Viel Zeit hat Peter Stöger derzeit nicht. ÖFB-Cup unter der Woche, auswärts beim GAK, dann die Derby-Woche. Das Leben als Rapid-Trainer ist kein leichtes, aber das wusste er davor auch. Wien-West träumt von viel, erreicht dafür aber seit Jahren zugegebenermaßen wenig.
Wobei dieser Satz nur dann stimmt, wenn es rein um den nationalen Erfolg geht. In einem Europacup-Viertelfinale stand zuletzt Red Bull Salzburg im Jahr 2017/18. Wirtschaftlich entwickelt sich Rapid gut, sieht man sich die Transfererlöse an. Dass die Hütteldorfer die meisten Fans haben, darüber muss man ohnehin nicht diskutieren.
Und dennoch, der Traum des ersten nationalen Titels seit 2008 lebt. Für einen möglichen nächsten Titel hauptverantwortlich ist nun eben Stöger.
Er steht noch dazu vor einem sehr speziellen Spiel, war er doch Austria-Spieler und -Trainer. Aber der 59-Jährige weiß schon genau, worauf er sich eingelassen hat: "Ich ziehe mir gerne die komplizierten Schuhe an."
90minuten: Herr Stöger, welche Frage können Sie aktuell schon gar nicht mehr hören?
Peter Stöger: (denkt nach) Es gibt zwar die eine oder andere etwas komische Frage, aber momentan stört mich eigentlich gar keine. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich noch keine vier Monate da bin, vielleicht ändert sich das in Zukunft.
Irgendwelche Leute sagen, dass ich ein "Menschenfänger" bin. Das habe ich nie über mich gesagt. Sie sagen auch, dass ich Erwartungen einordnen kann. Auch das habe ich von mir nie behauptet.
90minuten: Oft fällt im Zusammenhang mit Ihnen das Wort "Menschenfänger". Wie sehen Sie das?
Stöger: Trainer sein, immer Trainer sein. Irgendwelche Leute sagen, dass ich ein "Menschenfänger" bin. Das habe ich nie über mich gesagt. Das Trainergeschäft ist mittlerweile von den Aufgabengebieten her sehr breit gefächert. Und man muss alles abdecken. Du brauchst logischerweise alle Sportkompetenzen, also taktische Finesse, eine gute Trainingssteuerung, soziale Kompetenz.
Wenn man dann Menschenfänger ist, wenn man sich für die Leute, mit denen man zusammenarbeitet, interessiert, finde ich das relativ normal. Das ist nicht einmal eine Auszeichnung. Sie sagen auch, dass ich Erwartungen einordnen kann. Auch das habe ich von mir nie behauptet.
90minuten: "Erwartungshaltungsmanagement" ist beim SK Rapid stets wichtig.
Stöger: Die Erwartung ist beim SK Rapid ja immer riesig, aber das gehört zum Job dazu. Und in den meisten Fällen geht es sich gar nicht aus, all diese hochgesteckten Anforderungen zu erfüllen. Selbst wenn man große Ziele erreicht hat, kann man etwas finden, was nicht optimal war. Das geht im Sport wie nirgends anders, irgendwas könnte immer besser sein.

90minuten: Nach dem Cup gegen Oberwart haben Sie es öffentlich etwas vorweggenommen, dass das Spiel nicht gut war?
Stöger: Wir können das schon einschätzen. Fußballerisch muss man die Spiele natürlich aufarbeiten und da stimmt uns die Mannschaft bei der Analyse zu. Trotzdem ist es so, dass ich etwa im Cup hätte sagen können, dass es eh nur ums Weiterkommen geht. Aber wir wollten schon Signale aussenden, in zwei Richtungen: Einerseits an die Mannschaft, dass es zu wenig sein kann, wenn man die Partie zur Pause abhakt. Es muss in unsere Köpfe rein, dass das Leistungslevel immer hoch bleiben muss.
Andererseits war es ein Signal an die Menschen, die schon den Rathausplatz (für die Meisterfeier, Anm.) reservieren wollen. Uns muss klar sein: Es gibt noch Luft nach oben. Nur durch harte Arbeit können wir dieses Leistungslevel halten. Wir haben das Grundziel "Ligaphase der Conference League" erreicht. Wie im Cup ist man dort nur entweder dabei oder nicht.
Es ist für mich dann nach wie vor die schwierigste Entscheidung, den einen oder anderen nicht in den Kader nehmen zu können. Man muss sich Zeit nehmen, darf dann keine leeren Versprechungen machen.
90minuten: Durch die mindestens sechs Europacupspiele ist der Kader entsprechend groß, da muss man vielen Spielern oft erklären, warum sie auf der Bank oder der Tribüne sitzen. Bei einer Business-Veranstaltung von sportsbusiness.at sagten Sie neulich, dass Leadership bedeutet, sich um die zu kümmern, die gerade nicht im Rampenlicht stehen. Können Sie das ausführen?
Stöger: Vorneweg: Ein erfolgreicher Trainer muss nicht zwingend Fußball gespielt haben. Ich habe relativ hoch oben Fußball gespielt. Dadurch weiß ich im Vergleich zu anderen, die diese Erfahrung nicht hatten, wie es ist, wenn man nicht spielt. Wenn es wie jetzt gut läuft, weiß ich schon, welche Art von Gespräch einer braucht, der nicht spielt. Seine Situation ist unbefriedigend: Er spielt kaum, obwohl er fleißig arbeitet.
Es ist für mich dann nach wie vor die schwierigste Entscheidung, den einen oder anderen nicht in den Kader nehmen zu können. Man muss sich Zeit nehmen, darf dann keine leeren Versprechungen machen à la: "Wenn du das und das machst, passiert jenes". Man weiß nicht, was nächste Woche kommen wird. Es muss den Spielern klargemacht werden, wie ihr Status quo ist und dass er sein Standing verschlechtert, wenn er nicht ordentlich weiter macht.

90minuten: Die Hälfte der meist eingesetzten Feldspieler kam erst diesen Sommer, Grgic, Cvetkovic und Seidl sind seit zwei Jahren da, bis auf Strunz, Auer, Hedl und Gartler ist im Grunde der Kader maximal ein Jahr zusammen – wie managt man so eine heterogene Gruppe, spielerisch war noch Luft nach oben. Ist es gut, dass Rapid nicht "zu erfolgreich" ist?
Stöger: Noch einmal: Wir können das alles richtig einordnen. Ich habe großen Respekt vor den Jungs, die sich relativ schnell darauf eingelassen haben, was wir ihnen vermitteln – in ganz entscheidenden, wichtigen Partien für den Verein. Es wird ja nicht darüber gesprochen, dass so gut wie alle Spieler, die letzte Saison für Tore gesorgt haben, weg sind. Wir haben kein Thema daraus gemacht, und das war meiner Meinung nach in dieser Phase wichtig. Wenn wir lang und breit darüber reden oder jammern würden, dass Sangaré kurz vor einem wichtigen Europacup-Duell gewechselt ist, dann macht das etwas mit der Mannschaft. So haben sie das Gefühl bekommen, dass wir ihnen vertrauen.
Es ist aber so, dass es nicht selbstverständlich ist, dass wir stehen, wo wir stehen. Der Aufwand, das zu erreichen, war in jeglicher Hinsicht hoch. Genau darum ist es möglich, nach einem Spiel wie gegen Oberwart Dinge klar anzusprechen. Es gibt immer eine Anfangseuphorie, dann kommt eine Phase der Normalität. Aber was ist für die Jungs normal? Sie sind 20, 21, 22 Jahre alt, haben noch nichts richtig gewonnen - außer einem Transfer zu einem richtig coolen Klub, bei dem sie den nächsten Schritt machen können. Das war's aber auch. Wir werden sehen, wie sie mit Rückschlägen umgehen – darum sind wir defensiver unterwegs. Wenn wir das Gefühl haben, dass man anders kommunizieren muss, werden wir das auch tun.
Ich will überhaupt nicht sagen, dass es ein Spiel wie jedes andere für mich ist und als Wiener braucht man nicht darüber zu reden, es gibt nur Grün oder Violett.
90minuten: Als die Teilnahme an der Conference League fix war, ist dann aber dennoch wohl mehr als ein großer Brocken vom Herzen gefallen? Der Verein braucht den Europacup, die Spieler brauchen ihn, um sich ins Rampenlicht zu spielen, und ein Jansson wäre nicht um so viel Geld gegangen, weil er gegen Altach, Hartberg und den GAK vier Tore gemacht hat.
Stöger: Natürlich ist der Europacup für den Verein unglaublich wichtig und bestätigt die gute Arbeit. Aber ich erinnere daran: Trotz alldem haben wir Sangaré zwei Tage vor den Playoff-Spielen verkauft.
90minuten: Kommen wir zum Wiener Derby. Wie geht man damit um?
Stöger: Es ist schon ein spezielles Spiel und es beschäftigt mich in freien Minuten. Ich will überhaupt nicht sagen, dass es ein Spiel wie jedes andere für mich ist und als Wiener braucht man nicht darüber zu reden, es gibt nur Grün oder Violett. Trotzdem versuche ich einen klaren Kopf zu bewahren. Ich will aber nicht zeigen, was ich hier gut mache oder irgendetwas beweisen. Bei der Austria war ich lange als Spieler, mit Rapid in kurzer Zeit extrem erfolgreich. Wie es also dann kurz davor geht, weiß ich nicht.
90minuten: Derby, Salzburg, LASK, Conference League – Was nehmen Sie sich bis zur Länderspielpause vor?
Stöger: Was wir haben, ist eine schöne Geschichte. Aber wir wollen uns nicht damit zufriedengeben. Es gibt kein "Polster". Es heißt, weiter dranzubleiben und von Periode zu Periode zu denken. Man hat ja keine 40 Spiele am Stück. Wir wollen ähnlich performen. Die meisten Partien bisher waren knapp, wenn wir gewonnen haben, übrigens meiner Meinung nach zurecht. Das wird in den kommenden Wochen genau gleich sein.

90minuten: Das ist bis jetzt der beste Start eines neuen Rapid-Trainers in einer Saison. Drei Ex-Kollegen sind ebenfalls gut gestartet: Otto Baric, Heribert Weber – und Robert Klauß. Schieben Sie das Wissen rund um die Saison 2024/25 von sich weg?
Stöger: Wir stellen keine Vergleiche an, aber es wurde angesprochen, dass man aus der Saison lernen kann. Man weiß ja nicht genau, woran es lag, dass es nicht mehr so optimal gelaufen ist. Es gibt vermutlich hundert Gründe, die da mit reingespielt haben. Die Aufgabe des Trainers ist, darauf hinzuweisen und die Spannung hochzuhalten. Man muss der Erwartung gegenüber schon offen sein und sich damit auseinandersetzen, dass uns jemand immer wieder erzählt, wie es letztes Jahr war.
Ich halte das schon aus, weil ich in meinem Leben schon ganz andere Situationen durchgemacht habe. Verarbeiten muss man es dennoch können. Und dann muss man schauen, was man von der Mannschaft fernhält oder was man an sie ranlässt. So kann ich ihnen mitgeben, wie sie damit umgehen können. Ich bin eben in allen Bereichen dafür zuständig, dass es bestmöglich weiter läuft und der Mistkübel für alles andere.
Die Meisterfrage liegt nach sechs Runden in den Redaktionen auf - obwohl der Verein in den letzten vier Jahren nie besser als Vierter war.
90minuten: Hilft da die Erfahrung aus Köln und Dortmund, weil es dort aufgrund der Größe der Klubs noch viel schlimmer ist?
Stöger: Ich weiß nicht, ob es viel "schlimmer" ist. In Köln gibt es auch große Hoffnungen, die Stimmung ist positiv und man hat gelernt, dass es schnell in die andere Richtung gehen kann, man absteigt und wieder aufsteigen kann. Dortmund ist sicher schwieriger. Man hängt der Klopp-Ära mit den Titeln hinterher.
Aber ich würde nicht sagen, dass es bei Rapid so eine andere Dimension ist. Ich denke da noch einmal an Ihre erste Frage, was ich nicht mehr hören kann: Die Meisterfrage liegt nach sechs Runden in den Redaktionen auf. Was könnte noch emotionaler und komplexer sein als damit umzugehen, dass wir diese Frage bekommen - obwohl der Verein in den letzten vier Jahren nie besser als Vierter war?
90minuten: Es liegt wohl an der Konstellation: Größter Klub des Landes, meiste Fans, viele Titel?
Stöger: Ich sage ja nicht, dass das ungerechtfertigt ist, aber was sich die Menschen erwarten, ist nicht viel weniger als in Köln oder Dortmund. Ich kann damit ja umgehen, aber es ist schon spannend, dass es so ist. Letztes Jahr im Spätherbst war die Situation wie erwähnt ähnlich, dann ist man Fünfter geworden. Aber gerade deshalb hat der Trainerposten seinen Reiz. Ich ziehe mir gerne die komplizierten Schuhe an.

90minuten: Sie hätten es bei der Admira als Sportdirektor gemütlicher haben können.
Stöger: Naja, gemütlich wird der Admira nicht gerecht. Da gibt es auch viele Menschen, die am Erfolg interessiert sind. Aber ja, ich hätte es anders haben können auch.
90minuten: Was Rapid betrifft, ist ja bei der Austria oder Dortmund in Relation ähnlich. Man ist groß, aber es gibt dann immer wieder ein, zwei Klubs, die noch viel besser sind. Müssen sich die Rapid-Fans etwas darauf zurückbesinnen, dass Rapid nicht der einzige Klub ist, dem es so geht?
Stöger: Beim Fanstammtisch wurde ich gefragt, ob ich weiß, wovon die Fans träumen. Das weiß ich natürlich, das passt und ich verstehe es. Ich wäre nicht hergekommen, wenn ich in die Top 6 kommen will und vielleicht Conference-League-Quali spiele. Es soll aber nicht in die andere Richtung ausufern. Was sich aber hinsichtlich Erwartungshaltung positiv entwickelt hat, ist, dass die Fanbase immer größer wird, selbst wenn jetzt lange nichts gewonnen wurde.
Was mich da beispielsweise beeindruckt, ist, dass das Stadion in der Endphase der Saison gegen den LASK fast voll war. Nach einer richtig schlechten Partie in Linz, mit einer drohenden Heimniederlage. Das hätte bedeutet, dass die Saison dann vollkommen verkorkst gewesen wäre. Diese Stabilität bei Menge und Unterstützung rechtfertigt das Träumen von etwas, was gegenwärtig noch weit weg ist. Es kippt nicht ins Negative, das finde ich erfreulich.
War das noch gut oder geht es in eine schlechte Richtung? Entlang dieser Frage werden Personen ausgetauscht oder dürfen weiter machen.
90minuten: Erfolg ist ja schwierig messbar. Man war im Viertelfinale, ist nicht unbedingt als krass schlechtere Mannschaft gescheitert. Die Fans erfreuen sich an Millionentransfers – als Verein kann man heutzutage mehrere "Erfolge" als nur den Platz in der Tabelle haben. Entstresst es, dass Fußball nicht mehr nur und ausschließlich Ergebnis-fokussiert ist?
Stöger: Das finde ich vollkommen richtig, man kann sich als Verein entwickeln und auf den guten Dingen aufbauen. Das Entscheidende ist, dass man alles gut, rational und nüchtern einschätzen kann: War das noch gut oder geht es in eine schlechte Richtung? Entlang dieser Frage werden Personen ausgetauscht oder dürfen weiter machen. Das ist die Crux. Es ist nicht lange her, dass Rapid Zweiter war, man war aber scheinbar in vielen Bereichen nicht gut genug.
Somit tauscht man Leute aus. Wenn wir heute Zweiter werden und der Titel dabei nicht leichtfertig verspielt wird, freut sich die Community über einen Schritt nach vorn. Darum ist es wichtig, alles sachlich einzuschätzen, was wirklich gut ist. Tabellensituation, Entwicklung von Spielern, Transfers, Zuschauer- und Mitgliederzahlen. Das ist schon anders als noch vor zehn, 15 Jahren.
90minuten: Wenn wir also nach der Saison wieder sprechen und Peter Stöger ist noch immer Cheftrainer und alle denken, 2026/27 kann es noch besser werden, passt alles?
Stöger: Ja – und dann gilt es, die nächsten Schritte zu setzen, um noch besser zu werden.
90minuten: Wir danken für das Gespräch!