Fabio Ingolitsch: "Viele dachten, wir spinnen"
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Fabio Ingolitsch: "Viele dachten, wir spinnen"

Fabio Ingolitsch hat mit dem SCR Altach den Klassenerhalt geschafft. Nach sechs Spieltagen liegt der Klub aktuell auf Rang drei, punktgleich mit Salzburg und vor Meister Sturm Graz. Grund genug, nachzufragen, wie das zustande kam.

Klassenerhalt gemeistert, dabei einen neuen Fußballstil implementiert, nun auf einem Meistergruppen-Platz - es läuft für Fabio Ingolitsch und den SCR Altach.

Am Sonntag können die Vorarlberger im Duell mit der ebenfalls überraschend gut in die Saison gestarteten WSG Tirol ein weiteres Ausrufezeichen setzen (14:30 Uhr im LIVE-Ticker).

Vielleicht klappt es ja dieses Mal mit einem früheren Klassenerhalt, nachdem man eigentlich so gut wie immer bis ins Saisonfinish nicht wusste, ob in der Folgesaison Bundesliga- oder 2. Liga-Fußball gespielt wird. Die Schlüsselperson ist ein 33-jähriger Ex-Amateur, der noch nie auf höchstem Niveau Cheftrainer war: Fabio Ingolitsch.

Bereits im Alter von 25 Jahren beendete der Mittelfeldspieler seine Fußballkarriere im Salzburger Unterhaus. Aus dem ehemaligen Amateur-Kicker wurde der Co-Trainer des FC Liefering. Später betreute er die U18 von Red Bull Salzburg und in der Saison 2022/23 war er Chefcoach der Salzburger Nachwuchsschmiede in der 2. Liga. Der Posten als Salzburg-Cheftrainer kam noch zu früh, darum ging Ingolitsch nach Zürich. Dann kam der Anruf aus Altach.

Nun sollen die Vorarlberger also aus dem Strudel des Zitterns um den Klassenerhalt hinauskommen. Wie das klappen kann, erklärt Ingolitsch im 90minuten-Interview.

90minuten: Wenn wir das Interview am 4. Mai geführt hätten – Altach ist nach 29 Spieltagen Letzter – und ich erzähle, dass Sie vier Monate später neben Salzburg erster Rapid-Verfolger sind, was hätten Sie geantwortet?

Fabio Ingolitsch: Ich glaube, zu dem Zeitpunkt hätte ich mir gar keine Gedanken gemacht, was vier, fünf Monate später sein kann. Wir waren damals ganz stark im Hier und Jetzt, es ging um das nackte Überleben. Diese Aufgabe haben wir bekanntlich positiv bestritten. Das ist der Grund, warum wir in dieser Liga sind und uns mit den besten Mannschaften des Landes messen können.

Ich war das erste Mal in dieser Situation. Der Verein hat das zuletzt jährlich gehabt, so habe ich schon mitbekommen, was es mental bedeutet, hinten drinnen zu stecken.

Fabio Ingolitsch

90minuten: Wie haben Sie die Zeit erlebt – andere Trainer beschreiben die Qualifikationsgruppe als sehr unangenehm?

Ingolitsch: Ich war das erste Mal in dieser Situation. Der Verein hat das zuletzt jährlich gehabt, so habe ich schon mitbekommen, was es mental bedeutet, hinten drinnen zu stecken. Man hat auch bei den Spielern gespürt, was diese Situation mit ihnen macht. Persönlich finde ich das Konzept der Tabellen- und Punkteteilung nicht gut. Die Leistungskurve bringt das nicht gerade nach oben, verhindert sogar Entwicklung.

90minuten: Am Format wird sich mit dem erneuerten TV-Vertrag eine Zeit lang nichts ändern; Fußball folgt dem Geld.

Ingolitsch: Von dieser Warte aus gesehen ist das total verständlich. Fußball ist Teil der Unterhaltungsbranche. Unsere Daseinsberechtigung und Privilegien haben wir nur deshalb, weil ganz viele Menschen es interessant finden, was wir tun. Den Fans muss man etwas bieten, und gerade vergangene Saison war es bis zum letzten Spieltag spannend. Das kann man kaum übertreffen; trotzdem gibt es immer ein paar Leidtragende, Funktionäre, Trainer und Sportler.

Als Trainer glaubt man oft, es braucht ältere Spieler, wenn's eng wird. Man meint, man kann sich auf sie mehr verlassen, weil sie schon bewiesen haben, was sie können und dass ihr Nervenkorsett das aushält. Diese pragmatische Entscheidung führt dazu, in der Qualifikationsgruppe weniger auf die Entwicklung von Talenten zu achten. Die Spiele sind auch nicht schön anzusehen, umso besser ist es, wenn die Uhren mit der neuen Saison auf null gestellt werden. Ich denke, man sieht bei uns, dass diese schwere Last von den Schultern gefallen ist.

Christoph Längle hofft auch, dass diese Saison ruhiger wird
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Christoph Längle hofft auch, dass diese Saison ruhiger wird

90minuten: Christoph Längle hat viel abbekommen, Sportdirektor und Verein sind getrennte Wege gegangen. Haben Sie überlegt, den Hut draufzuhauen bzw. wie knapp waren Sie an einem möglichen Rauswurf dran?

Ingolitsch: Dieses Thema war im Verein überhaupt nicht präsent. Es war ja schon eine Krise, als ich im Oktober 2024 übernommen habe. Zudem hat der Verein in den Jahren zuvor schon immer wieder nur sehr knapp die Liga gehalten, es war also kein großes Negativerlebnis, dass wir den Klassenerhalt erst so spät fixieren konnten.

Die Vereinsverantwortlichen haben deshalb gemeinsam die Entscheidung getroffen, dass man sportlich alles auf den Kopf stellen muss, um nachhaltig von da unten wegzukommen. Es ist in dem Zusammenhang schon ein mutiger Schritt gewesen, auf mich zu setzen. Ich bin kein Feuerwehrmann, sondern möchte meine klare Idee von Fußball implementieren, will wirklich etwas aufbauen und entwickeln, das Substanz hat. Es gab recht schnell Spielphasen, in denen wir dominant waren und Spiele statistisch hätten gewinnen können. Wir haben besser gespielt, die Ergebnisse waren jedoch gleich schlecht.

90minuten: Zech, Gorgon, Mustapha sind schon im Winter geholt worden. Ein Mix aus Erfahrung, Speed und Torhunger. Das war wohl schon ein Vorgriff auf den Transfersommer, oder?

Ingolitsch: Unser grundsätzliches Ziel im Winter war es, so zu reagieren, dass wir in der Liga verbleiben. Wir wussten auch, dass die Genannten Qualitäten bringen und uns direkt weiterhelfen. Deshalb war es auch unser Ansinnen, mit diesen Spielern über den Sommer hinaus zu planen, um keinen erneuten Umbruch vollziehen zu müssen. Gleichzeitig hatten wir durch diese Transfertätigkeiten im Frühjahr einen zu großen Kader, weshalb wir den Sommer genutzt haben, um zu verschlanken und dennoch die Stammspieler zu halten.

Meine Art des Fußballspiels verlangt ein hohes Maß an Spielverständnis, weil es komplex ist und man es kognitiv und athletisch verinnerlichen muss. Im Sommer haben wir mit Greil und Massombo, Antosch sowie Moritz Oswald und Srdjan Hrstic, die beide in der letzten Transferwoche zu uns gestoßen sind, nur wenig gemacht. Viele dachten, wir spinnen, weil wir fast absteigen und dann nur so wenig neue Spieler holen. Ich war aber eben überzeugt, dass die Mannschaft nur kleine Impulse braucht.

Jetzt muss niemand mehr darüber nachdenken, was er am Platz tut; ich kann die Spieler mitten in der Nacht anrufen und sie wissen, wie sie die heiklen Herausforderungen lösen können.

Fabio Ingolitsch

90minuten: So lange der Trainer die Kabine nicht verliert, ist es aber eigentlich wurscht, ob man Catenaccio oder Offensivpressing spielt, weil ich ja logischerweise besser werde, wenn die Truppe länger dasselbe übt.

Ingolitsch: Die Mannschaft spielt jetzt komplett anders als vor meiner Zeit. Ich will damit aber nicht sagen, dass das eine besser oder schlechter ist, überhaupt nicht. Es war einfach ein kompletter Paradigmenwechsel, den ich sehr radikal und schnell eingeleitet habe; dafür hat man mich auch geholt. Ich hätte mir auch erwünscht und erwartet, dass die Ergebnisse schneller stimmen.

Dennoch hatten alle das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Alle handelnden Personen haben sich von meiner Idee überzeugen lassen und ich würde sagen, dass das mittlerweile Früchte trägt. Jetzt muss niemand mehr darüber nachdenken, was er am Platz tut; ich kann die Spieler mitten in der Nacht anrufen und sie wissen, wie sie die heiklen Herausforderungen, vor die uns die Gegner stellen, lösen können.

90minuten: Am Ende geht es allen Statistiken zum Trotz um eine Wahrheit: Wie viele Tore schieße ich, wie viele kassiere ich und wie viele Punkte ergibt das in Folge. Dennoch: Wie würden Sie Ihren Fußball beschreiben?

Ingolitsch: Unser Steckenpferd ist klar das Spiel gegen Ball, was aber nicht heißt, dass wir eine defensive Mannschaft sind. Wir möchten extrem hoch anlaufen und aggressiv und intensiv pressen. Das ist ein Wiedererkennungsmerkmal, egal ob daheim gegen den Aufsteiger oder auswärts beim SK Rapid.

Wir ziehen unser Ding durch, weil wir eine klare Identität geschaffen haben: hohe Ballgewinne, schnell umschalten, vertikal und zielgerichtet, mit gutem Gegenpressing den Gegner einschnüren. Für die Menge an Umschaltmomenten haben wir noch zu wenige Tore. Die Basis aber ist die Arbeit gegen Ball. Da wird dann oft die Defensive gelobt, aber unsere zwei Stürmer sind unsere ersten Verteidiger.

Ingolitsch hat seine Ideen in die Köpfe der Spieler gebracht
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Ingolitsch hat seine Ideen in die Köpfe der Spieler gebracht

90minuten: Sie haben mit 25 Jahren in Salzburg angefangen, waren jahrelang in der Welt von Red Bull. Wie viel RB-Fußball bzw. auch Strategie, Talente von dort zu bekommen, steckt in Altach?

Ingolitsch: Letztes Jahr war nur Dijon Kameri ausgeliehen, heuer keiner. Aber natürlich haben mich die vielen Jahre geprägt. Ich bin mit einem weißen Blatt Papier dort hingekommen und habe es Tag für Tag, Woche für Woche beschrieben, bis ich meine eigene Idee von Fußball entwickelt habe. Ich habe so viele positive Dinge mitgenommen, die mein Spiel prägen, manche Sachen habe ich modifiziert.

90minuten: Wie viel Genugtuung gibt es, wenn Sie nach Salzburg blicken?

Ingolitsch: Ich hatte mit 25 Jahren das Privileg, in der Red Bull Akademie beim FC Liefering einzusteigen, Gerhard Struber und Bo Svensson waren super Cheftrainer, zu denen ich noch immer eine Verbindung habe. Ich konnte vom gesamten Umfeld profitieren, in den diversesten Abteilungen. Am Ende war es aber schon ein Erfolgsmärchen, da marschiert der Salzburger Junge vom Co-Trainer zur U18, wird zweimal Meister und stellt einen Punkterekord ein; dann Cheftrainer beim FC Liefering inklusive Youth League.

Die Krönung dieses siebenjährigen Wegs wäre der Posten als Trainer von Red Bull Salzburg gewesen, aber die haben zu dem Zeitpunkt in der Champions League gespielt. Das wäre ein zu großer Schritt für mich gewesen. In Zürich war ich Trainer der zweiten Mannschaft und hätte mich dort langfristig als Coach der Profis gesehen. Dann ist mir Altach dazwischen gegrätscht und das Abenteuer Bundesliga ist schneller auf mich zugekommen als geplant. Aber genau das wollte ich ja auch immer.

Dann hast du aber plötzlich so eine breite Brust und Glauben an dich selbst, dass du zu Rapid fährst und so auftrittst.

Fabio Ingolitsch

90minuten: Und derzeit läuft es. Welches Ergebnis hat Sie von diesen sechs Spielen am meisten überrascht?

Ingolitsch: Das ist eine schwierige Frage. Wir haben einfach in der Vorbereitung einen guten Grundstein gelegt und konnten diesen Schwung mitnehmen. Da konnten wir schon gegen Gegner wie Basel, Luzern oder Freiburg bestehen. Für viele war es dann vielleicht überraschend, wie klar wir gegen den WAC gewinnen konnten, für uns war es die Bestätigung, dass wir in der Liga unter Druck performen können.

Im Heimspiel mit der Eröffnung unseres Businessclubs haben wir super Fußball gespielt und ein sehr umkämpftes Spiel gegen die SV Ried verdient gewonnen; in Kombination mit dem Cupsieg war das ein perfekter Auftakt, was in den zurückliegenden Jahren nicht immer selbstverständlich war. Dann hast du aber plötzlich so eine breite Brust und Glauben an dich selbst, dass du zu Rapid fährst und so auftrittst.

90minuten: Der nächste Gegner heißt Wattens, nach Verlustpunkten gleichauf. Die WSG Tirol ist auch so ein Klub, der dem Abstieg entronnen ist und nun super spielt. Vor welche Herausforderungen stellt die Semlic-Elf den SCR Altach?

Ingolitsch: Ich schätze den Philipp (Semlic; Anm.) als Fußballtrainer. Er pflegt einen klaren Spielstil und implementiert einen Fußball, der eine Handschrift hat. Vor der WSG muss man generell den Hut ziehen, sie hatten in den letzten 15 Jahren zwei Trainer, haben immer die Ruhe bewahrt. Diese Kontinuität ist eine große Stärke. Man muss einfach dorthin kommen, wo man den handelnden Personen Vertrauen schenkt, sie in Ruhe arbeiten lassen.

Derzeit gibt es in Altach öfter Grund zu Jubeln
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Derzeit gibt es in Altach öfter Grund zu Jubeln

90minuten: Man soll ja nicht zu weit in die Zukunft schauen, aber mit vier bis sechs Punkten aus den nächsten drei Spielen gegen die WSG, Blau-Weiß und Sturm könnten Sie gemütlich in die Länderspielpause gehen, oder?

Ingolitsch: Es geht jetzt gar nicht um gemütlich. Wir wissen ja, dass wir fast abgestiegen wären und uns gerade in Sphären bewegen, wo uns niemand gesehen hätte. Die Einzigen, die dafür verantwortlich sind, sind wir, mit harter, guter und nachhaltiger Arbeit. Du musst dranbleiben, hungrig und nie zufrieden sein, weil es immer Punkte gibt, die man verbessern muss. Wir haben jetzt aber eine große Chance, allen zu zeigen, dass wir es besser können als letztes Jahr. Das ist unser größter Motivator: Dass wir das schaffen, nicht, weil jemand Externer kommt, sondern weil wir uns weiterentwickeln.

90minuten: Nach dem LASK-Spiel meinten Sie, dass die Journalisten immer mit Horrorstatistiken daher kommen. Da gebe es eine. 2025/26 ist leider nur der zweitbeste Saisonstart, den Altach jemals in der Bundesliga hatte. Damir Canadi hatte 2016/17 einen Punkt mehr am Konto. Am Ende war Altach Vierter, ich nehme an, Rang sechs würde Ihnen und dem Verein wohl schon reichen.

Ingolitsch: Wir haben uns intern nach intensiven Gesprächen ein großes Ziel gesetzt: Besser zu sein als letztes Jahr und dabei auch noch schöneren Fußball zu spielen. Wenn wir das schaffen, haben wir schon einen sehr wichtigen und gesunden Schritt für den Verein gesetzt. Jetzt geht es darum, feinzutunen und wirklich zu beweisen, dass wir es besser können als in den Saisonen zuvor.

90minuten: Wir danken für das Gespräch!


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