Florian Kainz hat mehr Spiele für den 1. FC Köln bestritten als Lukas Podolski oder Thomas Häßler und steckt mit dem Geißbock-Klub mitten im turbulenten Aufstiegskampf.
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Der aktuell längstdienende FC-Profi spricht im großen Interview über die Gier nach der Bundesliga, die überraschende Entlassung von Trainer-Landsmann Gerhard Struber (Wie es zu Strubers Aus in Köln kam >>>), den Verlust des Kapitänsamtes und seine Zukunft im ÖFB-Team.
90 Minuten: Es sind noch zwei Runden zu spielen, der FC steht auf Platz zwei der Tabelle. Was überwiegt: Die Gier, etwas Großes zu schaffen oder die Angst, den Vorsprung noch zu verspielen?
Kainz: Die Gier natürlich! Wer jetzt Angst vorm Versagen hat, ist am falschen Platz. Wir wollen mit Selbstvertrauen in die letzten Runden gehen und freuen uns darauf. Der richtige Zugang kann nur ein positiver sein, ohne Angst und Zweifel.
90minuten: Was sagst du zur Entlassung von Gerhard Struber?
Kainz: Wenn so eine Entscheidung getroffen wird, haben wir das als Spieler zu akzeptieren. Wir haben immer gut zusammen gearbeitet, dem Coach und Bernd (Anm. Co-Trainer Eibler) wünsche ich alles Gute. Das ändert nichts an unserer Zielsetzung - und wir haben nach wie vor eine gute Ausgangslage.
90minuten: Der 1. FC Köln ist ja ein Klub, bei dem der Ausnahmezustand zum Normalzustand gehört. Das hat man zuletzt nach der Entlassung von Trainer Gerhard Struber nach dem 1:1 gegen Schlusslicht Regensburg wieder gesehen. Wie nimmst du die Stimmung in Stadt und Umfeld wahr?
Kainz: Wir sind jetzt lange vorne mit dabei – die Erwartungshaltung ist schon die, dass wir aufsteigen. Man merkt, dass die ganze Stadt mitfiebert. Aber: Die 2. Liga ist hart, das erkennt man daran, dass am vorletzten Spieltag kein einziges Team aus den Top 6 der Tabelle gewonnen hat. Aufsteigen kann nur, wer wirklich immer hart an sich arbeitet.
90minuten: Du hast nach dem Abstieg vergangene Saison deinen Vertrag verlängert, obwohl du eine Ausstiegsklausel hattest. Was waren die Gründe dafür?
Kainz: Ich wollte einfach hierbleiben. Nach dem Abstieg war ich ja noch bei der EURO und habe mich frühzeitig auf den 1. FC Köln festgelegt. Ich wollte mein Bestes geben, um wieder raufzukommen, so wie es ja einige andere Spieler auch gemacht haben. Wir wollten gemeinsam versuchen, es wieder zu korrigieren. Der Abstieg war bitter, für uns Spieler, für alle im Verein. So etwas möchte man nicht erleben.
90minuten: Du bist mit sechseinhalb Jahren der längstdienende FC-Spieler im Kader. Was bedeutet dir das bei einem so emotionalen Klub wie dem FC?
Kainz: Das ist schon sehr cool, so lange bei einem Traditionsverein zu spielen. Das ist ja im heutigen Fußballer-Leben – mit wenigen Ausnahmen – nicht üblich. Ich fühle mich wohl in der Stadt und beim Klub, deswegen habe ich meinen Vertrag mehrmals verlängert.

90minuten: These - Ein Jahr beim FC entspricht drei Jahren bei einem Klub wie Werder oder Sturm Graz.
Kainz: Weil so viel passiert?
90minuten: Vor allem wegen der ganzen Emotionalität rund um den Klub.
Kainz: Nein, das würde ich nicht sagen. Bei meinen früheren Vereinen Sturm, Rapid und Werder Bremen gab es auch ein riesiges Fan-Potenzial, da haben die Städte auch mit den Klubs mitgefiebert. Natürlich ist der FC von der Mitgliederzahl und den Fans nochmal ein Stück größer, das muss man schon sagen. Aber meine ehemaligen Klubs waren auch sehr von Emotionen geprägt.
90minuten: Viele Traditionsmannschaften, die absteigen, scheitern beim Versuch, gleich wieder raufzukommen. Der HSV, Schalke, Hertha und einige mehr. Was habt ihr richtig gemacht, um nach dem Abstieg gleich wieder vorne mitspielen zu können?
Kainz: An der Frage erkennt man schon, wie schwierig die 2. Liga in Deutschland ist. Es gibt ja das Vorurteil, dass hier viele Teams dabei sind, die nur defensiv stehen und auf Konter lauern. So sehe ich das überhaupt nicht! Es gibt viele gute Mannschaften, die einen spielerischen Ansatz verfolgen und auf Kombinationsfußball setzen. Bei uns war es so, dass wir zu Beginn der Saison zwar guten Fußball gespielt haben, die Ergebnisse aber nicht so kamen, wie wir uns das vorgestellt hatten (Anm.: Zwölf Punkte aus den ersten zehn Spielen). Dann haben wir eine starke Serie hingelegt, in der wir von elf Spielen neun gewonnen haben und dabei nur vier Gegentore kassiert haben. Dadurch ist der Glaube entstanden, dass wir es schaffen können. Das wiederum führte dazu, dass wir in unserer Herangehensweise richtig stabil wurden und uns immer weiterentwickelt haben.
"Ich hätte es sehr gerne weitergemacht. Für mich war es damals eine Enttäuschung."
90minuten: Für dich ging die Saison nicht einfach los, erst die Verletzung und dann wurdest du in der Vorbereitung ja auch deines Kapitänsamtes enthoben. Timo Hübers hat für dich übernommen. Wie kompliziert war diese Phase für dich?
Kainz: Die Situation war schon schwer. Abstieg, neuer Trainer, Verletzung… Das ist nicht einfach. Ich habe mich darauf konzentriert, die Reha so schnell und so gut wie möglich zu absolvieren. Ich bin aber auch in einem Alter, in dem man mit so etwas umgehen kann. Es war weder meine erste Verletzung noch mein erster neuer Trainer.
90minuten: Tat es dir um die Schleife sehr leid?
Kainz: Ja, natürlich, ich hätte es sehr gerne weitergemacht. Für mich war es damals eine Enttäuschung. Aber es galt, die Entscheidung zu akzeptieren. Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu Hübi (Anm.: Timo Hübers), er hatte vom ersten Tag an meine volle Unterstützung. Und es ist ja nicht so, dass ich mich von heute auf morgen aus allen Gesprächen zurückgezogen habe, nur weil ich kein Kapitän mehr bin. Ich nehme trotzdem ein großes Maß an Verantwortung wahr.
90minuten: Vergangenen Sommer wurde kommuniziert, dass dein Vertrag bis 2025 verlängert wurde. Können wir davon ausgehen, dass er sich im Falle des Aufstiegs automatisch verlängert?
Kainz: (lacht) Ach, über das Thema mag ich gar nicht sprechen. Unsere Vertragslaufzeiten werden bewusst nicht kommuniziert.

90minuten: Du hast mit 187 Partien mehr Spiele für den FC absolviert als Lukas Podolski oder Thomas Häßler, zwei absolute Klub-Legenden. Zudem bist du nach dem Slowenen Miso Brecko der Ausländer mit den zweitmeisten Einsätzen. Wie wichtig sind dir solche Zahlen?
Kainz: Das finde ich schon cool, das muss ich sagen. Ich habe mir das vor Kurzem mal angeschaut, als unser Jan Thielmann mit nur 22 Jahren schon sein 150. Spiel für den FC gemacht hat. Da wollte ich wissen, wo ich selbst stehe. Das sind schon interessante Statistiken, die mich auch sehr stolz machen.
90minuten: Brecko steht bei 225 Spielen. Wenn du nächstes Jahr gesund bleibst und ihr ein paar Pokal-Runden übersteht…
Kainz: (lacht) … ob sich das ausgeht? Aber nein, das ist kein Ziel von mir und auch nichts, worüber ich mir Gedanken mache.
90minuten: Du hast mit dem FC so gut wie alles erlebt: Aufstieg, Abstieg, Relegation, Europacup… Hast du mit deinen 32 Jahren noch das eine große Karriereziel?
Kainz: Das waren wirklich bewegte Jahre, meine Güte… Derzeit habe ich aber nur ein einziges Ziel: mit dem FC wieder hochkommen! Ich bin in einem Alter, in dem man von Jahr zu Jahr schaut.
90minuten: Du warst bei der EURO in Deutschland dabei, stehst auch immer wieder auf der Abrufliste, dein letztes Länderspiel liegt aber schon fast ein Jahr zurück (im Juni 2024 beim 1:1 gegen die Schweiz). Ist die WM 2026 ein Thema bei dir?
Kainz: Ich war jetzt lange nicht mehr dabei und bin realistisch genug zu wissen, dass wir auf meiner Position sehr gute Spieler im Kader haben. Und wenn man an die WM 2026 denkt, wenn wir denn dabei sind, gibt es ja auch noch Spieler, die von unten nachkommen. Aber wenn es so wäre, wäre es natürlich cool. Über eine Einberufung würde ich mich nach wie vor sehr freuen.