Ried-Coach Senft: "Wir wollen schneller lernen als die Konkurrenz"
So erfolgreich wie die SV Ried spielte schon lange kein Aufsteiger mehr. Verantwortlich zeichnet Maximilian Senft. Der 36-Jährige setzt gemeinsam mit der Vereinsleitung auf einen klaren Plan, den er im 90minuten-Interview darlegt.
17 Spiele in der ADMIRAL Bundesliga, acht davon gewonnen, zwei Remis; dazu noch Viertelfinale im ÖFB-Cup - die SV Ried ist mehr als nur zurück.
Mit ein Grund ist Maximilian Senft, der als Trainer wirkt. Eine wichtige Rolle spielt auch die Vereinsführung, die nach dem Abstieg an ihm festhielt und für Ruhe sorgt.
Im 90minuten-Interview spricht Senft ausführlich über die letzten Monate in der Liga, wie die Kaderzusammenstellung gelingen konnte, welche Rolle Routiniers spielen und die Frage, wie das Trainergeschäft funktioniert.
90minuten: Die SV Ried überwintert mit 15 Punkten Abstand auf Blau-Weiß Linz auf einem Meistergruppenplatz, ist der beste Aufsteiger seit Altach 2014/15. Auf die damalige Leistung der Vorarlberger, mit 27 Punkten aus 17 Runden, fehlt quasi nichts. Wie lautet Ihre Bilanz der zweiten Bundesliga-Ära?
Maximilian Senft: Uns war nach dem Aufstieg klar, dass wir den Kader und den Staff im Sommer weiterentwickeln wollen und müssen. Ein wichtiger Baustein war es, die neuen Spieler und Betreuer bestmöglich zu integrieren und mit unseren Abläufen und Zugängen vertraut zu machen. Gleichzeitig sind wir unserer Spieler-orientierte Kernidee, wie wir spielen wollen, absolut treu geblieben und haben neue Elemente installiert, die wir mit Blickrichtung Bundesliga als wichtige Adaptionen festgemacht haben.
Eine große Bilanz möchte ich in der Winterpause noch nicht ziehen, deutlich wird jedoch, dass unsere Strategie, wie wir unseren Einstieg in die Bundesliga angelegt haben, gut aufgegangen ist. Der Schlüssel war sicher ein guter und klarer Plan und absolute Verpflichtung von allen Beteiligten.
Saison | Verein | Punkte |
|---|---|---|
2014/15 | SCR Altach | 27 |
2025/26 | SV Ried | 26 |
90minuten: Spannend ist, dass mit Yusuf Maart und Kingstone Mutandwa nur zwei Sommerneuzugänge mehr als 1.000 Einsatzminuten absolviert haben, umgekehrt wurden nur wenige Spieler nicht in die erste Liga "mitgenommen" und verblieben in der Zweitklassigkeit. Das ist schon überraschend, auch wenn für einen Aufstieg ein Bundesliga-tauglicher Mannschaftskern eigentlich notwendig ist.
Senft: Genau das war die Idee unseres Zweijahresplans: Wir wollten mit einem guten Kader aufsteigen und diesen innerhalb der Vorgaben unserer Idee weiterentwickeln. Es beeindruckt mich, dass nicht nur die jungen Spieler, sondern auch unsere Routiniers einen Schritt nach vorne gemacht haben. Das war meiner Einschätzung nach möglich, weil wir die richtigen Charaktere gefunden haben und so unseren Plan mit großer Überzeugung umsetzen konnten.
90minuten: Maart und Mutandwa sind zwar echte Verstärkungen, aber war es notwendig, Legionäre zu holen? Beziehungsweise gibt es keine leistbaren österreichischen Stürmer und Mittelfeldspieler?
Senft: Wir achten auf den Österreicher-Topf und gehen behutsam mit dem Thema "Spieler aus dem Ausland" um. Maart ist uns in der Datenanalyse aufgefallen und war bei Wolfgang Fiala und Lukas Brandl schon im März auf dem Radar. Wir haben für ihn eine Führungsrolle vorgesehen, weil er schon in Südafrika von Cape Town zu Johannesburg einen ziemlichen kulturellen Wechsel durchgemacht hat und in beiden Teams ein Leader und Kapitän war. Wer sich mit dem Land auseinandersetzt, weiß, dass das ungefähr so ist, wenn du von Österreich nach Bulgarien gehst.
Er kann mit so einer Veränderung umgehen, darum wollten wir ihn verpflichten. So ähnlich war es auch bei Kingstone Mutandwa. Wir versuchen, Spieler zu holen, die fußballerisch und von der Persönlichkeitsstruktur zu unserer Mannschaft und Kernidee passen. Ich möchte gleichzeitig erwähnen, dass wir in der Bundesliga aktuell die meisten U21-Nationalteamspieler einsetzen.
Unsere Aufgabe ist es, jedem Talent eine Chance zu bieten, seinen eigenen Weg gehen zu können. Es funktioniert: Seit dem Abstieg vor zweieinhalb Jahren konnten wir 15 Profi-Debüts verzeichnen.
90minuten: Um aufzusteigen, holt man wie erwähnt im Normalfall Spieler, die die nächsthöhere Liga kennen. Ried hat da Spieler wie Ante Bajic, Andreas Leitner oder Michael Sollbauer in den eigenen Reihen. Aber was ist konkret das Wichtige an derartigen Kickern?
Senft: Sie kennen die Drucksituation, die Stadionatmosphäre und wissen, welche Dinge im Laufe einer Saison geschehen können und werden. Dadurch können sie Momentaufnahmen sehr gut einschätzen, handeln entsprechend und führen die Mannschaft durch die unterschiedlichen Phasen, die eine Saison als Aufsteiger mit sich bringt.
90minuten: Und wie sind die Gespräche mit denen, die man "zurücklassen" muss, die nicht weiter verpflichtet werden?
Senft: Das sind keine angenehmen Gespräche. Als Trainer und Führungskraft trenne ich zwei Ebenen. Das eine ist die berufliche Ebene. Wir betreiben professionellen Leistungssport, demzufolge zählen ausschließlich Leistungen und Ergebnisse. Aber es gibt auch die menschliche Ebene. Ich versuche so zu kommunizieren, dass ich Wertschätzung ausdrücke – bei denen, die wir verabschieden, und bei jenen, die weniger spielen. Am Ende muss man sich in die Augen schauen und sich mit einer Umarmung oder zumindest einem festen Händedruck verabschieden können.
90minuten: Was fehlt den Spielern, die es nicht schaffen, konkret?
Senft: Das ist natürlich von Fall zu Fall unterschiedlich. Fußball ist im Profibereich sowohl im körperlichen als auch im mentalen Bereich ein unfassbar komplexer Sport. Unsere Aufgabe ist es, jedem Talent eine Chance zu bieten, seinen eigenen Weg gehen zu können. Der Verein hat von der U15 bis zur Kampfmannschaft eine Spielidee und eine Durchlässigkeit.
Wir geben jungen Österreichern eine Plattform, ihre Entwicklung und Leistung zu zeigen. Dazu braucht es einen Mix aus erfahrenen Spielern in Vorbildrollen, mit Führungsfunktion und Jungen, die alles daran setzen, sich einen Namen zu machen. Es funktioniert: Seit dem Abstieg vor zweieinhalb Jahren konnten wir 15 Profi-Debüts verzeichnen.
90minuten: Dabei muss der Verein in Kauf nehmen, dass junge Spieler da und dort Fehler machen.
Senft: Es braucht einfach eine klare Strategie und Bereitschaft, diese Strategie durchzuziehen. Unsere ist es, auf Akademiespieler bzw. junge Österreicher zu setzen. Aber es ist die eine Sache, eine ausgearbeitete Strategie zu haben, der man aus Überzeugung folgt - und eine andere, dieser auch in schwierigen Phasen treu zu bleiben.
Fehler und formschwache Phasen gehören in der Entwicklung eines jeden Sportlers dazu. Entwicklung, sowohl individuell als auch kollektiv, ist nie linear. Die Spieler, die jetzt in der Bundesliga sehr gut spielen, hatten in der 2. Liga natürlich auch Spiele, in denen sie nicht so gut agiert haben. Durch intensive Betreuung unseres Staffs und Einzelanalysen konnten sie daraus lernen und nachhaltig profitieren.
90minuten: Von den xG-Werten her liegt die SV Ried noch besser als in der Tabelle, wäre sogar Zweiter hinter Sturm Graz. Wie wichtig war in diesem Zusammenhang das Remis zu Beginn gegen Red Bull Salzburg, damit das Team merkt: "Ok, wir können mithalten"?
Senft: Das Spiel gegen Salzburg vor eigenem Publikum hat uns auf mehreren Ebenen Vertrauen gegeben und unser Potenzial aufgezeigt. Die Derbywoche (Siege gegen BW Linz und LASK, Anm.) hat uns dann enorm viel Auftrieb gegeben. Dennoch ist das alles dem Umstand geschuldet, Woche für Woche und Tag für Tag hart zu arbeiten. Weil Trainerteam und Mannschaft diese Mentalität leben, ist die Stimmung nach Niederlagen auch nicht komplett getrübt. Wir ziehen unsere Lehren und gehen wieder mit vollem Elan und großem Vorhaben in die nächste Spielvorbereitung. Dabei greifen wir auf die Erfahrung aus den zwei Jahren 2. Liga zurück, in denen der Druck über weite Strecken brutal hoch war.
Solange du eine Siegesserie hast, treten negative gruppendynamische Themen nicht zutage. Erst in der Niederlage wird Reibung sichtbar.
90minuten: Die Niederlagen sind nicht vernichtend ausgefallen, auch das 1:4 gegen Salzburg wirkt am Papier schlimmer, als es am Feld war. Dennoch: Man sagt immer, dass man nur aus diesen lernt.
Senft: Ich stimme zu, dass in Niederlagen viel drinsteckt, um sich weiterzuentwickeln, sowohl in jenen, in denen man gut spielt, als auch in jenen, wo das nicht der Fall ist. Solange du eine Siegesserie hast, treten negative gruppendynamische Themen nicht zutage. Erst in der Niederlage wird Reibung sichtbar, aus der ein Weiterentwicklungsprozess entstehen kann.
Das ist uns eigentlich bei allen Niederlagen gelungen und aus meiner Sicht ein Schlüssel für die bislang erfolgreiche Saison. Schließlich lautet einer unserer Grundsätze: Wir wollen schneller lernen als die Konkurrenz.
90minuten: Kann man das vielleicht an einem Beispiel festmachen? Was kann das Team konkret daraus lernen?
Senft: Nehmen wir das erste Spiel gegen Altach als Beispiel, um zu zeigen, was ich inhaltlich meine: Es war eine wortwörtlich heiße Partie, 36 Grad. Der Gegner hat uns über Körperlichkeit und einen besseren Umgang mit der Hitze besiegt. Wir sind umgekehrt unseren Ansprüchen an Widerstandsfähigkeit und Körperlichkeit nicht gerecht geworden. Also haben wir Gespräche geführt, per Video und auf Datenebene detailliert analysiert und unsere schwache Leistung dadurch "nachvollziehbar" gemacht.
So lieferten wir wichtige und greifbare Erkenntnisse, welche die Mannschaft in aller Klarheit annehmen konnte. Das Überwinden von Widerständen trägt unsere Mannschaft mittlerweile im Herzen und schafft es so, starke Leistungen zu bringen, auch wenn Umstände und Spielverlauf einmal gegen uns laufen.
90minuten: Nun haben wir viel über Negatives und Niederlagen gesprochen. Kommen wir zum Positiven: Was war der schönste Sieg?
Senft: Das ist schwer zu ranken, aber mit unseren Fans auswärts beim LASK in "goldener Abendsonne" zu feiern, war sicher das emotionale Highlight im Herbst, wenngleich der Sieg bei Rapid ganz nah herankommt. Grundsätzlich sehe ich jedes intensive und qualitative hochwertige Training als wichtigen Sieg für uns.
90minuten: Unter anderem durch solche Siege rückt die Liga zusammen. Ist das eine Auszeichnung oder zeigt sich, dass die Liga eher schwach ist?
Senft: Ich bin kein Fan davon, über andere Vereine zu urteilen. Das steht mir nicht zu. Ich denke, dass dieses Jahr die "kleinen" Klubs richtig gut arbeiten und die "größeren" Klubs ihr Leistungsoptimum an ein paar Punkten umgekehrt nicht erreichen. Grundsätzlich denke ich, dass es für Zuseher immer spannend und attraktiv ist, wenn es eng hergeht.
90minuten: Trainer hinauszuwerfen kostet immer auch Geld, aber wenn man sich Altach, die WSG und eben Ried ansieht, scheint sich Kontinuität bezahlt zu machen.
Senft: Dem stimme ich zu, wenn es eine zugrundeliegende zukunftsfähige Strategie gibt. Wenn es diese gibt, macht es Sinn, mit denselben Personen über einen längeren Zeitraum zu arbeiten.
90minuten: Wird der Trainer bei uns zu schnell gewechselt?
Senft: Mit einem Blick in andere Sportarten könnte man diese Einschätzung unterstützen. In der NFL werden Trainer selten frühzeitig gewechselt bzw. gibt man ihnen im Regelfall mindestens ein Aufbaujahr Zeit, um ein neues System zu etablieren. Aus ökonomischer Betrachtung macht das auf jeden Fall Sinn. Die UEFA gibt regelmäßig Statistiken zur Dauer der Trainertätigkeit heraus. In Skandinavien werden Coaches seltener gewechselt als in Osteuropa.
Ich denke dennoch, dass man das von Fall zu Fall beurteilen muss. Hat man den Coach passend ausgewählt, macht es Sinn, an ihm festzuhalten. Es gibt allerdings Fälle, in denen das nicht empfehlenswert ist. Vor allem bist du als Trainer heutzutage keine One-Man-Show mehr. Der gesamte Staff muss wie ein Uhrwerk funktionieren, somit gilt es auch zu beobachten, wie Vereine die Trainerwechsel zukünftig gestalten.
Ich habe schon in jungen Jahren gelernt, dass es im Fußball nichts bringt, weit im Voraus zu planen.
90minuten: Hat Sie Ihr eigener, aktueller Trainererfolg letztlich überrascht?
Senft: Ich habe schon erwartet, dass wir einen guten Schritt in unserer Entwicklung gehen werden. Es ist ein erfolgreicher Herbst. Nicht mehr und nicht weniger. Die Bundesliga hat zwar ein System, das diesen aufwertet, aber die wichtigste Phase steht "nach dem Strich" noch bevor.
90minuten: Im Regelfall werden Trainer entlassen, weil es eben nicht läuft. Didi Kühbauer wechselte wegen Erfolgs, wie schaut das bei Ihnen aus? Mit Mitte 30 gibt es ja mehr Zeit als mit Mitte 50.
Senft: Nachdem ich erst 36 bin, weiß ich nicht, wie ich in 20 Jahren rückblickend darüber denken werde. (lacht). Aber ich habe schon in jungen Jahren gelernt, dass es im Fußball nichts bringt, weit im Voraus zu planen. Wie schon erwähnt, ist das Geschäft sehr dynamisch und man ist gut beraten, in kurzen Abständen zu denken. Mein Fokus liegt jetzt auf der Winterpause, der Einordnung und Analyse des Herbstes und wie wir das Frühjahr angehen. Über mehr denke ich aktuell nicht nach.
90minuten: Wir danken für das Gespräch!
Georg Sohler