kurzer Throwback: Du bist jetzt seit Anfang Juni in Hamburg, hast in der Vorsaison mit Austria Klagenfurt deine erste komplette Bundesliga-Saison gespielt: Welche Dinge gingen dir durch den Kopf, als du von St. Paulis Interesse gehört hast?
Robatsch: Ich war überglücklich. Von einem Bundesligisten ein Angebot zu bekommen ist schon sehr, sehr cool. Natürlich macht man sich Gedanken und grübelt über die Zukunft. Ich war mir aber bald sicher, dass ich den Schritt machen will. So eine Chance kriegt man nicht oft im Leben. Mir war schnell klar, dass ich das machen will.
90minuten: Warst du dir sicher, dass es der richtige Zeitpunkt für diesen Schritt war?
Robatsch: Ich habe gewusst, dass der Schritt ziemlich groß sein wird. Zwischen deutscher und österreichischer Bundesliga besteht schon ein Riesenunterschied. Aber ich wollte die Chance einfach wahrnehmen, mich dieser Challenge stellen. St. Pauli hat mir das Gefühl vermittelt, dass sie wissen, was sie mit mir vorhaben. Sie haben mir einen Plan vorgelegt und außerdem Ablöse für mich gezahlt. Das hat mir gezeigt, dass sie mir Vertrauen schenken.
90minuten: Hamburg ist eine fußballverrückte Stadt, Pauli ein Klub mit einer besonderen Strahlkraft und Community. Das ist dann auch nochmal was ganz anderes als in Klagenfurt, oder?
Robatsch: Pauli lebt für den Fußball, das spürt man richtig. Wenn du in der Stadt rumläufst, siehst du überall Leute mit Trikots und Merchandise. Vom Stadion und der Atmosphäre brauche ich gar nicht reden. Als ich gegen Dortmund das erste Mal dabei war, war das atemberaubend. Die ganze Stadt ist wahnsinnig fußballbegeistert.
90minuten: Zurück zum Sportlichen: Vom österreichischen Absteiger in die deutsche Bundesliga - wie und in welchem Ausmaß nimmst du den fußballerischen Qualitätsunterschied wahr?
Robatsch: Der Unterschied ist sehr groß. Man muss viel schneller reagieren, wird viel schneller angepresst und muss ganz oft mit einem oder zwei Kontakten spielen. Es sind viele Kleinigkeiten: Der erste Kontakt muss in die richtige Richtung, die Pässe in den richtigen Fuß und im richtigen Moment kommen. Da habe ich in letzter Zeit viel gelernt, brauchte aber ein paar Wochen. Ich sehe es aber als eine meiner Stärken, dass ich mich in einem neuen Umfeld schnell anpassen kann. Natürlich ist noch lange nicht alles perfekt. Aber ich finde, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
90minuten: Wie stark bekommst du diese Unterschiede auch im Trainingsalltag zu spüren? Kann man das mit Klagenfurt irgendwie vergleichen?
Robatsch: Was mir ganz stark aufgefallen ist, ist die Gewinner-Mentalität. Egal was wir im Training machen, ob 2-gegen-2 oder ein Überzahlspiel - wirklich jeder will immer gewinnen, da ist eine unglaubliche Intensität in den Übungen. Das war in Klagenfurt einfach was anderes. Natürlich ist auch die Qualität der Einzelspieler anders. Wenn ich beispielsweise einen Eric Smith oder Hauke Wahl (Anm. d. Red.: Innenverteidiger-Kollegen) hernehme, kann man sich so viel abschauen. Die haben schon so viel durchgemacht im Fußball, wissen, wie man auf gewisse Situationen reagiert. Man kann viel mitnehmen, das weiß ich echt zu schätzen.
90minuten: Auch die Bedingungen und die tägliche Arbeit unterscheiden sich wahrscheinlich deutlich.....
Robatsch: Bei Pauli gibt es ganz andere Möglichkeiten. Es wird sehr intensiv auf jeden einzelnen Spieler geschaut. Es gibt mehr Physiotherapeuten, zwei Analysten, das Trainerteam. Nach dem Training werden Spielszenen analysiert und wir Spieler bekommen individuelles Feedback. Das ist ein Riesenunterschied zu Klagenfurt, weil es dort natürlich nicht die gleichen Mittel gibt. Dort liegt der Fokus eher auf dem Platz und dem Gesamtbild der Mannschaft.
90minuten: Du hast mit Peter Pacult und Carsten Janker in Klagenfurt zwei Trainer erlebt, die für ihre emotionale und direkte Art bekannt sind. Wie geht das dein neuer Cheftrainer Alexander Blessin an?
Robatsch: Das ist eine etwas andere Trainergeneration. Ich habe diesen harten Ton als junger Spieler schon gebraucht, das gibt einen gewissen Push. Bei Alex (Anm. d. Red.: Blessin) ist das etwas ganz anderes. Das geht es in aller Regel nicht so emotional, sondern eher objektiv zu. Wenn er einen Fehler sieht, erklärt er sachlich, wie man es besser machen kann.

90minuten: Als junger Spieler in eine gestandene Mannschaft zu kommen ist nicht immer einfach. Wie wichtig ist es, dass du mit Simon Spari und David Nemeth zwei Landsleute als Teamkollegen hast?
Robatsch: Auf jeden Fall wichtig. Es sind ziemlich viele neue Spieler gekommen, deswegen war ich einer von vielen. Die Mannschaft hat die Vorbereitung gebraucht, um zusammenzufinden. Die gestandenen Spieler haben das aber sehr gut gemacht und alle gut aufgenommen. Das mit den beiden Österreichern ist natürlich praktisch, man hat immer einen Ansprechpartner, wenn es Probleme gibt. Vor allem David (Anm. d. Red.: Nemeth) ist ja schon länger da und kennt sich super aus. Man geht auf einen Kaffee, spaziert gemeinsam durch die Stadt - da ist dann schon eine andere Bindung da.
90minuten: Pauli ist bekanntlich ein Verein mit einem besonderen Credo und Wertekompass - welche Rolle spielt das, wenn du dir das braun-weiße Trikot überstreifst?
Robatsch: Der Verein vertritt klar seine Meinung. Ich finde, das gehört auch in den Fußball. Es ist cool, dass man das so in die Welt trägt. Man muss immer im Hinterkopf behalten, dass man nicht nur für den Fußball, sondern auch die Meinung des Vereins steht. Für mich ist das eine große Ehre.

90minuten: Ihr habt einen richtig starken Saisonstart hingelegt. Zum Auftakt habt ihr dem BVB ein spektakuläres Last-Minute-Remis (3:3) abgerungen, eine Woche später das Hamburg-Derby gegen den HSV gewonnen. Du standest bisher in jeder Liga-Partie im Kader. Wie fühlt es sich an, bei diesem Wahnsinn hautnah dabei zu sein?
Robatsch: Ich war schon mal überglücklich, dass ich am ersten Spieltag im Kader war. Das Spiel war dann sehr nervenaufreibend. Nachdem wir das 3:3 geschossen haben, sind die Emotionen einfach ausgebrochen. Die Liebe zum Fußball ist in Deutschland und vor allem bei St. Pauli etwas ganz anderes. Was nach dem Derbysieg an Spieltag zwei los war, ist sowieso unbeschreiblich. Die HSV-Fans waren leise, man hat nur unsere Fans gehört. Das sind Erinnerungen, die für immer bleiben.
90minuten: Hand aufs Herz: Warst du ein bisschen nervös, als du gegen Dortmund oder den HSV auf der Bank Platz genommen hast?
Robatsch: Ich muss zugeben: Vor dem ersten Spiel gegen Dortmund war ich schon ein bisschen nervös (lacht). Beim zweiten Spiel gegen den HSV waren die Emotionen aber so stark, da hab ich richtig gebrannt, wäre liebend gerne reingekommen.
90minuten: St. Pauli hat nach drei Spieltagen zwei Siege und ein Remis am Konto. Ganz offen: Was traust du eurer Mannschaft in dieser Saison zu?
Robatsch: Mir war von Anfang an klar, dass die Mannschaft richtig gut ist. Das Gefühl hatte man auch im Training. Wir stehen als richtiges Team am Platz. Obwohl wir einen guten Start hingelegt haben, müssen wir kühlen Kopf bewahren. Wir wissen, wo wir stehen und was wir erreichen wollen - das ist der Nichtabstieg. Wir wollen uns als Klub in der Bundesliga etablieren. Daran ändert sich nichts.

90minuten: Du hast heuer bereits einmal über 90 Minuten für St. Pauli II in der Regionalliga Nord auf dem Platz gestanden. Ist es Teil eures Plans, dass du auch in der zweiten Mannschaft Spielpraxis sammelst?
Robatsch: Genau. Die Regionalligaspiele nehme ich immer gerne mit, wenn ich bei den Profis nicht zum Einsatz komme. Es ist wichtig, im Rhythmus zu bleiben. Diese 90 Minuten helfen extrem weiter.
90minuten: Welche Ziele steckst du dir persönlich für den Herbst?
Robatsch: Natürlich ist es mein Ziel, mich weiterhin zu empfehlen und dem Trainer zu zeigen, dass ich bereit bin. Ich will mir keinen fixen Zeitpunkt setzen, zu dem ich auf dem Spielfeld stehen will. Das verlangt vor allem harte Arbeit - am Platz, im Gym und abseits davon. Mein Ziel ist es, es dem Trainer so schwer wie möglich zu machen.
90minuten: Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute!