Josef Pröll war von Dezember 2008 bis April 2011 Vizekanzler und Bundesminister für Finanzen der Republik Österreich. Von 2008 bis 2011 war er ebenso Bundesparteiobmann der ÖVP. Im Juli 2011 wurde Josef Pröll Vorstandssprecher des zur Raiffeisen-Holding Niederösterreich-Wien gehörenden Mischkonzerns Leipnik-Lundenburger. Besser vernetzt kann ein ÖFB-Vorstandsvorsitzender wohl nicht sein.
In seinem Büro, hoch über den Dächern Wiens, mit Blick auf den Stephansdom, empfängt Pröll 90minuten zum Interview. Er ist gut gelaunt, und auch vorbereitet auf dieses intensive Interview, in dem der 56-Jährige über seine Beweggründe spricht, und welche Überlegungen dazu geführt haben, den Schleudersitz im ÖFB anzunehmen.
Eines merkt man schnell: Pröll ist aufgrund seiner Erfahrung in der Politik ein Interviewpartner, der selten ins Schwimmen kommt, aber auch noch nicht viel in seiner Zeit beim ÖFB zu verantworten hat.
Er lässt dabei aufhorchen: Pröll sieht zwar einen funktionierenden Verband, war aber auch überrascht, weil offenbar vor seiner Zeit keine Business-Pläne, etwa für den neuen ÖFB-Campus, vorgelegt werden mussten. Die erste Erkenntnis: Der neue Campus soll in den kommenden fünf Jahren jährlich mit einem Minus von einer Million Euro das Budget des Verbands belasten.
Und: Erstmals spricht Pröll über einen Strategieprozess, der im Herbst gestartet werden soll.
Einer der wichtigsten Sätze in diesem Gespräch ist wohl dieser: "Ich verlange als Aufsichtsratsvorsitzender, dass wir innerhalb des ÖFB Klarheit in der Vorbereitung von Entscheidungen in einer gewissen Qualität bekommen."
Ein klarer Fingerzeig auf die Vergangenheit, als das ÖFB-Präsidium getrieben von Eitelkeiten und Machtspielchen die Qualität bei Entscheidungen oft hat vermissen lassen.
90minuten: Wie waren die ersten Wochen für Sie als Aufsichtsratsvorsitzender des ÖFB und wie sehr haben Ihnen die Siege in der WM-Qualifikation geholfen?
Josef Pröll: Nachdem die Frage, ob ich mir vorstellen kann, Aufsichtsratsvorsitzender des ÖFB zu werden, sehr überraschend auf mich zugekommen ist, und dies mittlerweile auch schon wieder einige Monate her ist, würde ich sagen, dass ich sehr positiv angetan bin von dem, was ich bei Treffen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im ÖFB, Spielerinnen und Spielern, Trainerstäben und auch Funktionären mitbekommen habe. Also deutlich besser und positiv überraschend, als es der öffentliche Eindruck der letzten Jahre abgegeben hat. Die beiden Siege in der WM-Qualifikation der Männer haben meine Stimmung weiter befeuert. Ich glaube, jeder von uns ist emotional getrieben im Leben, sei es in der Wirtschaft, in der Politik oder in der Wissenschaft. Da tut es gut, so einen Einstieg zu haben.
90minuten: Merken Sie einen Unterschied zur Politik oder zum normalen Wirtschaftsleben? Beide Bereiche kennen Sie gut. Ist es anders, einem Fußballverband voranzustehen?
Pröll: Es ist sicher anders, weil der Bogen vom Breitenfußball in den Regionen bis hinauf zu den Nationalteams der Männer und Frauen natürlich eine Bandbreite mit unterschiedlichen Interessen aufmacht, obwohl alle ein Ziel haben, nämlich im Fußball erfolgreich zu sein. Die Ansprüche könnten unterschiedlicher nicht sein. Und das ist schon eine Führungsbreite, die spannend ist, die ich in dieser Deutlichkeit so nicht erwartet habe, die aber auch bewältigbar ist. Wenn man offen Dinge anspricht, was jeder braucht, und mit begrenzten Ressourcen auch dann möglichst gerecht für jeden das Beste tut, ist das aus meiner Sicht die Herausforderung. Die kenne ich aus der Politik und auch aus dem Wirtschaftsleben.

90minuten: Das erste Mal wurden sie von Johann Gartner gefragt, ob Sie …
Pröll: Nein, nein, wurde ich nicht.
90minuten: Sondern, von wem wurden Sie gefragt?
Pröll: Martin Mutz hat mir ein Mail geschrieben, ich glaube es war Mitte März, und hat sich vorgestellt als einer der beiden Verantwortlichen im ÖFB-Wahlkomitee. Er hat mir mitgeteilt, dass mein Name genannt wurde - und gefragt ob ich mir das grundsätzlich vorstellen könnte. Ich war komplett überrascht, habe damit in keinster Weise gerechnet. Ich habe dann zugesagt, dass ich zumindest meine Außensicht, so wie ich es als Medienkonsument wahrgenommen habe, mitteilen kann.
90minuten: Und dann?
Pröll: Dieses Gespräch wurde geführt und dann hat es sich immer mehr verdichtet. Ich hatte bis zur Entscheidung - außer mit Martin Mutz und auch mit Sepp Geisler - dann keine Kontakte. Ob Johann Gartner mich auf die Liste geschrieben hat, damit ich überhaupt ins Rennen kam, müssen Sie ihn fragen. Das weiß ich nicht.
90minuten: Sie wissen es nicht? Haben Sie nie mit Gartner darüber gesprochen?
Pröll: Angesprochen hat mich Martin Mutz …
90minuten: Und es gab kein Gespräch von Niederösterreicher zu Niederösterreicher. Sie wohnen ja nicht weit auseinander oder?
Pröll: Johann Gartner war Bürgermeister meiner Heimatgemeinde, als ich in der Politik war. Wir kennen uns lange, aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass ich da ins Rennen für den ÖFB gehe.
Ich traue mir zu, Menschen unterschiedlicher Regionalität, Herkunft und auch Verwobenheit in schwierigen Situationen auf dem Weg in die Zukunft mitzunehmen.
90minuten: Wie intensiv haben Sie sich dann vor der Wahl mit dem ÖFB beschäftigt, um zu wissen, ob diese Position für Sie in Frage kommt oder nicht?
Pröll: Ich habe mich natürlich soweit es geht schon intensiv vorbereitet, mit Gesprächen in der Runde, mit Einzelgesprächen, und habe dann relativ schnell ein Bild gehabt: Von den Ressourcen und von den Möglichkeiten her ist es eine Position, die laut meiner persönlichen Einschätzung bewältigbar ist, wenn ich bereit bin, dafür meine ehrenamtliche Aufgabe für die Jagd abzugeben, die mich über 13 Jahre sehr gefordert hat.
90minuten: Was hat Ihre Analyse ergeben?
Pröll: Ich traue mir zu, Menschen unterschiedlicher Regionalität, Herkunft und auch Verwobenheit in schwierigen Situationen auf dem Weg in die Zukunft mitzunehmen. Ich habe gesehen, dass zum Beispiel mit dem ÖFB Campus etwas Neues entsteht - etwas, das uns Möglichkeiten geben kann. Und ich habe vor allem gesehen, dass die WM-Quali zum Greifen nahe ist. Das heißt, der Schnittpunkt war auch ein interessanter, nicht nur die Probleme zu sehen, sondern auch die positiven Möglichkeiten. Und das hat mich dann dazu bewogen, in meinem Unternehmen die Entscheidung herbeizuführen, ob das überhaupt geht. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Ich bin CEO einer Aktiengesellschaft, die Raiffeisen gehört.
90minuten: Apropos Raiffeisen …
Pröll: Raiffeisen war, entgegen aller Unkenrufe, eher auf der Bremse, zum Teil deutlich, weil es auch in meinem Unternehmen große Herausforderungen zu meistern gibt. Als klar war, dass ich meine Position als Landesjagdmeister abgebe, war der Weg frei. Allerdings unter der Voraussetzung, dass die Menschen, die im ÖFB darüber entscheiden, ein Bekenntnis abgeben und das auch wirklich gemeinsam wollen.
90minuten: Ich frage auch deswegen, weil ÖFB-Präsident - oder wie es jetzt heißt, Aufsichtsratsvorsitzender - zu sein, war ja in den vergangenen Jahren eher ein Schleudersitz. Eine Position, in der man sehr exponiert war, wo sehr viele Geschichten über einen geschrieben wurden, wo auch aus internen Kreisen sehr tief bis ins Private hinein gestichelt wurde. Wie gesagt, sehr oft auch aus den eigenen Reihen. Hat Sie das nicht abgeschreckt?
Pröll: Nein, ich glaube, es ist in sehr komplexen Organisationen oft der Fall, dass man die Dinge einfach in die Hand nehmen muss, selber führen und ausrichten und dann mit Konzepten und mit der Gesprächsfähigkeit versuchen muss, den Erfolg herbeizuführen. Wenn man sich von Dingen aus der Vergangenheit abschrecken lässt, glaube ich, ist es immer schwierig.
90minuten: Haben Sie im ÖFB eine Sehnsucht nach Ruhe, nach dem Ende dieser Querelen gespürt?
Pröll: Ja, es hat diese Sehnsucht offensichtlich gegeben, deswegen wurde, denke ich, auch die Debatte geführt, ob nicht jemand von außen kommen muss, weil die Verstrickungen, die historischen Auseinandersetzungen schwer kittbar sind. Vor allem untereinander, wenn wieder jemand aus dem internen Kreis kommt. Das war mein Eindruck, warum ich oder andere überhaupt ins Gespräch gekommen sind. Und als einer, der da keinerlei persönliche Beziehungen in den Streitigkeiten hat, in den historischen Abrechnungen, in der Lagerbildung… Da habe ich mir gedacht: ja, dann lass es uns probieren.
Ich will etwas weiterbringen, mehr als dass ich als Präsident durch Österreich getragen werde. Ganz ehrlich, ich war genug in der Öffentlichkeit in meinem Leben.
90minuten: Was haben Sie dann vor dem Präsidium präsentiert?
Pröll: Ich glaube, ich habe dem Präsidium klargemacht, dass nicht nur Einstimmigkeit bei der Wahl wichtig wäre, sondern dass wir die Strukturreform, sprich die neue Rolle als Aufsichtsrat, ernst nehmen, dass wir auch den Spalt in der Belegschaft schließen und Leistung einfordern müssen und wollen. Das tue ich als Aufsichtsratsvorsitzender. Und dass wir uns mit den Entscheidungen ernst nehmen. Das heißt aber nicht, dass einer kommt, der anschafft, wie es geht, und alle haben zu hüpfen.
90minuten: Inwiefern?
Pröll: Ich bin einer, der mit Konzepten in Sitzungen geht, weiß aber auch, dass ich niemals mit 100 Prozent rauskommen kann. Wäre das so, bräuchte ich keine Gremien. Ich bin also auch bereit, zuzuhören und Kompromisswege zu gehen. Ich will etwas weiterbringen, mehr als dass ich als Präsident durch Österreich getragen werde. Ganz ehrlich, ich war genug in der Öffentlichkeit in meinem Leben.
90minuten: Wie löst man die internen Konflikte, wenn Sie Ihre Arbeit distanziert zur Vergangenheit im ÖFB angehen wollen, wie Sie in einem Interview vor einigen Wochen gesagt haben? Zum Beispiel den Konflikt zwischen Thomas Hollerer und Bernhard Neuhold?
Pröll: Ich bin mit beiden in einem sehr guten Austausch, generell mit der Führungsmannschaft des ÖFB. Ich bin erst gestern (Anm. der Redaktion: Das Interview wurde am 27. Juni geführt) mit Peter Schöttel und mit allen Abteilungsleitern der Direktion Sport am Nachmittag zwei, drei Stunden zusammengesessen. Ich bin sehr intensiv dran, die Themen aufzuarbeiten. Es wird dabei nicht nur präsentiert, sondern auch diskutiert, was fehlt, was sie sich vorstellen, wie sie sich einbringen wollen. Das gilt für alle, auch für Hollerer und Neuhold.
In den ersten Wochen habe ich sowohl von Thomas Hollerer als auch von Bernhard Neuhold alle notwendigen Unterlagen und Entscheidungsgrundlagen in einer Geschwindigkeit vorgelegt bekommen, wie ich das in vielen anderen Bereichen bisher nicht gekannt habe.
90minuten: Und welchen Eindruck haben Sie von den beiden?
Pröll: Ganz ehrlich: In den ersten Wochen habe ich sowohl von Thomas Hollerer als auch von Bernhard Neuhold alle notwendigen Unterlagen und Entscheidungsgrundlagen in einer Geschwindigkeit vorgelegt bekommen, wie ich das in vielen anderen Bereichen bisher nicht gekannt habe. Aber: Ich höre natürlich auch die historischen Herausforderungen. Bei mir hat jeder seine Chance. Und ganz ehrlich und offen: Jeder wird an seiner Leistung auch entsprechend gemessen. Ich habe jedenfalls ein Jour Fixe eingerichtet, bei dem wir uns regelmäßig auf Führungsebene treffen, um alles zu strukturieren. So verstehe ich uns als Team. Das ist allerdings nur ein erster Schritt.
90minuten: Und der zweite?
Pröll: Wir werden im September eine Klausur mit allen Abteilungsleitern durchführen. Zwei Tage, um die Pläne für 2026 und 2027 zu strukturieren. So verstehe ich Führung in der Mannschaft. Ob es diese Mannschaft früher gegeben hat oder nicht, weiß ich nicht.
90minuten: Was wollen Sie noch ändern?
Pröll: Ich verlange als Aufsichtsratsvorsitzender, dass wir innerhalb des ÖFB Klarheit in der Vorbereitung von Entscheidungen in einer gewissen Qualität bekomme. Wir werden daher einen Strategieprozess starten. Und zwar mit externer Hilfe. Ich bin fix davon überzeugt, dass wir in der Frage der Führung eines solchen Strategieprozesses einfach keine Erfahrung haben. Das kann ich unseren Mitarbeiter:innen ja gar nicht umhängen. Da brauche ich einen Unternehmensstrategen, der weiß, wie man so einen Prozess organisiert, an dem wir dann gemeinsam, wir nämlich, ich, aber vor allem die operativen Kräfte, ihre maximale Leistung für die strategische Zielrichtung auf den Boden bringen. Und um es vorweg zu nehmen: Bei der Auswahl des Strategieberaters gibt es eine Ausschreibung. Wir werden dann einen Dreiervorschlag vorlegen und uns gemeinsamen auf einen festlegen. Da gibt es kein Mauscheln und Zurufen, das interessiert mich nicht.
90minuten: Und wann soll dieser Strategieprozess starten?
Pröll: Wir werden jetzt im Juli noch die ersten Vorschläge auf den Tisch legen, und dann einmal screenen, wer uns da begleiten kann und werden im Herbst starten. Der Prozess soll ungefähr ein Jahr dauern. Aber das hängt dann auch davon ab, wie der Strategieberater uns einordnet von der Komplexität dessen, was wir wollen.
Ich war überrascht, weil diese Vorgehensweise offenbar neu war. So etwas hat offenbar gefehlt bisher.
90minuten: Um noch einmal auf die Personalien Hollerer und Neuhold zurückzukommen: Hängt die Ausschreibung der neuen Geschäftsführer auch von diesem Strategieprozess ab?
Pröll: Es gibt aktuell zwei Geschäftsführer, und es gibt die Möglichkeit zu reagieren, wenn etwas nicht funktioniert. Sollte es sich weiter positiv entwickeln, sehe ich die Notwendigkeit nicht. Ich betone noch einmal: Die Situation stellt sich deutlich besser dar, als ich es vor meiner Zeit zu Ohren bekommen habe. Ich möchte schon betonen, dass der ÖFB funktioniert. Bei der letzten Aufsichtsratssitzung habe ich den Finanzchef zusätzlich eingeladen und die zwei Verantwortlichen des neuen Campus. Die mussten ihre Business-Pläne vorstellen für die nächsten fünf Jahre. Ich war überrascht …
90minuten: Warum?
Pröll: Ich war überrascht, weil diese Vorgehensweise offenbar neu war. So etwas hat offenbar gefehlt bisher.
90minuten: Meine vorherige Frage bezüglich der beiden Geschäftsführer zielt auch in die Richtung ab, dass man die neuen Positionen, die laut der Strukturreform vorgesehen sind, ja eigentlich ausschreiben müsste oder könnte?
Pröll: Das eine ist, dass es jetzt einmal die statutarische Möglichkeit gibt, diese Ausschreibung zu machen. Ich habe aber immer klar gesagt: Jetzt lass uns einmal arbeiten. Am 28. August ist dann die nächste Sitzung mit einigen Themen, die zu beschließen sind. Ich sehe aktuell keinen Anlass, mit hohem Tempo in eine gewaltvolle Ausschreibung zu gehen.
90minuten: Das heißt, die Statuten lassen Ihnen die Möglichkeit offen, diese Ausschreibung zu machen oder auch nicht?
Pröll: So ist es. (Pause) So ist es.
90minuten: Wenn wir schon beim Thema Campus sind: Wie sehen die Businesspläne für die kommenden fünf Jahre aus? Schließlich gab es auch hier viele Gerüchte, wonach der Campus für sich keinen Profit abwerfen, sondern das ÖFB-Budget dauerhaft belasten wird. Ist hier Licht ins Dunkel gekommen?
Pröll: Ja, absolut. Die beiden Verantwortlichen des Campus waren sehr kompetent und haben den Businessplan vorgelegt, der vorsieht, dass es bis zum Jahr 2029 vorerst einen Abgang von rund einer Million Euro pro Jahr geben wird.

90minuten: Das ist doch relativ viel oder?
Pröll: Es ist ansteigend, am Anfang ist noch weniger Verlust zu erwarten. Als man den Campus damals beschlossen hat, war offensichtlich allen klar, dass es gewinnbringend nicht zu machen ist, und sehr wenige, vergleichbare Institutionen bei solchen Projekten eine schwarze Null erreichen. Dieser Business-Plan wurde jetzt mal abgesegnet und ist die Messlatte für die kommenden Jahre. So verstehe ich Wirtschaft.
90minuten: Der Campus wirft also eine Million Euro Verlust pro Jahr ab. Wo sehen Sie denn die größten Wachstumspotenziale für den Verband, was den Umsatz betrifft, um finanziell trotz Campus zu wachsen?
Pröll: Wir müssen alles, was abseits von Förderungen wirtschaftlich erzielbar ist, im Auge haben. Also alles, wo wir über Sponsoren und Wirtschaftsvernetzung zu Geldern kommen. Das hängt natürlich auch sehr stark vom sportlichen Erfolg, Stichwort WM-Qualifikation, ab. Es liegt aber auch stark an mir, mit meinen Kontakten – ich war bereits beim Kanzler, ich war beim Vizekanzler und der Sportstaatsekretärin, und werde auch Termine mit der Opposition haben. Was das Thema der Förderungen und politischen Rahmenbedingungen betrifft, ist der Sport natürlich unter Druck und wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht noch mehr ins Rutschen kommen. Aber auf den Bereich sollte man sich künftig nicht mehr alleine verlassen.
Im Nachhinein gesehen, war die Annahme, dass der Klub regelmäßig an europäischen Bewerben teilnehmen kann, zu optimistisch. Das würde ich jetzt verschärfter sehen.
90minuten: Sie waren ja auch im Austria-Präsidium als Vizepräsident, wo damals mit der neuen Generali-Arena ebenfalls unter Ihrer Verantwortung ein neues, großes Infrastrukturprojekt entstanden ist. Die Austria ist dadurch finanziell stark unter Druck gekommen, hat ein strukturelles Minus als Rucksack. Sie waren drei Jahre im Präsidium. Im Nachhinein gesehen: Was ist da schief gelaufen, was hätte man besser machen müssen?
Pröll: Im Nachhinein gesehen, war die Annahme, dass der Klub regelmäßig an europäischen Bewerben teilnehmen kann, zu optimistisch. Das würde ich jetzt verschärfter sehen. Kurz vor dem Bau des Stadions war die Austria in der Champions League. Die Annahme, dass man jedes zweite oder dritte Jahr in Europa in einer Gruppenphase spielen wird können, ist nicht aufgegangen – gegenläufig zu den Kosten des Stadions.
90minuten: Das heißt: Umgelegt auf den ÖFB, sollte man besser nicht mit sportlichem Erfolg planen?
Pröll: Man kann planen, aber man muss das Risiko und die Wiederholbarkeit des Erfolgs genau bewerten. Also nur eine Zeitreihe anzulegen und fortzuschreiben ist beim sportlichen Erfolg zu wenig.
90minuten: Die WM 2026 ist also in den Budgets für 2026 nicht eingeplant?
Pröll: Es ist nicht im 2026er-Budget eingeplant. Ich kann nicht finanzielle Einnahmen einplanen, die ich nicht zu 100 Prozent alleine in der Hand habe, und darauf ein Budget aufbauen.
90minuten: Aktuell hat der ÖFB ein Budget von rund 65 bis 70 Millionen Euro. Welches Ziel hat man sich in den kommenden fünf Jahren gesetzt?
Pröll: Ich muss ganz ehrlich sagen, dass wir noch nicht so weit sind. Das werden wir dann in dem Strategieprozess diskutieren und vor allem in unserer Klausur, wo quasi dann für mich auch einmal der Kassasturz dieses Jahres auf den Tisch gelegt wird.
90minuten: Über Sponsoren haben wir schon kurz gesprochen. Im Vorfeld Ihrer Wahl gab es von Seiten der Sponsoren großen, öffentlichen Druck. Es gab einen Brief von Raiffeisen, es gab einen anderen gemeinsamen Brief von weiteren Sponsoren. Das vorherige Präsidium hat auf diese Briefe sehr scharf reagiert. Wie sehen Sie dieses Thema?
Pröll: Wenn man den ÖFB mit seinen öffentlichen Zuschüssen auf der einen Seite sieht, und ich vorher erwähnt habe, dass ich Termine mit den politisch Verantwortlichen hatte, so mache ich das aktuell auch mit den Partnern. Ich bin viel unterwegs, treffe die Sponsoren, sei es direkt bei einem Match oder bei eigenen Terminen. Ich kenne das ja auch bei meinem Unternehmen: Wenn man ein Sponsoring eingeht, dann erwartet man eine gute Gegenleistung. Das ist ein partnerschaftlicher Zugang.
Wenn Sponsoren schon so weit gehen, dass sie solche Briefe schreiben, dann weiß ich aus meiner eigenen Erfahrung, dass das Bild dessen, wo sie Geld hingeben, schön langsam nicht mehr das ist, was man als Sponsor vertreten kann.
90minuten: Aber wurde ein Bogen überspannt damals, als die Sponsoren dem ÖFB öffentlich ausgerichtet haben, was zu tun ist. Im Brief von der Raiffeisen stand sogar, wer neuer Präsident werden soll …
Pröll: Ich glaube, dass wir öffentliche Briefe von Sponsoren in Zukunft hoffentlich nicht brauchen werden, und dass damit auch Präsidiumsmitglieder nicht darauf reagieren müssen.
90minuten: Aber wurde der Bogen überspannt?
Pröll: Wenn Sponsoren schon so weit gehen, dass sie solche Briefe schreiben, dann weiß ich aus meiner eigenen Erfahrung, dass das Bild dessen, wo sie Geld hingeben, schön langsam nicht mehr das ist, was man als Sponsor vertreten kann. Wie stark der Bogen gespannt war, ob er reißt oder nicht, wird jeder vielleicht unterschiedlich empfinden. Aber ich würde es vermeiden und durch Gespräche versuchen zu lösen.
90minuten: Aber Sie verstehen schon, dass man die Souveränität des ÖFB verteidigt, wenn sowas öffentlich auftritt?
Pröll: Ja, absolut. Auch ich werde die Souveränität des ÖFB in jeder Phase meiner Amtszeit verteidigen, wenn Kritik ungerechtfertigt ist. Ich werde sie verteidigen, aber Gespräche führen, wenn ich weiß, dass es Schwächen gibt.
90minuten: Wenn wir schon beim Thema Raiffeisen sind: Wie stehen Sie zur Geschichte, dass Raiffeisen seinen Einfluss geltend gemacht hat, um einen Präsidenten einzusetzen?
Pröll: Ich muss ehrlich sagen, im ÖFB sehe ich derzeit eine sehr gute Partnerschaft mit Raiffeisen. Die Analyse der vergangenen Jahre und auch bei mir jetzt lassen keinen Einfluss auf die Geschäftsgebarung des Verbands erkennen …
90minuten: Naja, mit dem Brief aber schon …
Pröll: Der Brief war aus meiner Sicht eine Reaktion auf eine wirklich problematische, öffentliche Darstellung des ÖFB, wo irgendwann der Geldgeber etwas sagen muss. Die Frage ist nur, auf welchem Weg.
Ich lege großen Wert darauf, dass diese Diskussionen nicht unter ständiger Begleitung der Öffentlichkeit passieren. Das habe ich meinen Kollegen auch gesagt: Je mehr hinausgeht über die Bande, umso schwächer ist die Qualität des Ergebnisses.
90minuten: Ein Thema, das auch oft medial diskutiert wurde, ist die Verteilung der finanziellen Mittel innerhalb des Verbands: Da gibt es jene, die mehr für ihre Landesverbände haben wollen, und welche, die meinen, es braucht mehr Geld für das A-Team, also für Ralf Rangnick. Wird das auch Thema des Strategieprozesses sein?
Pröll: Absolut, absolut. Wir werden hier auf einen gemeinsamen Nenner kommen müssen. Klar ist: Die Nationalmannschaft ist die Cashcow. Auf der anderen Seite braucht der Breitensport diese Blutversorgung, um auch atmen und leben zu können. Und ich glaube, da ergibt eines das andere. Dieses Verständnis muss man in der Strategie schärfen, mit klaren Ansagen, wie das in Zukunft funktionieren soll. Das wird ein spannender Prozess, der wird auch nicht ohne Reibereien gehen – wir werden das aber ohne Tabus diskutieren. Eines ist aber auch klar
90minuten: Und zwar?
Pröll: Ich lege großen Wert darauf, dass diese Diskussionen nicht unter ständiger Begleitung der Öffentlichkeit passieren. Das habe ich meinen Kollegen auch gesagt: Je mehr hinausgeht über die Bande, umso schwächer ist die Qualität des Ergebnisses. Es wird auf uns ankommen, eine verschworene, möglichst positive Gemeinschaft zu bilden, weil dann werden wir alle profitieren. Wenn nicht, verlieren wir alle und das bringt uns nicht weiter. Da habe ich in der Politik und der Wirtschaft schon viel gelernt.
90minuten: Diese Erfahrung hätten die Herren im Präsidium in den vergangenen Jahren schon längst gemacht, und trotzdem wurde es nicht besser …
Pröll: Jeder hat seine unterschiedlichen Erfahrungen. Ich war sehr jung Minister, mit 33. Ich bin durch den Fleischwolf des Föderalismus durchgedreht worden. Ich habe alles erlebt, und das ist schon ein Erfahrungsschatz. Ich habe großen Respekt davor, dass man trotz aller Unterschiedlichkeiten gemeinsam an etwas arbeitet, ohne dass jeder nur für sich seinen Nutzen ziehen will. Und es kann ja kein Interesse geben, dass der österreichische Fußball, der ÖFB verliert. Aber es geht immer um Menschen, und es geht um Führung.
90minuten: Kommen wir auch noch zum Thema Ralf Rangnick. Wie würden Sie seine Zeit als Teamchef bisher bilanzieren? Inwiefern kann das A-Team, aber auch der gesamte Fußball in Österreich durch seine Arbeit profitieren?
Pröll: Es ist eine ganz große Überraschung für mich, dass ich im öffentlichen Raum extrem oft positiv auf Fußball angesprochen werde. Mittlerweile auch oft mit dem Thema Euphorie mit Blick auf die WM-Qualifikation: Schaffen wir das? Schaffen wir das nicht? Das ist bei vielen Menschen verankert, bei allen Alters- und Gesellschaftsgruppen. Es ist überhaupt kein Zweifel, dass Ralf Rangnick mit seiner Kompetenz als Trainer, aber auch mit seiner kommunikativen und motivatorischen Kompetenz einen wichtigen Anteil daran genommen hat. Ich habe ihm das auch so gesagt, und dass wir gemeinsam in diesen Herbst hineingehen und die Quali hoffentlich schaffen – alle miteinander.

90minuten: Und was den Vertrag betrifft?
Pröll: Es gibt eine klare Vertragssituation, und ich habe überhaupt keinen Grund, daran irgendetwas zu rütteln. Im Gegenteil, ich glaube, er ist sicher einer, der für diese positive Fußballstimmung bis in die Vereine, Aktiven, Fans etc. eine ganz neue Qualität gebracht hat.
90minuten: Rangnick hat ja auch ganz klar angesprochen, dass er am nächsten Tag nicht mehr Teamchef ist, wenn die Qualifikation nicht geschafft wird. Sehen Sie das auch so streng?
Pröll: Ich glaube, ich brauche Herrn Rangnick hier nichts hinzufügen. Wenn er selber das so sieht, dann ist das eine klare Ansage. Aber es wird nicht passieren, dass wir die Qualifikation nicht schaffen.
Wir werden natürlich auch über seine (Anm. d. Red: von Ralf Rangnick) Perspektive sprechen. Aber ich habe auch eines gelernt: dass man nicht in der Öffentlichkeit an allen Ecken etwas erklären muss.
90minuten: Aber könnten Sie sich vorstellen, dass Ralf Rangnick aus struktureller Sicht für den österreichischen Fußballbund ein Thema wäre, möglicherweise in einer anderen Funktion?
Pröll: Wir haben jetzt eine Qualifikation vor uns und dann hoffentlich eine Weltmeisterschaft. Und wir sprechen hier jetzt über den August 2026. Wir werden natürlich auch über seine Perspektive sprechen. Aber ich habe auch eines gelernt: dass man nicht in der Öffentlichkeit an allen Ecken etwas erklären muss. Es gab in meinem Lebensweg schon so viele Herausforderungen, man hat viel geplant und zwei Wochen später war alles ganz anders. Step by step, der aktuelle Vertrag gibt uns Sicherheit. Darüber hinaus braucht es derzeit keine Öffentlichkeit bei diesem Thema.
90minuten: Die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden soll künftig anders ausgelegt sein als jene des Präsidenten. Weniger mediale Öffentlichkeit, etwa. Ich frage auch deswegen, weil Sie vor ein paar Wochen das ÖFB-Frauen-Nationalteam besucht haben. Dazu gab es einen Beitrag auf der ÖFB-Website, da waren mehrere Fotos mit Ihnen zu sehen, aber keines von einer Spielerin. Wie sehen Sie die Rolle Ihrer Position künftig?
Pröll: Ich bin schon sehr überrascht über die Öffentlichkeitswirksamkeit dieses Jobs. Ich mache einen Job für den heimischen Fußball. Und das gefällt mir, ob ich da jetzt Präsident oder Aufsichtsratsvorsitzender heiße, ist kein Zugang für mich. Ich will Dinge weiterbringen, entwickeln, aufsetzen und Struktur einbringen. Ich habe einen anderen Zugang: Es geht nicht um mich. Ein Teil ist aber schon, öffentlich zu kommunizieren, was in der ersten Zeit besonders wichtig ist. Diese Öffentlichkeit wird aber abnehmen, wenn wieder Ruhe in den Verband eingekehrt ist.
90minuten: Das heißt, Sie werden kein Aufsichtsratsvorsitzender sein, der zu vielen Themen öffentlich Stellung bezieht, so wie es Ihre Vorgänger gemacht haben?
Pröll: Dort, wo es notwendig ist, werde ich es tun, aber ich habe keinen Drang, an die Öffentlichkeit zu gehen.
90minuten: Meine letzte Frage, die schon vorher von Ihnen angesprochen wurde: Fehlte dem ÖFB bisher die Strategie?
Pröll: Es gab eine Strategie in der Vergangenheit, die aber unter den Herausforderungen, der öffentlichen Darstellung in den vergangenen Jahren gelitten hat. Und deswegen dränge ich jetzt so darauf, dass dieser Prozess neu aufgesetzt wird, und sehr professionell begleitet wird.