Miron Muslic über Schalke: "All das lässt dich nicht mehr los"
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Miron Muslic über Schalke: "All das lässt dich nicht mehr los"

Miron Muslic stellt sich bei Schalke der "vielleicht größten Challenge im deutschen Profifußball". Warum er wunderbar zu Gelsenkirchen passt - Interview:

Auf Schalke ist immer was los! Trotz erfolgreichem Saisonstart wird mit Ben Manga der Kaderplaner gefeuert, Kids aus dem Nachwuchszentrum "Knappenschmiede" dürfen eine Pressekonferenz mit dem Cheftrainer veranstalten, die Fans träumen nach fünf Siegen aus den ersten sieben Spielen der Zweitliga-Saison vom Aufstieg.

Mittendrin in diesem Gefühls-Chaos: Österreichs Trainer-Export Miron Muslic, der nach insgesamt drei Jahren bei Cercle Brügge und einem halben Jahr bei Plymouth Argyle (Abstieg aus der Championship) nun vor der Herkules-Aufgabe steht, den Malocher-Klub aus dem Ruhrpott zurück in die Beletage des deutschen Fußballs zu führen.

"Die vielleicht größte Challenge im deutschen Profifußball", wie er beim Besuch von 90minuten in der Veltins Arena sagt.

90minuten: In den vergangenen zehn Jahren lag die durchschnittliche Amtszeit eines Schalke-Trainers bei 272 Tagen. Sie sind seit 116 Tagen im Amt. Haben Sie schon einen Plan, was Sie demnächst…

Miron Muslic: (lacht) Nein, ich bin auch darüber hinaus noch hier und habe mir auch noch nichts anderes vorgenommen. Mir ging es auch nie um Statistiken, sondern darum, hier einen neuen Spielstil zu implementieren. Da sind wir gemeinsam mit Frank Baumann (Sportvorstand) und Youri Mulder (Direktor Profifußball) auf einem sehr guten Weg.

Schalke ist ein Gigant! Einmal mit diesem Verein in Berührung gekommen, packt er dich. Die Geschichte, die Fans, die Arena – all das lässt dich nicht mehr los.

Miron Muslic über die Faszination Schalke

90minuten: Aber haben Sie sich mit dieser Statistik und der damit verbundenen Fiebrigkeit des Klubs beschäftigt?

Muslic: Natürlich! Schalke hat mich, aber auch ich habe Schalke analysiert. Und zwar nicht nur, was in den letzten zwei Jahren auf dem Platz passiert ist, sondern auch das ganze Drumherum. Ich wusste also, wie heiß die Trainerposition ist. Aber ich denke immer in Möglichkeiten: Wie kann man Dinge optimieren, wie das Maximum herausholen? Und wenn man Schalke analysiert, sieht man auch das unglaubliche Potenzial dieses Vereins. Hier kommen zu jedem Heimspiel 62.000 Fans. Das schaffen nicht viele Klubs, erst recht nicht in der 2. Liga. Diese ungeheure Kraft, die immer noch in diesem Verein steckt, wollen wir herausholen.

90minuten: Sie hatten auch Alternativen, hätten in Plymouth trotz des Abstiegs bleiben können. Warum wollten Sie unbedingt zu Schalke 04?

Muslic: Schalke ist ein Gigant! Einmal mit diesem Verein in Berührung gekommen, packt er dich. Die Geschichte, die Fans, die Arena – all das lässt dich nicht mehr los. Bei mir hat es so gemacht (schnippt laut mit dem Finger) und ich wusste: Das ist die vielleicht größte Challenge im deutschen Profifußball! Eine unglaubliche Möglichkeit.

90minuten: Sie sind jetzt seit etwa dreieinhalb Monaten hier. Was gibt es hier, was es woanders nicht gibt?

Muslic: Man beschäftigt sich mit Schalke, liest viel über die Historie – aber erst wenn man hier ist, sieht man, wie groß der Klub wirklich ist. Ich hatte hier schon viele Wow-Erlebnisse: Das erste Mal in der Arena. Der erste Trainingstag bei 35 Grad vor mehr als 3.000 Fans, das hast du bei manchem Spiel in der österreichischen Bundesliga nicht. Das Trainingslager im Stubaital, zu dem uns 1.500 Fans begleitet haben. Der Schalke-Tag (Anm.: Muslic betont die Ruhrgebietsaussprache Tach) mit 80.000 Leuten. All diese Momente zeigen, wie groß das hier alles ist.

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Miron Muslic fühlt sich wohl auf Schalke

90minuten: Zur Wahrheit gehört auch: Schalke hat wenig Kohle, ein junges Team, spielt jetzt sein drittes Jahr in der 2. Liga. Trotzdem träumen die Fans vom Aufstieg. Kann man in dieser Konstellation nicht nur verlieren?

Muslic: Das ist genau das Mindset, das ich nicht habe. Ich bin das genaue Gegenteil. Mag sein, dass sich die meisten Menschen vor dieser Situation erschrecken würden oder Angst vor der Größe oder dem Ist-Zustand des Vereins hätten. Es ist auch nicht einfach, vor 62.000 Leuten da rauszugehen (zeigt Richtung Arena) und zu performen. Gott sei Dank trage ich diese Angst nicht in mir. Irgendwie gelingt es mir, dieses Mindset an die Mannschaft und das Profileistungszentrum weiterzugeben, wie einen positiven Virus.

90minuten: Der Saisonstart ist gelungen, von den ersten sieben Spielen wurden fünf gewonnen, das bedeutet Tabellenplatz vier. Müssen Sie die Begeisterung jetzt mit einem Lasso einfangen?

Muslic: Man sollte auf Schalke keine Begeisterung bremsen! Das geht ohnehin nicht, weil die Leute diesen Verein leben. Ich habe schon mitbekommen, dass Schalke einen riesigen Einfluss auf das tägliche Leben der Menschen hat. Wenn wir gut oder schlecht spielen, geht es auch den Menschen gut oder schlecht. Diesen Einfluss haben wir. Deswegen möchte ich keine Begeisterung bremsen, sondern auf der Welle bleiben. Klar ist aber auch, dass wir als Staff eine Art emotionale Kontrollfunktion haben, die wir auch der Mannschaft vermitteln. Also: Begeisterung ja, Emotionalität hoch drei, aber alles balanciert.

Ich kann schnell Organisation in ein Team bringen und einem Verein Leben einhauchen. Das war sicher auch ein Grund, warum Schalke mich geholt hat.

Miron Muslic über seine Arbeit

90minuten: Oft verlangen neue Trainer Zeit, um ihr System zu implementieren. Warum hat es hier so schnell funktioniert?

Muslic: Frank Baumann und Youri Mulder haben sich extrem detailliert und lange mit mir befasst und haben meinen Werdegang der letzten drei Jahre genau verfolgt. Ich habe auch in Belgien eine Mannschaft übernommen, die auf einem Abstiegsplatz lag und dann Schritt für Schritt bis in den Europacup geführt. Ich bin ein Trainer, der relativ schnell Strukturen schaffen kann, das habe ich auch in Plymouth bewiesen. Dort hatte die Mannschaft vier Monate nicht gewonnen, wir hatten dann einen Schnitt von 1,3 Punkten pro Spiel. Ich kann schnell Organisation in ein Team bringen und einem Verein Leben einhauchen. Das war sicher auch ein Grund, warum Schalke mich geholt hat.

90minuten: Youri Mulder sprach kürzlich von "einer neuen Schalke-DNA", auf die alle Schalker Verantwortlichen Wert legen. Können Sie uns das Erbgut entschlüsseln?

Muslic: Klar: aggressiv, intensiv, mutig! Und zwar in allen Spielphasen. Das passt ja auch ganz wunderbar zu diesem Verein. Wir hatten bereits mehrere Fantreffen und haben auch mal einen Nachmittag mit den Ultras in Gelsenkirchen verbracht. Dort haben sie gesagt: Das, was wir sehen wollen, ist eine Mannschaft, die sich für Königsblau zerreißt. Darauf kommt es an.

90minuten: Was nicht zu übersehen ist: Sie haben die Defensive stabilisiert. Offensiv, so hört man hier und da, ist noch Luft nach oben.

Muslic: Wenn man weiß, dass wir vergangene Saison mit mehr als 60 Gegentoren die Schießbude der Liga waren, weiß man als Trainer auch, dass man bei der defensiven Stabilität ansetzen muss. Das haben wir mit intensiver Arbeit am Spiel gegen den Ball auch geschafft. Dass dann in der Offensive noch Luft nach oben ist, wenn man sich zu 80 Prozent mit der Defensive beschäftigt, ist klar. Wir haben in dem Bereich in den letzten drei, vier Wochen aber auch schon Verbesserungen erzielt. Unser nächster Schritt wird sein, das weiter zu verbessern.

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Muslic liegt mit Schalke aktuell auf Rang vier der 2. deutschen Bundesliga

90minuten: Wer bei all den Zielen mithelfen soll, ist seit zwei Wochen Fränky Schiemer. Wie soll er dem Konstrukt Schalke 04 zur Seite stehen?

Muslic: Wir haben das große Glück, dass wir es geschafft haben, Fränky mit seiner Firma "Tiefgang Sports" als externen Berater für Schalke gewonnen zu haben. Fränky ist mein Mentor, mein Coach in den letzten fünf Jahren. Er ist nicht täglich Teil der Schalke-Bubble, kommt aber zwei- oder dreimal im Monat, um dem Staff, aber auch den Spielern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Damit bringt er die Sicht von außen mit. Jeder gute Coach braucht einen Coach, das ist Fränky für mich.

90minuten: Warum ist Schiemer so wichtig für Sie?

Muslic: Jeder Trainer braucht einen Mentor, ich habe das Glück, zwei richtig gute zu haben. Der eine ist Thomas Weissenböck (ehemaliger Trainer und Funktionär in Ried sowie Ausbildner; Anm.), bei dem ich Co-Trainer sein durfte. Er hat mir erstmals einen roten Faden an die Hand gegeben, was Trainingsgestaltung angeht. Ein Top-Mann! Und Fränky kam damals als Sportmanager aus Salzburg nach Ried und wollte dort diesen aggressiven, proaktiven Spielstil, für den Red Bull steht, einführen. So wie ich auch immer spielen lassen wollte, aber nicht wusste, wie es geht. Diese Tools hat er mir an die Hand gegeben. Ich war damals Co-Trainer der jungen Wikinger, er hat in mir ein Talent gesehen und mich gefördert.

Ich weiß, was es heißt, aus schwierigen Verhältnissen und einem schwierigen Umfeld zu kommen, voller Hindernisse und Hürden. Ich weiß aber auch, wie man einen Weg dort heraus findet. Das passt doch wunderbar zu Gelsenkirchen.

Miron Muslic und Schalke - das passt!

90minuten: Wenn man rund um die Veltins Arena mit Fans spricht, hört man immer wieder: Der Muslic versteht Schalke 04. Warum können Sie mit dem Malocher-Image so viel anfangen?

Muslic: Das hat mit meiner Vergangenheit zu tun. 1992 wurden wir über Nacht Flüchtlinge, mussten uns ein neues Leben aufbauen. Ich war damals neun Jahre alt. Ich weiß, was es heißt, aus schwierigen Verhältnissen und einem schwierigen Umfeld zu kommen, voller Hindernisse und Hürden. Ich weiß aber auch, wie man einen Weg dort heraus findet. Das passt doch wunderbar zu Gelsenkirchen. Das hier ist kein einfaches Pflaster, kein einfaches Leben. Die Leute sind gewohnt, sich alles hart erarbeiten zu müssen, sich gegen Widerstände durchzusetzen. Deswegen fühle ich mich nicht nur als Trainer am richtigen Platz, sondern auch als Mensch pudelwohl.

90minuten: Mit Ihrer Geschichte und der Tatsache, als Spieler nie Profi gewesen zu sein, war Ihre Karriere nicht gerade vorprogrammiert…

Muslic: Da gilt immer noch das Old-School-Rezept: unbändiger Fleiß. Man braucht Standhaftigkeit, um sich gegen Widerstände durchzusetzen. Das habe ich und das hat Schalke – vielleicht passen wir deshalb so gut zusammen.

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90minuten-Redakteur Markus Geisler im Gespräch mit Miron Muslic

90minuten: Das Trainerleben ist generell verrückt. Aber wenn Ihnen am vergangenen Silvesterabend jemand gesagt hätte, dass Sie in knapp zehn Monaten Ex-Trainer in der Championship und aktueller Coach von Schalke 04 sind – hätten Sie ihn einweisen lassen? Sie wurden kurz davor bei Cercle entlassen…

Muslic: (lacht) Nicht unbedingt! Für Außenstehende klingt es vielleicht extrem. Aber dieses Business ist so unglaublich schnelllebig! Ich war in Belgien mit zweieinhalb Jahren der längstdienende Trainer. Ich möchte auch hier auf Schalke möglichst lange Trainer sein. 

90minuten: Verfolgen Sie noch, was bei Ihren Ex-Klubs Wacker Innsbruck, FAC oder SV Ried los ist?

Muslic: Im Herzen ja, praktisch nein. Meine Zeit ist einfach limitiert. Nach einem langen Arbeitstag von zehn, zwölf Stunden habe ich weder Lust noch Zeit, mich auch noch zu Hause mit Fußball zu befassen. Ich schaue dann auch keine Champions League oder dergleichen. Ich schalte ab, gehe viel spazieren, um wieder die Balance zu finden, die mir die Energie gibt, meinen Job gut zu machen. Und glauben Sie mir: Der Job kostet viel Energie!

90minuten: Vielen Dank für das Gespräch!

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