Die WSG Tirol hat den Klassenerhalt geschafft. Eine Leistung, die den Wattenern nicht unbedingt zugetraut wurde. Verantwortlich dafür ist Philipp Semlic. Der 42-Jährige kam vor der Saison als Nachfolger von Langzeitcoach Thomas Silberberger und meisterte diese Aufgabe sichtlich.
Doch mit dem Klassenerhalt ist die To-do-Liste nicht abgearbeitet. Der Bundesligist will die finanzielle Schere zum Rest schließen. Dazu braucht es Geld, Spielerverkäufe sollen dieses bringen. Teilweise ist dafür der Trainer zuständig: Spielen die Kicker gut, werden sie teuer verkauft. Weiters geht es um den Umzug zurück nach Wattens, der für 2026 angestrebt wird.
Im 90minuten-Interview spricht Semlic über die Bedeutung des Klassenerhalts für ihn persönlich, die WSG und wie er die Liga aktuell einschätzt.
90minuten: Totgesagte leben länger - Darf ich das so sagen, Herr Semlic?
Philipp Semlic: Wenn man sich den Sommer ansieht, wurden wir als Abstiegskandidat Nummer eins gehandelt, alle anderen haben mehr Budget, wir haben keine eigene Heimstätte – insofern stimme ich zu. Wir haben den Klassenerhalt geschafft, weil wir uns im Verein im Sommer auf drei Säulen verständigt haben: Eine klare Spielidee; dass wir eine Plattform für die Entwicklung der Spieler sein wollen und um durch Transfers die Schere zur Konkurrenz zu schließen; und letztlich, dass wir mehr Identifikation schaffen.
90minuten: Provokant formuliert: Niemand interessiert sich für die WSG, die Zuschauerzahlen sind ein Drama.
Semlic: Es schmerzt: Es spielen so viele Tiroler wie noch nie bei uns, aber es wird nicht angenommen. Ich lebe aber mit meiner Familie in Wattens und registriere schon eine Energie. Ich bin davon überzeugt, dass, wenn wir ein Stadion haben, auch viele Fans hinkommen. Mit all der Geschichte mit dem FC Tirol, Gernot Langes und so weiter, wollen die Wattener einfach nicht nach Innsbruck fahren.
Es ist ja pervers, dass ich nach Scheiblehner, Helm und Kühbauer der längstdienende Trainer bin.
90minuten: Und nun ernsthaft: Welche Rolle spielt es, dass man bei der WSG in Ruhe arbeiten kann?
Semlic: Wir kennen uns ja schon länger und wir wissen beide, dass man nur in Ruhe arbeiten kann. Es ist ja pervers, dass ich nach Scheiblehner, Helm und Kühbauer der längstdienende Trainer bin. Aber: Der sachliche Zugang des Vereins ist ein Grund, warum ich im Sommer hierher wollte. Das lag nicht an der super Infrastruktur oder dem üppigen Budget, sondern der Seriosität.
90minuten: Stichwort Trainerwechsel: Der LASK hat andere Möglichkeiten, Hartberg hat den Chefcoach an einen besseren Verein verloren, die noch in Abstiegsnot befindlichen Klubs haben Trainer mehrmals gewechselt. Durch ist aber die WSG. Warum ist das so?
Semlic: Ich kann nicht so viel über andere Vereine sprechen, weil ich natürlich nicht involviert bin. Aber ein Trainerwechsel passiert immer dann, wenn Anspruch und Wirklichkeit zu weit auseinander klaffen.
90minuten: Das war beim letzten Arbeitgeber, dem SKN St. Pölten, ja auch der Fall. Wie wichtig ist es persönlich, dass sich der Erfolg wieder einstellt?
Semlic: Ich habe in 16 Jahren auf unterschiedlichsten Niveaus, vom Nachwuchs bis jetzt in der Bundesliga, als Trainer arbeiten dürfen. Aktuell bin ich an einem Punkt, wo ich mich von solchen Dingen freigemacht habe. Auch von der Frage, was als Nächstes passiert. Ich bin sehr dankbar, dass ich mein Hobby Fußballtrainer zum Beruf machen durfte. Damit kann ich meine Familie hervorragend ernähren, die Lebensqualität ist hoch und wir sind glücklich.
90minuten: Also keine Rückschau mit bösem Blut, keine allzu weite Vorausplanung?
Semlich: Ich mache mir darüber wirklich keine Gedanken. Hier bei der WSG geht es ja nicht um mich, sondern um die Arbeitsplätze, etwa in der Geschäftsstelle. Das ist bei einem Abstieg alles schwer zu erhalten, und ich fühle mich den Menschen verpflichtet. Ich würde schon irgendwo anders einen Job bekommen. Zwar habe ich eine Agentur, aber ich lasse mich nicht offensiv anbieten. Vielleicht komme ich so die Karriereleiter nicht schnell rauf, aber ich brauche das auch nicht.

90minuten: Wer Philipp Semlic will, muss sich Gedanken machen, ob er Ruhe und Ordnung bietet. Da fallen einige durchaus größere heimische Klubs weg. Fühlen Sie sich aber bereit für einen weiteren Schritt?
Semlic: Ich habe aus der Vergangenheit gelernt und weiß, dass ich bei einem seriösen Klub etwas entwickeln kann, um ihn weiterzubringen. Ich traue mir viel zu, aber, noch einmal, ich denke nicht darüber nach: Ich versuche, permanent in der Mitte zu sein, mich immer wieder vor die Mannschaft zu stellen, wenn es eine mediale Geschichte gibt und nicht das Ziel aus den Augen zu verlieren – und dennoch im Hier und Jetzt zu sein.
90minuten: Gehen wir noch einmal in den Sommer zurück. Wie schwört man denn eine Gruppe Menschen ein, die eigentlich absteigen wird?
Semlic: In den Gesprächen mit der Führungsebene war uns von Anfang an klar, in welche Richtung es gehen soll und wie wir uns auf dieses Jahr vorbereiten müssen. Wir haben uns viel ausgetauscht, ich habe mit Stefan Köck teilweise mehr Zeit verbracht als mit meiner Frau. Er hat mich in schwierigen Phasen immer hochprofessionell unterstützt und legt auch den Finger in die Wunde, wenn etwas nicht passt.
Und bei den Spielern ist es so, dass jeder so seine Gründe hat, warum er bei der WSG Tirol gelandet ist: Viele haben den Durchbruch nicht geschafft oder bekommen bei uns eine zweite Chance. Dieses Potenzial haben wir alle gemeinsam erkannt und waren dann in der Kommunikation klar und im Training zielgerichtet, damit sie ihr Potenzial abrufen können. Die individuellen Leistungsdaten geben uns da recht.
90minuten: Wobei es offensichtliche Ausreißer, beispielsweise Torjäger wie Baden-Frederisken oder Vrioni, nicht gibt.
Semlic: Lukas Hinterseer hat nur 40 Prozent der Spiele gemacht, Tobias Anselm war nie wirklich fit, Mahamadou Diarra hatte auch Probleme. So sind sie immer ein bisschen nachgelaufen und wir hatten viele verschiedene Torschützen.
Wenn es datengetriebenes Scouting bei größeren Klubs gibt, haben wir mit diesen und vielen anderen Spielern Marktwert generiert.
90minuten: Wer von den Spielern könnte im Sommer nun wechseln? Kapitän Valentino Müller, Matthäus Taferner, Jamie Lawrence oder Qunicy Butler würden mir einfallen.
Semlic: Ich will keinen hervorheben, aber zu den erwähnten Spielern habe ich Daten parat: Müller ist auch im Vergleich mit Topligen einer der ballsichersten und pressingresistentesten Spieler in Europa. Taferner hat die meisten Ballgewinne der zentralen Mittelfeldspieler Österreichs in der gegnerischen Hälfte. Lawrence ist über zwei Meter groß und hat sich toll entwickelt, Quincy Butler hat richtig viel Speed und Qualität im Eins-gegen-Eins. Wenn es also datengetriebenes Scouting bei größeren Klubs gibt, haben wir mit diesen und vielen anderen Spielern Marktwert generiert. Ich bin gespannt, welche Transfers uns gelingen.
90minuten: Bei diesen Spielern und bei eigentlich fast allen Kickern zeigt sich aufgrund des Lebenslaufs, wieso sie bei der WSG gelandet sind. Lawrence war bei den Bayern, da muss ja was gewesen sein, dass er mit 22 hier spielt.
Semlic: Exakt, ihm und anderen ist der Durchbruch beim Stammverein nicht gelungen. Aber wo die Spieler herkommen bzw. dass sie in U-Nationalteams gespielt haben, zeigt ja ihre Qualität. Man muss den Spielern auch reinen Wein einschenken. Das hier ist die WSG Tirol und ich kann sie nur damit ködern, indem ich ihnen unseren Weg aufzeige. Dann entscheiden sie selbst, ob sie diesen Weg gehen wollen.
90minuten: Eine vielleicht etwas komische Frage, aber wenn man sich die Ergebnisse ansieht, ist die WSG nie in einen Lauf gekommen und somit nicht in Verlegenheit, von der Meistergruppe zu träumen: War das gut so?
Semlic: Ich weiß, was Sie meinen und gebe Ihnen recht. Wir können nicht permanent solche Spiele abliefern, wie beim Unentschieden gegen Red Bull Salzburg. Diese Konstanz haben wir nicht und es wäre irgendwie traurig (für die Konkurrenz), wenn wir das jetzt schon so regelmäßig abrufen könnten.

90minuten: Die letzten Spiele vor der Tabellenteilung waren schlecht, davor gelang das 3:0 gegen Klagenfurt. In der Qualigruppe hat man die entscheidenden Spiele gut gestaltet, gegen den LASK und Hartberg aber verloren. Ist man gegen direkte Konkurrenz motivierter?
Semlic: Wir hatten Anfang des Jahres eine sehr gute Vorbereitung und sind nach dem Trainingslager in unseren Abläufen gefestigter gewesen. Das Programm vor der Punkteteilung hatte sich gewaschen: Von den letzten sechs Spielen des Grunddurchgangs und somit jene im Jahr 2025 waren bis auf das Spiel gegen Hartberg alle gegen Meistergruppenteams.
Gegen den WAC haben wir in der Nachspielzeit den Ausgleich kassiert, Blau-Weiß und der LASK haben ebenfalls nach Ablauf der regulären Spielzeit den 2:1-Siegtreffer erzielt. Dennoch haben wir einen kühlen Kopf bewahrt. Man weiß ja, dass es mit der Punktehalbierung von Neuem anfängt. Am Ende des Tages waren nur zwei Spiele schlecht, gegen Hartberg zu Hause und in Altach.
90minuten: Dennoch: Der LASK und auch Cupfinalist Hartberg sind leistungstechnisch über der WSG, insofern wird es schwierig sein, sich da gleich zu motivieren.
Semlic: Gerade der LASK hat eine unglaubliche Qualität und bestraft jeden kleinen Fehler sofort. Im Heimspiel hatten wir eine gute erste Halbzeit, in Durchgang zwei unterlief uns ein kleiner Stellungsfehler und am Ende stand es 3:1 für die Linzer. Hartberg hat eine klare Spielidee, die Manfred Schmid weitergeführt hat. Auch sie haben Spieler, die den Unterschied ausmachen können. Und noch einmal: Der Trainerwechsel war ja positiv, weil der Markus zu einem größeren Klub gegangen ist.
90minuten: Schlüsselpartien waren das 3:1 im Herbst gegen den WAC nach einer längeren Negativphase und dann das 3:0 gegen Klagenfurt im Herbst, korrekt?
Semlic: Da stimme ich zu. Wir hatten auch Probleme mit Verletzungen und da hat sich gezeigt, dass wir auch mit den jungen Spielern, die statt den eigentlichen Leistungsträgern aufliefen, anschreiben können. Das hat schon einen Drive entwickelt.
Ich finde es unglaublich wichtig, gesunde Vereine zu haben, die die Anforderungen der Lizenzierung bzw. Zulassung erfüllen. Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall.
90minuten: Wie brutal ist denn die Punkteteilung?
Semlic: Ich kannte es nur vom Hörensagen, es ist aber richtig intensiv und wirkt sich nicht positiv auf die Lebensqualität aus. Da musst du schon ein wenig Masochist sein. Im Ernst: Man muss sich mental vorbereiten, das habe ich gemacht. Darum musste ich auch nie durchschnaufen. Wenn man Rückschläge hat, muss man weiter machen. Unsere Abläufe waren richtig gut – und somit ist es trotz der Intensität anders gekommen, als es vor der Saison alle anderen gedacht hatten.
90minuten: Am Ende ist sie wohl gar nicht so unfair, aktuell hat die WSG einen Zähler Vorsprung mehr als nach 22 Runden, viel früher wäre man auch nicht durch gewesen, Punkteteilung hin oder her.
Semlic: Ich muss meinen Zugang da schon auch revidieren, ich hätte es unfairer eingeschätzt. Aber das sage ich jetzt, mit dem Klassenerhalt im Rücken. Umgekehrt muss man bedenken, dass die Bundesliga ein spannendes Produkt verkaufen will, es geht um viel Geld. Insofern passt das auf jeden Fall.
90minuten: Zwölf plus 16 wird nun nicht angegriffen, aber Sie kennen jetzt beide Ligen. Passt das?
Semlic: Ich finde es unglaublich wichtig, gesunde Vereine zu haben, die die Anforderungen der Lizenzierung bzw. Zulassung erfüllen. Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. 12/16 ist da in dieser Form der richtige Zugang, es geht ja auch darum, wie viele Vereine das Land verträgt und die wirtschaftliche Situation ist nicht gerade erquickend. Dass eine 18er-Liga spannender wäre bzw. andere Vorteile mit sich bringt, ist ohnehin klar.

90minuten: Ich stelle in den Raum, dass vieles leichter finanzierbar wäre, wenn die Personalkosten geringer wären. Profifußballer Anfang 20 müssen ja nicht mehr verdienen als Führungskräfte in der freien Wirtschaft...
Semlic: Wenn man es mit eine:r Verkäufer:in vergleicht, die oder der zwei Kinder zu ernähren hat, stellt man sich schon die Frage, ob es verhältnismäßig ist, was die Menschen zwischen 20 und 35 verdienen. Aber es muss den Vereinen klar sein, worauf sie sich einlassen und man darf nicht über den Verhältnissen leben. Da komme ich wieder zu Anspruch und Wirklichkeit:
Ich bin eigentlich Außenstehender bei der WSG Tirol und sage darum ganz bewusst: Wenn wir es nicht schaffen, die Schere zu den anderen Klubs zu verkleinern und ein Stadion hinzustellen, in dem wir den Heimvorteil haben, können wir mit Verkäufen nur Löcher stopfen. Und das geht sich auf Dauer nicht aus.
90minuten: Da muss sich auch Tirol an der Nase nehmen bzw. die Tiroler Wirtschaft. Ein maßgeblicher Geldgeber ist ja ein chinesischer Batteriehersteller.
Semlic: Es ist toll, wie die Präsidentin Sponsoren aufstellt. Aber es ist eigentlich ein Wahnsinn, dass man bis nach China gehen muss und Tirol keinen Brustsponsor bereitstellen kann. Ich kritisiere nicht CATL, aber das mangelnde Commitment im Bundesland.
90minuten: Die Geschichte des großen Vereins im Lande hemmt da wohl. Abschließend: Der WAC ist Cupsieger, könnte Meister werden. Was bedeutet das für die kleinen Klubs des Landes?
Semlic: Es wäre auch bei einem Cupsieg von Hartberg großartig. Ich empfinde es als super, weil der WAC eben nicht ein großer Verein mit langer Tradition und vielen Fans ist und es dennoch schafft, mit bescheidenen Mitteln etwas zu erreichen. Da geht es aber nicht nur um das Geld, sondern auch um kluge Entscheidungen und konstante Arbeit.
90minuten: Wir danken für das Gespräch!